Die Große Transformation braucht transformative Bildung

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Die Große Transformation braucht transformative Bildung

Interview mit Dr. Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
Weitblick 1/2018: Portrait Maja Göpel

Dr. Maja Göpel (Foto: Studioline Photography)

 
Vor welchen globalen Herausforderungen stehen wir und was macht Veränderungen möglich?

Die globalen Herausforderungen der nächsten Dekaden umfassen nicht weniger als ein System-Update. Lebensstile und Wirtschaftsmodelle, die in einer Welt von 1 bis 3 Milliarden Menschen großen materiellen Wohlstand schaffen konnten, passen nicht in eine Welt mit 7 bis 10 Milliarden Menschen. Unsere Erde verzeiht nicht länger ein Naturverständnis, dass sie als endlose Ressource zur Ausbeutung darstellt. Und die fortbestehenden sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen nach Geschlecht, Religion und Nation zeigen, dass ein Verständnis der Menschen als nutzenmaximierende Egoisten leider zu kurz greift, wenn in der Summe das Beste für Alle herauskommen soll. Veränderungen werden von strategisch handelnden Menschen angestoßen. Wenn wir also den System-Update zu Guten Leben für Alle in Zukunft möglich machen wollen, sind neues Denken und Verstehen essentiell.

Der WBGU sagt, für diese Veränderungen braucht es die Große Transformation – ist diese nicht schwierig zu vermitteln?

Transformation heißt ja, dass wir das, was wir heute machen, was für uns normal geworden ist, grundlegend anders machen müssen oder wollen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es bedeutet ein Ausbrechen aus tief verankerten Mustern, wie wir einkaufen, wieviel wir einkaufen, wieviel Kleidung wir im Schrank haben, wieviel CO2 wir ausstoßen bei der Art, wie wir uns fortbewegen, was wir glauben, was die Standards für Produzieren und Konsumieren sind und mit welchen Mitteln, wie z. B. einem Geldsystem, sich das organisieren lässt. Große Transformationen sind deshalb immer das Ergebnis vieler, vieler, vieler kleiner Schritte. Ich benutze den Begriff radikaler inkrementeller Wandel für die Beschreibung dieses Weges: die Idee darüber, wo wir mit der Transformation landen wollen, weicht radikal vom Status Quo ab, aber wir dürfen auch nicht frustriert das Handtuch werfen, wenn es sich zäh und kleinteilig anfühlt. Ich kann z. B. anfangen, bei mir in der Schule zu sagen, wir kaufen jetzt ökologisch produziertes Papier. Ich kann in unserer Gemeinde schauen, was wir für besseren sozialen Zusammenhalt tun können, wenn wir merken, dass es Gruppen oder Personen in Not gibt. Wir können uns die Frage stellen, was wir tun können, um Gesetzesänderungen voranzubringen, die wichtige Weichen für mehr Nachhaltigkeit stellen. Da fängt es an, in meinem kleinen Wirkkreis. Das Wichtige ist das Anfangen.

Was heißt das für die Bildung?

Wir werden neue Kompetenzen brauchen. Diese umfassen zum einen Wissen darüber, dass und warum die Art, wie wir heute leben, auch eine Transformation – genauer eine Deformation – unserer Welt mit sich bringen wird, wenn sie noch lange fortbesteht. Und zum anderen Ideen, Praktiken und Lösungen, die gutes Leben und erfolgreiches Wirtschaften für alle Menschen ermöglichen, ohne dabei die Sicherheit stabiler Ökosysteme aufzugeben. „Transformative Bildung“ bedeutet daher vor allem, vier Dinge tun zu können: kritisch hinterfragen, multiple Perspektiven abwägen, konstruktiv beschreiben, interagieren und experimentieren sowie Bewusstsein für Selbstregulierung. Denn Transformationen gestalten bedeutet, gegen den Strom der etablierten Pfadabhängigkeiten und Gewohnheiten zu schwimmen. Dazu kommt die Digitalisierung als eine primär ökonomisch getriebene Technologierevolution, die im Zweifel der sozial-ökologischen Transformation entgegen verläuft und Menschen in ihren gestalterischen Kompetenzen radikal beschränken könnte. Sie könnte aber auch ein fantastisches Instrument für ein System-Update werden – wenn wir sie als Instrument für diesen Zweck gestalten.

Transformative Bildung bietet den Erwerb von Mut, Haltung, Orientierung und Fähigkeiten zur Zusammenarbeit, die es braucht, um große Veränderungen aktiv anstatt reaktiv zu leben und umzusetzen.

Wie reagieren Sie auf die Kritik, transformative Bildung sei eine Instrumentalisierung der Lernenden im Dienst der gesellschaftlichen Transformation?

Ich bitte die Person, richtig zuzuhören. Es geht ja genau nicht darum, den nächsten Kanon von Inhalten möglichst eng und restriktiv festzuzurren. Wenn die Digitalisierung und das Internet eins können, dann eine allgemein zugängliche globale Enzyklopädie an Informationen bereitstellen. Wir brauchen also kein Bulimie-Lernen von Fakten mehr. Es geht um das Trainieren einer systematischen, von Themen oder Problemen ausgehenden Suche nach Fakten und Erklärungen dazu, warum diese Sachverhalte existieren, wie sie bewertet und dann eben ggf. verändert werden können. Dafür können gerne viele Personen ihre favorisierten Erklärungen zur Verfügung stellen – aber eben nicht mehr mit Anspruch auf Alleinstellung oder Ewigkeit.

Ist die Idee einer transformativen Bildung ausreichend und bereits im Bildungsbereich angekommen?

Nein. Es finden sich immer noch so abstruse Worte wie die „employability“, auf die Bildung ausgerichtet werden sollte. Also das Schaffen von Zahnrädern, die in den bestehenden Strukturen möglichst reibungslos funktionieren. Vielleicht noch gravierender ist doch aber gerade der Zustand, innerhalb dessen gute Bildung für alle möglich sein soll: zerfallende und überfüllte Schulen, wenig Verbreitung neuester Lehrmedien, starre Lehrpläne, absoluter Mangel an Lehrer*innen und Erzieher*innen und auf exzellente Noten klagende Eltern machen die Umsetzung von guter und transformativer Bildung zur Zerreißprobe. Und das in einer Republik, die sich dem Humboldt‘schen Bildungsideal verschreibt und in Steuergeldern schwimmt.

Germanwatch versucht mit dem Hand Print Bildung stärker politisch handlungsorientiert und strukturverändernd auszurichten. Was sind hier Ihre Erfahrungen und Ratschläge?

Weiter so! Auf allen Ebenen: transformative Bildung kennt keine Altersgrenzen und wir können die Verantwortung für das Überwinden nicht-nachhaltiger Strukturen und Denkmuster nicht auf den Schultern der Generationen abladen, die nicht einmal an ihrer Erfindung beteiligt waren. Das System-Update meistern ist ein intergenerationales und hoch politisches Projekt und je schneller wir anfangen, umso besser.
 

Interview: Stefan Rostock

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