Argentinien zwischen den Stühlen: die Vorbereitung einer schwierigen G20-Präsidentschaft
Der G20-Gipfel in Hamburg war Bühne eines eindrucksvollen Showdowns zwischen US-Präsident Donald Trump und den übrigen G20-Mitgliedern in Bezug auf die Klimakrise und das Schicksal des Paris-Abkommens. Erstmals in der Geschichte der G20 gab es einen gesonderten Abschnitt für einen Staat in der Gipfelerklärung, während die anderen 19 gemeinschaftlich ihre Unterstützung für das Klimaabkommen von Paris ausdrückten und den G20-Aktionsplan zu Klima und Energie für Wachstum (KEAP) beschlossen. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit auf die bevorstehende argentinische Präsidentschaft unter Präsident Mauricio Macri – wird er in der Lage sein, die Hamburger Beschlüsse zu untermauern und langfristige Klimaziele innerhalb der G20 vorzubringen, ohne dabei die Einheit der Gruppe zu riskieren?
Die Situation könnte für Argentinien kaum schwieriger sein. Bezüglich der globalen Klimakrise liegt ein tiefer Graben zwischen den USA und den restlichen G20-Mitgliedern. Mit der eindeutigen Positionierung von Präsident Trump zugunsten fossiler Energieträger und seiner offiziellen Ankündigung, aus dem Paris-Abkommen auszutreten, ist die erklärte Konsensposition der G20 – Unterstützung der Klimarahmenkonvention sowie seit 2016 auch das Bekenntnis zum Paris-Abkommen – in Gefahr. Gleichzeitig ist nicht damit zu rechnen, dass sich die außergewöhnliche Situation, welche zum Hamburger Ergebnis führte, wiederholen wird: In der Zeit vor dem Hamburger Gipfel hatte sich die neue US-Administration bei den G20-Verhandlungen lange enthalten – mit Verweis darauf, dass man noch dabei sei, den klimapolitischen Kurs zu überprüfen und sich neu aufzustellen. Mittlerweile hat sich die neue US-Administration etabliert und steuert klimapolitisch bewusst gegen den Pfad einer globalen Dekarbonisierung – das Regime internationaler Kooperation und der Unterstützung für die verletzlichsten Staaten, welche in Paris verabschiedet wurden. Gleichzeitig versuchen die USA, im Rahmen der G20 Verbündete für ihren Kurs zu mobilisieren. Länder wie Russland, die Türkei oder Saudi-Arabien waren bekanntermaßen nie begeistert davon, Klimapolitik in der G20 zu priorisieren. Aber auch andere Nationen machen Bedenken gegenüber der G20 als Forum für Klimafragen geltend: Sie sehen die Klimarahmenkonvention der UN (UNFCCC) als das einzig richtige Forum und wollen ressourcenintensive und wenig effiziente Parallelprozesse vermeiden. Dies gilt insbesondere unter den gegenwärtigen Umständen, in denen ein konsensbasiertes Gremium wie die G20 begrenzten Spielraum hat.
Die exakte Agenda Argentiniens wird erst mit der offiziellen Übernahme der Präsidentschaft am 1. Dezember veröffentlicht. Die Kooperation im Rahmen der G20-Troika – bestehend aus der kommenden (Argentinien), bisherigen (Deutschland) und vergangenen (China) Präsidentschaft – soll dabei ein gewisses Maß an Kontinuität sicherstellen. Bisher ist bekannt, dass Armut, Beschäftigung und Bildung Hauptthemen sein werden, wobei der Fokus auf der Perspektive von Schwellenländern liegen wird. Argentinien erklärte darüber hinaus die Absicht, in Zusammenarbeit mit Brasilien und Mexiko einen starken regionalen Schwerpunkt zu setzten und wird Chile als Gastland an den G20-Tisch holen.
Im Jahr 2017 hat eine noch nie da gewesene Koalition aus NGOs, Gewerkschaften, Unternehmen, Think Tanks und Stiftungen unermüdlich für eine ambitionierte Implementierung des Paris-Abkommens durch die G20 plädiert. Investorengruppen sprachen sich für Maßnahmen zur Berücksichtigung von Klimarisiken im Finanzwesen, für Szenario-basierte Risikobewertung sowie deren Offenlegung aus. Die Vertreter des offiziellen G20-Begleitprozesses der Wirtschaft (B20), Zivilgesellschaft (C20) sowie der Think Tanks (T20) veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung in Unterstützung des Paris-Abkommens und einer nachhaltigen Energiewende. Ebenso fordern sie von den G20-Staaten klare langfristige Rahmenbedingungen, die Beendigung der Subventionierung fossiler Energieträger und die Einführung effektiver CO2-Bepreisung. Dieselbe Koalition, inklusive Gewerkschaften (Labor 20) und Stiftungen (F20), hat in einem Brief an den argentinischen G20-Chef-Verhandler ihre Unterstützung für die Umsetzung des Hamburger Klimaaktionsplans und einen klaren Fokus auf den Klima-Energie-Nexus zum Ausdruck gebracht.
Ungeachtet dieser Impulse und der eindeutigen Forderungen vieler G20-Mitglieder, die intensive Arbeit zur Klimakrise weiterzuführen, steckt die G20 als Institution und besonders ihr kommender Vorsitz in der Zwickmühle. Vor allem der Druck aus den USA, die Klimapolitik per se von der Agenda zu werfen, aber auch unklare Positionen anderer Länder stellen Macri vor eine große Herausforderung. Denn Argentinien muss vermeiden, dass die G20 hinter bereits Erreichtem zurückfällt. Jede Andeutung, dass die G20 von einer zügigen Umsetzung des Paris-Abkommens abrückt, wäre angesichts der derzeitigen Umstände fatal und wegen des heftigen Gegendrucks vieler G20-Mitglieder eigentlich undenkbar. Darüber hinaus möchte das Land sich als Klima-Vorreiter und verlässlicher Partner in der Region positionieren. Die gegenwärtige Regierung hat sich vergleichsweise stark für die nationale Umsetzung des Pariser Abkommens engagiert. Zwar liegt ein Fokus bei der argentinischen Dekarbonisierungsstrategie auf der Entwicklung von heimischen Schiefergasvorkommen als sogenannte Brückentechnologie, gleichzeitig sind jedoch ihre jüngsten Errungenschaften im Bereich Erneuerbarer Energien beachtlich.
Eine Option für Argentinien liegt darin, den Schwerpunkt der Klimaagenda auf Anpassungsmechanismen zu setzten. So lange Finanzierungsfragen außen vor bleiben, ist dies ein wenig strittiges Thema. Als weitere potentielle Schwerpunkte sind klimaresiliente Infrastruktur, Langfriststrategien, Unterstützung zur Umsetzung der nationalen Beiträge (NDCs) sowie grüne Arbeitsplätze (green jobs) im Gespräch. Nach Berichten vom Treffen der G20-Finanzminister und Zentralbankvorsitzenden bei der Weltbanktagung Mitte Oktober in Washington, wird Argentinien Infrastrukturfinanzierungund insbesondere deren Finanzialisierung als eigene Anlageklasse zu einer der beiden Prioritäten des G20-Finanz-Stranges für 2018 machen. Für das Erreichen der globalen Klimaziele ist es unerlässlich, dass Nachhaltigkeitskriterien und Klimarisiken hierbei adäquat berücksichtigt werden. Hier könnte die Arbeit der G20 aus den letzten beiden Jahren zu grünen Investitionen und einem nachhaltigeren klimaresilienten Finanzsystem zu Synergien verhelfen.
Die Zukunft der Arbeit wird das zweite Top-Thema des Finanzstranges sein. „Green Jobs“ könnten demnach ein zentraler Diskussionsstrang nicht nur in einem noch festzulegenden Klimaforum, sondern übergreifend auch im Finanzstrang und in der Arbeitsgruppe zu Beschäftigung sein. Den sozialverträglichen Strukturwandel (just transition) voranzubringen hat die ungeteilte Unterstützung der Gruppen des offiziellen G20-Begleitprozesses und geht Hand in Hand mit dem Agenda 2030-Prinzip des „leave no one behind“, welches China 2016 für sich als Priorität definierte.
Bezüglich der Kernthemen Klima und Energie ist immer noch unklar, ob die gemeinsame Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe fortbestehen wird. Diese war unter der deutschen Präsidentschaft aus dem Zusammenschluss der langjährigen Energie-(Nachhaltigkeits-)-Arbeitsgruppe und der neu gegründeten Klima-Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe entstanden. Regierungsinsider erwarten, dass eine „Energy-Transition-Group“ gebildet wird, die auch konkret an den energiespezifischen Teilen des KEAP weiterarbeiten wird. Ob und wie genau Klimaschutz und die Umsetzung des Paris-Abkommens in die Agenda aufgenommen wird, ist hingegen immer noch offen. Eine Trennung der Energiewendepolitik vom Paris-Abkommen ist allerdings hochriskant: Es könnte dem Versuch der fossilen Industrie Vorschub leisten, sich den Begriff Energiewende/Energy-Transition anzueignen. Denn ohne eine direkte Verbindung zu den langfristigen Zielen des Paris-Abkommens, insbesondere der Treibhausgasneutralität des Energiesystems bis 2050 und ohne klare Definition von Nachhaltigkeit ist ein Übergang zu einem „saubereren, modernen und nachhaltigen Energiesystem“ eine Leerformel. Darunter wäre z. B. auch die Modernisierung und schrittweise Verbesserung von Produktionsverfahren im Bereich fossiler Energieträger und deren Nutzung (Stichwort clean coal), die Versorgungssicherheit mithilfe von Atomkraft und heimische fossile Vorkommen oder die Substitution kohlenstoffreicher Energieträger mit Erdgas. Eine solche Form der „Energiewende“ würde zwar auch einige positive Folgen haben, zum Beispiel verringerte Gesundheitsrisiken aufgrund lokaler Luftverschmutzung. Allerdings würden mit dieser Herangehensweise entweder die langfristigen Klimaziele verfehlt oder man riskiert zu einem späteren Zeitpunkt verlorene Vermögenswerte (stranded assets) in erheblicher Höhe durch vorzeitige Stilllegung von fossilen Anlagen.
In Anbetracht der gegensätzlichen Positionen in der G20 und deren Konsensprinzip, kann man im kommenden Jahr kaum auf große Fortschritte im G20-Prozess bezüglich einer zügigen Dekarbonisierung hoffen. Wachsamkeit ist dennoch dringend geboten, um entschieden auf Versuche der fossilen Lobby reagieren zu können, die G20 als Forum zu nutzen, um die nachhaltige Energiewende umzudefinieren und ihre veralteten Geschäftsmodelle als „grün“ zu verkaufen.
Argentinien wird die G20 durch wilde Gewässer steuern müssen. So sehr es dabei eine Aufspaltung der Gruppe verhindern möchte, der offene Konflikt mit den USA ist keinesfalls nur auf das Klimathema beschränkt. Auch die Positionen der US-Administration zu zentralen G20-Themen wie Finanzmarktregulierung, Freihandel und Multilateralismus machen es kaum vorstellbar, dass der G20 Prozess im Jahr 2018 ohne gravierende Konflikte ablaufen wird.