Türkei zwischen Sonne und Kohle
Die Türkei ist in Europa das Land mit dem zweithöchsten Potenzial für Solarenergie. Noch aber setzt sie auf Kohle und Atomstrom. Kann die G20 die Türkei zur Anhebung ihrer schwachen Klimaziele bewegen? Die Klimapolitik der Türkei wird von der fossilen Energiestrategie des Landes bestimmt. Innerstaatliche Forderungen nach ehrgeizigerem Klimaschutz fallen schwach aus. Aber das kann sich ändern: Die derzeitige Dynamik in den Energiemärkten und gemeinsame Strategien der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) zur Ausrichtung der Märkte am Pariser Klimaabkommen könnten hierzu wichtige Impulse setzen.
Was zeichnet die Türkei aus? Wie andere Schwellenländer auch weist sie ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, eine steigende Energienachfrage und steigende Treibhausgasemissionen auf – Faktoren, die in Wechselwirkung zueinander stehen.
Aber es gibt auch einige Unterschiede gegenüber anderen Schwellenländern: Die Türkei ist ein OECD-Land, das vor 25 Jahren sowohl in Annex I als auch in Annex II der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC aufgeführt wurde – trotz seiner vergleichsweise geringen historischen Verantwortung für den Klimawandel. Die Annex-I-Staaten sind alle Industrieländer, die gehalten sind, sich konkrete Emissionsminderungsziele zu setzen. Annex-II-Staaten sind die wohlhabenderen unter den Industrieländern (eine Untergruppe des Annex I), die zusätzlich verpflichtet sind, technische und finanzielle Unterstützung für Klimaschutz und Anpassung in den Entwicklungsländern zu leisten.
Jahrzehntelang hat sich die Türkei bemüht, diese Einstufung loszuwerden. Dies gelang teilweise mit einem Beschluss der COP 7, der siebten UN-Klimakonferenz im Jahr 2001. Die Türkei wurde aus dem Annex II gestrichen und angesichts ihrer besonderen Lage wurde eine Differenzierung im Vergleich zu anderen Annex-I-Ländern eingeführt.
Paris-Vertrag noch nicht ratifiziert
Seit dem Pariser Klimaabkommen versucht die Türkei nun eine Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention zu erwirken, die zweierlei garantiert: erstens, dass die Türkei zu keinem ehrgeizigen Emissionsminderungsziel verpflichtet wird. Und zweitens, dass ihr der Zugang zu Klimafonds gewährt wird, um sie mit anderen Schwellenländern gleichzustellen. Weil diese Entscheidung bislang nicht getroffen wurde, ist die Türkei neben Russland eines der beiden G20-Länder, die das Abkommen noch nicht ratifiziert haben.
Das nationale Klimaziel (INDC), das die Türkei dem Klimasekretariat gemeldet hat, ist wenig ehrgeizig. De facto bedeutet es, dass das Emissionswachstum zwischen 2010 und 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 bis 2010 steigt. Das entspricht einem Anstieg der Emissionen von rund 100 Prozent zwischen 2013 und 2030. Diese Tatsache verschleiert die Türkei mit der Ankündigung, die Emissionen bis 2030 um bis zu 21 Prozent im Vergleich zum business as usual senken zu wollen.
Mehr Kohle und Atomenergie
Auch ein Blick auf die türkische Energiepolitik legt die schwache Klimapolitik des Landes offen: Die Hauptbestandteile der Energiesicherheitsstrategie sind der Ausbau der nationalen Kohlekapazitäten und die Einführung der Kernenergie.
Dabei könnte die Türkei eine Führungsrolle bei den erneuerbaren Energien einnehmen. Das Land hat das zweithöchste Solarenergiepotenzial in Europa und einen der am schnellsten wachsenden Windenergiemärkte des Kontinents. Es erzeugt bereits heute mehr als 30 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien.
Allerdings hat sich die Türkei dafür entschieden, diesen schon erreichten Prozentsatz unverändert als Ziel bis 2023 beizubehalten. Dabei könnte das im Jahr 2016 vom türkischen Energieministerium eingeführte "Erneuerbare-Energien-Zonen-Programm" umfangreiche Projekte für erneuerbare Energien auf den Weg bringen, die inländische Forschung und Entwicklung fördern und den Aufbau von Fertigungsmöglichkeiten für erneuerbare Energien unterstützen. Zugleich aber hat die Politik einen Einspeisevorrang samt Stromkaufgarantie für bestehende und geplante Kohlekraftwerke eingeführt.
Die Widersprüche sind groß und die Zukunft des Landes ist ungewiss. Bisher wurde Klimapolitik in der Türkei überwiegend als Reaktion auf internationale Impulse gestaltet statt durch inländische Forderungen. Wie die Nicht-Ratifizierung des Pariser Abkommens zeigt, hat diese Dynamik offensichtliche Grenzen. Die Klimapolitik der Türkei ist zunehmend eine Funktion ihrer Energiepolitik.
Kann die G20 ehrgeizigere Klimaziele in der Türkei befördern? Betrachtet man die türkische G20-Präsidentschaft aus dem Jahr 2015, fällt die Prognose eher pessimistisch aus. Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, aus dem Paris-Abkommen auszutreten, tut ihr Übriges.
Gründe für Optimismus
Andererseits könnten G20-Entscheidungen dazu anregen, die Märkte am an den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015 auszurichten und so einen Wandel in der Türkei anregen. Zum Beispiel könnte es einen Beschluss geben, bis 2020 alle Subventionen für fossile Energieträger abzuschaffen, progressive Schritte zur CO2-Bepreisung einzuleiten und eine angemessene Offenlegung klimabezogener Finanzierungsrisiken anzustoßen.
Und es gibt noch weitere Gründe für Optimismus: Die aktuellen Entwicklungen auf den Energiemärkten sind eine einmalige Chance für die Türkei, von emissionsintensiven Entwicklungspfaden abzurücken. Die Energiewende könnte die türkische Haltung zum Treibhausgasausstoß des Landes verändern. Gleichzeitig könnte die Energiewende dem Land dabei helfen, seine Energiesicherheitsziele zu erreichen, eine nationale Industrie für erneuerbare Energien aufzubauen, sichere Arbeitsplätze für seine junge Bevölkerung zu schaffen und die öffentliche Gesundheit zu verbessern, die durch den geplanten Ausbau der Kohlekraftwerke bedroht ist.
Die Zukunft der türkischen Energie- und Klimapolitik wird sich an zwei Dingen entscheiden: dem Zusammenspiel der Dynamik im globalen Energiesystem mit einem steigenden Interesse der Investoren an Erneuerbaren einerseits und der unerschütterlichen Unterstützung der türkischen Entscheidungsträger für die Kohle andererseits.
Was die Türkei jetzt zu tun hat, liegt auf der Hand: Sie muss die Dynamik des Wandels erkennen, ihre Abwehrhaltung in den Klimaverhandlungen ablegen, ihre Energiestrategie und ihre Klimaziele überprüfen, das Paris-Abkommen ratifizieren und auf den Zug der CO2-armen Transformation aufspringen.
Nach der Entscheidung Trumps, den Paris-Vertrag zu verlassen, bietet dieser G20-Gipfel der Türkei die Gelegenheit, eine konstruktivere klimapolitische Haltung einzunehmen und sich mit anderen G20-Mitgliedern auf anspruchsvolle Klima- und Energieziele zu verständigen.
Mustafa Özgür Berke hat über zehn Jahre für den WWF Türkei gearbeitet und ist jetzt unabhängiger Berater im Bereich Energie- und Klimapolitik, unter anderem für den WWF und für GÜNDER, eine türkische Solarenergiegesellschaft.
- Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator. Für den Inhalt tragen der Autor und Germanwatch die Verantwortung. -
- Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.klimaretter.info -
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