Gefahr für Europas Zentralheizung
Gefahr für Europas Zentralheizung
Eine neue Studie erhärtet die Warnungen von Klimaforschern, die globale Erwärmung könnte den Golfstrom zum Erliegen bringen. Das würde Europa im zukünftigen Treibhausklima paradoxerweise eine deutliche Abkühlung bescheren.
Der Beitrag von Joachim Wille erschien in der Frankfurter Rundschau vom 13.12.2002.
"Schon seit den 80er Jahren befürchten einige Forscher, dass klimabedingte Veränderungen im Wasserhaushalt der Erde die weltumspannenden Ozeanströmungen beeinflussen werden. Die Sorge, dass sich dadurch auch Europas "Zentralheizung", der Golfstrom, abschwächt und seine Verlängerung, der Nordatlantikstrom, sogar ganz abreißen kann, verstärkt nun die am Donnerstag im Fachblatt Science [Jg. 298 (2002): S. 2171-2173] veröffentlichte Untersuchung von amerikanischen, russischen und deutschen Wissenschaftlern.
Die Forscher weisen nach, dass der Zufluss aus den sechs größten eurasischen Flüssen, die in das Nordpolarmeer münden, seit 1936 [1] um sieben Prozent angestiegen ist. Steigt die Süßwassermenge wegen steigender Niederschläge bei der erwarteten globalen Temperaturerhöhung um zwei bis drei Grad bis 2100 weiter, könnte dadurch der Antrieb für das große "marine Förderband" - die so genannte thermohaline Zirkulation - abgeschwächt werden oder abreißen, wie der Leiter der Studie, Bruce J. Peterson vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole (USA) darstellt. In Gang gehalten wird die Zirkulation von den Dichte-Unterschieden zwischen mehr oder minder salzhaltigem Wasser. Höherer Zufluss von "leichtem" Süßwasser ins Nordmeer könnte den Motor der "globalen Pumpe ins Stottern" bringen, so Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der Studien-Autoren.
Der Golfstrom transportiert die gigantische Energiemenge, die der Leistung von rund einer halben Million Atomkraftwerken [1] entspricht, aus dem Golf von Mexiko quer über den Atlantik bis nach Norwegen und sorgt so dafür, dass es in Nordeuropa fünf bis zehn Grad wärmer ist, als es dem jeweiligen Breitengrad entsprechen würde. Das Golfwasser wärmt die Westwinde, die vom Atlantik kommen. Ohne diese Wärmezufuhr lägen weite Teile Skandinaviens unter Eis, in Hamburg herrschte sibirisches Klima.
Rahmstorf sieht die Gefahr, dass die Wärmepumpe versiegt, für durchaus gegeben - vor allem, wenn Klimaschutzmaßnahmen nicht beherzt angepackt werden. Die Studie belege die Zunahme des Süßwasserzuflusses klar. "Unsere Daten sind ein einzigartiges Maß für eine Umweltveränderung, weil sie eine lange Zeitspanne umfassen und die Niederschläge über eine riesige Landmenge erfassen", sagt er.
Sollte sich der Golfstrom im Laufe dieses Jahrhunderts abschwächen, würde sich das für die Europäer zuerst sogar günstig auswirken. "Die Risiken der globalen Erwärmung würden sogar etwas gemildert", sagt der Potsdamer Forscher. Dann aber folgte die kritische Phase. In einigen PIK-Szenarien versiegt der Golfstrom ab etwa 2100 binnen weniger Jahre komplett. Und: Einmal abgeschaltet, "kann der Wärmestrom für Jahrtausende wegbleiben, weil das Klima in einem neuen stabilen Zustand ist", sagt Rahmstorf.
Eine Auswertung der bisherigen Temperaturdaten für 2002 des Goddard Institute for Space Studies (USA) zeigt, dass die globale Durchschnittstemperatur bei 14,65 Grad liegt. Nur 1998 lag sie höher. Die 16 wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen [d.h. seit 1876, Anm. Germanwatch] wurden seit 1980 gemessen, meldet das Earth Policy Institute (Washington)."
Fußnote:
[1] Daten von Germanwatch auf Angaben von Prof. Rahmstorf hin korrigiert