Meldung | 30.09.2016

Was vom Klimagipfel in Marokko zu erwarten ist – und was Deutschland jetzt beitragen kann

Interview mit Christoph Bals zum Klimagipfel in Marokko
Christoph Bals

Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch

Das Inkrafttreten des Paris-Abkommens ist inzwischen gesichert. Aber was kommt danach? Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, erklärt in einem "Klimaretter"-Interview, warum die UN-Klimakonferenz in Marokko vielleicht für Außenstehende langweilig, aber für Fortschritte im internationalen Klimaschutz wichtig wird und wie eine Kommission den Kohleausstieg in Deutschland in die Wege leiten könnte.

Was heißt das praktisch, wenn das Paris-Abkommen jetzt schon in Kraft tritt? Ursprünglich war ja 2020 angepeilt worden.
Das ist sicher ein Signal an alle Investoren und Gesellschaften, dass es das Paris-Abkommen gibt und die Staaten rechtlich verpflichtet sind, die Ziele zu erfüllen, zu denen sie sich verpflichtet haben. Klar ist: Das ist eine völkerrechtliche Verbindlichkeit, die nicht mit heftigen Sanktionen bewehrt ist. Aber die meisten Staaten sehen den Vertrag doch als etwas, gegen das sie nur im Notfall verstoßen können. Das erhöht die Planungssicherheit und den Druck. Etwa die Kohle-Aktien sind weltweit deutlich gesunken. Sie werden sich nicht mehr wirklich erholen.

Marokko ist so eine Art Zwischengipfel – wohl nach der Ratifikation, aber vor der Bestandsaufnahme durch den Weltklimarat im Jahr 2018. Wofür brauchen wir Marokko überhaupt?
Marokko muss jetzt die Details regeln für die Umsetzung des Paris-Vertrags. Das braucht vermutlich drei Jahre, um ausverhandelt zu werden. Das war nach Kyoto ganz ähnlich. Diese Details werden das Regelbuch für einen internationalen Klimaschutzplan, in dem Fragestellungen sozusagen in Verordnungen gegossen werden. Das ist zwar politisch keine Riesensensation, aber damit das Ganze ernst genommen und umgesetzt wird, muss das jetzt passieren.

Welche inhaltlichen Themen werden in Marrakesch eine Rolle spielen?
Die Schäden und Verluste durch den Klimawandel. In dieser Debatte geht es langfristig natürlich auch um finanzielle Kompensation für die Betroffenen. Noch herrscht hier Stillstand. Es ist noch nicht klar, ob die Verhandler in Marrakesch versuchen wollen zu einem Ergebnis zu kommen oder der Prozess erst beginnen soll. Interessanterweise sagen die besonders betroffenen Staaten: Lasst uns lieber zwei Jahre Zeit nehmen, um die Punkte richtig abzuarbeiten, und nicht nur Kurzbeschlüsse fassen.

Was heißt das konkret?
Wir haben zunehmend Klimaflüchtlinge – wie geht man damit um? Wir haben zunehmend Länder, die einen Teil ihrer Fläche verlieren durch den Meeresspiegelanstieg. Wer soll sich wie darum kümmern? Wir haben zunehmend die Situation, dass bei Zunahme der Wetterkatastrophen die internationale Gemeinschaft nicht mehr durch Fernsehbilder alarmiert wird, weil das zu häufig auftritt, und damit weniger Bilder produziert werden, die die Hilfsbereitschaft in Gang setzen. Muss man hier nicht eher zu Versicherungssystemen für die besonders Betroffenen kommen, die auch von den Verursachern bezahlt werden?

Klar ist, dass die Klimaziele längst nicht ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel und erst recht das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen. Vorgesehen ist, dass die Länder nochmal nachlegen. Glauben Sie, dass kann noch vor 2030
passieren?

Ja, davon bin ich überzeugt. 2018 gibt es eine Bestandsaufnahme durch den Weltklimarat, die zeigen soll, wie groß die Lücke zwischen den Klimazielen der Länder und dem 1,5-Grad-Ziel ist. Da wird das erste Mal großer Druck auf die Industrieländer aufgebaut, dass sie ihre Ziele verschärfen. In der EU wird es zumindest eine Verschärfung der Energieeffizienzrichtlinie geben. Und ich sehe gute Chancen, dass die EU auch beim Emissionshandel bis 2018 nachbessert.

Gibt es Bewegung in anderen Ländern?
China leistet sicher mehr als in Paris versprochen, die USA vermutlich auch. Auch in Indien geht der Ausbau der Kohle deutlich langsamer voran als vermutet – bei den Erneuerbaren tut sich mehr.

Aber sieht man nicht gerade an Deutschland, dass die Versprechungen nicht viel wert sind, wenn es an die Umsetzung geht? Stichwort Klimaschutzplan: Der wurde auf seinem Weg durch die Ministerien ordentlich zerrupft und erscheint nunmehr konturlos.
Mal sehen, ob das wirklich so bleibt. Eine wichtige Messlatte sind die Sektorziele, die im aktuellen Entwurf rausgeflogen sind. Ich bin optimistisch, dass sie wieder den Weg zurück in den Plan finden. Ich halte es auch für möglich, dass wir einen Klimaschutzplan bekommen, der zwar nicht als Ziel setzt, dass 95 Prozent der CO2-Emissionen bis 2050 eingespart werden müssen – aber zumindest 80 bis 95 Prozent mit der Klarstellung, im oberen Bereich landen zu wollen. Im Moment ist die Bahn allerdings abschüssig, das stimmt. Wenn der Plan so zerfleddert bliebe, wäre das für uns inakzeptabel.

Auch das Wort Kohleausstieg ist aus dem Entwurf wieder rausgefallen. Ist der Ausstieg nun erst mal begraben?
Ich halte es aber für möglich, dass eine Kommission auf den Weg gebracht wird, die das Mandat hat, den Kohleausstieg zu verhandeln. Nach der Anhörung der Verbände Ende September hat Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth das so zusammengefasst: Wir haben wenige Stimmen gehört, die einen Ausstieg vor 2035 fordern, und wir haben wenige Stimmen gehört, die nicht einen Ausstieg bis 2045 für möglich halten. Wenn das die Ausgangslage wäre, muss dann halt nach der Wahl darum gekämpft werden, dass die Einigung bei 2035 liegen wird.

Wann, glauben Sie, könnte eine Kohleausstiegs-Kommission die Arbeit aufnehmen?
Die Arbeit aufnehmen bald. Aber ich vermute, dass die Verhandlungen eine Sache von zwei Jahren sind. Es geht ja nicht nur darum, ein Datum für den Kohleausstieg und die Halbierung der Kohle bis 2025 festzulegen, sondern auch darum, wie sich das mit dem Strukturwandel in den betroffenen Regionen vereinbaren lässt. Man muss ehrlich sagen, dass da keiner einen Masterplan hat, den man einfach mal so eben hinschreiben kann. Es kommt darauf an, mit den Betroffenen zu sprechen und sie mit an Bord zu nehmen.

Für all das gibt es gute Vorzeichen, nachdem die Gewerkschaft Verdi das deutliche Signal gesetzt hat: Wir sind bereit für einen Kohleausstieg und 2040 ist ein denkbares Szenario. Das ist ein Startpunkt für die Debatte. Ich erwarte jetzt, dass so eine Kommission auf den Weg gebracht wird. Alles andere wäre eine große Enttäuschung.

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- Das Interview führte Benjamin von Brackel. Der vollständige Beitrag vom 29.9.16 erschien zuerst auf: www.klimaretter.info -