Fall Huaraz: RWE bestreitet Verantwortung für Klimaschäden in den Anden - Mündliche Verhandlung im Herbst
Essen/Bonn (3. Juni 2016). Die für RWE tätige Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer hat im „Fall Huaraz" erstmals auf die Zivilklage des peruanische Kleinbauern und Bergführers Saúl Luciano Lliuya reagiert und bestritten, dass der Konzern für die Folgeschäden des Klimawandels in den peruanischen Hochanden Verantwortung trage. In der Klageerwiderung behaupten die Anwälte, dass nach deutschem Zivilrecht keine Haftungspflicht bestehe. Der Kläger Saúl Luciano Lliuya hat mit einer solchen Reaktion gerechnet und betont, dass er mit seiner Hamburger Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen im Herbst in das mündliche Verfahren vor dem Landgericht Essen gehen werde: „RWE muss Verantwortung für seine Emissionen übernehmen. Wir in Peru haben kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, leben aber mit den schlimmsten Konsequenzen."
Das Verfahren, das seit Dezember vor dem Landgericht läuft, ist in Europa einmalig. "Dies ist ein Präzedenzfall, der bei einem Erfolg weltweit weitere Klagen gegen Mitverursacher des Klimawandels nach sich ziehen könnte", sagt Anwältin Roda Verheyen. "Um den rechtlichen Anspruch zu belegen, müssen wir dem Gericht beweisen, dass RWE sehr wohl eine Mitverantwortung trägt für die Gefährdung des Eigentums meines Mandanten – und das werden wir auch tun."
Rückblick: Vor sechs Monaten hatte Saúl Luciano Lliuya die Zivilklage gegen den Energiekonzern RWE eingereicht. RWE bezeichnet sich selbst als den größten C02-Einzelemittenten in Europa. Das Unternehmen ist, so zeigt eine Untersuchung von 2014, für rund ein halbes Prozent aller weltweit seit Beginn der Industrialisierung durch menschliches Handeln freigesetzten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auch wenn RWE nur ein Verursacher von vielen ist: Luciano Lliuya fordert, dass das Essener Unternehmen für einen Teil der Kosten für Schutzmaßnahmen vor einer möglichen Flutwelle aufkommt, die seine Heimatstadt Huaraz und damit auch seine Familie und seinen Besitz bedroht. Durch die vom Klimawandel beschleunigte Gletscherschmelze ist der Palcacocha-Bergsee dermaßen angeschwollen, dass er ein akutes Risiko für die 120.000-Einwohner-Stadt darstellt.
RWE bezweifelt in der Klageerwiderung jedoch neben der Haftungspflicht auch die Zulässigkeit der Klimaklage. Der Kläger plant einem entsprechenden Hinweis des Gerichts durch Anpassung der Klageanträge Rechnung zu tragen. Er und seine Anwältin gehen daher fest davon aus, dass die Musterklage zur klimarechtlichen Mitverantwortung von RWE nicht an der Zulässigkeit scheitern wird. Die RWE-Anwälte versuchen darüber hinaus darzulegen, dass trotz ausführlicher Erkenntnisse des Weltklimarats IPCC eine Zuordnung von Emissionen einzelner Emittenten zu der Gletscherschmelze in den Anden nicht möglich sei. Zudem bezweifeln sie, dass der Klimawandel überhaupt Verursacher der Gletscherschmelze in den peruanischen Anden sei. Entgegen den Feststellungen des IPCC behaupten sie aufgrund fehlerhaft dargestellter Daten, die lokalen Temperaturen seien dort gesunken – von einer Erwärmung und einer dadurch beschleunigten Gletscherschmelze könne nicht die Rede sein.
Skandalös ist nach Einschätzung der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch die Behauptung seitens RWE, es gebe in der Andenstadt Huaraz gar kein Flutrisiko. Seit Jahren warnen internationale Wissenschaftler und peruanische Behörden, dass herabfallendes Gletschereis jederzeit eine massive Flutwelle aus dem viel zu vollen See auslösen könne. Auch Notmaßnahmen der peruanischen Provinzregierung konnten das Risiko bisher nicht wesentlich verringern.
Luciano Lliuya und seine Anwältin erarbeiten derzeit eine ausführliche Erwiderung. Im Spätherbst wird es dann zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Essen kommen. Das genaue Datum steht noch nicht fest. „Die großen Verursacher des Klimawandels müssen sich endlich ihrer Verantwortung stellen", fordert Luciano Lliuya. "Es geht um unseren Schutz und um Gerechtigkeit.“
Germanwatch unterstützt Luciano Lliuyas Anliegen und berät ihn. Für die finanzielle Unterstützung des Klägers für dieses Musterverfahren ruft die Stiftung Zukunftsfähigkeit zu Spenden auf.