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Beckett: Berliner Grundsatzrede zur Klimasicherheit

 

am 24.10.06 hat Margaret Beckett, britische Außenministerin, in Berlin eine äußerst bemerkenswerte Grundsatzrede dazu gehalten, wie fundamental das Thema Klimasicherheit die Außenpolitik verändern wird, ja schon verändert. Und sie endet mit einem furiosen Appell an die deutsche Regierung, ihre Klima-Verantwortung bei den EU- und G8-Präsidentschaften wahrzunehmen.

Es wird darin sehr deutlich: Die internationale Klimadebatte steht kurz davor, auf ein ganz anderes Niveau gehoben zu werden. Auch die sich ankündigenden Veränderungen in den USA - das Thema Energiesicherheit hat längst den Terrorismus als wichtigstes Thema in der Bevölkerung verdrängt-, weisen in diese Richtung.

Christoph Bals

 


Beckett: Berliner Grundsatzrede zur Klimasicherheit

Rede der britischen Außenministerin Margaret Beckett, Britische Botschaft Berlin, 24. Oktober 2006

[Es gilt das gesprochene Wort]

Vielen Dank, John, für Ihre einführenden Worte. Ich kann mich noch gut an den Staatsbesuch der Königin in Deutschland vor zwei Jahren erinnern, als Sie und ich genau in diesem gleichen Gebäude an einer bedeutenden Konferenz über Klimaschutz teilgenommen haben. Diese Konferenz war der Beginn einer intensiven britisch-deutschen Zusammenarbeit im Klimaschutz. Daher freut es mich ganz besonders, heute wieder einmal in Berlin zu sein.

Es ist kein Zufall, dass ich Berlin für eine Grundsatzrede zur Außenpolitik gewählt habe. Innerhalb der nächsten zehn Wochen beginnt Deutschlands Präsidentschaft in der EU und der G8. Und es könnte für das sich verändernde Gesicht der Außenpolitik kein deutlicheres Beispiel als diese Stadt Berlin geben.

Als an jenem Novemberabend vor siebzehn Jahren die Mauer fiel, veränderte sich die Welt. Und damit mussten sich auch jene verändern, deren Aufgabe es ist, die Welt zu kommentieren, zu verstehen und zu gestalten.

Die alten Analysefähigkeiten aus der Zeit des Kalten Krieges - Außenpolitik in einer bipolaren Welt betreiben zu können - wurden noch immer geschätzt und waren auch noch notwendig. Doch in dem Maße, wie die langjährigen Machtblöcke Risse bekamen und sich reformierten, mussten neue Fähigkeiten, neues Wissen hinzukommen.

Und in der Zeit nach dem Fall dieser politischen Barrieren haben wir erlebt, wie auch die durch Entfernung und Zeit geschaffenen Hindernisse ausgehöhlt wurden - durch eine technische Revolution, die zwar ruhiger und weniger sichtbar als die auf den Straßen Berlins vor sich ging, die aber nicht weniger umwälzend und nicht weniger radikal war.

Vor zehn Jahren hatte ich noch nie in meinem Leben eine E-Mail abgeschickt. Und ich vermute, damit stehe ich nicht allein. Das Internet war noch nicht Bestandteil unseres täglichen Lebens. In Großbritannien hatten wir damals vier Fernsehkanäle - von denen zwei in der Nacht Sendepause hatten.

Heute hat sich unser Leben total verändert. Kein ernstzunehmender Kommentator kann heute noch hoffen, die Welt zu verstehen, wenn er oder sie nicht begreift, wie sehr 24-stündige Nachrichtensendungen und der sofortige Informationsfluss über Grenzen hinweg unsere Welt verändert haben.

Nehmen Sie zum Beispiel den islamistischen Terrorismus. Das Internet ist zu einem entscheidenden Instrument nicht nur der Planung und Finanzierung von Anschlägen, sondern auch für die Radikalisierung der Menschen und ihre Rekrutierung für den Terrorismus geworden. Und gerade den rund um die Uhr laufenden Nachrichtkanälen verdanken die Terroristen zum großen Teil ihre Macht, die Menschen zu schockieren und einzuschüchtern.

Mit der gleichen Technologie wurden nicht nur Bilder von der Tsunami-Katastrophe in Sekundenschnelle um die Erde geschickt, sondern mit ihrer Hilfe wurden auch gewaltige Geldbeträge in Rekordzeit aufgebracht.

Außenpolitik ist also nie ein statischer Beruf gewesen. Außenpolitik zu betreiben, hat immer bedeutet, Teil eines Evolutionsprozesses zu sein, in dessen Verlauf wir uns bemühen, unser Verständnis von einer sich verändernden Welt zu vertiefen und zu erweitern.

Heute sind diese Veränderungen signifikanter und relevanter für unsere Arbeit als je zuvor. Das ist nirgendwo deutlicher als in unseren Bemühungen, die Gefahr massiver und gefährlicher Störungen unseres globalen Klimas abzuwenden.

Die grundlegende wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich das Klima verändert, wird nicht mehr bestritten.

Doch in den letzten Wochen und Monaten haben wir erfahren, dass Ausmaß und Dringlichkeit der Herausforderung, vor der wir stehen, noch schlimmer sind als befürchtet.

Im vergangenen Monat haben sowohl das Institut "British Antarctic Survey" und das "National Snow and Ice Data Center" in den USA berichtet, dass die Polarkappen schneller schmelzen, als die Glaziologen es für möglich gehalten hatten.

Und Wissenschaftler der NASA haben davor gewarnt, dass katastrophale Folgen des Klimawandels wahrscheinlich nicht mehr abwendbar sein werden, wenn ein weiteres Jahrzehnt verstreicht, ohne dass die Emissionen reduziert werden.

Anfang dieses Monats hat Großbritanniens höchste Autorität in Sachen Folgen des Klimawandels, das "Met Office Hadley Centre", neue und beunruhigende Daten über das wahrscheinliche Ausmaß der durch Klimawandel ausgelösten Desertifizierung und extremen Dürreperioden veröffentlicht.

Es ist jetzt klar, dass Klimaschutz keine Option ist, für die man sich entscheiden kann oder auch nicht, sondern ein zwingendes Gebot. Klimawandel ist ein Problem von heute, nicht von morgen.

Als ich Außenministerin wurde, habe ich es zu einer neuen internationalen strategischen Priorität britischer Außenpolitik gemacht, etwas gegen diese Bedrohung zu tun. Ich nenne es, Klimasicherheit herstellen.

Ich habe keine Zweifel - und auch Premierminister Tony Blair hatte sie nicht, als er mir dieses Amt anbot -, dass man es mit der Klimasicherheit ernst meinen muss, wenn man heute ein glaubwürdiger Außenminister sein will.

Denn für die Außenpolitik geht es nicht allein darum, sich dann mit einer Krise zu befassen, wenn sie eingetreten ist. Wir sind unseren Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet, die nötigen Bedingungen für Sicherheit und Wohlstand in einer dicht besiedelten und von gegenseitigen Abhängigkeiten gekennzeichneten Welt zu schaffen.

Ein instabiles Klima wird es uns viel schwerer - wenn nicht sogar unmöglich - machen, diese Verpflichtung zu erfüllen.

Darum geht es.

Die Außenpolitiker haben schon seit langem erkannt, dass die Stabilität von Nationen in nicht geringem Maße von der Sicherheit des Einzelnen abhängt.

Wenn die Menschen den Belastungen von Überbevölkerung, knappen Ressourcen und schlechten Umweltbedingungen ausgesetzt werden, wenn sie spüren, wie ihre Sicherheit und die ihrer Familien zunehmend schwindet, dann werden wir erleben, wie Stabilität zur Instabilität wird.

Was uns als Außenpolitiker beunruhigen muss, ist, dass diese Spannungen, um deren Beseitigung wir uns bemühen, durch ein instabiles Klima noch zusätzlich verschärft werden. Unsere Probleme haben bereits die Belastungsgrenze erreicht, und der Klimawandel könnte die Spannungen noch weit darüber hinaus erhöhen.

Oder nehmen Sie die Sicherheit der Versorgung mit Lebensmitteln - die Sicherheit, dass die Menschen genug zu essen haben. Der Klimawandel wird ganz einfach zu häufigeren und länger andauernden Hungersnöten führen. Aus Studien geht hervor, dass eine Temperaturerhöhung um nur zwei bis drei Grad in Afrika, dem Nahen Osten und in Südasien zu Ernteausfällen zwischen 30 und 40 Prozent führen wird. Ähnliches gilt für China.

Auf der ganzen Welt ist der Zugang zu Süßwasser - die Sicherheit der Wasserversorgung - bereits ein Problem, das durch den Klimawandel noch verschärft werden wird. Eine Milliarde Menschen auf dem südasiatischen Subkontinent werden wahrscheinlich unter der Abnahme des Schmelzwasserzuflusses von den Himalaja-Gletschern sowie unter den Veränderungen im Monsun-System zu leiden haben. Im Nahen Osten und in Zentralasien wird bedeutend weniger Regen fallen.

Und dann haben wir noch die Sicherheit der Energieversorgung - sie ist lebenswichtig, nicht nur um die Volkswirtschaften der entwickelten Welt am Laufen zu halten, sondern auch um den Entwicklungsländern ein Mittel in die Hand zugeben, sich aus der Armut zu befreien. Auch das wird durch den Klimawandel bedroht. Häufigkeit und Schwere extremer Wettereignisse werden zunehmen und Hafen- und Bohranlagen auf der ganzen Welt bedrohen.

Und es sind nicht nur Stürme, über die wir uns Sorgen machen müssen. Das Auftauen der Dauerfrostböden wird die Infrastruktur der Energieversorgung - die Pipelines - in Russland gefährden. Indiens Pläne, seine Wasserkraftkapazität auszubauen, geraten durch das Abschmelzen der Gletscher im Himalaja in Gefahr. Hinzu kommen die Gefahren aus der wachsenden Instabilität von Schlüsselregionen der Produktion von Energieträgern wie dem Nahen Osten.

Kein Wunder, dass Kofi Annan in der vergangenen Woche - ich zitiere - erklärt hat: "Es ist dringend geboten, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, denn er wird schwere Auswirkungen auf praktisch jeden Aspekt des menschlichen Lebens haben, von den Arbeitsplätzen über die Gesundheit bis zum Wirtschaftswachstum und zur Sicherheit."

Wir in Europa müssen uns im klaren darüber sein, dass es für uns ebenso wichtig ist wie für alle anderen, wie die Welt auf den Klimawandel reagiert.

Schauen Sie sich die Themen an, die auf der Agenda Europas ganz oben stehen: sichere Grenzen, Kampf gegen Armut, die Risiken von Konflikten und die Gefahren des Terrorismus, Sicherheit der Energieversorgung, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Wenn wir den Klimawandel richtig anpacken, werden wir all diese Probleme viel besser lösen können. Machen wir es falsch, ist auch der Erfolg unserer Bemühungen auf allen diesen Gebieten fraglich.

Oder nehmen Sie das Thema Zuwanderung. Wenn die Siedlungsgebiete mancher Menschen ständig überflutet werden, dann werden diese Menschen ihre Sachen packen und woanders hingehen müssen. So einfach ist das. Wenn die Meeresspiegel um nur 50 Zentimeter steigen - das ist die Hälfte dessen, was in den optimistischsten Voraussagen genannt wird -, so heißt es in einer Studie, werden zwei Millionen Menschen das Nil-Delta verlassen müssen. Ein Anstieg um einen Meter wird 25 Millionen Menschen aus Bangladesh vertreiben. Schon heute treibt die Zerstörung der Umwelt Wirtschaftsflüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika an Europas Küsten.

Wenn wir den Klimawandel in den Griff bekommen, können wir den Druck vermindern, der Menschen zum Auswandern treibt. Gelingt uns das nicht, müssen wir uns auf Migrationswellen in nie gekanntem Ausmaß gefasst machten.

Oder nehmen Sie Konflikte. Das Konzept, um begrenzte Ressourcen - Land, Süßwasser, Brennstoffe - Krieg zu führen, ist nicht neu. Aber durch die drastische Verringerung dieser Ressourcen in einigen der konfliktträchtigsten Regionen der Welt schafft der Klimawandel eine neue, potenziell katastrophale Dynamik.

Der Nahe Osten ist ein Beispiel par excellence. Fünf Prozent der Weltbevölkerung müssen sich bereits nur ein Prozent der Wasservorräte der Welt teilen. Durch den Klimawandel werden die Menschen mit noch weniger Wasser auskommen müssen. Aktuelle Klimamodelle besagen, dass - im globalen Maßstab - die Niederschläge am meisten in Saudi-Arabien, dem Iran und dem Irak zurückgehen werden. Ägypten, das für die regionale Stabilität eine Schlüsselrolle spielt, wird gleich doppelt betroffen sein. Eine drastische Abnahme des aus dem Süden kommenden Nilwassers und ein steigender Meeresspiegel an der Küste im Norden werden das Kerngebiet der Landwirtschaft im Delta zerstören.

Ähnliche Muster findet man auch in anderen Regionen.

Nehmen wir Südasien. Bereits jetzt führt die Zuwanderung von Menschen aus Bangladesh in den indischen Bundesstaat Assam zu Spannungen. Der Klimawandel wird sie noch verschärfen.

Oder Zentralasien. Nationen, die sich in wachsendem Maße um Wasserrechte streiten.

Zusätzliche Belastungen durch den Klimawandel erhöhen die Gefahr, dass ohnehin schon schwache Staaten in Bürgerkrieg und Chaos versinken. Und jene Länder, die zurzeit nicht gefährdet sind, werden in die Gefahrenzone gestoßen.

Kurz gesagt: Versagt unser Klimasystem, wird es noch mehr scheiternde Staaten geben.

Und das wiederum wird sich auf alles auswirken, was wir erreichen wollen - in der Konfliktverhütung und im Konfliktmanagement bis hin zum Kampf gegen den Terrorismus.

Mit dem Kampf gegen den Klimawandel können wir auch zur Lösung der eigentlichen Sicherheitsprobleme beitragen, die Konflikte und Instabilität nähren und verschärfen. Den Klimawandel zu ignorieren, bedeutet, sich damit abzufinden, dass die gleichen Krisen immer wieder aufflackern - und dass neue hinzukommen.

Klimawandel ist also keine alternative Sicherheitsagenda, sondern ein Thema, das eine Erweiterung und eine Vertiefung unseres Verständnisses dessen erfordert, wie wir die vorliegende Agenda am besten verwirklichen können.

Ob wir auf den Klimawandel reagieren und wie, hat potenziell einen noch breiteren Einfluss auf die globale politische Stabilität. Das Vertrauen zwischen Nord und Süd hat bereits einen Tiefpunkt erreicht, nicht zuletzt deshalb, weil in der Entwicklungsrunde von Doha keine Fortschritte erzielt worden sind.

Diese Kluft wird sich noch vertiefen, falls und wenn die Auswirkungen des Klimawandels erst richtig einsetzen. Denn es ist die entwickelte Welt, die einen historisch hohen Ausstoß von Treibhausgasen verursacht hat, aber als erste und am schwersten betroffen werden die Entwicklungsländer sein - die Länder, die am wenigsten mit den Folgen des Klimawandels fertig werden können.

Auch hier ist also die Wahl, die wir haben, eindeutig. Entweder wir arbeiten gemeinsam an der Bewältigung eines gemeinsamen Problems, dessen Tragweite traditionelle Spaltungen überbrückt und zu neuem Vertrauen führt. Oder wir riskieren eine weitere Polarisierung in der internationalen Gemeinschaft.

Was aber meine ich, wenn ich sage, wir müssen gegen den Klimawandel vorgehen?

Eines ist klar. Das Dilemma, das im Mittelpunkt der Debatte über den Klimawandel steht, betrifft uns alle. Dem müssen wir uns stellen.

Wir alle haben ein Interesse an kontinuierlichem Wirtschaftswachstum. Und wir wollen auch alle, dass die Entwicklungsländer sich aus der Armut befreien. Aber im Moment werden Wachstum und Entwicklung durch das Verbrennen fossiler Energieträger angetrieben, und das verursacht die Klimaänderung.

Mit anderen Worten: Derselbe Prozess, der heute den Menschen überall auf der Welt ein besseres Leben ermöglicht, zerstört ihre Zukunft.

Aber die These, wir müssten uns zwischen Wirtschaftswachstum und stabilen Klimaverhältnissen entscheiden, ist falsch.

Wir brauchen beides. Und wir können auch beides haben.

Diesen Monat kommt die detaillierteste und umfassendste Studie zur Ökonomie des Klimawandels heraus, die je durchgeführt wurde. Darin belegt Nick Stern, der Chefökonom Großbritanniens und ehemalige Chefökonom der Weltbank, dass der Klimawandel möglicherweise katastrophale Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Industrie- und der Entwicklungsländer haben wird.

Aber dieselbe Untersuchung zeigt auch, dass der Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft keineswegs bedeuten muss, sich vom Wirtschaftswachstum zu verabschieden oder Menschen zur Armut zu verurteilen.

Im Gegenteil, wenn wir diesen Weg beschreiten, ist das nicht nur finanziell tragbar, sondern es tun sich auch enorme Chancen für uns alle auf.

Für die Entwicklungsländer bietet sich damit die Chance, bei der Neugestaltung der Weltwirtschaft von Anfang an mit dabei zu sein. Sie haben die Chance, die alten Technologien einfach zu "überspringen" und neue Brennstoffe und fortgeschrittene Technologien für andere zu produzieren. Das bedeutet bessere Gesundheit, weil die Umwelt weniger belastet wird. Und sie bekommen die saubere und bezahlbare Energie, die sie für ihr weiteres Wachstum brauchen.

Für uns hier in Europa ist die CO2-arme Wirtschaft der Schlüssel dazu, zwei weitere Prioritäten von der Liste, die ich eben genannt habe, zu realisieren.

Sie verbessert unsere Energiesicherheit - sie wirkt dem Problem entgegen, dass Menschen sich die Heizkosten nicht leisten können, und sie macht uns weniger abhängig von Öl- und Gasimporten. Das wiederum öffnet die Tür zu stabileren strategischen Partnerschaften mit den wichtigsten Energielieferanten überall auf der Welt. Und wir können konstruktivere Beziehungen mit anderen wichtigen Volkswirtschaften herstellen, wenn es um den Umgang mit einigen Drittländern geht – so könnten wir China dazu anhalten, sich engagierter und langfristiger für eine bessere Regierungsführung in Afrika einzusetzen, um nur ein Beispiel zu nennen.

Außerdem bringt es die europäischen Regierungen ihren Bürgern wieder näher. Nicht nur dadurch, dass sie entschlossen handeln in einer Sache, die den Bürgern laut allen Meinungsumfragen sehr am Herzen liegt, sondern auch dadurch, dass sie für Wachstum und die Arbeitsplätze sorgen, die wir versprochen und zu einem zentralen Thema der europäischen Agenda gemacht haben.

Schätzungen zufolge hat die Branche der erneuerbaren Energien hier in Deutschland bereits 170.000 Arbeitsplätze geschaffen und einen Umsatz von 16 Milliarden Euro gebracht. Wirtschaftszweige, die Klimaschutztechnologien anbieten, erleben ein stärkeres Wachstum, exportieren mehr und schaffen mehr Arbeitsplätze als die übrige Wirtschaft.

In meinem Land bietet sich ein ähnliches Bild. Aus einer Studie, die der britische Mineralölkonzern BP vorige Woche veröffentlicht hat, geht hervor, dass der britischen Wirtschaft im Bereich des Klimaschutzes in den kommenden zehn Jahren Geschäftsmöglichkeiten im Wert von rund 30 Milliarden GBP entstehen werden.

Maßnahmen gegen den Klimawandel sind also nicht nur ein notwendiges Muss, sondern auch eine Chance.

Und trotzdem hinken wir der Entwicklung in gefährlichem Maße hinterher. Wir befinden uns auf dem direkten Weg ins Klimachaos.

In der Vergangenheit habe ich von der Notwendigkeit einer Globalisierung der Verantwortung gesprochen. Von der Notwendigkeit, eine Politik der gegenseitigen Abhängigkeit zu entwickeln, in der wir uns durch das definieren, was uns gemeinsam ist, nicht durch das, was uns trennt.

Aber wenn wir angesichts des Klimawandels untätig bleiben, läuft unsere Generation Gefahr, sich einer globalen Verantwortungslosigkeit von massivem und irreversiblem Ausmaß schuldig zu machen.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass die Herausforderung, mit der wir es hier zu tun haben, groß ist.

Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass von heute bis 2030 schätzungsweise 20 Billionen US-Dollar auf dem Energiesektor ausgegeben werden. Wir müssen dieses Geld nutzen, um die Art und Weise, wie wir leben, von Grund auf neu zu gestalten - die Art, wie wir Energie erzeugen und verbrauchen, wie wir uns fortbewegen und wie wir unser Land nutzen.

Der größte Teil dieser 20 Billionen US-Dollar wird aus der Privatwirtschaft kommen. Ein stabiles Klima ist jedoch ein globales öffentliches Gut. Und damit stehen die Regierungen in der Verantwortung, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass dies realisiert werden kann.

Unsere Aufgabe ist keine geringere als die, die größte öffentlich-private Partnerschaft ins Leben zu rufen, die es je gegeben hat. Wir müssen Rahmenwerke schaffen, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken, mit Anreizen und Strafen, gemeinsam genutzten Chancen und gemeinsam getragenen Lasten, um private Kapitalströme in Richtung CO2-armer Lösungen zu lenken. Und diese Rahmenwerke müssen auf allen Ebenen gleichzeitig geschaffen werden, auf nationaler, regionaler und globaler Ebene.

Dafür brauchen wir das breitestmögliche politische Bündnis. Und damit wird es auch zu einer Aufgabe für uns. Dies ist nicht nur ein Umweltproblem. Es ist ein Verteidigungsproblem und ein Problem für alle, die mit Wirtschaft und Entwicklung, Konfliktverhütung, Landwirtschaft, Finanzen, Wohnungswesen, Verkehr, Innovation, Handel und Gesundheit zu tun haben.

Dieses Bündnis auf die Beine zu stellen, ist eine Herausforderung für die ganze Welt, vom einfachen Verbraucher bis hin zum Staats- oder Regierungschef.

Aber ich halte diese Rede heute, weil ich die Herausforderung insbesondere für drei Gruppen genauer herausarbeiten möchte.

Erstens ist es eine Herausforderung an alle, die außenpolitisch tätig sind.

Der Klimawandel ist eine ernste Bedrohung für die internationale Sicherheit. Deshalb muss es zu einem zentralen Anliegen der Außenpolitik werden, für Klimasicherheit zu sorgen.

Wir alle müssen das Tempo forcieren.

Anfang des Monats war ich beim G8+5-Treffen in Monterrey. Es war ein gutes Treffen. Aber die Mehrzahl der anwesenden Minister waren Umweltminister. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Thema zur Chefsache wird und dass sich auch die Staats- und Regierungschefs, die Energieminister, die Außenminister und die Verteidigungsminister regelmäßig damit befassen.

Auf allen Ebenen – in den VN, der G8 und der EU – muss es zu unseren obersten Zielen gehören, beim Klimaschutz reale und konkrete Fortschritte zu machen.

Wir brauchen die außenpolitischen Ressourcen, um eine gemeinsame Vision für die Zukunft zu entwickeln. Wir müssen das Fachwissen der hier anwesenden Runde und anderer Kreise nutzen und Bündnisse bilden, Agenden entwickeln und dafür sorgen, dass die multilateralen Institutionen funktionieren können.

Die Außenpolitiker können dabei helfen, das internationale Gebot des Klimaschutzes im Bewusstsein der nationalen Politik fest zu verankern.

Zweitens ist es eine Herausforderung an die Europäische Union.

Wir sind der größte Binnenmarkt der Welt.

Wir haben einen Haushalt von mehr als 120 Milliarden Euro pro Jahr. Damit sind wir in der Lage, auf den Gebieten, die für den globalen Klimaschutz entscheidend sind, die Entwicklung beschleunigt voranzutreiben - Forschung und Entwicklung, fortgeschrittene Technologien, Erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Kurz gesagt, wir haben die intellektuellen Fähigkeiten, die technologische Kapazität und die Ressourcen, um nicht nur die globale Debatte den Klimaschutz zu lenken, sondern auch das globale Handeln voranzutreiben.

Dafür ist die Europäische Union ja da. Das ist es, warum sie für ihre Bürger relevant ist. Europa hat im Bereich der Umwelt schon sehr viel erreicht - viel mehr, als jedes Land für sich allein hätte erreichen können.

Jetzt müssen wir die Klimasicherheit zu einer der höchsten europäischen Prioritäten machen.

Aus diesem Grund habe ich Europa in den Mittelpunkt meiner Klimaschutz-Strategie gestellt.

Und das ist auch der Grund, warum die europäischen Staats- und Regierungschefs in Lahti erklärt haben, dass die EU beim Klimaschutz eine starke Führungsrolle übernehmen muss.

Natürlich stehen auch andere in der Pflicht, ohne Frage. Aber wir sollten das nicht als Ausrede dafür benutzen, unsere Ambitionen herunterzuschrauben. Wir sollten zum Beispiel danach streben,

* das Emissionshandelssystem zu stärken, indem auch die Fluggesellschaften schon ab 2008 zur Kasse gebeten werden, und ab 2012 zunehmend knappere Obergrenzen für den CO2-Ausstoß festzusetzen,

* intensivere und breiter angelegte Energie-Partnerschaften mit China, Indien und anderen Ländern einzugehen, um technologische Standards für eine globale CO2-arme Wirtschaft vorzugeben,

* uns darauf zu verständigen, mehr Geld in erneuerbare Energien zu investieren,

* die Vorschläge der Kommission zur Energieeffizienz in die Praxis umzusetzen,

* innerhalb der EU zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf Kraftwerke umzustellen, die fossile Energieträger nutzen, aber Null CO2-Emmissionen haben,

* die technische Demonstration und den praktischen Einsatz von CO2-Abscheidung und -Speicherung zu beschleunigen.

Die Dokumente zur Energiesicherheit, die jetzt in Großbritannien und anderen europäischen Ländern ausgearbeitet werden, sind von entscheidender Bedeutung und müssen diesen Ambitionen in vollem Umfang Rechnung tragen.

Drittens ist es eine Herausforderung für Deutschland. Und das ist der zweite Grund dafür, dass ich mich entschieden habe, diese Rede hier in Berlin zu halten.

Das ist auch der Grund, warum Umweltminister David Miliband vor ein paar Tagen hier war. Und warum der Klimawandel beim Staatsbesuch der Königin vor zwei Jahren das zentrale Thema war.

Von allen Ländern der Welt ist Deutschland das Land, von dem jetzt in diesem Moment am meisten abhängt.

Was Sie hier während Ihrer Doppelpräsidentschaft in den kommenden sechs bzw. zwölf Monaten zu tun vermögen, ist absolut entscheidend.

Es ist sinnlos, dass wir uns zusammensetzen und darüber reden, was wir in fünf oder zehn Jahren tun wollen. Dann ist es nämlich zu spät.

Von Ihnen hängt es ab, ob Europa die Agenda, die ich eben skizziert habe, in die Tat umsetzt.

Von Ihnen hängt es ab, ob die G8 umfassendere globale Maßnahmen in die Wege leiten kann.

Wir werden Sie dabei unterstützen.

Wir brauchen ein klarer definiertes, besser koordiniertes und groß angelegtes Projekt, um die Entwicklung und Einführung von sauberer Kohletechnologie zu beschleunigen – bevor China mit dem Bau einer neuen Generation von Kraftwerken beginnt.

Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten, dass aus Ihrer Doppelpräsidentschaft ein konkreter Vorschlag hervorgeht.

Ich weiß, dass es Ihnen ein wichtiges Anliegen ist, konkret etwas gegen die Zerstörung der Regenwälder zu unternehmen. Wir stehen bereit, Ihnen dabei ein Partner zu sein.

Wir werden Sie also unterstützen. Aber Sie müssen die Führung übernehmen.

Sie hier in Deutschland haben das nötige wirtschaftliche Gewicht und die diplomatische und moralische Autorität, um jetzt wirklich etwas zu bewirken.

Meine Damen und Herren!

Vor rund hundertfünfzig Jahren tat Bismarck den berühmten Ausspruch: "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut."

Ich behaupte dagegen heute, dass genau das Gegenteil zutrifft.

Die größte Bedrohung unserer Sicherheit, der wir als globale Gemeinschaft gegenüberstehen, wird nicht mit Gewehren und Panzern gemeistert. Wir werden ihr mit Investitionen in neue Methoden der sanften Macht begegnen - das heißt, Vertrauen zu bilden und Möglichkeiten zu schaffen, die uns in eine CO2-arme Wirtschaft führen werden.

Es gibt kein Sicherheitsnetz: Politik und Diplomatie müssen funktionieren.

Bismarck war auch noch für etwas anderes berühmt. Er war der erste Staatsmann in Europa, der erkannte, dass die Voraussetzung für anhaltendes Wirtschaftswachstum darin liegt, in die richtigen Bedingungen dafür zu investieren.

Bismarck machte sich auf nationaler Ebene Sorgen über die sozialen Verhältnisse. Dies veranlasste ihn dazu, die Grundlagen für das sozialstaatliche System zu legen, auf das sich das moderne Europa stützt.

Die Sorge, die uns heute beschäftigt, ist eine weiter gehende. Die Bedrohung, mit der wir es heute zu tun haben, gefährdet die grundlegendsten Voraussetzungen, auf denen unsere globale Gesellschaft basiert.

Auch wir müssen in unsere Zukunft investieren. Sonst riskieren wir, sie aufs Spiel zu setzen.

Der Staffelstab geht jetzt an Deutschland über. Bitte lassen Sie ihn nicht fallen.
 

Quelle: britischebotschaft.de (abgerufen am 24.10.2006)
Link zur englischen Version: http://www.britischebotschaft.de/en/news/items/061024.htm (abgerufen am 24.10.2006)
 

Redaktion:
Germanwatch e.V.
Christoph Bals, Gerold Kier