„Es wird damit etwas Zeit gekauft, aber die zugrunde liegenden strukturellen Probleme werden nicht gelöst“
„Es wird damit etwas Zeit gekauft, aber die zugrunde liegenden strukturellen Probleme werden nicht gelöst“
Gespräch mit Silvie Kreibiehl, Vorstandsvorsitzende von Germanwatch und Klimafinanzierungsexpertin, über die Bedeutung von Klimaaspekten in der aktuellen Verschuldungsdebatte
Warum wird die Diskussion über Überschuldung momentan wieder intensiver geführt?
Die Corona-Pandemie hat in vielen Ländern zu einem Verlust von staatlichen Einnahmen geführt. Gleichzeitig ist der Bedarf nach kurzfristigen Ausgaben für das Gesundheitswesen und die Stützung der Wirtschaft gewachsen. Dabei war schon vor der Pandemie die Situation kritisch: 2018 erreichte die durchschnittliche Verschuldung von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen mehr als fünfzig Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Der Anteil des Auslandsschuldendienstes an den Staatsausgaben ist seit 2010 von rund sechs auf rund zwölf Prozent gestiegen. Es besteht also ein strukturelles Überschuldungsproblem.
Wie ordnest Du die bisher ergriffenen Maßnahmen zum Aussetzen von Schulden in der Corona-Krise ein?
Bisherige Maßnahmen der G20-Staaten, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds adressieren nur die kurzfristigen Liquiditätseffekte und nur die am wenigsten entwickelten Länder: Ihnen wurde ein Aussetzen des Schuldendienstes angeboten. Es wird damit etwas Zeit gekauft, aber die zugrunde liegenden strukturellen Probleme werden nicht gelöst.
Wie können die strukturellen Probleme in Angriff genommen werden?
Wir müssen die Diskussion um die Restrukturierung bestehender Schulden so führen, dass dabei die durch den Klimawandel verursachten jetzigen, aber auch künftigen Herausforderungen und Investitionsbedarfe sowie das Prinzip der gerechten Transformation beachtet werden. Verletzliche Länder tragen jetzt schon höhere Finanzierungskosten als andere Staaten. Dies wird sich verstärken, da Ratingagenturen und Investor_innen Klimarisiken zurecht stärker bewerten. Das darf aber nicht die Handlungsfähigkeit der Länder bei Investitionen zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung einschränken. Wir müssen also über neue Finanzierungsmodelle sprechen, mit einem neuen Mix von privaten und öffentlichen Investor*innen und mit Instrumenten, die vermeiden, dass die weiter steigende Anzahl von Extremwetterereignissen zu Kreditstress führt. Außerdem dürfen wir nicht ausschließlich die Situation in den am wenigsten entwickelten Ländern beachten. Und wir müssen über mehr Transparenz bei der öffentlichen Finanzierung in den Partnerländern sprechen sowie klarere Restrukturierungsprozesse. So vermeiden wir Fehler, die zur jetzigen Schuldenkrise geführt haben.
Was macht die Thematik so komplex?
Eine Restrukturierung der bestehenden Schulden, aber noch mehr die Vermeidung nicht nachhaltig strukturierter neuer Schulden, erfordern das gleichgerichtete Zusammenspiel einer Vielzahl von Akteuren. Anleger_innen in Staatsanleihen sind im Vergleich zur letzten Schuldenkrise diversifizierter und private Anleger_innen spielen eine größere Rolle. Es braucht daher eine treibende, moderierende Kraft für den Dialog zwischen allen Beteiligten.
Außerdem reden Verschuldungs- und Klimaexpert*innen bislang zu wenig miteinander. Wir brauchen aber das Wissen von beiden, um künftige klimabedingte Herausforderungen anzugehen. Regierungen und Investor_innen machen zwar Fortschritte bei der Bewertung und dem Einbeziehen von Klimarisiken, allerdings noch nicht in einer angemessenen Weise. Daher müssen die Klimaexpert*innen sich in die Verschuldungsdebatte einmischen und klimabezogene Überlegungen hoch auf der Agenda halten.
Welchen Beitrag kann Germanwatch in dieser
Debatte leisten?
Germanwatch leistet mit dem Klima-Risiko- Index einen wertvollen Beitrag, der auch in der Verschuldungsdiskussion Aufmerksamkeit für die Auswirkungen des Klimawandels schaffen kann. Viele unserer zivilgesellschaftlichen Partner, etwa im Bündnis erlassjahr.de, fordern
gerechte Entschuldungs- und Umschuldungsmechanismen für vom Klimawandel besonders betroffene Länder. Germanwatch treibt Themen im Hintergrund voran und schafft Netzwerke, um breite Unterstützung für Veränderungen zu ermöglichen. So wollen wir auch die Beachtung von Klimaaspekten in der Verschuldungsdebatte voranbringen.
Das Interview führte David Eckstein