Erste Bewertung der Ergebnisse des Klimagipfels COP25 in Madrid durch Germanwatch
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1. Ambition >>
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GENERELLE BEWERTUNG
Das Ergebnis der Weltklimakonferenz (COP25) in Madrid weist die Stärken und Schwächen des Pariser Klimaabkommens deutlich auf. Es zeigt, dass die Zeiten kosmetischer Klimapolitik vorbei sind, aber auch, dass deswegen der koordinierte Widerstand der Bremser wächst.
Die Stärke des Pariser Abkommens: Allen Staaten ist nun klar, dass es um den zügigen weltweiten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas geht. Einige Staaten wie die USA, Brasilien und Australien, deren Regierungen eng mit der Kohle-, Öl-, und Agrar-Lobby verbandelt sind, spüren die Wirkung des Pariser Abkommens und versuchen massiven Widerstand dagegen zu organisieren. Die große Mehrheit der Staaten jedoch will sowohl den Abschied von fossilen Energien als auch die Unterstützung für die von der Klimakrise besonders Betroffenen auf ein neues Niveau heben. Bei der Umsetzung des Pariser Abkommens in den jeweiligen Staaten wollen sie endlich Schluss machen mit Klimapolitik in homöopathischen Dosen.
Die Schwäche des Pariser Abkommens: Im Konsens lassen sich bei dieser Polarisierung die nötigen transformativen Schritte nicht durchsetzen. Unter chilenischer Präsidentschaft ist die COP25 deshalb mit schwachen Kompromissen – immerhin ein Impuls für mehr Ambition und die Abwehr großer Schlupflöcher – zu Ende gegangen. Unter zum Teil chaotischer Führung einer geschwächten Präsidentschaft Chiles war eine Koalition progressiver Länder um Costa Rica, viele Länder der Europäischen Union, der Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder aber nicht ausreichend, um die Bremspolitik der blockierenden Länder ganz zu überwinden.
Deutschland und die EU müssen nun Partnerschaften mit Schlüsselstaaten wie China, Indien und Südafrika eingehen, um im kommenden Jahr rechtzeitig verbesserte nationale Klimaschutzziele und -pläne vorzulegen. Der während des Klimagipfels angekündigte European Green Deal ist eine sehr gute Grundlage für geopolitisch kraftvolle Allianzen der EU und Deutschlands in diese Richtung. Um einen Ausweg aus dem aktuellen Tal des Multilateralismus zu bahnen, muss die Europäische Union unter deutscher Präsidentschaft 2020 gemeinsam mit China, Indien und Russland sowie progressiven US-Staaten – zusammen für mehr als 50% der globalen Emissionen verantwortlich – mit gesteigerten Klimaschutzzielen und tiefgreifenden sektoralen Transformationen vorangehen. Eine solche Vorreiterrolle macht Deutschland und die EU attraktiv für politische und ökonomisch-technische Kooperation mit wichtigen Schwellenländern.
KNACKPUNKTE DER VERHANDLUNGEN
1. Ambition
Die Anstrengungen der Länder müssen an den drei Zielen von Paris gemessen werden:
- den globalen Temperaturanstieg auf weit unter 2°C, besser 1,5°C, zu begrenzen,
- Resilienz aufzubauen und
- die Finanzströme so umzuleiten, dass die beiden ersten Ziele erreicht werden können.
Hierfür wurde in Madrid ein wichtiger 2020-Prozess zur Nachbesserung der nationalen Klimaziele (engl. nationally determined contributions, NDCs) festgehalten. Der Beschlusstext bezieht sich auf eine COP-Entscheidung von Paris aus dem Jahr 2015, die die Länder dazu aufruft, ihre NDCs nachzubessern. Das Resilienzziel und noch mehr das Ziel der Umschichtung der Finanzströme kommen in den meisten NDCs allerdings noch zu kurz. Die Nachbesserung der Anpassungspläne im NDCs-Prozess für 2020 fand allerdings stärkere Berücksichtigung. Das UN-Klimasekretariat (UNFCCC) soll die vorgelegten NDCs in einem Synthesebericht zusammenfassen, der auf der COP26 im November 2020 über den Stand der kollektiven Ambition aller Länder informieren soll.
Es gelang in Madrid noch nicht, die drei zentralen Paris-Ziele (Temperaturziele, Resilienz, Umschichtung der Finanzströme) als regelmäßig zu betrachtende Messlatte für den Erfolg des Pariser Klimaabkommens fest zu verankern.
Diese Einigung im Ambitionstext war möglich, da ein Prozess zu “pre-2020“ eingerichtet wurde, den Schwellenländer wie China und Indien gefordert hatten. Ihnen geht es darum, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, dass viele Industriestaaten hinter ihrer in Paris gemachten Zusage zurückgefallen sind, ihre Klimaschutzziele und Finanzzusagen bis 2020 nachzubessern. Einige Industrieländer (USA und Kanada)haben noch nicht einmal ihre in Kyoto (1997) zugesagten Ziele erreicht. Deutschland wird sein in Paris auch international angekündigtes Klimaziel für 2020 (40% gegenüber 1990) deutlich verfehlen und wohl erst Mitte des nächsten Jahrzehntes erreichen. Beschlossen wurde nun:
Roundtables und ein Bericht werden die globale Bestandsaufnahme in 2023 hierüber informieren. Schon jetzt ist klar: Wenn die Industrieländer keine schlüssige Strategie präsentieren, wie sie das Nicht-Geleistete durch erhöhte Ziele, zusätzliche Klimafinanzierung oder Kooperationspartnerschaften ausgleichen wollen, wird es sich – wie dieses Mal – auf die Bereitschaft zum progressiven Handeln der Schwellenländer negativ auswirken.
Positiv hervorzuheben ist die im Ambitionsbeschluss gestärkte Rolle der Wissenschaft. Gerade auch der internationale Druck von Fridays4Future („Unite behind the science“) hat es ermöglicht, dass die Rolle von Wissenschaft und des Weltklimarates IPCC – im vergangenen Jahr noch unter erheblichem Beschuss, insbesondere durch Saudi-Arabien – nun positiv gewürdigt wurde. Gegen den ausdrücklichen Bezug auf die IPCC-Berichte zu Landnutzung und Ozeanen hatten Brasilien und Argentinien lange Widerstand geleistet. Nachdem es gelungen war, sich mit Argentinien zu einigen und damit Brasilien zu isolieren, stimmte die Regierung des Landes im Abschlussplenum nach erheblichem Druck vieler anderer Länder letztlich zu.
Der wichtige Verweis darauf, dass die NDC-Nachbesserung mit öffentlicher Beteiligung durchgeführt werden muss, ist leider nicht im Beschlusstext enthalten. Dennoch wurde die Erwartungshaltung der Mehrheit der Staaten deutlich, ließ sich aber angesichts der wachsenden Zahl autoritär regierter oder gesinnter Staaten nicht als Konsens durchsetzen. Dies ist wichtig, um soziale Dimensionen zu berücksichtigen und eine gerechte Transformation (just transition) zu ermöglichen.
Beim Sondergipfel des UNO-Generalsekretärs Guterres im September 2019 hatten sich bislang lediglich Entwicklungsländer zur NDC-Erhöhung in 2020 bekannt. Es war faszinierend zu sehen, wie stark die Zahl der Länder gestiegen ist, die angekündigt haben, bis 2050 treibhausgasneutral zu sein. In der Climate Ambition Coalition haben dies 120 Staaten (Abschlussrede der chilenischen COP-Präsidentin Carolina Schmidt) angekündigt. 80 Staaten haben zudem angekündigt, dass sie Klimaziel und -plan (NDC) für 2030 verschärfen wollen. Darüber hinaus haben elf Länder zusätzliche Prozesse zu ihren nationalen Plänen und Politiken eingeleitet, um die Ziele bis 2020 zu erreichen.
Am offiziell letzten Verhandlungstag der COP25 hatte sich die sog. High Ambition Coalition (mit Marshallinseln, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, der Europäischen Kommission, Kanada, Norwegen, Äthiopien, usw.) zusammengefunden, um mit einem Aufruf zu mehr Ambition aller Länder die Beschlüsse solider zu gestalten. Auch Frans Timmermans, geschäftsführender Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz in der EU-Kommission, machte in diesem Rahmen klar, dass es nach dem EU-Beschluss zur Treibhausgasneutralität 2050 nun gelingen muss, im Rahmen des European Green Deals konkrete Pläne umzusetzen. Auch wenn mit Polen noch bis Juni verhandelt werden muss, wie und mit welcher Unterstützung sie das Ziel erreichen können, machten die EU-Regierungen damit den Weg frei für zentrale Vorhaben des European Green Deal, der zusammen mit dem THG-Neutralitätsziel essentiell für die ebenfalls in 2020 bei UNFCCC vorzulegende Langfriststrategie der EU ist.
Es ist nun wesentlich, dass sich die EU nach einer entsprechenden Auswirkungsanalyse spätestens im Juni 2020 auf den Zielkorridor von 50-55% Reduktion bis 2030 festlegt, um auf dieser Grundlage auch bei anderen G20-Ländern Dynamik zu erzeugen. Der EU-China-Gipfel in Leipzig im September 2020 wird hierfür eine zentrale Rolle spielen. Parallel ist z.B. Deutschland sehr gut aufgestellt, um mit Indien, Südafrika, Indonesien und Russland dementsprechende bilaterale Verhandlungen zu führen. Im Rahmen solch gemeinsam organisierter Bewegung sollte die EU dann zumindest das höhere Ziel von -55% in ihrem neuen NDC verankern, die rechtzeitig vor dem Klimagipfel in Glasgow im November 2020 vorliegen muss. Die Bundesregierung muss dies unterstützen – das Wirtschaftsministerium blockiert hier noch.
2. Verhandlungen um Artikel 6
Der auf Druck von Bremsern wie Brasilien und in diesem Fall auch Indien vorgeschlagene Kompromiss im sogenannten Artikel 6 für die Anrechnung von Klimaschutzgutschriften wurde von vielen Staaten abgelehnt, weil dieser nicht zu mehr, sondern zu weniger Ambition geführt hätte. Dazu wird nächstes Jahr in Glasgow unter britischer COP-Präsidentschaft weiterverhandelt; robuste Marktregeln sind nach Auffassung von Germanwatch unabdingbar. Diese Verhandlungen waren einer der Knackpunkte der COP25. Ziel ist, den künftigen internationalen Handel mit Emissionen bzw. Emissionsreduktionen zu regeln. Mit einer geschickten Ausgestaltung könnte dieser zu zusätzlichen und weitreichenden Emissionsreduktionen führen, die Kosteneffizienz des internationalen Klimaschutzes stärken und Markteintrittsbarrieren für klimafreundliche Technologien in Entwicklungsländern senken. Auch könnten damit Einnahmen für den wichtigen Anpassungsfonds generiert werden.
Nötig wäre für eine solche konstruktive Rolle der Marktmechanismen ein robustes Regelwerk, das die Umweltintegrität bewahrt, Ambitionssteigerungen fördert und Menschenrechte sowie Sozialstandards garantiert. Dafür müssten insbesondere Doppelzählungen verhindert werden. Zudem dürften keine alten Kyoto-Zertifikate auf die künftigen Klimaziele angerechnet werden. Beides käme einer Reduktion der in Paris vereinbarten Klimaziele gleich. Um zusätzliche und weitreichendere Emissionsreduktionen zu ermöglichen, braucht es darüber hinaus – neben ambitionierten Referenzszenarien – eine substanzielle automatische Löschungsrate. Das würde sicherstellen, dass ein Teil jedes Zertifikates nicht dem Käufer oder Nutzer zugutekommt, sondern die Ambition des Pariser Klimaabkommens steigert.
Die Verhandlungen über Artikel 6 standen bereits im Vorfeld der COP25 im Fokus des medialen Interesses, da diese im Vorjahr auf dem Klimagipfel im polnischen Katowice – insbesondere weil Brasilien um das gewaltige Schlupfloch der Doppelzählung kämpfte – nicht zum Abschluss gebracht werden konnten.
Auch in Madrid gestalteten sich die Verhandlungen aufgrund unterschiedlicher Positionen der Staaten äußerst schwierig. Dabei versuchten insbesondere Brasilien und Indien, aber auch Ägypten, Saudi-Arabien und Australien aus unterschiedlichen Motiven, erhebliche klimapolitische Schlupflöcher in das Regelwerk hinein zu verhandeln und wichtige Hebel für Ambitionssteigerungen und Sicherheitsanker für Menschenrechte aufzuweichen bzw. aus dem Text zu streichen.
Nicht zuletzt als Reaktion auf diese schwierigen Verhandlungen schlossen sich schließlich eine Reihe von Staaten den von Costa Rica initiierten sogenannten „San José Principles“ an. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Prinzipien, die aus Sicht von Germanwatch ein robustes Regelwerk ermöglicht hätten, wenn sie zusätzlich um entsprechende Sicherheitsmechanismen für Menschenrechte und Sozialstandards ergänzt würden. Nachdem sich zunächst zehn Staaten hinter die von Costa Rica initiierten Prinzipien stellten, war Deutschland der erste G20-Staat, der sich der Initiative anschloss und damit ein wichtiges klimadiplomatisches Zeichen setzte. Bis zum Ende der Weltklimakonferenz schlossen sich insgesamt 30 Staaten den Prinzipien an, inklusive 17 EU-Mitgliedsstaaten. Aus Sicht von Germanwatch ist es sehr begrüßenswert, dass die deutsche Delegation in dieser schwierigen Atmosphäre der diesjährigen Weltklimakonferenz eine wichtige Führungsrolle übernommen hat.
Leider gelang es trotz dieses wichtigen Vorstoßes unter einer äußerst geschwächten chilenischen Präsidentschaft nicht, einen wirklich ambitionierten Textentwurf vorzulegen. Stattdessen beinhalteten die Entwürfe der Präsidentschaft erhebliche Risiken für die Umweltintegrität wie beispielsweise mögliche Doppelzählungen und die potenzielle Übernahme alter Kyoto-Zertifikate. Dabei war im letzten Text vorgesehen, zentrale Entscheidungen über die konkrete Ausgestaltung dieser Schlupflöcher in die Zukunft zu verschieben, so dass deren genaues Ausmaß völlig unklar geblieben wäre. Auch mit Blick auf den Schutz von Menschenrechten und Sozialstandards blieben die Texte völlig unzureichend. Entscheidungen über die mögliche Aufnahme entsprechender sozialer Sicherheitsmechanismen sollten viele Jahre in die Zukunft verlegt werden. Darüber hinaus gelang es nicht, ausreichende Instrumente im Textentwurf zu verankern, die sicherstellen, dass es sich bei dieser Form von anrechenbaren Umweltgutschriften nicht um ein Nullsummen-, sondern um ein Plussummenspiel für das Klima handelt.
Letztlich führte die Kompromisslosigkeit einiger weniger Staaten, große Schlupflöcher in das Abkommen hinein zu verhandeln, dazu, dass den progressiven Staaten verunmöglicht wurde, einem Kompromiss in den Verhandlungen um Artikel 6 zuzustimmen. Die Verhandlungen konnten auf der COP25 nicht abgeschlossen werden und sollen stattdessen im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Aus Sicht von Germanwatch war dies notwendig, um zu verhindern, dass schwache Regeln für künftige Marktmechanismen zur erheblichen Gefahr für den internationalen Klimaschutz und auch zu einem erheblichen Reputationsrisiko für beteiligte Unternehmen führen. Es war erfreulich zu sehen, wie viele Staaten nicht einen Deal um jeden Preis, auch den der Umweltintegrität, wollten. Der demonstrierte Wille, das Pariser Abkommen zu verteidigen, war sehr erfreulich.
Nach vorne schauend müssen nun die Verhandlungen über Artikel 6 auf der COP26 in Glasgow fortgeführt werden. Ziel muss auch hier sein, dass künftige Kohlenstoffmärkte durch robuste Regeln zu mehr und nicht zu weniger globalen Klimaschutz führen. Eine erneute Führungsrolle der San José Gruppe, deren Prinzipien um Menschenrechtsprinzipien ergänzt werden sollten, mit einer aktiven deutschen Beteiligung wäre hierfür ein wichtiges Zeichen.
3. Klimabedingte Schäden und Verluste
Die Anzeichen einer eskalierenden Klimakrise sind nicht mehr zu übersehen. Die Erwartungen an die COP25 zum Umgang mit nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels (klimabedingte Schäden und Verluste – Loss & Damage, L&D) waren daher hoch: Benötigt wurden einerseits konkrete nächste Schritte, um die jahrelange ideologische Blockade aller Industrieländer und erst recht eine finanzielle Unterstützung von betroffenen Entwicklungsländern in Bezug auf unvermeidbar gewordene Schäden aufzubrechen. Die auf der Tagesordnung stehende Überprüfung des Internationalen Warschau Mechanismus (WIM) sollte andererseits sicherstellen, dass dieser in der Lage ist, schutzbedürftige Länder wirksam beim Umgang mit L&D zu unterstützen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden, auch im Hinblick auf zukünftige Klimaschäden.
Die Ergebnisse der COP 25 durchbrachen einerseits die Blockade durch die Anerkennung der notwendigen Unterstützung von Entwicklungsländern im Umgang mit Schäden und Verluste in Folge der Klimakrise. Ein wichtiger Schritt ist dabei die erstmalige Verankerung von Loss & Damage unter der UNFCCC Finanzarchitektur. Die Bedeutung dieses Schrittes lässt sich erst vor dem Hintergrund der 10-jährigen Blockade dieser Anerkennung durch die Industrieländer einschätzen. Dennoch hat dieser Schritt einstweilen vor allem eine symbolische Bedeutung. UN-Generalsekretär Guterres hatte diesen Klimagipfel als „Notfall-Gipfel“ angekündigt. Das, was jetzt auf den Weg gebracht wurde, ist aber in keiner Weise der Größe der Herausforderung auch nur einigermaßen angemessen für die von der Klimakrise betroffenen Menschen und Staaten.
Durch die vage Formulierung in Bezug auf künftige Finanzierung von Loss & Damage kann sogar leicht der Eindruck entstehen, die Industrieländer wälzten ihre Verantwortung zur finanziellen Unterstützung auf den Privatsektor und Nichtregierungsorganisationen ab. De facto rechnen wir damit, dass die Bereitschaft zur zusätzlichen Finanzierung von Loss & Damage Aktivitäten durch die Industrieländer in weit größerem Ausmaß vorhanden sein. Aber zumindest scheuen sie aus Angst vor eventuellen Kompensationsforderungen jede formale Entscheidung, dass die Industrieländer selbst ihre finanzielle Unterstützung für L&D erhöhen müssen.
Hier muss in den nächsten zwei Jahren innerhalb und außerhalb des Prozesses der Weg gebahnt werden, damit die Menschen und Länder, die jetzt schon existenziell von der Klimakrise betroffen sind, einigermaßen angemessen unterstützt werden. In diesem Kontext sollte man auch das Mandat des Green Climate Fund (GCF) so erweitern, dass dieser nicht nur – wie jetzt endlich formal gesichert – Geld für Schäden und Verluste bereitstellen kann, sondern dass dies auch jenseits des Rahmens der bereits existierenden Investitionen und Finanzierungsfenster geschehen kann. Dies muss mit einer Erhöhung der GCF-Finanzmittel einhergehen, um keinen Konflikt zu den ohnehin zu geringen Geldern für Anpassungsmaßnahmen zu schaffen.
Vor allem stark bremsende Vertragsstaaten wie die USA, Australien oder Japan blockierten konstruktive Verhandlungen. Wenn auch einige EU-Staaten – auch Deutschland – eine konstruktive Rolle spielten, war die gemeinsame Position der EU leider nicht sehr progressiv. Verständlicherweise empörte sich Tuvalu im Abschlussstatement darüber, dass die USA, die sich durch das Paris Abkommen nicht binden lassen wollen, hier so aktiv bremsen. Auf der anderen Seite gibt es dafür auch Gründe. Das Risiko von unbegrenzter Kompensation würde vermutlich auch den Wiedereinstieg einer demokratisch geführten US-Regierung in das Pariser Abkommen vermeiden. Dementsprechend verzögerte u.a. die Diskussion um die Einklagbarkeit von Kompensation für Schäden und Verluste bis zum Ende eine Einigung. Im Paris Abkommen ist diese Verbindung durch eine Fußnote ausgeschlossen. Hier aber wollten insbesondere die USA diese Verbindung auch durch eine Entscheidung in der bereits 1992 verabschiedeten Klimarahmenkonvention (COP UNFCCC), in der die USA auch nach Ausstieg aus dem Paris Abkommen weiter Mitglied sind, ausschließen. Damit würden die betroffenen Entwicklungsländer wohl dauerhaft auf Klagemöglichkeiten verzichten. Das ist für die massiv betroffenen Staaten völlig unakzeptabel. Diese Frage wird nun auf COP26 geklärt werden.
Mittelfristig sehr wichtig werden können die Prozesse, die COP25 aufgesetzt hat, die aber auch als Türöffner Perspektiven für tatsächliche Unterstützung von Ländern im Umgang mit L&D aufzeigen:
- Das „Santiago Netzwerk für Schäden und Verluste“ wurde unter dem Internationalen Warschau Mechanismus (WIM) ins Leben gerufen. Es soll die technische Unterstützung von Akteuren bei der Umsetzung relevanter Ansätze in besonders verletzlichen Entwicklungsländern fördern. Das Netzwerk ist ein erster Schritt den WIM neben einem politischen Gremium (Exekutiv Komitee – ExCom) auch mit einem operativen Arbeitsstrang auszustatten. Die Funktionalität des Netzwerkes muss jedoch an seiner Ausgestaltung inklusive konkreter Aufgaben und seiner finanziellen und technischen Ausstattung gemessen werden. Hier könnte ein wichtiger Hebel liegen, um bis zur COP27 in Afrika die Risiken, Bedarfe und Handlungsnotwendigkeiten verschiedener internationaler Institutionen so auszuarbeiten, dass es dann endlich einen Schritt in ganz andere Größenordnung und Relevanz für die Unterstützung der betroffenen Menschen und Länder geben kann – innerhalb, aber wohl vor allem außerhalb des UNFCCC-Prozesses.
- Etablierung einer Expert_innengruppe zur Unterstützung beim Umgang mit Schäden und Verlusten durch die COP: Sie bietet Raum zur Diskussion von Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung von Entwicklungsländern. Die Expert_innengruppe soll 2020 konstituiert werden und einen Arbeitsplan erstellen. In Zusammenarbeit mit dem Grünen Klimafonds (GCF) und dem Standing Committee on Finance soll die Expert_innengruppe allerdings nach dem jetzigen Beschluss zunächst lediglich klären, wie der Zugang der Entwicklungsländer zu existierenden GCF-Geldern und vorhandenen finanziellen Ressourcen für L&D erleichtert werden kann. Wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden will, muss sich die Expert_innengruppe zukünftig auch mit Möglichkeiten zur Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel und der Rolle innovativer Finanzmittel beschäftigen.
Auch wenn COP25 Perspektiven für tatsächliche Unterstützung von Ländern im Umgang mit L&D aufzeigt, braucht deren Realisierung viel Zeit und einen deutlich stärkeren politischen Willen insbesondere der Industrieländer, aber auch von Ländern wie China oder den ölfördernden Ländern, von denen viele erwarten, dass sie sich ab 2025 auch angemessen an der Klimafinanzierung beteiligen.
Klimawandelbedingte Schäden und Verluste sind bereits heute Realität für Millionen von Menschen und sie sind für verletzliche Entwicklungsländer besonders verheerend. Das zögerliche Handeln der reichen Länder wird von vielen Beobachter*innen als zynisch wahrgenommen. Für eine der Klimakrise adäquaten Reaktion müssen innerhalb und auch zusätzlich zum UNFCCC-Prozess zügig Lösungen gefunden werden, wie Entwicklungsländer und die dort betroffenen armen Menschen mit angemessenen und verlässlichen Mitteln sowie ganz konkret beim Umgang mit Klimawandelfolgen unterstützt werden können.
4. Klimafinanzierung
Die Bereitstellung finanzieller Unterstützung ermöglicht es Entwicklungsländern, weitreichendere Klimaschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Anpassung an die negativen Folgen des Klimawandels umzusetzen. Industrieländer haben hierfür zugesagt ab 2020 jährlich 100 Milliarden USD zu mobilisieren.
Formal kam den traditionell wichtigen Verhandlungen zu Klimafinanzierung in Madrid eine kleinere Rolle zu. Trotzdem gingen die Verhandlungen zu Klimafinanzierungsthemen bis in die letzten Stunden.
Ähnlich den Verhandlungen zu pre-2020 forderten Entwicklungsländer, den in 2020 auslaufenden Agendapunkt bis 2022 zu verlängern, um einen adäquaten Raum für Diskussion zur Erfüllung des 100 Mrd. Ziels zu schaffen. Die Verhandlungsgruppen waren einer Kompromissformulierung sehr nah, die zusätzliche Eingaben der Vertragsparteien zur Langfristfinanzierung nach 2020 im kommenden Jahr ermöglicht hätten. In der Abschluss-Plenary wurde jedoch von mehreren Parteien Dissens geäußert, so dass es zu keiner Einigung kam. Ebenfalls im Lichte des 100 Mrd. Ziels standen die Verhandlungen zum Ständigen Finanzausschuss, wo in 2020 die nächste zweijährige Analyse und Übersicht zu Klimafinanzierungsflüssen und erstmals der Bericht zur Feststellung von Bedürfnissen der Entwicklungsländer auf der Agenda stehen werden. Entwicklungsländer hatten erfolglos einen zusätzlichen Bericht zur Feststellung der Erreichung der 100 Mrd. USD eingefordert. Diese Spannungen reflektieren die erhebliche Unsicherheit, ob Industrieländer ihren Verpflichtungen, 100 Mrd. USD in 2020 bereitzustellen, nachkommen werden. Die Debatte um Unterstützungsleistungen wird in 2020 eines der prägenden Verhandlungselemente sein aufgrund des 100 Mrd. Ziels, der Eröffnung der Verhandlungen zum post-2025 Klimafinanzierungsziel sowie der eng verknüpften Ambitionsdebatte. Die Zusage von Kanzlerin Angela Merkel in 2015, die Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln bis 2020 auf 4 Mrd. € jährlich zu verdoppeln, ist noch nicht gesichert. Mit den zusätzlichen Haushaltsmitteln von 600 Mio. € (500 Mio. € für das BMZ und 100 Mio. für das BMU), die im November verabschiedet wurden, sollte sich die bestehende Finanzierungslücke nominell schließen.
Begleitend zu den Verhandlungen wurden im Schatten der diesjährigen ersten Wiederauffüllung des GCF im Oktober, dem GCF weitere 62 Mio. € (Belgien Erhöhung um 50 Mio. € und Irland Erhöhung um 12 Mio. €) sowie dem Anpassungsfonds 90 Mio. € zugesagt. Bereits im Rahmen des Sondergipfels des UN-Generalsekretärs hatten Spanien, Schweden und Quebec Zusagen gemacht. So konnte der Anpassungsfonds auch 2019 sein Mobilisierungsziel von 100 Mio. USD übertreffen. Deutschland ist mit 30 Mio. € in 2019 erneut größter Einzelgeber. Unklarheit bestand, weil Deutschland den letztjährigen Beitrag von 70 Mio. € als erste Tranche eines zweijährigen Pledges von 100 Mio. € verstanden hatte. Mit Deutschland und Schweden kommen damit zwei Geber dem Aufruf des Anpassungsfonds nach, langfristigere und planbare mehrjährige Verpflichtungen einzugehen. Positiv zu bewerten ist, dass Polen erstmals eingezahlt hat und die Schweiz, Norwegen und Spanien nach mehreren Jahren erstmals wieder eingezahlt haben.
AUSBLICK
Den nächsten 12 Monate kommt eine zentrale Bedeutung für die zukünftige Ausrichtung der globalen Klimapolitik und der Einhaltung des 1,5°C-Limits zu. Geopolitisch geprägt wird diese Zeit durch die amerikanischen Präsidentschaftswahlen am 03.11.2020 – kurz vor der COP26 – sowie die Umsetzung des Brexit im Laufe des Jahres. Die Wahlergebnisse in den USA werden dabei maßgeblichen Einfluss auf die klimapolitische Marschrichtung haben. Und obwohl sich das Wahlergebnis frühestens 2021 auf den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen auswirkt, könnte ein Wahlsieg eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten bereits indirekt die COP26 beeinflussen.
Die bei COP25 sich manifestierende Polarisierung zwischen Progressiven und den verbleibenden fossilen Widerstandskämpfern wird sich unter amerikanischer G7-Präsidentschaft und saudischer G20-Präsidentschaft vermutlich zuspitzen. Spannend wird, ob die saudische Präsidentschaft den schrittweisen Wandel weg vom Öl weiter fortsetzen oder mit den USA über Bande den bisherigen Anti-Klimakurs weiter fortführen wird. Es gib einige Anzeichen dafür, dass die saudische Vision 2030, in zehn Jahren im eigenen Land kein Öl mehr zu nutzen, mehr als Greenwash ist. Es gibt sogar Diskussionen darüber, in der Zukunft eher grünen Wasserstoff statt Öl zu erzeugen.
Gleichzeitig bietet der klimapolitische Kalender um den Petersberger Klimadialog, das von Guterres für September ausgerufene High-Level Sonderevent sowie der Klimagipfel in Glasgow weitreichende Möglichkeiten für Ankündigungen zu Ambitionssteigerungen. Basierend auf dem European Green Deal sollte die EU oder einzelne EU-Länder durch strategische Partnerschaften mit China, Indien, Südafrika und Russland vorangehen und ein glaubwürdiges geopolitisches Gegengewicht für mehr Ambition schaffen. Der EU-China Gipfel in Leipzig am 14.09.2020 unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft wird hierbei ein Schlüsselmoment.
Bei der Ambitionssteigerung spielt der Finanzsektor mit der Ernennung von Mark Carney als Sondergesandter des UN-Generalsekretärs und der Bedeutung des Finanzstandortes London eine tragende Rolle im stärkeren Umsetzungsfokus zukünftiger Klimagipfel. Mit der Ausrichtung eines Entwicklungsbankengipfels während des Friedensforums 2020 in Paris treiben auch diese die Ausrichtung am Pariser Abkommen voran. Deutschland hat hier die Möglichkeit mit den Handlungsempfehlungen aus dem Sustainable Finance-Beirat bei zügiger Umsetzung in kurzer Zeit zu einem führenden Standort für nachhaltige Finanzierung zu werden.
Selbst bei umfänglicher Ambitionssteigerung und beschleunigter Umsetzung lässt sich eine stark wachsende Zahl von Betroffenen nicht mehr vermeiden. Diese Risiken von Schäden und Verlusten sind nicht mehr zu übersehen. Es bedarf in 2020 einer umfassenden Analyse dieser Risiken, um zukünftigen Schutz unter relevanten internationalen Institutionen den Weg zu bereiten. Diese Analyse muss diverse Themenbereiche wie u.a. in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbare Landflächen, steigende Kapitalkosten für die Verletzlichsten, Überschuldung durch Wiederaufbau nach wiederkehrenden Extremwettereignissen und Verschiebungen der 3-Meilenzone enthalten. Mit diesen neuen Erkenntnissen könnte die Debatte zu Schäden und Verlusten beim übernächsten Klimagipfel 2021 in Afrika eine Zeitenwende erreichen.
Autor:innenChristoph Bals, Rixa Schwarz, David Ryfisch, Linus Herzig, Laura Schäfer, Vera Künzel |