Ausblick vom Klimagipfel in Lima: Neblige Sicht nach Paris
Vom 1. bis 14. Dezember war ein Team von Germanwatch-Experten vor Ort beim UN-Klimagipfel in Lima (Peru). Aus unserer Sicht sind die Ergebnisse eine verpasste Gelegenheit, schon jetzt die Weichen zu einem wirksamen und ehrgeizigen Abkommen zu stellen. Ein solches soll 2015 in Paris verabschiedet werden und 2020 in Kraft treten. Dabei hatte es vor und während des Gipfels eine Reihe von hoffnungsvollen Zeichen gegeben:
- Beim Klimagipfel im September, zu dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon nach New York geladen hatte, setzten sich nach Jahren wieder die Staats- und Regierungschefs mit dem Thema Klimaschutz auseinander. Viele Klimainitiativen wurden dort angekündigt.
- Auch die Zivilgesellschaft fordert immer deutlicher Klimagerechtigkeit und eine andere Energiezukunft. Zum New Yorker Gipfel gingen bei der größten Klimademonstration weltweit über eine halbe Million Menschen auf die Straße; am 10. Dezember folgte in Lima die größte Klimademonstration Lateinamerikas mit gut 20.000 TeilnehmerInnen.
- Die größten Emittenten USA und China haben im November gemeinsam ihre Klimaziele für die Zeit nach 2020 angekündigt. Die EU hatte vorher bereits ihre Klimaziele für 2030 beschlossen. Weltweit liegen damit Klimaschutzangebote für gut die Hälfte der Treibhausgasemissionen vor.
- Für den Grünen Klimafonds wurden insgesamt 10 Milliarden USD zugesagt. Deutschland hatte bereits im Juli als erster Geber mit einem Beitrag von 750 Millionen Euro Maßstäbe gesetzt. In Lima konnte die Schwelle von 10 Milliarden USD überschritten werden, auch dank der Beiträge einiger Entwicklungsländer: Mexiko, Südkorea, Mongolei, Panama, Kolumbien und Peru.
- Aus Deutschland kamen weitere positive Signale: Eine Zusage für den Anpassungsfonds über 50 Millionen Euro und der Kabinettsbeschluss zur Umsetzung des 40-Prozent-Ziels bis 2020 und für ein Gesetz, die Kohleverstromung zu begrenzen.
Es ist in Lima nicht gelungen, diesen Schwung für mutige Entscheidungen zu nutzen. Immerhin wurden Elemente eines Vertragstextes erarbeitet, der als Grundlage für die Verhandlungen im kommenden Jahr dienen soll. Außerdem wurden Richtlinien für die Klimaziele für die Zeit nach 2020 formuliert, zu denen sich die Staaten in der ersten Jahreshälfte 2015 selbst verpflichten sollen. Die Staaten sollen selbst ihre Ziele an den Maßstäben von Wissenschaft und Gerechtigkeit messen, aber es gelang nicht, vor dem Pariser Gipfel einen internationalen Überprüfungsprozess auf den Weg zu bringen. Auch war von Lima erwartet worden, dass zusätzliche Schritte zu Klimaschutz und -finanzierung vor 2020 beschlossen werden. Doch auf mehr als eine Fortsetzung von technischen Workshops zum Klimaschutz in verschiedenen Sektoren, ergänzt um eine jährliche Veranstaltung mit MinisterInnen, konnte man sich nicht einigen. Das Mandat dieses Ministertreffens blieb genau so offen, wie die Frage, was mit den Ergebnissen der Workshops geschehen soll.
Die Joker wurden nicht gezogen
Dieses bescheidene Ergebnis ist auch der Tatsache geschuldet, dass ein Jahr vor Paris alle großen Spieler ihre Joker noch nicht ziehen wollten. Die Industrieländer – auch die EU – scheuten alle ernsthaften Ankündigungen für Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern für die Periode nach 2020. Die Entwicklungsländer sollen jedoch in den nächsten Monaten ihre Klimaschutzpläne für diesen Zeitraum vorlegen. Ohne Klarheit darüber, welche finanzielle Unterstützung zur Verfügung stehen wird, sinkt dazu die Bereitschaft. Selbst eine Einladung an die Industrieländer, vor Paris Klarheit zu schaffen, wie sie schrittweise die bereits vor fünf Jahren in Kopenhagen ab 2020 zugesagten 100 Mrd US-Dollar jährlich erreichen wollen, flog noch ganz am Ende aus dem Entscheidungstext.
Gerade für die ärmsten und verletzlichsten Entwicklungsländer sind außerdem die Themen Anpassung an den Klimawandel und der Umgang mit Klimaschäden und -verlusten zentral. Berechtigterweise fürchten sie, dass die Bedeutung dieser Themen wachsen wird, angesichts der bisher vorliegenden nicht ausreichend ehrgeizigen Klimapläne der großen Emittenten. Doch die Industrieländer, besonders die sogenannte Umbrella-Gruppe (USA, Kanada, Japan, Norwegen, Russland, die Ukraine, Neuseeland, Island und Australien) unter Anführung der USA, waren wenig kompromissbereit, weil sie die finanziellen Folgen fürchten.
Während sich die Industrieländer diese Joker für Paris aufsparten, verweigerten wichtige Schwellenländer ausreichend klare Kriterien für die nationalen Klimaschutzziele. Es gelang ihnen, im letzten Moment die Verbindlichkeit der ansonsten relativ guten Richtlinien zur Vergleichbarkeit – eine der größten Errungenschaften von Lima – zu verwässern. Und sie verhinderten unter Anführung Chinas einen ernsthaften Review der vorgelegten Ankündigungen vor dem Klimagipfel in Paris. "Selbstverpflichtung und harmloses Geplauder" statt "Selbstverpflichtung und Aufwärtsspirale" wird zumindest bis zum Pariser Klimagipfel das Motto sein.
Aufgaben für Paris: Aufwärtsspirale und Unterstützung der Verletzlichsten
Allein mit selbst gewählten Klimazielen – ohne ernsthafte Überprüfung – wird es nicht möglich sein, den Klimawandel auf unter zwei Grad zu begrenzen. Stattdessen müssten die Selbstverpflichtungen der Anfangspunkt einer Aufwärtsspirale werden. In Paris müssen die nötigen Mechanismen verankert werden:
- Erstens eine Vereinbarung, dass Ziele immer Minimalziele sind und nie hinter bereits Zugesagtem zurückfallen dürfen;
- Zweitens eine Überprüfung an den Maßstäben der Klimawissenschaft (reichen die Ziele insgesamt aus, um das Zwei-Grad-Limit zu halten?) und der Gerechtigkeit (sind einzelne Beiträge gemessen an der Verantwortung, den Fähigkeiten und dem Entwicklungsbedarf des jeweiligen Landes gerecht?);
- Drittens die Kombination aus einem Langfristziel (etwa dem Ende aller fossilen Emissionen bis 2050) und kurzen Verpflichtungsperioden von fünf Jahren, die dem Ganzen Orientierung und Schwung verleihen.
Ein solches Abkommen mit Selbstverpflichtungen plus Aufwärtsspirale ist die eine zentrale Aufgabe für Paris. Die Verletzlichsten in den ärmsten Ländern spüren die Auswirkungen des Klimawandels aber schon heute. Ein Modell, das auf Selbstverpflichtungen aufbaut, birgt das große Risiko, dass ein Einhalten des Zwei-Grad-Limits nicht gelingt, und die Auswirkungen weiter zunehmen. Daher sind Lösungen für Anpassung und Schäden und Verluste im Pariser Abkommen die zweite zentrale Aufgabe. Auch intelligent gestaltete Ver- und Absicherungsmechanismen für stark betroffene Menschen und Staaten können eine wichtige Rolle spielen. Für eine Einigung wird auch weit größere Klarheit zur Unterstützung der Entwicklungsländer benötigt – durch Finanzierung, technologische Kooperation oder Kapazitätsaufbau.
Für Paris muss das Thema Differenzierung geklärt werden. In einer sich verändernden Welt kann nicht länger so getan werden, als seien etwa Saudi-Arabien, Katar, Singapur oder China Entwicklungsländer im klassischen Sinne. Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass die gewaltigen Unterschiede zwischen Arm und Reich ignoriert werden. Im Kern läuft das darauf hinaus, das Prinzip der "gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten“ der Klimarahmenkonvention in Zukunft nicht mehr statisch – anhand von zwei festen Ländergruppen (Industrie- und Entwicklungsländer) – sondern dynamisch zu interpretieren.
Damit sind die Hausaufgaben nach dem Gipfel in Lima für die Regierungen klar: Sie müssen diese Themen angehen und sich aus ihren festgefügten Positionen begeben. Die EU und Deutschland müssen sich fragen, ob sie gemeinsam mit den besonders Betroffenen – den am wenigsten entwickelten Ländern, der afrikanischen Gruppe und den Inselstaaten – sowie den klimapolitisch konstruktiven lateinamerikanischen Ländern eine Allianz bilden, die ehrgeizige Antworten auf alle diese Fragen gibt. Oder ob sie sich von der Umbrella-Gruppe und der sogenannten Gruppe der gleichgesinnten Entwicklungsländer (v. a. Schwellenländer) eine Lösung des kleinsten gemeinsamen Nenners vorschreiben lassen. Das Zünglein an der Waage könnte schließlich die Kooperation mit einer Reihe von progressiven Schwellenländern sein. Aus Vorreiterallianzen und parallelen internationalen Prozessen können neue Impulse kommen. Der Bundesregierung kommt mit der G7-Präsidentschaft 2015 eine besondere Rolle zu.
Aufgaben für die Zivilgesellschaft: Ideen und Druck für ehrgeizige Lösungen
In Anbetracht des schwachen Ergebnisses von Lima zur Überprüfung der beabsichtigten Klimaziele wird 2015 eine wichtige Rolle von Wissenschaft und Zivilgesellschaft sein, auf der Grundlage der eingereichten Ziele vor dem Gipfel in Paris einen inoffiziellen Review zu organisieren.
Germanwatch gelang es, in Lima Akzente zu setzen, in den Verhandlungen und bei Veranstaltungen zu Vorreiterallianzen und zur künftigen Klimafinanz-Architektur. Unsere jährlichen Indizes (Klima-Risiko-Index und Klimaschutz-Index) wurden vorgestellt und erreichten weltweit hohe Medienaufmerksamkeit. Für 2015 sind auch unsere Hausaufgaben klar: Lobbyarbeit und kreative Vorschläge für ehrgeizige Lösungen – für den Klimaschutz und die besonders Verletzlichen.
- Mit finanzieller Unterstützung von Brot für die Welt.
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