Blogpost | 30.10.2024

Weltklimakonferenz: „Der Wendepunkt ist zum Greifen nah“

Skyline der Stadt Baku

In wenigen Tagen bricht Laura Schäfer mit dem Team von Germanwatch zur UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan auf. Im Interview erklärt die Leiterin des Bereichs Internationale Klimapolitik, warum in Baku entscheidende Weichenstellungen anstehen – für die Energiewende und für eine neue Klimafinanzierung, die endlich faire und umfassende Unterstützung in der Klimakrise leisten muss.

 

 

 

Laura, lass uns eingangs nochmal auf die letzte Weltklimakonferenz blicken. Was war das wichtigste Ergebnis in Dubai?

In Dubai haben sich die Länder auf die Abkehr von fossilen Brennstoffen, also den schrittweisen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas geeinigt – ein echter Durchbruch. Außerdem haben sie das gemeinsame Ziel formuliert, bis 2030 die Kapazitäten für Erneuerbare Energien zu verdreifachen und die Energieeffizienz zu verdoppeln. Wird das wirklich umgesetzt, bedeutet das den Anfang vom Ende fossiler Brennstoffe.

Haben die Staaten seit den letzten Verhandlungen ihre Hausaufgaben gemacht?

Grundsätzlich sehen wir sehr positive Entwicklungen - die globale Energiewende ist mit einem riesigen Zuwachs an Erneuerbaren Energien in Gang gekommen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Abkehr von Fossilen. Z.B. sind seit 2020 die Investitionen in saubere Energien um 40 Prozent gestiegen und mehr als 85 Prozent der 2023 ausgebauten Energiestrukturen sind Erneuerbare. China, der Vorreiter für Erneuerbare Energien, setzt inzwischen fast zwei Drittel der weltweiten Wind- und Solarenergieprojekte um.

Damit die Energiewende gelingt, braucht es neben dem Ausbau Erneuerbarer Energien auch den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas – wie geht der voran?

Der Ausstieg aus den Fossilen geht leider viel zu langsam voran. Gerade bei Gas fehlt in vielen Ländern ein Ausstiegsszenario und manche fördern sogar mehr Gas, wie z.B. der diesjährige COP-Gastgeber Aserbaidschan – auch angetrieben von deutschen Interessen. Weltweit werden die Investitionen in Öl und Gas dieses Jahr wahrscheinlich steigen. Dahinter steckt auch die geopolitische Weltlage. Der anhaltende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Gefahr eines langwierigen Konflikts im Nahen Osten haben die Frage nach einer sicheren Energieversorgung in vielen Ländern stark in den Fokus gerückt – auch in Deutschland. Außerdem tut die fossile Lobby gerade sehr viel dafür, dass Kohle, Öl und Gas weiterfinanziert werden. Die kämpfen um das Überleben ihres Geschäftsmodells.

Lässt das Ende der fossilen Ära noch auf sich warten?

Der Wendepunkt ist schon zum Greifen nah. Die International Energy Agency hat kürzlich gemeldet, dass inzwischen zwei Drittel der weltweiten Energieinvestitionen in saubere Energietechnologien und Infrastruktur fließen. Das ist ein wichtiges Signal, aber es gibt noch viel zu tun. In Baku werden wir uns dafür stark machen, dass die Länder ihre Kohle-, Öl- und Gasprojekte beenden und klimaschädliche Subventionen abschaffen.

Hat Deutschland denn dieses Jahr seine Hausaufgaben gemacht?

Die Bundesregierung hat bislang keine ausreichenden, wirksamen und sozial gerechten Klimaschutzmaßnahmen ergriffen, sodass Deutschland seine Klimaziele wahrscheinlich nicht einhalten wird. Das aktuelle Klimaschutzgesetz erlaubt zu viele Emissionen, obwohl das deutsche CO2-Budget in einigen Jahren nahezu aufgebraucht sein wird. Insbesondere im Verkehrssektor werden zentrale Maßnahmen nicht ergriffen und es droht eine gravierende Zielverfehlung. Deshalb hat Germanwatch ja auch die Zukunftsklage eingereicht.

Die Abkehr von Fossilen und der Ausbau Erneuerbarer Energien sind notwendig, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Im Pariser Abkommen haben sich die Länder dazu verpflichtet. Ist Deutschland das einzige Land, das aktuell nicht auf diesem Pfad ist?

Letztes Jahr hat die globale Bestandsaufnahme leider gravierende Mängel bei der Ambition, Finanzierung und Implementierung der Klimaziele fast aller Länder gezeigt. Schärfen die Länder ihre nationalen Ziele nicht nach, steuern wir auf eine globale Erwärmung zwischen 2,1 bis 2,8 Grad hin. Das wäre katastrophal. Die nationalen Klimaziele stehen erst nächstes Jahr wieder auf der offiziellen Agenda. Trotzdem werden viele Länder die internationale Bühne in Baku nutzen, um ihre neuen Klimaziele bis 2030 schon mal vorzustellen. Darauf sind wir vorbereitet und werden uns dafür einsetzen, dass alle Staaten gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad zurückkehren.

Dieses Jahr soll ein neues Klimafinanzierungsziel ab 2025 festgelegt werden. Worum geht es dabei?

Transformation, Anpassung an den Klimawandel und der Umgang mit Schäden und Verlusten können Leben retten und ganze Regionen stabilisieren, kosten aber auch viel Geld. Deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft darauf geeinigt, dieses Jahr ein neues Klimafinanzierungsziel für die Periode ab 2025 festzulegen. In Baku geht es darum, wie viel Geld die Entwicklungsländer – so werden sie in der Sprache der Weltklimakonferenz bezeichnet – ab 2025 jährlich erhalten. Wir sprechen jetzt über Billionen, nicht wie im früheren Klimafinanzierungziel über Milliarden. In Baku muss sichergestellt werden, dass die Summe ausreicht, um sie bei der Bewältigung der Klimakrise fair und umfassend zu unterstützen.

Warum ist eine ausreichende Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen so wichtig?

Die Investitionen in Maßnahmen wie Deiche, Wasserspeicherungs- und Frühwarnsysteme lohnen sich. Dank ihnen ist die Zahl der Todesfälle durch Extremwetterereignisse in den letzten Jahrzehnten immer weiter gesunken. Richtig eingesetzt und gut ausfinanziert verringern Anpassungsmaßnahmen menschliches Leid, dämmen Krisen ein, stabilisieren gefährdete Regionen und reduzieren das Risiko von erzwungener Flucht. Daher ist insbesondere den Ländern des Globalen Südens das Anpassungsziel sehr wichtig. Mit ihnen fordern wir in Baku, dass die bislang milliardenschwere Lücke zwischen den Bedarfen und den tatsächlich bereitgestellten Finanzmitteln geschlossen wird.

Wer beurteilt den Erfolg einer Anpassungsmaßnahme?

Auch darum wird es bei den Verhandlungen gehen. Letztes Jahr in Dubai haben die Staaten ein Rahmenwerk für das Anpassungsziel definiert. Um die Maßnahmen vor Ort zu verfolgen und Fortschritte beurteilen zu können, braucht es noch Indikatoren. Die werden gerade in einem Arbeitsprogramm entwickelt, die COP29 ist dafür ein wichtiger Zwischenschritt. Wichtig ist, dass die Indikatoren nicht nur die technische Dimension erfassen, sondern auch politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren.

Apropos Fairness – neben der Höhe der Klimafinanzierung wird in Baku auch die hochpolitische Frage diskutiert, wer zahlt. Was stimmt nicht mit der aktuellen Aufteilung?

Wer zahlt und wer erhält, wurde zuerst 1992 in der Klimarahmenkonvention festgelegt. Darin erkennen alle Länder ihre gemeinsame Verantwortung für den Klimaschutz an. Sie erkennen aber auch an, dass sie unterschiedlich stark zum Klimawandel beigetragen haben. Auf dieser Basis wurden die Länder damals eingeteilt. In den letzten 32 Jahren hat sich die Welt verändert. Die Länder haben sich verändert. Deshalb muss die Einteilung überprüft werden. Industrieländer müssen aufgrund ihrer historischen Verantwortung die Hauptverantwortung für die Klimafinanzierung übernehmen – daran wird sich nichts ändern. Darüber hinaus könnten aber Öl- und Gasländer wie Katar und Saudi-Arabien künftig in den Kreis der Geberländer aufgenommen werden. Sie haben hohe CO2-Emissionen und die wirtschaftliche Kapazität, um finanziell beizusteuern.

Extremwetterereignisse verursachen immer wieder schwere Schäden und Verluste weltweit. Damit die Betroffenen sie bewältigen können, hat die Weltklimakonferenz 2022 einen Fonds eingerichtet. Wann wird dieser Fonds Geld auszahlen können?

Gerade klärt ein Vorstand, der letztes Jahr in Dubai eingerichtet wurde, noch ganz grundlegende Fragen – wie und an wen zahlt der Fonds aus und wer zahlt in ihn ein? Auch hier muss gelten, wer viel zum Klimawandel beiträgt und die wirtschaftliche Kapazität dafür hat, sollte auch viel einzahlen. Angemessen wäre, dass alle Fragen zum Fonds bis Ende des Jahres geklärt sind und der Fonds dann handlungsfähig ist. Ab 2025 könnte dann Geld an besonders betroffene Länder und Gemeinschaften für den Umgang mit Klimawandelfolgen fließen. Das wäre ein echter Meilenstein!

Welche Rolle wird der Ausgang der US-Wahlen am 5. November spielen?

Es ist zu erwarten, dass die US-Delegation in Baku nur begrenzt handlungsfähig sein wird, da das Land dann noch in der Regierungsbildung steckt – unabhängig vom Wahlergebnis. Dabei ist es so wichtig, die USA am Verhandlungstisch zu haben, gerade beim neuen Klimafinanzierungsziel und der Frage, wer zu den Gebern gehört. Wenn der größte Emittent, die USA, keine Finanzierungszusagen machen kann, wird es schwierig, andere Länder von einem Beitrag zu überzeugen. Natürlich hat der Wahlausgang auch Signalwirkung. Harris oder Trump – davon hängt ab, wohin sich die US-Klimapolitik und damit auch die internationale Klimapolitik in den nächsten vier Jahren bewegt.

Zum dritten Mal in Folge findet die Klimakonferenz in einem autoritären Staat statt, der sein Vermögen auf Öl und Gas aufbaut. Was bedeutet das für die Verhandlungen?

Bisher zeigt sich, dass Aserbaidschan nur begrenzt auf die Verhandlungen vorbereitet ist. Es bleibt fraglich, wie gut Umweltminister und COP-Präsident Mukhtar Babayev, der übrigens lange Zeit beim staatlichen Öl- und Gaskonzern gearbeitet hat, aufgestellt ist, um mit den Staaten ambitionierte Lösungen zu entwickeln. Zwar hat er angekündigt, verschiedene Initiativen ins Leben zu rufen, doch dabei handelt es sich größtenteils um Zusammenführungen bereits bestehender Projekte. Ob tatsächlich etwas Neues dabei ist, bleibt abzuwarten.

Laut Freedom House und Amnesty International unterdrückt Aserbaidschans Regierung die unabhängige Zivilgesellschaft und kritischen Medien.

Das stimmt. Einerseits betont Babayev, dass alle Stimmen Gehör finden sollen. Andererseits haben Verhaftungen, willkürliche Inhaftierungen und strafrechtliche Verfolgungen von Aktivist:innen und Journalist:innen im letzten Jahr zugenommen. Für die Klimaverhandlungen ist das eine Gefahr. Ihre Wirksamkeit hängt davon ab, ob vor Ort wirklich ein freier Meinungsaustausch möglich ist. Dazu gehören nicht nur die Ansichten der Vertragsparteien, sondern auch die der zivilgesellschaftlichen Akteure, die eine treibende Kraft für Klimagerechtigkeit sind.

Einige Organisationen werden wegen Menschenrechtsbedenken nicht an den Verhandlungen teilnehmen. Warum findest du es besser, dabei zu sein als fernzubleiben?

Germanwatch hat sich wieder für die Teilnahme entschieden – wie auch schon 2023 in Dubai und 2022 in Kairo. Wir sind einfach überzeugt, dass wir im Dialog mit den Verhandler:innen vor Ort mehr bewegen können, als wenn wir fernbleiben. Gleichzeitig fordern wir von den vielen Politiker:innen, die anreisen, dass sie die Menschenrechtslage zum Thema machen und nicht unter den Tisch kehren.

Warum ist das COP-Format trotz komplizierter Gemengelage wichtig?

Die Weltklimakonferenz ist das einzige Treffen zu Klimapolitik, zu dem fast 200 Länder zusammenkommen – darunter auch kleine und arme Länder, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Gerade die Inklusion und die Perspektive von Ländern des Globalen Südens ist unglaublich wichtig. Die brauchen wir am Tisch, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Außerdem ist die COP das einzige Format, an dem sowohl Wissenschaft als auch Zivilgesellschaft beteiligt sind. Man kann es nicht oft genug betonen: Die Zivilgesellschaft ist treibende Kraft für mehr Klimagerechtigkeit. Trotz Verbesserungsbedarf bietet die COP das beste Forum für internationale Klimapolitik, das wir derzeit haben – und genau darum nehmen wir wieder teil.

Germanwatch bei der Weltklimakonferenz 

Germanwatch ist seit der ersten Weltklimakonferenz 1995 in Berlin jedes Jahr vor Ort. Zwischen und während den Verhandlungen setzen wir uns dafür ein, dass die Anliegen der Zivilgesellschaft und wissenschaftliche Erkenntnisse in den Verhandlungsergebnissen berücksichtigt werden. Dafür stehen wir im ständigen Austausch mit anderen NGOs aus Nord und Süd. Als Beobachter:innen sind wir bei Verhandlungen zu Emissionsminderung und Klimafinanzierung anwesend, erfahren so aus erster Hand die Positionen der Regierungen und können aktuelle Entwicklungen für die Presse bewerten. Abseits der formalen Verhandlungen versuchen wir Brücken zu bauen – z.B. zwischen Vertreter:innen der Regierungen, der Zivilgesellschaft und weiteren Akteur:innen.


 

Einblick 2024|01

Dieser Artikel ist zuerst in unserem Magazin EINBLICK erschienen

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Autor:innen

Janina Longwitz

Ansprechpersonen

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Referentin für Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit

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Bereichsleiterin Internationale Klimapolitik