Klimaschutz im Verkehr: Bitte wenden!
Berlin (25. Juni 2014). Damit die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele für 2050 erreichen kann, muss auch der Verkehrssektor, der nach wie vor das Sorgenkind der Klimaschutzpolitik ist, fast vollständig frei von Treibhausgasemissionen werden. Erforderlich ist dafür eine radikale Wende in der Verkehrspolitik sowie eine Reduzierung des Energiebedarfs im Personen- und Güterverkehr um mindestens 70 Prozent. Das sind die zentralen Ergebnisse eines gemeinsamen Verkehrskonzeptes, das die Verbände WWF, BUND, Germanwatch, NABU und VCD in Berlin vorgestellt haben. Erarbeitet wurde das Konzept mit wissenschaftlicher Begleitung des Öko-Instituts und der Einbindung von Fachexperten.
Im Fokus der Studie “Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland - Weichenstellungen bis 2050“ steht die Verkehrsvermeidung und die Verlagerung auf umweltfreundlichere Transportmittel. Verbunden mit Effizienzsteigerungen und dem Einsatz von Elektrofahrzeugen könnten so die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors bis 2050 im Vergleich zu 1990 um fast zwei Drittel verringert werden. Um eine nahezu vollständige Minderung der Emissionen von etwa 95 Prozent zu erreichen, müsste diese Strategie um den Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien sowie Gas- und Flüssigkraftstoffen auf regenerativer Basis ergänzt werden, sofern diese ökologisch verträglich bereitgestellt werden können.
Ausgehend von dem Szenario der Verbände gibt es im Jahr 2050 in Deutschland weniger als halb so viele Pkw wie heute. Flexibilität wird im Personenverkehr wichtiger als der Besitz eines eigenen Fahrzeugs. Besonders in den Ballungszentren werden Fahrräder, Pedelecs, gut vernetzte Angebote des öffentlichen Verkehrs und elektrisch betriebene Carsharing-Fahrzeuge genutzt. Der Lebensqualität in den Städten kommt das zugute. Sie werden von Lärm und Emissionen befreit. Breite Verkehrsadern mit parkenden Autos weichen vermehrt öffentlichen Plätzen mit Grünflächen.
Der Güterverkehr in Deutschland stabilisiert sich langfristig auf dem derzeitigen Niveau. Bahn und Binnenschiff können ihre Marktanteile erheblich steigern. Die Energiewende trage zudem dazu bei, dass künftig deutlich weniger fossile Energieträger transportiert würden. Die Ausweitung der Lkw-Maut und höhere Steuern auf fossile Kraftstoffe könnten die dafür erforderlichen Weichenstellungen auslösen.
Da Pkw derzeit über 40 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen ausmachen, wäre aus Sicht der Verbände ein ab 2025 geltender CO2-Grenzwert für Neuwagen von 65-68 Gramm pro Kilometer zielführend, der ab 2030 auf 50 Gramm pro Kilometer gesenkt wird. Dadurch sinkt der durchschnittliche Energieverbrauch konventioneller Pkw um mehr als die Hälfte und die Elektromobilität kommt in Schwung. Die Umweltverbände fordern darüber hinaus einen verstärkten Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs sowie eine Pkw-Maut auf allen Straßen, die nach gefahrenen Kilometern und entsprechend des CO2-Ausstoßes berechnet wird. Die Steuerausnahmen für den Flugverkehr müssten abgebaut und ein wirksamer Emissionshandel unter Einbezug internationaler Flüge etabliert werden.
Zitate der Verbände:
Johannes Erhard, Verkehrsexperte des WWF Deutschland: „Bis 2050 muss auch der deutsche Verkehrssektor nahezu frei von Treibhausgasemissionen werden. Die Umweltverbände haben dazu einen Fahrplan entwickelt. Die Politik muss nun dafür sorgen, dass die Energiewende auch im Verkehrssektor angepackt wird. Dazu brauchen wir vor allem schärfere Zielvorgaben.“
Werner Reh, Verkehrsexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): Um die nationalen Klimaschutzziele noch zu erreichen, muss die Verkehrspolitik dringend umsteuern. Künftig muss Verkehrsverlagerung ein Hauptziel der Infrastrukturplanung sein. 2050 kann dann die Hälfte des Güterverkehrs mit Schiffen und Bahn erfolgen. Eine Optimierung der Taktzeiten kann den Personenverkehr mit der Bahn verdoppeln. Außerdem brauchen wir die Ausweitung der Lkw-Maut auf sämtliche Straßen und eine entfernungsabhängige Pkw-Maut.”
Dr. Manfred Treber, Verkehrsexperte von Germanwatch: "Diese Studie beschreibt die Verkehrswende als nächsten Schritt der Energiewende. Eine wichtige politische Weichenstellung dazu steht schon Ende dieses Jahres an: Die notwendige Aufstockung der Regionalisierungsmittel für den Schienennahverkehr soll den Weg frei machen für eine Verdopplung der Fahrgastzahlen innerhalb der kommenden 30 Jahre."
Dietmar Oeliger, Leiter Verkehrspolitik des NABU: “Vor allem in den Städten kann das Konzept der Umweltverbände als großartige Chance verstanden werden. Das Auto wird dort an Bedeutung verlieren, während Fahrrad und Pedelec eine große Zukunft bevorsteht. Weniger Lärm, weniger Abgase und mehr Raum für die Menschen machen die Städte dann deutlich lebenswerter. Dies zu erreichen wird jedoch alles andere als ein Kinderspiel. Die Bundesregierung sollte schon bald das Ziel „emissionsfreie Innenstädte 2030“ formulieren und einen Umsetzungsplan erarbeiten.“
Michael Müller-Görnert, Referent für Verkehrspolitik beim VCD: “Pkw verursachen derzeit 40 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Ein zentraler Hebel zur Verringerung sind ambitionierte CO2-Grenzwerte. Die geltenden Vorgaben für Neuwagen müssen daher kontinuierlich weiterentwickelt werden, um alle Potenziale zur Effizienzsteigerung zu nutzen und den Markthochlauf für elektrische Antriebe konsequent voran zu treiben. Dies gilt auch für schwere Nutzfahrzeuge, deren CO2-Emissionen derzeit noch völlig ungeregelt sind.”
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