Pressemitteilung | 30.12.2011

Start der EU-Ratspräsidentschaft

Dänische Regierung wartet auf Signal der Bundeskanzlerin für höheres EU-Klimaziel
Pressemitteilung

Berlin, 30.12.2011: In diesen Tagen zurrt die dänische Regierung die Agenda für die EU-Ratstreffen der ersten Jahreshälfte 2012 zusammen. Germanwatch fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich jetzt öffentlich für ein EU-weites Treibhausgas-Minderungsziel von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 anstelle des aktuellen Ziels von 20 Prozent stark zu machen. Die Regierung Dänemarks hat informell klargestellt, dass von einem solchen Signal abhänge, ob sie Verhandlungen über eine solche Anhebung des EU-Klimaziels auf die Agenda ihrer am 1. Januar beginnenden Ratspräsidentschaft setzt.

Dazu Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch:

"Die dänische EU-Präsidentschaft bietet die wohl letzte Chance, diese für Europa und den internationalen Klimaschutz so wichtige Entscheidung voranzutreiben. Die dänische Regierung wartet auf eine klare Ansage aus Berlin. Die Bundeskanzlerin muss jetzt deutlich sagen, dass sie das Thema auf der Agenda der Ratstagungen während der dänischen Präsidentschaft sehen will. Großbritannien drängt bereits auf eine solche Initiative. Dänemark will die Debatte aber ohne zusätzlichen Rückenwind aus Deutschland nicht eröffnen. Hier blockiert das Bundeswirtschaftsministerium, während sich das Bundesumweltministerium für das höhere Ziel einsetzt.

In Deutschland und der EU stehen derzeit zentrale Instrumente des Klimaschutzes auf dem Spiel. Der Emissionshandel als Flagschiff des EU-Klimaschutzes steht wegen des zu niedrigen Emissionsziels vor dem Kollaps. Die Preise für CO2-Zertifikate sind im Keller. Dadurch bricht auch die Finanzierung für die Energiewende, insbesondere für mehr Energieeffizienz, weg. Denn die Bundesregierung wollte die Energiewende mit einem Großteil der Erlöse aus den Emissionsversteigerungen finanzieren. Das zu niedrige EU-Klimaziel gefährdet die Energiewende und somit das mit Abstand wichtigste Projekt der Regierungskoalition.

Mit dem anderen Teil der Versteigerungserlöse will die Regierung eigentlich einem Teil ihrer finanziellen Versprechen gegenüber den vom Klimawandel am meisten gefährdeten Staaten nachkommen. Hier geht es um Unterstützung für Klima- und Regenwaldschutz sowie zur Anpassung an den Klimawandel. Wenn die Einnahmequelle Auktionserlöse größtenteils abhanden kommt, wird es für die Bundeskanzlerin angesichts der Eurokrise extrem schwer, ihre beim Klimagipfel von Kopenhagen 2009 gemachten Finanzierungszusagen zu halten. Der niedrige Zertifikatspreis im EU-Emissionshandel gibt ein klares Signal des Marktes: Die Ambition der EU stimmt nicht.

Die Augen in der EU richten sich jetzt auf die Bundeskanzlerin, um Verhandlungen über das 30-Prozent-Ziel auf die EU-Agenda des ersten Halbjahres 2012 zu bekommen. In einem zweiten Schritt muss dann in den nächsten Monaten die Zustimmung der polnischen Regierung und anderer Kritiker eines höheren EU-Klimaziels gewonnen werden. Hier sind noch längst nicht alle Möglichkeiten für einen Konsens ausgelotet."

Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:

  • Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer Germanwatch, 0174 3275669
  • Oldag Caspar, Referent für Klimaaußenpolitik, 0163 6935356


Hintergrund

Wenn das EU-Klimaziel nicht nachgebessert wird, birgt dies zahlreiche Nachteile für die EU, Deutschland und den Klimaschutz. Die wichtigsten sind:

  • Der Emissionshandel steht vor dem Kollaps: In einer Zeit, in der Australien, Kalifornien und verschiedene Regionen Chinas sich an einem zentralen Instrument der EU-Klimapolitik - dem Emissionshandel - orientieren und eigene Emissionshandelssysteme einführen wollen, droht der EU-Emissionshandel zu kollabieren. Durch die jüngste Wirtschaftskrise sind so viele Emissionserlaubnisse im Umlauf, dass der Preis Ende 2011 massiv eingebrochen ist. Es ist absehbar, dass der Emissionshandel ohne Verschärfung der Ziele bis 2020 nicht die notwendigen Innovations- und Investitionsanreize setzen wird. Auch die angestrebte Verbindung des EU-Emissionshandels mit weiteren Handelssystemen zum Beispiel in China oder Kalifornien dürfte nur mit einem funktionierenden EU-Zertifikatehandel möglich sein.
  • Finanzierung der Energiewende bricht ein: Die deutsche Energiewende ist stark abhängig von den Erlösen aus dem Europäischen Emissionshandel. Bleibt es beim schwachen 20-Prozent-Ziel, verliert die Bundesregierung durch die extrem niedrigen Zertifikatspreise im Vergleich zu den erwarteten Erlösen ab 2013 jährlich Auktionseinnahmen in Milliardenhöhe. Da ein Großteil der Versteigerungserlöse in die Finanzierung der Energiewende - etwa für Energieeffizienzanreize - fließen soll, steht die Bundesregierung mitten in der massiv zugespitzten Budgetkrise vor einem Problem. Auch das EU-weite Ziel zur Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis 2020 wird ohne diese Einnahmen kaum erreichbar sein.
  • Versprochene internationale Klimafinanzierung in Frage gestellt: Die Bundesregierung will mit einem Teil der Emissionshandelserlöse ihrer auf den Klimagipfeln in Kopenhagen und zuletzt Durban übernommenen Verpflichtung nachkommen, die wirtschaftlich armen Länder im Klima- und Regenwaldschutz sowie bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Die Unterstützung soll bis 2020 so ansteigen, dass dann von den Industrieländern insgesamt jährlich 100 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen öffentlichen und privaten Gelder bereitgestellt werden. Wenn es beim EU-Klimaziel von 20 Prozent und den dadurch extrem niedrigen Zertifikatspreisen bleibt, ist nicht absehbar, wie Deutschland und die EU ihren Anteil dazu leisten können.
  • Deutsches 40-Prozent-Klimaziel mit EU-20-Prozentziel nicht erreichbar: Die Bundeskanzlerin steht vor einem Wortbruch, sollte sie jetzt nicht aktiv ein EU-weites 30-Prozent-Klimaziel unterstützen. Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, dass Deutschland seine Klimaemissionen bis 2020 um 40 Prozent senkt. Mit dem niedrigen 20-Prozentziel der EU wird das kaum möglich sein, da die deutsche Industrie ihr Ziel im Rahmen des EU-Emissionshandelszieles gesetzt bekommt. Die übrigen Sektoren (vor allem Verkehr und Gebäude) werden die Lücke auch mit ehrgeizigsten Maßnahmen nicht schließen können. Falls aber lediglich die deutschen Unternehmen mehr machten als vom EU-Ziel vorgeschrieben, um dadurch das deutsche 40-Prozentziel zu erreichen, würde das dem Klimaschutz nicht helfen. Denn die überschüssigen Emissionserlaubnisse könnten dann von Unternehmen in anderen EU-Ländern genutzt werden. Die Zertifikatspreise würden dann noch weiter unter Druck geraten.
  • Investitionsschub zur Abwendung einer lang anhaltenden EU-Wirtschaftskrise nicht entgehen lassen: Ein EU-weites 30-Prozent-Ziel wäre ein für viele Wirtschaftssektoren wichtiges Signal, dass sich Investitionen in Zukunftsmärkte lohnen. Das wenig wegweisende derzeitige 20-Prozent-Ziel verhindert genau die Innovationsinvestitionen, die Deutschland und die EU in einer Situation brauchen, in der die Wirtschaft wegen des Sparkurses einbricht. Ein höherer Zertifikatepreis im Emissionshandel wäre dabei ein wichtiger Innovationsmotor und würde die im Niedrigemissionsbereich relativ gut aufgestellte deutsche Wirtschaft gegen die internationale Konkurrenz fit machen.
  • UN-Klimaverhandlungen voranbringen: Die Klimaverhandlungen in Durban wurden am Ende von einer Allianz der EU mit den vom Klimawandel am meisten gefährdeten Staaten gerettet. Dieses Ad-Hoc-Bündnis könnte in Zukunft festere Formen annehmen und damit weiter Bewegung in die Verhandlungen bringen. Zwingende Voraussetzung aber ist, dass die EU im Mai oder spätestens im Dezember 2012 bei den Vereinten Nationen ein Reduktionsziel für die nächste Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls einreicht, das mit der Zielmarke eines Zwei-Grad-Limits vereinbar ist (hierfür ist ein Reduktionsziel von 25-40 Prozent erforderlich). Ohne diesen für viele Länder des Bündnisses wichtigen Schritt droht die neue Allianz sehr schnell wieder zu zerfallen.