Energiewende in China? Die Renewables 2004 erweist sich als Aufwindkraftwerk auf dem Weg ins Solarzeitalter

Die Renewables 2004 erweist sich als Aufwindkraftwerk auf dem Weg ins Solarzeitalter

Von Klaus Milke und Christoph Bals

Hohe Ölpreise und die Geiselnahme im wichtigsten Ölland Saudi-Arabien sicherten der Renewables 2004, dem Erneuerbaren-Gipfel in Bonn, ungeahnte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Bundeskanzler Schröder, der sich noch vor wenigen Wochen bei der Debatte um den Emissionshandel schützend vor die fossile Wirtschaft gestellt hatte, rief jetzt dazu auf, im Kampf gegen die "mit Abstand größte Umweltgefahr" durch eine auf Energieeffizienz und Erneuerbare Energieträger setzende "Doppelstrategie für weltweit nachhaltige Energieversorgung, ... die Emissionen von Treibhausgasen radikal [zu] verringern". Sollte man sich über die konstruktive Rede freuen oder über den damit offenbarten Opportunismus ärgern?

Die Dynamik des Gipfels ging von dem Aktionsplan mit letztlich 190 angekündigten Initiativen von Staaten, Kommunen und internationalen Organisationen aus. Positive Impulse gab es aus den Philippinen, in geringerer Form aber auch aus Ägypten, der Dominikanischen Republik oder Yemen. Die Chancen, die in einer vor allem auf Wasserkraft und solarthermische Stromerzeugung setzenden Kooperation zwischen Europa und Nordafrika liegen, wurden sehr deutlich. Marokko und Tunesien spielen eine zunehmend konstruktive Rolle.

Enttäuschend war allerdings, dass die EU sich im Vorfeld trotz der intensiven Diskussionen nicht auf Ausbauziele für Erneuerbare Energien für die Zeit nach 2010 festlegen konnte, sondern lediglich 2005 einen entsprechenden Prozess starten will. Damit wurde die EU, die vor zwei Jahren in Johannesburg die Backen noch kräftig aufgeblasen hatte, ihrem Anspruch auf eine Vorreiterrolle nicht gerecht.

Paradigmenwechsel in China?

Vor allem aber China ging mutig voran. Das Land will bis zum Jahr 2020 den Energieverbrauch von Wirtschaftswachstum entkoppeln. Das Bruttsozialprodukt soll sich vervierfachen, der Energieeinsatz "nur" verdoppeln - angesichts des aktuellen Trends und der Phase der Industrialisierung, in der sich China befndet, wäre diese Entkopplung fast sensationell. 17 Prozent des Energieeinsatzes soll dann über Erneuerbare Energieträger gedeckt werden. Im Strombereich sollen es zwölf Prozent sein. Insgesamt sollen dann 120 Gigawatt Stromleistung aus kleiner Wasserkraft, Wind, Biomasse und direkter Sonneneinstrahlung installiert sein - und zwar ohne die umstrittenen Wasser-Großkraftwerke. Dies entspricht der Leistung des gesamten derzeit in Deutschland installierten Kraftwerksparks. Die Ankündigung ist ein wichtiger Schritt nach vorne, auch wenn selbst bei voller Umsetzung im Jahr 2020 immer noch 88 Prozent der Kraftwerksleistung in China durch fossile Energieträger, Kernkraft oder große Wasserkraft bereitgestellt werden. Wird als Konsequenz des Schwenks China nun in großem Maßstab in die Produktion der Wind- uns Solartechniken einsteigen und deren Kosten drastisch nach unten drücken? Wie werden die USA reagieren, nachdem ihnen eins ihrer zentralen Argumente gegen Klimaschutzengagement - fehlende Aktivitäten in China - aus der Hand geschlagen wurde? Wird der Finanzmarkt genug Vertrauen in die Entwicklung haben, sodass tatssächlich die benötigten 50 Milliarden Euro investiert werden? Immerhin will China die Rahmensetzungen für Investitionen in Erneuerbare Energien deutlich verbessern. In diesen Tagen soll ein Erneuerbare-Energien-Gesetz, angelehnt an das deutsche Vorbild, in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt werden.

Die Ankündigung Chinas ist keineswegs eine verbindliche Selbstverpflichtung. Man sollte sie eher als Angebot begreifen: China sieht die Vorteile einer nachhaltigen Energieentwicklung - verringerte Abhängigkeit vom Erdöl, Reduktion der gesundheitsgefährdenden Emissionen aus Kohlekraftwerken und Autos (inzwischen Todesursache Nr. 1 in China) sowie(eher als Nebenargument) von regionalem und globalem Klimawandel. Werden die EU und ihre Wirtschaft die Chance für eine Energie- und Klimapartnerschaft mit China ergreifen? Hier liegen erhebliche Chancen, den derzeitigen konstruktiven Trend der chinesischen Regierung  zu stabilisieren; aber auch, in der EU-internen Debatte die ökonomischen Chancen des Klimaschutzes - wenn diese Technologien auf dem am schnellsten wachsenden Markt massiv nachgefragt werden - in den Vordergrund zu stellen und damit aus der Defensive herauszukommen.

Es gab auch Schwächen

Der Aktionsplan verdeutlicht aber auch die Schwächen des - insgesamt sehr erfolgreichen -Vorgehens. Eine erste, von Nichtregierungsorganisationen vorgenommene Durchsicht des Aktionsprogramms kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass letztlich ganze 20 Aktionsvorschläge wirklich relevant sind, indem sie messbare Ausbauziele formulieren oder finanzielle Beiträge zur Förderung erneuerbarer Energien bereit stellen. China und die Philippinen stehen auch in dieser Bewertung im Vordergrund.

Die politische Erklärung hat zwar einen positiven Grundton, blieb aber letzlich im Unverbindlichen hängen. Manche Debatten hatten hier - wie bisweilen bei den UN-Klimaverhandlungen - durchaus satirische Elemente. Stundenlang wurde um den Schlüsselsatz der Erklärung gerungen. Sind Erneuerbare Energien "die wichtigste Form von Energie" für ein künftiges Energiesystem oder - wie es letztlich auf Kosten grammatikalischer Korrektheit heißt - "eine wichtigste Form von Energie". Allerdings wurde der Text tatsächlich im Konsens verabschiedet, was für die weitere Wirkungsgeschichte positiv sein kann.
Eine Formulierung, die auf Erhöhung der internationalen Entwicklungshilfe drängte, ließ sich nicht durchsetzen. Dies war übrigens der Punkt, an dem die USA am stärksten mauerten.

Statt konkreter Vorgaben gab es auch nur unverbindliche Appelle an die multilateralen Entwicklungsbanken - allen voran an die Weltbank, ihre Budgets für erneuerbare Energien zügig auszubauen. Die Ankündigung der Weltbank im Rahmen des Internationalen Aktionsprogramms, in den nächsten fünf Jahren die Ausgaben für Erneuerbare Energien um 20 Prozent zu erhöhen, wertet nicht nur die Böll-Stiftung angesichts der geringen Ausgangsbasis als "ein geschicktes PR-Manöver, um dem öffentlichen Druck der Empfehlungen des Extractive Industries Review auszuweichen. Der Review hatte die Weltbankaktivitäten im Minen-, Erdöl- und Erdgassektor untersucht und der Weltbank empfohlen, bis 2008 vollständig aus dieser Sektorförderung auszusteigen und die Ausgaben in den Extractive Industries komplett durch die Förderung erneuerbarer Energien zu ersetzen." Die Verpflichtung der Weltbank setzt auch strukturell falsch an. Denn sie ändert nicht die Kriterien, nach denen Energieprojekte ausgesucht werden.

Für eine Enttäuschung sorgte auch die brasilianische Regierung. Sie setzte sich sehr hart für die Anerkennung auch großer Wasserkraftwerke in der Kategorie der Erneuerbaren Energien ein. Außer dem Ausbau der sogenannten (und in mehrerer Hinsicht umstrittenen) Biokraftstoffe hatte sie nicht viel zu bieten.

Das Follow-Up entscheidet letztlich über die Bewertung

Schwer bewerten lässt sich derzeit noch die Entscheidung zum Folgeprozess der Bonner Konferenz. Dass sich mehr nicht durchsetzen ließ, lag aber auch daran, dass die Zivilgesellschaft kein gemeinsames Konzept hatte, wie der institutionellen Zersplitterung zu begegnen ist. Hier liegt eine der Hausaufgaben für NGO und Erneuerbare-Energien-Verbände. Auf mehr als ein informelles "Global Policy Network" konnte man sich in der Politischen Erklärung nicht einigen. Zu groß scheint die Furcht vor mehr Konzentration und Bündelung, würde sie doch die Abgabe von Entscheidungsmacht und Finanzmitteln an eine neue institutionelle Einheit durch die verschiedenen Akteure bedeuten. Bis es soweit ist, soll die UN Commission on Sustainable Development (CSD) die Aufgabe der Überprüfung des Aktionsprogramms von Bonn übernehmen - ein erster Schritt, um die Tür zu einer Integration dieses Prozesses in die UN, wenn großpolitisch einmal sinnvoll, zu öffnen. Jedenfalls muss in den nächsten Jahren an einem effizienteren und durchsetzungsfähigeren institutionellen Mechanismus gearbeitet werden. Das informelle "Global Policy Network" kann dabei eine wichtige Brückenfunktion übernehmen.

Eine große Herausforderung für das "Global Policy Network" liegt somit darin, die internationale Politikagenda - was Erneuerbare Energien angeht -, vorwärts zu bewegen.

Gesamteindruck

Die "Renewables 2004" hat das gewünschte Signal für den Ausbau Erneuerbarer Energien gesetzt. Die Konferenz zeigte, wie wichtig es ist - nicht nur aus inhaltlichen und strategischen Gründen - ökologische Ziele mit denen der Verringerung der Erdölabhängigkeit und der Armutsbekämpfung zu verknüpfen. Es gelang mit der Bonner Konferenz, ein Aufwindkraftwerk für notwendige Schritte auf dem Weg ins Solarzeitalter zu errichten. Es gelang, für einen Teilbereich, bei dem alle Partner gewinnen können,  einen Bypass für Kyoto zu bauen. Greenpeace erwartet, dass durch diesen Prozess etwa 2 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich für Erneuerbare Energien mobilisiert werden.

Die innenpolitische Energiedebatte in Deutschland hat durch Bonn erfreulich frischen Wind für Erneuerbare Energien erfahren. Denn dies bedeutet Gegenwind für alle Politiker(innen), die sich dem weiteren massiven Ausbau der Erneuerbaren Energieträger in den Weg stellen wollen. Diejenigen allerdings, die meinen, nun die Atomkraft wieder ins Gespräch bringen zu müssen, katapultieren sich selbst ins Abseits.

Die Beschäftigung in den ärmsten Entwicklungsländern mit Erneuerbaren Energien hat ebenfalls eine neue Qualität erreicht. Dass der Ölpreisanstieg sie in diesem Jahr in etwa so viel kosten wird wie die gesamte weltweite Entwicklungshilfe ausmacht - 60 Mrd. Euro - fördert den Umdenkprozess. Auch die Tatsache, dass das Entwicklungsministerium neben dem Umweltministerium seitens der Bundesregierung eine zentrale Rolle bei der Durchführung der Konferenz gespielt hat, hat dazu beigetragen, dass das Thema der Armutsbekämpfung durch (neue) Erneuerbare Energieträger auf der Agenda und in den Zielsetzungen verankert wurde. Damit haben die Millenium-Ziele eine sichtbare Ergänzung erfahren: Armutsbekämpfung durch Einsatz Erneuerbarer Energien

Der notwendige Wind wird global aber nur erzeugt werden, wenn das Follow Up stimmt. Aufbauend auf den konstruktiven Absichten wichtiger Akteure gilt es nun, Strukturen, Prozesse sowie politische und ökonomische Strategien zu vereinbaren, die dazu führen, dass der schnelle Ausbau Erneuerbarer Energien nicht auf eine Handvoll wichtiger Akteure beschränkt bleibt. Erneuerbare Energien aber können den gewünschten Anteil bis Mitte des Jahrhunderts nur übernehmen, wenn zugleich die Energieeffizienz massiv vorangetrieben wird. Es sollte zu denken geben, dass trotz des massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien seit den 70er Jahren ihr Anteil sich weltweit nicht gesteigert hat. Auch deswegen ist der Strategieschwenk Chinas so bedeutend - er verknüpft Energieeffizienz und den Ausbau Erneuerbarer Energien.

Minister Trittin hat in seinem Abschlussbeitrag vorgerechnet, dass durch die Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsplans im Jahre 2015 eine CO2-Einsparung von schätzungsweise 1,2 Milliarden Tonnen zu erwarten ist. Ein wichtiger Beitrag zum globalen Klimaschutz. Wobei dies in den Industriestaaten nicht zusätzliche Reduktionen, sondern Teil der Anstrengungen zum Erreichen des Kyoto-Zieles sind.

Alles in allem kann der Erneuerbaren-Gipfel - trotz enttäuschender Beiträge mancher Akteure - als ein wichtiger Schritt in das Zeitalter Erneuerbarer Energien gewertet werden. Wer weiß - vielleicht wird die "Renewables 2004" demnächst eine Rolle in einem neuen Hollywood-Film mit dem Titel "The Days BEFORE Tomorrow" spielen!?

Bonn, im Juni 2004
 

Kommentar zur Erneuerbaren-Konferenz 2004

Autor:innen
Klaus Milke, Christoph Bals
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