Der Hormonfall belegt: die Welthandelsorganisation WTO hebelt demokratische Entscheidungen aus.
Presseerklärung
Bonn, den 13.5.1997: Anläßlich des WTO-Schiedsspruches über die Klage der USA gegen das EU-Importverbot für hormonbehandelte Rindfleischprodukte weisen die Nord-Süd-politische Initiative GERMANWATCH, das AGRARBÜNDNIS (Zusammenschluß von 20 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik) und das FORUM UMWELT & ENTWICKLUNG (Arbeitsplattform von über 40 deutschen Verbänden und Organisationen aus den Bereichen Umwelt und Entwicklung) auf den dringenden Reformbedarf der WTO hin.
Auch wenn das EU-Importverbot für hormonbehandelte Rindfleischprodukte von der WTO als unerlaubtes Handelshemmnis bewertet worden ist, fordern die genannten Organisationen die EU-Kommission und den EU-Agrarministerrat auf, das Importverbot auf keinen Fall aufzuheben. Statt dessen solle die EU notfalls Ausgleichszahlungen an die USA in Kauf zu nehmen und auf eine Reform der WTO-Verträge zu drängen.
Wachstumshormone seien angesichts der schon vorhandenen und mit Exportdumping in die Dritte Welt exportierten Rindfleischüberschüße völlig überflüssig, und könnten unvorhersehbare gesundheitliche Folgen haben.
Dr. Rainer Engels von GERMANWATCH betont: "Das Importverbot ist auf demokratischem Wege entstanden und spiegelt den Willen der Mehrheit der Bevölkerung wider. Vorbeugender Gesundheitsschutz darf nicht auf dem Altar des Freihandels geopfert werden!"
Bei dem WTO-Streitschlichtungsverfahren habe die EU beweisen müssen, daß ihr Hormonverbot aus Gesundheitsschutzgründen durch die Wissenschaft gerechtfertigt sei. Dies sei ihr nicht gelungen. Umgekehrt sei die Unbedenklichkeit der Hormone für den Menschen aber auch nicht nachgewiesen und damit Vorsicht angebracht. "Die Schädlichkeit der Wachstumshormone kann ebensowenig mit letzter Wissenschaftlichkeit bewiesen werden wie die Übertragbarkeit des Rinderwahnsinns auf den Menschen. Aber zu Recht hat die EU den Handel mit Fleisch aus Beständen, in denen Rinderwahnsinn befürchtet werden kann, unterbunden. Nun verbietet die WTO eine ähnliche Vorsorgemaßnahme, da der internationale Handel betroffen ist."
Die Zulassung von Wachstumshormonen in der Tierernährung verstoße darüber hinaus gegen geltendes internationales Tierschutzrecht. Das "Europäische Übereinkommen zum Schutze der Tiere in landwirtschaftlichen Tierhaltungen" besage, daß "einem Tier kein anderer Stoff verabreicht werden darf, sofern nicht nachgewiesen worden ist, daß die Wirkung des Stoffes der Gesundheit oder dem Wohlbefinden des Tieres nicht schadet". Dieser Nachweis sei nicht erbracht. Das WTO-Schiedsverfahren dagegen gehe von einer Umkehrung der Beweislast aus und berücksichtige die Tiergesundheit nicht.
Aus diesen Gründen forderten das AGRARBÜNDNIS, das FORUM UMWELT & ENTWICKLUNG und GERMANWATCH:
"Schiedsverfahren im internationalen Handel dürfen dem Freihandel nicht immer Vorfahrt gewähren. Andere Grundsätze wie der Vorsorgegrundsatz bei gesundheitlichen Fragen müssen gleichberechtigt behandelt werden. Um sie zur Geltung zu bringen, bedarf es eines der WTO übergeordneten Streitschlichtungsverfahrens. Zudem müssen neben der gesundheitlichen Unbedenklichkeit in WTO-Streitfällen ebenfalls die Vereinbarkeit mit Umweltschutz und Tierschutz sowie die sozialen Auswirkungen untersucht werden."
Ferner forderten die Organisationen, die Bundesregierung möge sich für eine Reform der WTO-Regeln einsetzen:
- "Der Vorsorgegrundsatz sollte in das WTO-Abkommen über die Anwendung sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen aufgenommen werden. Das Abkommen muß dafür in zweifacher Hinsicht revidiert werden.
- Ein nationaler Standard soll so lange gerechtfertigt sein, bis die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Wegfalls dieses Standards nachgewiesen ist.
- Internationale Standards sollen als Mindeststandards interpretiert werden. Höhere nationale Standards zum Schutz der Umwelt, der Ernährungssicherheit oder der Verbraucher sollen auch dann zulässig sein, wenn die wissenschaftliche Notwendigkeit nicht nachgewiesen werden kann.
- Bei Widersprüchen bezüglich einer Handelsbeschränkung zwischen WTO-Entscheidungen und anderen internationalen Vereinbarungen mit breiter Staatenbeteiligung (z.B. die Rio-Deklaration oder internationale Umweltabkommen) soll ein übergeordnetes Streitschlichtungsverfahren eingerichtet werden, in dem neben der WTO UN-Organisationen, wie die WHO, UNEP oder UNDP, und auch Nichtregierungsorganisationen vertreten sind."
Dies soll durch die Einfügung eines neuen Unterpunktes in Artikel XX des GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) gewährleistet werden, der Handelsbeschränkungen zuläßt, wenn sie dem vorsorgenden Schutz dienen.