Pressemitteilung | 23.01.2008

Ein großer Schritt für die Politik, ein zu kleiner Schritt für das Klima.


 

Pressemitteilung

Bonn, 23. Januar 2008. Heute hat die EU-Kommission in Brüssel ihr umfangreiches Energie- und Klimapaket zur Umsetzung der europäischen Klimaschutzziele vorgestellt. Zentrale Messlatte ist, ob dieses Paket für die EU wie beschlossen den Weg für ein emissionsarmes Wohlstandsmodell weist: Ist es vereinbar mit dem von der EU als notwendig anerkannten Ziel, den globalen Temperaturanstieg unter der Großgefahrenschwelle von zwei Grad zu halten? Zurecht hat der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, betont, dass die Kosten des Nichthandelns mindestens fünfmal höher als die Kosten des Handelns liegen würden.

EU-Treibhausgas-Reduktionsziel

Der Treibhausgas-Ausstoß der EU-Staaten soll um durchschnittlich mindestens 20% bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 sinken. Zusätzlich wird ein darüber hinausgehender Automatismus vorgeschlagen: Wenn es im Jahr 2009 - entsprechend der Beschlüsse der Staatengemeinschaft in Bali - zu einem internationalen Klimaschutz-Abkommen kommt, wird das EU-Ziel automatisch auf 30 % erhöht. "Nach der deutlichen Absichtserklärung aller Staaten in Bali, bis 2009 ein neues Abkommen unter Dach und Fach zu haben, wäre ein klares Bekenntnis zum 30-Prozent-Ziel glaubwürdiger und logischer gewesen", kommentiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Damit wird die Chance vertan, jetzt schon ein eindeutiges Signal einer 30prozentigen Reduktion für die Investoren zu geben. Außerdem wäre ein 20-prozentiges Reduktionsziel kein ausreichender EU-Beitrag, um den Temperaturanstieg unter der Großgefahrenschwelle von zwei Grad zu halten.

Deutsches Treibhausgas-Reduktionsziel

Die Aufteilung der EU-weiten Reduktionsziele auf die 27 Mitgliedsstaaten ("Effort Sharing") wird unter Berücksichtigung der Wirtschaftsleistung pro Kopf und der nationalen Voraussetzungen vorgenommen. Demnach muss Deutschland gegenüber 1990 bis 2020 gute 40 % (bei 30 Prozent Reduktion in der EU) und knapp 33 Prozent (bei 20 Prozent Reduktion in der EU) einsparen. Da davon auszugehen ist, dass es zu einem internationalen Abkommen kommt, erhält das auch von der Bundesregierung ausgegebene 40%-Ziel für Deutschland eine immer größere Verbindlichkeit.

Sanktionsmechanismus

Der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso betonte bei der Vorstellung zurecht als grundlegendes Prinzip die Sicherheit der Zielerreichung. Dies ist aus Gründen der Investitionssicherheit sowie der Glaubwürdigkeit gegenüber den Bürgern zentral. Als Sanktionsmechanismus bei Zielverfehlung gibt es aber nur das übliche Vertragsverletzungsverfahren der EU. "Dies sollte durch einen deutlichen finanziellen Sanktionsmechanismus ergänzt werden," so Bals. "Außerdem wäre es sinnvoll, Zwischenschritte zu vereinbaren."

Umsetzungspakete der EU

Die EU-Kommission belässt es nicht bei Zielvorgaben. Um die Staaten in die Lage zu versetzen, diese auch erreichen zu können, legt sie ein ganzes Paket an Richtlinienentwürfen vor. Zentral sind die zur künftigen Gestaltung des Emissionshandels, der Energieeffizienz, der Erneuerbaren Energien und der Abscheidung und geologischen Lagerung von CO2.

Festlegungen für Emissionshandel auf EU Ebene

Bei der ersten Runde des Emissionshandels (2005 bis 2012) entschieden die nationalen Regierungen, wie viele Emissionserlaubnisse nach welchen Regeln ihre eigene Industrie erhält. Dabei standen dann oft eher Wettbewerbs- als Klimaschutzgründe Pate. "Wer miterlebt hat, wie Lobbyisten der Energie- und Chemiebranche durch massivste Lobbyarbeit in Deutschland statt eines wirkungsvollen Klimaschutzinstruments ein bürokratisches Monster mit absurden Sonderregeln ertrotzt haben, kann nur begrüßen, dass die Emissionserlaubnisse in Zukunft zentral nach einheitlichen Regeln vergeben werden," kommentiert Bals.

Volle Versteigerung für Kraftwerksbetreiber

"Der größte Sprung nach vorne aber ist, dass die Kraftwerksbetreiber in Zukunft ihre Emissionsrechte zu 100 Prozent ersteigern sollen. Damit würde der Emissionshandel zum ernsthaften Klimaschutzinstrument. Dies ist der Einstieg in das Verursacherprinzip. Der Neubau von Kohlekraftwerken wird kaum noch wirtschaftlich sein", so Bals. Auch für die anderen Branchen soll es den Einstieg in die Versteigerung der Zertifikate geben, bis 2020 sollen auch sie alle Zertifikate ersteigern. Die EU-Kommission rechnet damit, dass damit im Jahr 2020 etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr für den Klimaschutz zur Verfügung stehen.

Den anderen energieintensiven Branchen ist Barroso entgegengekommen. Er sagte ihnen eine rechtlich verbindliche Regel zu, dass es entweder ein internationales Abkommen auf Staaten- bzw. Sektorebene geben werde, oder sonst die Branche verbindlich auf kostenlose Verteilung der Emissionsrechte bzw. Maßnahmen gegen Importe aus anderen Staaten setzen könne. "Wir erwarten, dass es 2009 internationale Regeln geben wird für die wenigen energieintensiven Branchen, die wie Stahl oder Aluminium im internationalen Wettbewerb stehen", so Christoph Bals. "Es ist vernünftig, dass die EU erst nach dem Abschluss des internationalen Abkommens entscheiden will, ob es hier politischer Unterstützung für diese Branchen bedarf. Niemand hat Interesse an Unternehmensverlagerungen, die nicht dem Klimaschutz dienen. Allerdings sind nur wenige Branchen tatsächlich betroffen - und die Betroffenheit müsste nach klaren Kriterien ermittelt werden."

Zu viel und zu undifferenzierte Nutzung von CDM-Zertifikaten

Gegenüber dem letzten Entwurf ist die Nutzung der Zertifikate aus dem projektbasierten Emissionshandel in Entwicklungs- (CDM) oder Industrieländern (JI) noch einmal ausgeweitet worden. Jedes Land darf jetzt nicht nur 25, sondern sogar 30 % seines Reduktionsziels so erreichen. Dies ist in der jetzigen Form nicht mit dem Zwei-Grad-Limit vereinbar. "Der CDM ist ein wichtiges Instrument des Technologietransfers. Wie bei anderen solchen Instrumenten ist eine breite Nutzung im Sinne des internationalen Klimaschutzes prinzipiell durchaus sinnvoll. Dann aber müssten einerseits die EU-Ziele verschärft und andererseits der CDM grundsätzlich reformiert werden," so Bals. So sollte ein ständig steigender Anteil an Zertifikaten nach dem ökologisch und sozial anspruchsvollen Gold-Standard vorgeschrieben werden.

Nacharbeitsbedarf bei Energieeffizienz

Deutlicher Nacharbeit bedürfe das Handlungspaket zur Energieeffizienz. Sven Harmeling, Referent für Klima und Entwicklung bei Germanwatch, kommentiert: "Um den Energieverbrauch und die Klimabelastung effektiv zu reduzieren, brauchen wir klare politische Vorgaben, die dynamische Energieeffizienzstandards bewirken." Sinnvoll, laut Harmeling, sei z.B. der sogenannte "Toprunner"-Ansatz, bei dem das effizienteste Produkt, etwa der stromsparendste Kühlschrank, zum Standard erhoben wird. Innerhalb einiger Jahre müssen alle Anbieter diesen Energieeffizienz-Standard erreicht haben.

Akzeptabler Vorschlag für Erneuerbare Energien

Erfreulich sei, dass die EU-Kommission jetzt Pläne für das Erreichen des 20% Ziels für Erneuerbare Energien vorlegt, die den Schutz der wirkungsvollen Energieeinspeisegesetze in vielen Ländern gewährleisten. Es ist nun vorgesehen, dass Staaten nur noch dann mit Ökoenergie-Zertifikaten handeln müssen, wenn das Land seine eigene Quote bereits erfüllt hat. Deutschland erhält das Ziel, bis 2020 18 Prozent seiner Primärenergie mit Erneuerbaren Energien zu erfüllen. "Wir brauchen allerdings eine klare Sanktionsmöglichkeit für die Kommission für den Fall, dass die Ziele nicht erreicht werden," so Harmeling.

Agrotreibstoffe

Problematisch wiederum ist die Vorgabe, dass bis 2020 10% des Treibstoffes für den Verkehrssektor aus Agrosprit sein müssen. "Es ist unakzeptabel, dass die EU Agrotreibstoffe akzeptieren will, die nur 35 Prozent Treibhausgas-Reduktion erbringen. Hier besteht Nachbesserungsbedarf," kommentiert Harmeling. "Obwohl Kriterien für eine ökologische Nachhaltigkeit aufgestellt worden sind, bleibt angesichts der absehbaren Konsequenzen für Ernährung und Regenwald fraglich, wie sinnvoll die Erhöhung des Agrospritanteils wirklich ist", sagt Harmeling. Ein wichtiger Schritt nach vorne sei aber, dass die EU-Kommission ankündigte, dass man die Initiative für internationale Abmachungen für ökologische und soziale Kriterien für den Agrosprit setzen wolle. Germanwatch fordert zudem, dass für die Agrotreibstoff-Richtlinie eine Revisionsklausel eingeführt werden solle, entsprechend der von EU-Umweltkommissars Dimas verkündeten Devise: Eher auf dieses Ziel verzichten, als es mit Mitteln zu erreichen, die die Umwelt zerstörten und die weltweite Armut verschärften.

CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS)

Bezüglich der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) sollen nach den Vorschlägen der EU-Kommission die nationalen Regierungen die rechtlichen Regelungen schaffen und Pilotprojekte mit Monitoring durchführen. "Germanwatch fehlt einerseits die klare Aussage, dass ab 2013 nur noch Kohlekraftwerke genehmigt werden, die mit CCS ausgerüstet sind. Außerdem wird nicht deutlich, dass es eine Strategie gibt, diese Technologie in Ländern zu testen, wo - wenn sie sich bewährt - die größte Notwendigkeit für sie besteht, in China und Indien", sagt Bals.

Gesamtbewertung:

Das Gesetzespaket ist das umfassendste Klimaschutzpaket, dass bislang international vorgelegt worden ist. Dennoch bedarf es der Nachbesserung, wenn die EU nicht unter der selbst akzeptierten Messlatte, dem Zweigrad-Limit, durchspringen will.
 

Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:

  • Christoph Bals: bals@germanwatch.org, 0174-3275669
  • Sven Harmeling: harmeling@germanwatch.org, 0228-60492-22