EU-Klimapaket: Germanwatch fordert Turbo für europaweiten Bahnverkehr und Ausrichtung des Gassektors an Klimazielen
Brüssel/Berlin (12. Dez. 2021). Fünf Monate nach der Vorstellung des ersten umfangreichen Teils des Fit-for-55-Pakets will die EU an diesem Dienstag weitere Vorschläge zum Erreichen ihrer neuen Klimaziele für 2030 auf den Tisch legen. „Wir befinden uns in dem Jahrzehnt, in dem wir die Umsetzung des Klimaschutzes stark beschleunigen müssen um die selbst gesetzten Klimaziele auch zu erreichen. Es ist deshalb wichtig, dass die EU-Kommission jetzt nicht das Tempo aus der Erarbeitung von Maßnahmenvorschlägen nimmt", sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.
„Die Kommission kann der neuen Bundesregierung nun entscheidenden Rückenwind für ein schnelleres Vorangehen beim Klimaschutz geben. Die am Dienstag erscheinenden Vorschläge entscheiden wesentlich mit über das Erreichen der Klimaziele in Verkehr und Industrie“, so Bals weiter. Zudem sei es zentral, dass die EU zu einer konstruktiven Einigung bei der umstrittenen Taxonomie kommt, also dem Klassifizierungssystem, das künftig definieren wird, welche Investitionen und Aktivitäten in der EU als nachhaltig einzustufen sind. Wichtig ist, dass Atomkraft und Gas nicht als „nachhaltig“ klassifiziert werden.
EU-Aktionsplan: Bahn muss auch auf längeren Strecken echte Alternative zum Flugzeug werden
Die Kommission will dem Flickenteppich im europäischen Bahnverkehr den Kampf ansagen und damit die klimafreundliche Bahn gegenüber Flugzeug und Auto stärken. Erklärtes Ziel ist die Verdopplung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs bis 2030 und die Verdreifachung bis 2050. Dafür stellt die Kommission einen Aktionsplan zur Förderung des Schienenpersonenverkehrs auf grenzüberschreitenden Fernstrecken („Action Plan to boost long-distance cross-border passenger rail services“) und eine Weiterentwicklung des Schienen-Investitionsplans TEN-V vor.
„Die EU-Kommission muss vor allem beim Aufbau von EU-weiten digitalen Fahrkartenplattformen und bei mehr Fahrgastrechten aktiv werden“, fordert Germanwatch-Verkehrsreferent Jacob Rohm. „Außerdem brauchen wir von der EU mehr Engagement für die Koordinierung internationaler Zugverbindungen zwischen den Mitgliedsstaaten.“ Germanwatch sieht auf EU-Seite zudem Handlungsbedarf insbesondere bei der Absenkung und Angleichung der Schienengebühren.
Drittes Gas-Paket: Klimagerechte Strategie bei Infrastruktur und Wasserstoff gefordert
Oberstes Ziel des Gaspakets muss es aus Sicht von Germanwatch sein, den Übergang zu einem klimaneutralen Energiesystem im Einklang mit dem European Green Deal voranzutreiben. „Die EU-Klima- und Energieziele müssen handlungsleitend für die Regulierung sein“, sagt Andrea Wiesholzer, Energiewende-Referentin bei Germanwatch. „Wir brauchen konkrete Emissionsreduktionsziele für den Gassektor, einen verpflichtenden Klimacheck für die Planung von Gas-Infrastruktur und Grundlagen für den Aufbau einer zielgerichteten Wasserstoff-Infrastruktur.“ Dabei müsse sich die Regulierung eng an den Leitlinien der EU-Wasserstoffstrategie orientieren. Sie sollte vor allem das schnelle Hochfahren von erneuerbarem Wasserstoff unterstützen. Im Fokus sollte die Versorgung der Sektoren stehen, in denen eine Elektrifizierung schwer möglich ist. Es bedarf klarer Regeln und Anreize für die Umwidmung von Erdgasleitungen für den Wasserstofftransport, damit dies nicht als Ausrede für das Fortführen fossiler Geschäftsmodelle benutzt werden kann.
EU-Taxonomie: Kritische Stelle im Hintergrund
Mehrfach wurde die Entscheidung über die Einstufung von Atomenergie und fossilem Erdgas in der EU-Taxonomie vertagt. Die Veröffentlichung des finalen Vorschlags der EU-Kommission zu diesem sehr kontroversen Teil des neuen Klassifizierungssystems soll noch vor Weihnachten erfolgen. Erfreulicherweise hat sich Bundesaußenministerin Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in Frankreich klar gegen die Einordung von Atomkraft als „nachhaltig“ in der EU-Taxonomie geäußert. „Falls Atomenergie und fossiles Gas in die Taxonomie als angeblich grüne Aktivitäten aufgenommen werden, ist es wahrscheinlich, dass viele weitere Milliarden Euro – darunter auch viel Steuergeld - in Infrastruktur für diese klimaschädlichen beziehungsweise risikoreichen Energien fließen werden. Für das internationale Ansehen der EU-Taxonomie, das Herzstück der europäischen Sustainable Finance-Strategie, wäre das ein empfindlicher Schlag“, so Christoph Hoffmann, Referent für klimakompatible Finanzflüsse bei Germanwatch. „Die neue Bundesregierung muss hier sehr zügig zu einer klaren Positionierung finden, wenn sie international glaubwürdig Akzente im Bereich Sustainable Finance setzen will.“