Pressemitteilung | 14.11.2021

Klimaschutz-Sofortprogramm, Kohleausstieg bis 2030, Klimapartnerschaften: Was die COP26 für die nächste Regierung bedeutet

Germanwatch sieht klaren Auftrag aus Glasgow für Koalitionsvertrag
Pressemitteilung

Bonn/Glasgow (14. Nov. 2021). „In Glasgow hat die internationale Gemeinschaft in einer noch vor zwei Jahren undenkbaren Klarheit betont, dass wir weltweit auf den 1,5 Grad-Pfad kommen müssen und dass dafür die nächsten Jahre entscheidend sind“, bilanziert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch die gestrigen Ergebnisse. „Im Abschlussdokument wurde erstmals festgehalten, dass dafür die globalen Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 sinken müssen. Es geht nicht nur um das Bekenntnis zu diesem Ziel, sondern darum, schnell entsprechend zu handeln. Es geht um die Umsetzung in Deutschland und in der EU sowie eine entsprechende Klimaaußenpolitik aus einem Guss. Das ist der Maßstab für die neue Bundesregierung.“

 


Germanwatch-Analyse der Bedeutung der COP26 für die Koalitionsverhandlungen und die nächste Bundesregierung:



o   Im Zentrum der COP26 stand die Umsetzunglücke. Während die eingereichten Langfrist-Klimaziele für Mitte des Jahrhunderts aller Staaten bei voller Umsetzung noch nicht einen Weg zu unter 1,5 Grad, aber zu unter 2 Grad bahnen würden, würde die volle Umsetzung der Ziele für 2030 uns bisher nur auf einen Pfad von etwa 2,4 Grad bringen. Vor 2030 muss daher der Klimaschutz massiv beschleunigt werden, wenn die Temperaturziele in Reichweite geraten sollen.

 

o   Die klaffende Lücke zwischen den gesetzten Zielen und der dafür notwendigen Umsetzung stand bei dieser Klimakonferenz viel mehr im Fokus als zuvor. Mit den Beschlüssen dieser COP sind jetzt alle Länder aufgefordert, jedes Jahr zusätzliche Maßnahmen zur Reduzierung von CO2 zu ergreifen und international zu berichten.

 

o   Für die nächste Bundesregierung bedeutet dies: Sie muss gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein Sofortprogramm auf die Beine stellen, mit dem die Weichen strukturell auf Zielerreichung gestellt werden.

 

o   Erzeugt ein solcher Schnellstart einer ambitionierten Klimaschutz-Umsetzung die notwendige Dynamik, können Deutschland und die EU dann auch 2023 bis 2025 bei den UN ein nachgeschärftes, am 1,5 Grad-Limit orientiertes Klimaziel für 2030 einreichen. So ist es jetzt in Glasgow für alle Staaten gefordert worden. Bereits zur nächsten Klimakonferenz Ende 2022 muss die Bundesregierung sich in die Lage versetzen, überzeugend darlegen zu können, welche Schritte Deutschland und die EU machen werden, um auf den 1,5-Grad-Pfad kommen zu können.



Von dieser COP geht das historische Signal aus, dass weltweit das Kohlezeitalter zu Ende geht – mit der erstmaligen Erwähnung des notwendigen Runterfahrens der Kohleverstromung im Beschlusstext, mit dem Ende der internationalen Kohlefinanzierung und mit den Zusagen von 190 Ländern zum Kohleaussteig. Insbesondere China und Indien verhinderten in letzter Minute, dass gemeinsam der komplette Kohleausstieg gefordert wurde. Es gibt nun aber den eindeutigen internationalen Maßstab: Industrieländer müssen bis 2030 aussteigen - Entwicklungs- und Schwellenländer bis 2040 - um die Pariser Klimaziele zu erreichen.



Für die nächste Bundesregierung heißt das: Der sozialverträgliche Ausstieg aus der Kohleverbrennung muss verbindlich (nicht nur „idealerweise“) bis 2030 abgeschlossen sein.



  Auch das Ende der anderen fossilen Energien Öl und Gas muss beschleunigt werden. Dass der Trend in diese Richtung geht, zeigt sich insbesondere in der Ankündigung von 39 Ländern und Entwicklungsbanken, aus der Finanzierung von Kohle-, Öl- und Gasprojekten im Ausland auszusteigen. Deutschland hat diese Erklärung unterzeichnet, das muss von der neuen Koalition nun zügig umgesetzt werden. Die KfW und Hermes müssen ihre Förderpolitik am 1,5 Grad-Szenario der Internationalen Energieagentur IEA orientieren, die IPEX muss ihre noch für 2022 geplante, erhebliche Gasförderung einstellen.



o   Was im Ausland nicht mehr finanziert wird, sollte auch in der EU nicht als nachhaltig gelten und im eigenen Land nicht mehr unterstützt werden. Die deutschen Subventionen für fossile Energien müssen in dieser Legislaturperiode vollständig abgebaut werden. Auch dieser Punkt wird erstmalig, wenn auch etwas „verschwurbelt“, in einem COP-Beschluss erwähnt



Diese COP hat den Abschied vom Verbrennungsmotor beschleunigt, bei dem Thema hat sich Deutschland blamiert. Deutschland hat nicht den Mut aufgebracht, die entsprechende Erklärung von 24 Staaten und sechs Automobilkonzernen, die ein Ende des Verkaufs von Verbrennungsmotoren bis 2040 bzw. in führenden Märkten bis 2035 beschlossen haben, mitzuzeichnen. Hier zeigt sich, dass die Verkehrspolitik der Großen Koalition meilenweit hinter der anderer Staaten her hinkt. Von den deutschen Konzernen hat sich Daimler dahinter gestellt. Um von der globalen Entwicklung nicht abgehängt zu werden, muss die neue Bundesregierung die Verkehrswende angehen. Dabei muss es um viel mehr als nur das Verbrenner-Aus gehen. Es geht jetzt z.B. auch um Maßnahmen für weniger und kleinere Fahrzeuge. Um auf den 1,5 Grad-Pfad zu kommen, muss das Verbrenner-Aus bereits ab 2030 kommen, so die Analyse der IEA.



Diese COP hat gezeigt: Viele Staaten wollen mehr internationale Kooperation für die Einhaltung des 1,5 Grad-Limits und Steigerung der Klima-Resilienz. Die neue Partnerschaft Deutschlands und weiterer Staaten mit Südafrika ist ein Präzedenzfall, wie eine ambitionierte Kooperation zu Kohleausstieg, massivem Ausbau der Erneuerbaren und sozial-ökonomischer Perspektive mit einem bislang von Kohle abhängigen Schwellenland organisiert werden kann. So kann ambitionierte Klimaaußenpolitik aus einem Guss zur Einhaltung der Pariser Klimaziele beitragen. Wir brauchen viel mehr solcher Partnerschaften und deshalb einen Neustart der deutschen Klimaaußenpolitik.



o   Südafrika hat sich neue Klimaziele für 2030 im Einklang mit den Pariser Klimazielen gesetzt und will den Umstieg von Kohle auf Erneuerbare Energien massiv beschleunigen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die USA und die EU mobilisieren dafür in den nächsten Jahren 8,5 Milliarden Dollar. Solche Partnerschaften mit wichtigen Schwellenländern können ein wichtiger Schritt sein, um Widerstände, wie sie in Glasgow sichtbar waren, abzubauen.



o   Die nächste Bundesregierung muss die Klimaaußenpolitik zu einem politischen Schwerpunkt machen. Das erfordert eine kohärente gemeinsame Klimaaußenpolitik-Strategie, eine bessere Ausstattung mit Personal und Finanzmitteln für die entsprechenden Teams im Außen-, Entwicklungs- und Umweltministerium und in der EU.



o   Die Klimaclub-Initiative von Olaf Scholz – inzwischen spricht die Bundesregierung von Klimaallianz - muss als kooperatives und integratives Konzept ausgestaltet werden, das Ambitionssteigerung, faire Teilnahme und Wettbewerbsschutz für Vorreiter kombiniert. Der CO2-Grenzausgleich der EU sollte vorangetrieben werden, aber mit einem klaren Kooperationsangebot an Nicht-EU-Länder. Kooperationen, wie die mit Südafrika, können künftig so ausgestaltet werden, dass sie den Partnerändern bei ausreichender Ambition den Weg in die Klimaallianz bahnen.



o   Mit China und Indien muss die deutsche Bundesregierung und die EU den intensiven Dialog führen - mit Druck und Kooperationsangeboten. Wenn diese Länder nicht deutlich verbesserte Ziele für 2030 einreichen und umsetzen, wird das 1,5 Grad-Limit außer Reichweite bleiben. Immerhin kann die gemeinsame Erklärung der USA mit China so gelesen werden, dass China im kommenden Jahr ein verschärftes Ziel einreichen könnte. Eine wirkliche Umsetzungsstrategie für die Ankündigung des indischen Regierungschefs Modi, bis 2030 die Hälfte der Stromversorgung in Indien auf Erneuerbare Energien umstellen zu wollen, könnte zudem ein wichtiger Startpunkt für ein neues Klimaziel in Indien sein.



o   Artikel 6 darf nicht für die Umsetzung der Ziele (65 Prozent Emissionsreduktion bis 2030 in Deutschland, 55 Prozent in der EU), sondern nur für darüber hinaus gehende, zusätzliche Ziele eingesetzt werden. Leider sind in Glasgow einige Schlupflöcher geblieben. Über zusätzliche Regeln welche Zertifikate anerkannt werden sollen, sollte die EU sicherstellen, dass wirklich zusätzlicher Klimaschutz finanziert wird. Dafür muss sich Deutschland stark machen.



Bei dieser COP ist deutlich geworden: Wir müssen die internationale Klimafinanzierung in ganz anderen Dimensionen neu denken. Die verletzlichsten Länder erwarten deutlich mehr Unterstützung beim Umgang mit den nicht mehr vermeidbaren Folgen der Klimakrise. Und die armen Ländern brauchen außerdem Investitionen, um die erforderliche schnelle Klimawende zu finanzieren. Nur wenn das gelingt, wird auch die erforderliche globale Einigung auf mehr Klimaschutz gelingen.

Spätestens ab 2025 brauchen wir ein neues Paradigma der Klimafinanzierung – und die neue Bundesregierung muss dieses während ihrer G7-Präsidentschaft 2022 vorbereiten: ein Vielfaches an Geld, mehr beitragende Akteure, neue Finanzierungsinstrumente, eine Kombination mit Entschuldung.