Meldung | 26.10.1999

Das Kyoto-Protokoll: Ohne Alternative und voller Risiken

Vorbereitungspapier zur COP 5 im Jahr 1999

In diesem Briefing Paper erläutert GERMANWATCH wichtige aktuelle Punkte der internationalen Klimaverhandlungen. Darüberhinaus wird dargestellt, welche Forderungen im Sinne des Klimaschutzes und der nachhaltigen (d.h. vor allem auch sozial nachhaltigen) Entwicklung der Länder des Südens zu erheben sind. Die Forderungen richten sich in erster Linie an den bevorstehenden 5. UN-Klimagipfel (COP5) in Bonn (Oktober 1999).

 

Einführung Lohnt sich denn der ganze Klimamarathon von Rio über Kyoto bis Bonn?
Zwischenstand Welche Ergebnisse wurden in Buenos Aires zur Ausgestaltung des Kyoto-Protokolls erzielt und was folgt daraus für die anstehenden Verhandlungen?
Kyoto-Mechanismen Wie können Reduktionsverpflichtungen im Ausland erfüllt werden? Was sind die Neuerungen seit COP4?
Demonstrable Progress (nachweisbarer Fortschritt) Welchen Nachweis über Fortschritte soll es schon vor der ersten Verpflichtungsperiode geben?
Non-Compliance-Mechanismus
(Mechanismus zur Erfüllungskontrolle)
Wie kann die Einhaltung der Verpflichtungen gewährleistet werden?
Einbeziehung der Entwicklungsländer Inwieweit und wann wird es zusätzliche Verpflichtungen für Entwicklungsländer geben?
Flugverkehr Wie beurteilt die Wissenschaft den Einfluß des Flugverkehrs auf das Klima? Was bedeutet dies für die Verhandlungen?

 


Einführung Lohnt sich denn der ganze Klimamarathon von Rio über Kyoto bis Bonn?


Um was geht es eigentlich beim Klimagipfel in Bonn?

Bei all den Details, um die weit mehr als 100 Staaten im Bonner Hotel Maritim ringen und angesichts der immer technischer werdenden Verhandlungssprache muß man auch die Delegierten von Zeit zu Zeit daran erinnern, was auf dem Spiel steht. Bilder in den TV-Nachrichten der letzten Tage erinnern daran: Kinder, die von Wassermassen mitgerissen werden, Soldaten, die in letzter Minute Menschen vor dem Ertrinken retten: Die Bilder des Oktober 1999 gleichen denen vom Herbst 1998. Knapp ein Jahr nach dem verheerenden Hurrikan Mitch durchleben hunderttausende Mittelamerikaner erneut eine Hochwasserkatastrophe ungewöhnlichen Ausmaßes. Aus Guatemala, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama werden nach wochenlangen Regenfällen hunderte Tote, Verletzte und Vermißte gemeldet. Hunderttausende verloren zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten ihr gesamtes Hab und Gut.

Natürlich kann man nie eine einzelne Wetterkatastrophe mit der globalen Klimaerwärmung in Verbindung bringen. Zum guten Teil ist dies ein statistisches Problem. Stellen sie sich ein Roulette-Spiel vor. Sie erhalten den Tip, daß die schwarzen Felder mit Magneten manipuliert wurden. Und tatsächlich: von den nächsten 20 Würfen fallen 17 auf Schwarz. Aber auch wenn beim 21. Wurf zum 18ten Mal die Kugel auf Schwarz liegen bleibt, ist dies kein Beweis, daß die Kugel diesmal wegen der vermuteten Manipulation auf Schwarz fiel. Sie hätte ja in diesem Fall auch rein zufällig auf Schwarz fallen können. Und es lassen sich sicherlich sogar aus irgendeiner Spielbank Berichte vorweisen, daß schon einmal eine solche merkwürdige Serie aufgetreten ist, und zwar ohne daß die schwarzen Felder manipuliert wurden. Also ist sogar die Serie auch noch kein Beweis, daß tatsächlich manipuliert wurde. Alles richtig. Aber wer würde in einer solchen Situation noch darauf setzen, daß die schwarzen Felder nicht manipuliert wurden, zumal wenn dabei die Existenz ungezählter Menschen auf dem Spiel steht?

Das internationale Wissenschaftlergremium mit der weltweit höchsten Autoritat zu Klimafragen, der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), hat bereits 1995 gesagt: "Die Abwägung der Erkenntnisse legt einen erkennbaren menschlichen Einfluß auf das globale Klima nahe". Die 14 weltweit wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen im Jahr 1866 traten alle seit 1980 auf. Das Jahr 1998 war global das heißeste Jahr seit Temperaturmessung. Zugleich war es das Jahr mit den meisten Wetterkatastrophen: der Hurrikan Mitch, die Dürren in Afrika, Asien und Südamerika, die darauffolgenden Wandbrände in Indonesien und Brasilien, die gewaltigen Überschwemmungen in China und Bangladesch. Inzwischen, darauf wies in diesem Jahr das Internationale Rote Kreuz hin, gibt es auf diesem Globus mehr Umweltflüchtlinge als Kriegsflüchtlinge. Viele befürchten, daß dies erst der Beginn eines Trends ist. So warnt der weltweit größte Rückversicherer Münchener Rück: Der vom Menschen verursachte zusätzliche Treibhauseffekt könne "nach heutiger Einschätzung zu einem Temperaturanstieg um mehrere Grad innerhalb des nächsten Jahrhunderts führen und damit zu einer weiteren Zunahme extremer Wetterereignisse".

Am 25. Oktober 1999 beginnen in Bonn die UN-Klimaverhandlungen, der 5. UN-Klimagipfel (COP5). Das Ziel dieses Gipfels klingt bescheiden: Am Ende hoffen die Vertragsparteien, einen Verhandlungstext für den nächsten Klimagipfel in Händen zu halten. Wahrscheinlicher ist, daß sie dem Vorsitz den Auftrag erteilen, auf Grundlage der Verhandlungsergebnisse einen solchen Text vorzulegen. Erst beim nächsten Klimagipfel in Den Haag (COP6) soll der Text dann verabschiedet werden. Dies bildet die Grundlage für die nächste Etappe des Klima-Marathons: Eine hoffentlich schnelle Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch die Industrieländer und damit ein Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls. Der Fortschritt ist eine Schnecke.

Eine deutliche Vorreiterrolle der EU in der Umsetzung des Klimaschutzes könnte Schwung in den "Verhandlungszirkus" bringen. Es geht darum, den Nachweis zu führen, daß Klimaschutz ohne größere sozio-ökonomische Nachteile möglich ist. Dieser Nachweis könnte Treibstoff für den Verhandlungsprozeß sein. Manche gehen sogar soweit, sich ganz auf die nationale Umsetzung von Klimaschutz zu konzentrieren und meinen, auf den "Verhandlungszirkus" könne verzichtet werden.

Eine solche Position zeugt von Unkenntnis der politischen Dynamik. Vorreiterrollen wird es nur begrenzt geben, wenn nicht ein internationales Abkommen sicherstellt, daß die anderen dem Vorreiter nachfolgen. Nur in diesem Fall hat der Vorreiter auch dauerhaft ökonomische Trümpfe in der Hand - er kann nun die von ihm neu entwickelten Technologien exportieren. Ja, mehr noch: fast alle Klimaschutzprogramme in Industriestaaten wurden im Kielwasser der großen Verhandlungsrunden parlamentarisch auf den Weg gebracht oder durchgesetzt. So wird sich in der Woche nach dem Klimagipfel in Bonn der Deutsche Bundestag erstmals in dieser Legislaturperiode ernsthaft mit dem Klimaschutz beschäftigen. Dynamische internationale Verhandlungen bringen Schwung in nationale Umsetzungskonzepte. Beherzte Klimaschutzpolitik zuhause beschleunigt den Verhandlungsprozeß. Wir brauchen beides. Klimaschutz zuhause und Klimaschutz international.

Wenn das Kyoto-Protokoll in Kraft tritt, heißt das, daß die Industriestaaten im Durchschnitt ihre Treibhausgasemissionen bis zum Zeitraum 2008-2012 um 5 %, Deutschland gar um 21 %, gegenüber 1990 verringern müssen (siehe Kasten "Die Beschlüsse von Kyoto", im nächsten Abschnitt). Das ist nur ein erster Schritt. Aber ohne Protokoll wäre mit einem Anstieg der Emissionen um 25 % in den Industrieländern zu rechnen. Im Vergleich dazu bedeutet das Kyoto-Protokoll viel. Es bedeutet den Beginn des Ausstiegs aus dem fossilen Zeitalter. Die Schnecke hätte einen Elefanten geboren.

Richtig ist, daß das Kyoto-Protokoll nach der Klimarahmenkonvention von 1992 nur ein zweiter Schritt auf einem Klima-Marathon ist, dem in den kommenden Jahrzehnten viele weitere Etappen folgen müssen. Spätestens bis Ende des nächsten Jahrhunderts sollten die globalen CO2-Emissionen um etwa 60 % reduziert werden. Für Industrieländer mit ihrem hohen Treibhausgasausstoß bedeutete das gar eine Reduktion um 80 %. Dazu bedarf es noch sowohl vieler Klimagipfel als auch nationaler Umsetzungsprogramme.

Wie groß werden die Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll?

Der zurückliegende Klimagipfel in Buenos Aires (COP4, 2.-14. November 1998) erbrachte kaum Fortschritte. Das wichtigste Ergebnis von COP4, der Aktionsplan von Buenos Aires, legt fest, welche Arbeiten in den nächsten Jahren angegangen und wann sie erledigt werden sollen. Solche Terminfestsetzungen sind in internationalen Verhandlungen immer ein wichtiger Zwischenschritt. So sollen bis zum 6. Klimagipfel in Den Haag Ende 2000 / Anfang 2001 die offenen Fragen zu den Kyoto-Mechanismen geklärt sein. Dabei ist besondere Aufmerksamkeit auf die Schwachstellen - oft auch als "Schlupflöcher" bezeichnet - zu richten: Denn das Protokoll ermöglicht derzeit noch einige "Tricks", mit denen auf dem Papier Emissionsreduktionen nachgewiesen werden können, obwohl die Atmosphäre nicht um eine einzige Tonne Treibhausgas entlastet wird. Zudem sind nicht alle Treibhausgasquellen der Industriestaaten mit Reduktionspflichten versehen worden. Die Risiken des Kyoto-Protokolls stehen vor allem in Zusammenhang mit:

  • dem Handel mit "Hot Air" und "Tropical Air". So bezeichnet man eine spezielle Variante des Handels mit Emissionskontingenten (Emissions Trading), bei der solche Emissionen gehandelt werden, die nicht vorher durch konkrete Maßnahmen eingespart wurden. Vielmehr werden hier Kontingente gehandelt, die - ohne jegliche Klimaschutzmaßnahme - durch ein unrealistisch niedriges Emissionsziel (im Fall von Rußland ist es ein Stabilisierungsziel) für einige Länder zustandegekommen sind (näheres siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen").
  • den im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) durchgeführten Projekten in Entwicklungsländern, die dazu führen, daß die Industrieländer zu Hause mehr Treibhausgase emittieren dürfen, als in Kyoto festgelegt wurde (näheres siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen"). Denn sie dürfen sich die im Ausland erzielten Treibhausgasverringerrungen vom nationalen Reduktions- oder Begrenzungsziel abziehen. Dies ist in Ordnung, solange auf diesem Weg tatsächlich Vorreitertechnologien in Entwicklungsländer exportiert werden. Bei der Frage, wieviel Treibhausgas-Reduktionen wegen eines Projektes zertifiziert werden, ist man allerdings auf ein Referenzszenario angewiesen: Wie wäre die Entwicklung ohne dieses zusätzliche Projekt verlaufen? Im schlimmsten Fall könnten fast alle Exporte im Energiebereich - selbst neue Kohlekraftwerke - zu Klimaschutz-Zertifikaten führen, etwa mit dem Argument, daß sie weniger CO2 ausstoßen als alte Kraftwerke. So könnten die ohnehin getätigten Exporte ohne irgendeinen zusätzlichen Klimanutzen zu einer erheblichen Reduktion der in Kyoto für die Industrieländer ausgehandelten Ziele führen (näheres siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen").
  • der methodisch sehr ungesicherten Anrechnung von Wäldern als CO2-Senken, bei deren Verankerung im Protokoll sogar noch ein Anreiz zum Abholzen von Urwäldern geschaffen werden könnte, wenn diese durch schnellwachsende Plantagen ersetzt werden. Ganz unklar und etwa temperaturabhängig ist, wieviel CO2 ein Wald tatsächlich binden kann. Wegen dieser Unsicherheiten wurde der IPCC auf den Klimaverhandlungen im Juni 1998 um die Erstellung eines Special Report gebeten. Erst nach Fertigstellung dieses Berichts (unter dem Titel "Land Use, Land Use Change and Forestry", voraussichtlich im Mai 2000) soll eine Entscheidung fallen, inwieweit und mit welcher Methodologie Senken einbezogen werden.
  • dem internationalen Flugverkehr, im Kyoto-Protokoll überhaupt nicht reguliert wurde. Dabei ist der Flugverkehr das große kommende und am meisten vernachlässigte Klimaproblem. Wegen seines starken Wachstums ist damit zu rechnen, daß der Flugverkehr die Hälfte der Treibhausgase, die durch das Kyoto-Abkommen verringert werden, kompensiert. Bis Mitte des nächsten Jahrhunderts könnte er in etwa soviele Treibhausgase ausstoßen, wie dann die Menschheit überhaupt ausstoßen darf, wenn sie das Klimasystem nicht verändern will. Hier ist offensichtlich großer Handlungsbedarf gegeben (siehe Abschnitt "Flugverkehr").

Ein weiterer, noch vollständig auszugestaltender und ganz allgemein für die Wirksamkeit des Protokolls bedeutsamer Punkt ist die Schaffung eines Mechanismus, der Hilfen und Sanktionen für den Fall vorsieht, daß ein Land seine Klimaschutzziele nicht erreicht. COP4 erbrachte den Beschluß, eine gemeinsame Arbeitsgruppe der beiden Nebenorgane der Konvention (SBSTA und SBI) zu errichten, mit dem Ziel, daß möglichst bis COP6 ein Beschluß zu diesem Mechanismus gefaßt werden kann (siehe Abschnitt "Non-Compliance-Mechanismus").

Erste Anzeichen für eine ökonomische Klimaschutz-Dynamik

Angesichts des langsamen Fortschritts der Klimaverhandlungen verfallen manche in Kleinmut. Hoffnungszeichen kommen da von unerwarteter Seite: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den menschgemachten Treibhauseffekt, das Abwägen der ökonomischen Chancen und Risiken von Klimaschutz und die zunehmende öffentliche Diskussion haben in der Wirtschaft bedeutende Entwicklungen angestoßen. Denn mit den Beschlüssen von Kyoto hat die internationale Staatengemeinschaft ein unüberhörbares Signal an die gesamte Wirtschaft ausgesandt und den Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters eingeläutet.

Zum Teil ist die Klimaschutzdynamik heute im ökonomischen Bereich größer als im politischen. Aus der Wirtschaft formierten sich mit dem US Business Council for Sustainable Energy und dem European Business Council for a Sustainable Energy Future (e5) bereits 1992 bzw. 1996 zwei Zusammenschlüsse von Unternehmen, die stärkere Klimaschutzmaßnahmen einfordern und stetigen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Auch aus den Reihen der Versicherungswirtschaft haben sich inzwischen mehr als 70 Versicherer weltweit zusammengeschlossen, um in der UNEP-Initiative der Versicherer dem Klimawandel zu begegnen.

Und mittlerweile orientieren sich selbst Mineralölkonzerne wie British Petroleum Amoco (BP Amoco), Elf Aquitaine und Shell schrittweise um. Ihr Austritt hat die Anti-Klimaschutz-Lobby Global Climate Coalition geschwächt. (Um so bedauerlicher, daß Daimler durch die Verschmelzung mit Chrysler Mitglied in diesem Schmuddelverein geworden ist). In den USA verkündeten im Jahr 1998 mehr als 20 große Unternehmen gemeinsam mit dem Pew Center, das der globale Klimawandel real und das Kyoto-Protokoll ein erster, wenn auch noch unzureichender Schritt sei. In der Investitionsbranche liegen die ersten Klimaschutzindikatoren für Unternehmen auf dem Tisch. Intelligente Politik stützt solche dynamischen Prozesse durch entsprechende Rahmensetzung. Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Tatsache, daß im Jahr 1998 erstmals seit 1982 der Weltenergieverbrauch und CO2-Ausstoß abnahm, auch Ausdruck einer solchen Dynamik ist. Zumindest läßt aufmerken, daß in den USA trotz starken Wirtschaftswachstums (3,9 %) der CO2-Ausstoß weitgehend stabil blieb und daß er in China bei einem (angegebenen) Wirtschaftswachstum von mehr als 7 % sogar um 4 % fiel.

Zwischenstand Welche Ergebnisse wurden in Buenos Aires zur Ausgestaltung des Kyoto-Protokolls erzielt und was folgt daraus für die anstehenden Verhandlungen?

Ein zentrales Ergebnis des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992 war die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention (Framework Convention on Climate Change, FCCC) durch über 150 Länder. Der Klimagipfel 1995 in Berlin, d. h. die erste Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP) der Klimarahmenkonvention, beschloß dann die Erarbeitung eines Zusatzprotokolls mit konkreten Verpflichtungen für Industrieländer ("Berliner Mandat"). Dieses Protokoll wurde Ende 1997 in Kyoto auf der COP3 verabschiedet - nicht zuletzt dank des Geschicks von Verhandlungsführer Estrada. Es sieht u. a. vor, den jährlichen Treibhausgas-Ausstoß der Industrieländer bis zum Zeitraum von 2008-2012 um durchschnittlich 5,2 % gegenüber 1990 zu reduzieren (näheres siehe folgender Kasten).
 

Die Beschlüsse von Kyoto

Auf der UN-Klimakonferenz, die im Dezember 1997 in Kyoto stattfand, wurden u.a. folgende Beschlüsse gefaßt:

  • Reduktionsziele: Die Industriestaaten sollen insgesamt den Ausstoß von sechs klimaschädlichen Gasen bis zur Zielperiode 2008-2012 um 5,2 % gegenüber 1990 verringern, aber in unterschiedlichem Maße: etwa die EU und einige andere europäische Länder um 8 %, die USA um 7 %, Japan um 6 %, Rußland um 0 %. Einige Industrieländer (Norwegen, Island, Australien) dürfen ihre Emissionen sogar noch steigern.
  • Entwicklungsländer: Diese werden von der Reduktionsverpflichtung - zumindest in der ersten Zielperiode - ausgenommen. Über den sogenannten Clean Development Mechanism sollen jedoch Einzelprojekte gefördert werden, die sowohl dem Klimaschutz als auch der Entwicklung dieser Länder dienen.
  • Treibhausgase: Neben Kohlendioxid (CO2), Methan und Distickstoffoxid, die zusammen für 70-80 % des Treibhauseffekts verantwortlich sind, wurden v. a. auf Betreiben der USA Schwefelhexafluorid und zwei weitere Gasgruppen einbezogen: teilhalogenierte und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (zusammen für ca. 2 % des Treibhauseffekts verantwortlich). [Die restlichen Gase wurden wegen ihres Ozonzerstörungspotentials bereits über das Montrealer Protokoll geregelt.]
  • Flexibilität: Zu einem bestimmten Anteil können Reduktionsverpflichtungen auch im Ausland erfüllt werden. Dies kann zum einen im Rahmen von Projekten in anderen Industriestaaten (Joint Implementation) oder in Entwicklungsländern (Clean Development Mechanism) erfolgen. Zum anderen können Industriestaaten untereinander mit Emissionskontingenten Handel treiben (Emissions Trading). [Die vierte Vertragsstaatenkonferenz beschloß mit dem Aktionsplan von Buenos Aires, Einzelheiten hierzu im weiteren Verhandlungsprozeß bis zur sechsten Vertragsstaatenkonferenz festzulegen.]
  • Inkrafttreten: Das Protokoll tritt in Kraft, wenn es von mindestens 55 Staaten ratifiziert worden ist und dadurch gleichzeitig mindestens 55 % der 1990 von Industrieländern ausgestoßenen CO2-Emissionen abgedeckt sind. Damit ist nicht vor dem Jahr 2001 zu rechnen.

Die Vertragsstaaten hatten sich in Artikel 2 der Konvention dazu verpflichtet, die atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen auf einem ungefährlichen Niveau zu stabilisieren und somit Schaden von Mensch, Landwirtschaft und Ökosystemen abzuhalten. Das Kyoto-Protokoll kann hierzu nur ein erster Schritt sein. Daß dafür sehr viel weitergehende Reduktionsziele nötig gewesen wären, hätten sie aus dem 2. Bericht des unabhängigen internationalen Wissenschaftlergremiums IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) herauslesen können. Diesen hatten auch die Vertragsstaaten als "derzeit umfassendste und maßgebliche Bewertung der Wissenschaft" bezeichnet.

Wenngleich das Protokoll also noch viel zu schwache Reduktionsverpflichtungen enthält, die zudem für einen sehr späten Zeitraum (2008-2012) vorgesehen sind, so weist es doch in die richtige Richtung. Immerhin konnte man in Kyoto davon ausgehen, daß - wenn die Staaten ihre Emissionsziele erfüllen - wegen des sonst anzunehmenden Wachstums die Emissionen der Industrieländer im Jahre 2012 um etwa 30 % niedriger liegen werden, als es ohne ein Umsteuern der Fall wäre; und daß in den Industrieländern die Treibhausgasemissionen in der Folge nicht mehr steigen, sondern fallen.

Das Protokoll tritt allerdings erst in Kraft, wenn es von mindestens 55 Staaten ratifiziert worden ist und dadurch gleichzeitig mindestens 55 % der 1990 von Industrieländern ausgestoßenen CO2-Emissionen abgedeckt sind. Diese gehen zu rund 34 Prozentpunkten auf das Konto der USA. Die USA haben deswegen eine Schlüsselposition für das Inkrafttreten des Protokolls inne, machen ihre Ratifizierung jedoch u. a. von der Bedingung abhängig, daß die Entwicklungsländer, zumindest zentrale Schwellenländer "aussagekräftige Verpflichtungen" übernehmen. Diese Forderung nach Meaningful Participation von zentralen Entwicklungsländern birgt ein nicht unerhebliches Konfliktpotential für das Verhältnis zwischen Nord und Süd und könnte zu einem Scheitern des gesamten Prozesses führen (näheres siehe Abschnitt "Einbeziehung der Entwicklungsländer").

Viele Länder wollen erst dann ratifizieren, wenn die noch offenen Punkte im Kyoto-Protokoll festgelegt sind (84 Vertragsstaaten haben das Protokoll unterzeichnet, fünfzehn Staaten - darunter keine Industrienation - haben es bislang ratifiziert). Zu vielen Punkten, die für die Wirksamkeit des Protokolls entscheidend sind, konnten in Kyoto nur sehr unkonkrete Beschlüsse gefaßt werde.

Beim Kyoto-Protokoll ist jedoch nicht allein entscheidend, ob es in Kraft tritt. Mindestens ebenso bedeutend ist, daß neue Etappen des Klima-Marathons eingeläutet werden, bis Verpflichtungen schließlich angemessen sind, um dem Klimawandel zu begegnen. So sieht Art. 4.2 der Konvention vor, diese Angemessenheit der Verpflichtungen regelmaessig zu pruefen. Zuletzt sollte dies eigentlich bis zum 31.12.98 geschehen sein - COP4 erzielte hierbei jedoch keine Ergebnisse. Der Bonner Klimagipfel (COP5) soll sich jetzt dazu äußern. Hiermit könnte der Prozeß für schärfere Reduktionsziele der Industrieländer in der nächsten Verpflichtungsperiode (Commitment Period) eingeleitet werden. Diese 2. Verpflichtungsperiode ist nach Auffassung von GERMANWATCH direkt an die erste anzuschließen, soll also die Jahre 2013-2017 umfassen.

Kyoto-Mechanismen Wie können Reduktionsverpflichtungen im Ausland erfüllt werden? Was sind die Neuerungen seit COP4?


Emissions Trading, "Joint Implementation" und Clean Development Mechanism

Das Kyoto-Protokoll gibt den Vertragsstaaten verschiedene Möglichkeiten, Emissionen auch in anderen Ländern zu reduzieren, wenn dies dort kostengünstiger ist. Die Staaten erhalten hierdurch mehr Flexibilität (Flexibility) beim Erreichen ihres Emissionsziels. Bis zu COP4 wurden diese Instrumente deshalb als Flexible Mechanismen ("Flex Mex") bezeichnet, seit COP4 heißen sie auf Vorschlag der Entwicklungsländer nun Kyoto-Mechanismen.

Das Protokoll gibt den Vertragsstaaten hierzu folgende Verfahren an die Hand (siehe auch Tab. 1):

  • Emissions Trading (Emissionshandel) ist ein zwiespältiges Konzept. Einerseits ist es in der Theorie ein sehr effizientes Instrument, um Klimaziele zu erreichen. Andererseits erlaubt es reichen Staaten, statt die eigene Art des Wirtschaftens und den Lebensstil zu ändern, Klimaschutzmaßnahmen in anderen Ländern durchzuführen. Deswegen hatten viele NRO - auch GERMANWATCH - lange Zeit grundsätzliche Bedenken gegen dieses Konzept. In Kyoto wurde nun beschlossen, daß Staaten, die Reduktionsverpflichtungen eingegangen sind, im Rahmen eines Emissions Trading untereinander mit Emissionskontingenten handeln können. Wenn ein solcher Staat in der Periode 2008-2012 weniger Treibhausgase emittiert als ihm zugestanden wurde, kann er die entsprechenden Emissions-Kontingente an andere Staaten verkaufen, die ihre Emissionsziele nicht erreichen (diese Kontingente werden im Verhandlungsjargon Assigned Amount Units, AAU, genannt). Die gehandelten AAUs sind folglich nicht an tatsächliche Maßnahmen zur Emissionsreduzierung gekoppelt (s. u.). Wahrscheinlich wird demnächst entschieden, daß das Recht zu solchem Handel auch an private Akteure delegiert werden kann. Dieses in Artikel 17 des Protokolls behandelte Verfahren ist nur zwischen Industrieländern zugelassen, d. h. zwischen den im Anhang B des Protokolls aufgeführten Staaten.
  • Joint Implementation und Clean Development Mechanism: Ein Industrieland - oder ein Akteur aus diesem Land - kann in einem anderen Staat Klimaschutzprojekte durchführen und sich die hierdurch eingesparten Emissionskontingente für sein eigenes Emissionsziel gutschreiben lassen. Im Gegensatz zu Emissions Trading sind diese Kontingente folglich an tatsächliche Maßnahmen zur Emissionsreduzierung gekoppelt. Wird das Projekt in einem anderen Industrieland (d. h. einem Land mit Reduktionsverpflichtungen) durchgeführt, spricht man von "Joint Implementation" (JI; dieser Begriff taucht jedoch in Artikel 6, wo das Verfahren geregelt wird, nicht auf). Das Durchführen von entsprechenden Projekten in Entwicklungsländern hingegen findet im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) statt (Artikel 12), für den andere Bestimmungen gelten (s.u.). Die anrechenbaren Emissionskontingente bezeichnet man bei JI als Emissions Reductions Units (ERU), beim CDM als Certified Emissions Reductions (CER) (siehe Tab. 1).

Die Kyoto-Mechanismen können einerseits ein ökonomisch effizientes und ökologisch effektives Instrument sein, um kostengünstig Klimaschutzziele zu erreichen. Zukunftsweisende Technologien und Konzepte wie Kraft-Wärme-Kopplung und Erneuerbare Energien können durch JI und CDM in vielen Fällen eingesetzt werden, wenn sie ohne diese Unterstützung knapp unterhalb der Rentabilitätsgrenze liegen würden. Die Kyoto-Mechanismen bergen andererseits - je nach Ausgestaltung - einige ernsthafte Gefahren, die in den folgenden Abschnitten angesprochen werden. Es gibt Akteure, die diese Instrumente sofort benutzen wollen, ohne daß die entsprechenden Richtlinien im Detail ausgearbeitet sind. Durch ihren Übereifer drohen sie die Seriosität dieser Mechanismen zu zerstören. Andere Akteure wollen die Mechanismen gar so ausgestalten, daß Treibhausgasreduktionen lediglich auf dem Papier, aber nicht in der Realität durchgeführt werden.

Tabelle 1: Die Kyoto-Mechanismen und ihre Probleme
 

Mechanismus Artikel (Kyoto-Protokoll) Bezeichung der transferierten Emissionskontingente Beginn (Jahr) Herkunft der Emissionskontingente Handelspartner Problempunkte
Emissions Trading (ET) 17 Assigned Amount Units (AAU) 2008 (1) Anteile der in Kyoto zugebilligten Emissionsmenge Annex-B-Staat an Annex-B-Staat - Hot Air
- Tropical Air
- Liability-Frage
Joint 
Implementation (JI)
6 Emission Reduction Units (ERU) 2008 Durch zertifizierte Projekte eingesparte Emissionen Annex-I-Staat an Annex-I-Staat (2) - Ansetzen zu hoher Baselines
- Senken-Frage
- Transfer der zweitbesten Technologien
- Proliferationsrisiko bei Transfer von Kernkraftwerken
Clean Development Mechanism (CDM) 12 Certified Emission Reductions (CER) evtl. schon 2000 Durch zertifizierte Projekte eingesparte Emissionen Nicht-Annex-I-Staat an Annex-I-Staat (2) - Öffnen der "Industrieländer-Bubble"
- Alle oben unter JI aufgeführten Probleme, hier jedoch in verschärfter Form

(1) Der Handel kann zwar schon vorher beginnen, bezieht sich jedoch nur auf solche Emissionen, die zwischen 2008 und 2012 eingespart werden; (2) Im Gegensatz zu Emissions Trading verweist das Kyoto-Protokoll hier nicht auf seinen eigenen Anhang, sondern auf den Anhang I der Klimarahmenkonvention.

Emissions Trading und Hot Air

Manche Industrieländer haben sich auf der Kyoto-Konferenz ein unrealistisch niedriges Emissionsziel erkämpft - oder besser: ertrotzt. So muß z. B. Rußland seine Emissionen nicht reduzieren, wird jedoch auch ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen (d. h. bei einem "Business-as-usual-Szenario") im Jahr 2010 voraussichtlich mindestens 20 % unter dem Niveau von 1990 liegen. Dies liegt vor allem am Zusammenbruch großer Teile seiner Wirtschaft in den 90er Jahren sowie an der aktuellen Wirtschaftskrise und gilt in ähnlichem Maß für die meisten mittel- und osteuropäischen Länder, die sich im Übergang zur Marktwirtschaft befinden (Countries in Transition). Diesen Staaten werden folglich große Emissionskontingente, die in diesem Fall als "Hot Air" bezeichnet werden, zum Verkauf zur Verfügung stehen, ohne daß sie dafür irgendwelche zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen ergreifen müssen.

Anzumerken ist hier, daß die im Kyoto-Protokoll festgelegte 5,2 %-Reduktion bereits enthält, daß Rußland und andere ehemalige Zentralverwaltungswirtschaften ihre "Hot Air" veräußern. Eine Lösung, die den Handel der Hot Air ausschließt, würde die durch das Kyoto-Protokoll festgeschriebene Emissionsreduktion auf bis zu zehn Prozent verschärfen.

Eine ähnliche Situation wie bei der "Hot Air" könnte entstehen, sobald sich - worauf derzeit v.a. die USA drängen - auch Entwicklungs- und Schwellenländer am Emissions Trading beteiligen können, nachdem sie auf freiwilliger Basis rechtlich verbindliche Emissionsziele akzeptiert haben. Hier besteht ebenfalls die Gefahr, daß ihnen Emissionsmengen zugestanden werden, die weit über einem realistischen Business-as-usual-Szenario liegen. Damit würde auch hier die Möglichkeit geschaffen, große Kontingente von lediglich "virtuell eingesparten Emissionen" (in diesem Zusammenhang als "Tropical Air" bezeichnet) zu verkaufen. Diesen Nachteil gilt es jedoch mit einem Vorteil abzuwägen: es könnten so mehr Staaten in den Prozeß der Emissionsverpflichtungen eingebunden werden.

Die USA beispielsweise haben großes Interesse am Ankauf solcher "Hot Air" bzw. "Tropical Air", weil sie dann im eigenen Land weniger Maßnahmen umsetzen müßten. Aber auch in der EU wächst das Interesse. Dem Klimaschutz ist damit nicht gedient: die Kontingente wurden nicht durch reelle Klimaschutzmaßnahmen eingespart, erlauben dem Käuferland jedoch tatsächlich, mehr Treibhausgase auszustoßen.

GERMANWATCH fordert:

  • Für den Emissionshandel über die Kyoto-Mechanismen sollte eine Obergrenze (Cap oder Ceiling) gelten, um zu gewährleisten, daß Reduktionsverpflichtungen zu einem wesentlichen Teil auch zu Hause erfüllt werden. GERMANWATCH hält hierzu drei Varianten für sinnvoll: 1.) Maximal ein Drittel der Emissionsmenge, die laut Kyoto-Protokoll gegenüber 1990 verringert werden muß, darf im Ausland (d. h. über die Kyoto-Mechanismen) reduziert bzw. eingekauft werden. Die Rückkehr zu den Emissionen von 1990 - viele Länder haben ihre Emissionen seit 1990 noch einmal kräftig gesteigert - sollten sie auf jeden Fall im eigenen Land verwirklichen. 2.) Ein Land darf nicht mehr als 5 % seiner Emissionen von 1990 als Emissionskontingente kaufen oder verkaufen. 3.) Es muß der Nachweis stetig sinkender Pro-Kopf-Emissionen geführt werden.
  • Das Problem einer Forderung nach einer solchen Cap bringt im Falle von Island und Norwegen Probleme mit sich, dennoch sollte die EU die Forderung nach einer Seller-Cap (Obergrenze für den Verkäufer) auf keinen Fall aufgeben, es sei denn es finden sich andere Wege, die Hot Air weitgehend zu begrenzen. Ein Weg könnte der verpflichtende Nachweis sein, daß eingekaufte Emissionen entweder nachweislich durch Klimaschutzmaßnahmen reduziert wurden, oder daß das eingenommene Geld solchen Maßnahmen zugute kommt. Diese Forderung ist um so wichtiger, je weniger sich die Forderung nach einer Mengenbegrenzung (s. o.) durchsetzen läßt.
  • Auf jeden Fall aber gilt: Bevor Emissions Trading zugelassen wird, muß ein funktionierender Mechanismus zu Monitoring, Verifikation und Sanktionen vorhanden sein.

Emissions Trading und Liability

Nur wenn ein Staat weniger Emissionen verursacht, als ihm durch das Kyoto-Protokoll zugebilligt werden, darf er (oder private Akteure) die überschüssigen Emissions-Kontingente (Assigned Amount Units, AAU) im Rahmen des Emissions Trading verkaufen. Der Verkauf von AAUs, die nicht aus einem solchen Überschuß stammen ("faule AAUs"), muß folglich unterbunden werden. Um dies sicherzustellen, sind prinzipiell unterschiedliche Regelungen denkbar, wer für den Verkauf "fauler" AAUs nach welchem Verfahren haften muß.

Für das Verfahren sind zwei Regelungen vorstellbar. Zum einen könnten für den Verkauf anhand von klar definierten Kriterien automatisch Sanktionen in vorher exakt bestimmter Art und Höhe verhängt werden. Zum anderen könnte ein Gremium von Fall zu Fall über die angemessene Sanktion entscheiden. Letzteres könnte zwar in Einzelfällen der jeweiligen Situation gerecht werden, hätte jedoch gegenüber einem Automatismus den Nachteil, daß vor allem bei einflußreicheren Staaten immer Gründe gefunden werden, keine Sanktionen zu verhängen.

Auf die Frage, wer für den Verkauf "fauler AAUs" haftbar gemacht werden könnte, sind drei Antworten denkbar:

a) der Verkäufer (Seller Liability / Verkäuferhaftung) (Position der USA) oder
b) der Käufer (Buyer Liability / Käuferhaftung) oder
c) beide.

Derzeit ist noch unklar, ob am Emissions Trading nur Regierungen oder auch private Akteure teilnehmen dürfen. Sollte es auf die Regierungen beschränkt bleiben, so ist die Frage nach Buyer Liability oder Seller Liability von geringerer Bedeutung - auch wenn selbst in diesem Fall die Buyer Liability der wirkungsvollere Weg ist. Wird das Emissions Trading jedoch auf private Akteure ausgedehnt, so wird die Frage nach Buyer Liability oder Seller Liability sehr wichtig für die ökologische Effektivität des Emissions Trading im Sinne des Klimaschutzes.

Haftet der Verkäufer für "faule" AAUs (Seller Liability), so fliegt dies erst dann auf, wenn die 2008-2012 von seinem Heimatland ausgestoßenen Emissionen erfaßt worden sind. Entsprechende Statistiken werden voraussichtlich erst ca. 2014 vorliegen. Zu so einem späten Zeitpunkt kann jedoch ein Unternehmen, das z. B. im Jahre 2002 "faule" AAUs verkauft hat, unter Umständen nicht mehr belangt werden (z. B. weil es inzwischen Konkurs angemeldet hat). Und ob es tatsächlich gelingt, ernsthafte Sanktionen für den Verkäuferstaat (wenn er sein Emissionsziel nicht erreicht) zu vereinbaren, steht völlig in den Sternen.

Dieses Problem kann durch die Einführung der Buyer Liability in Kombination mit einer "Versicherung" gelöst werden. Hier haftet der Käufer, indem die gekauften AAUs ganz oder anteilmäßig "abgewertet" würden. Er wird sich deshalb gegen den Schaden "versichern", der entsteht, wenn sich die gekauften AAUs als "faul" herausstellen. Die Höhe der Risikoprämie, die er an ein Versicherungsunternehmen entrichtet, hängt klarerweise von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der das Herkunftsland der AAUs sein Kyoto-Ziel erreichen wird. Je besser und glaubwürdiger das Emissionsszenario eines Landes ist, desto geringer fallen die Risikoprämien aus, desto besser sind folglich die Marktchancen seiner Unternehmen für den Verkauf von AAUs. Die hierfür benötigte Einstufung (Rating) der Länder kann durch die Versicherungsunternehmen selbst oder - wahrscheinlicher - durch Rating-Agenturen erfolgen.

Eine so gestaltete Buyer Liability hat entscheidende Vorteile:

  • Es entsteht ein zusätzlicher Anreiz für das Verkäuferland, sein Kyoto-Ziel zu erreichen, da dies die Marktchancen seiner Unternehmen steigert.
  • Das Einbringen von "faulen" AAUs in den Markt wird durch hohe Risikoprämien erschwert.
  • Da die Risikoprämie beim Kauf aufgeschlagen wird, entsteht ein ab sofort wirksamer Anreizmechanismus, nur "saubere" AAUs zu verkaufen. Ein solcher könnte bei der Seller Liability erst 2014 greifen.

GERMANWATCH fordert daher:

  • Für das Emissions Trading sollte die Buyer Liability gelten, da sie in Kombination mit einer "Versicherung" für den Klimaschutz viel effektiver und ökonomisch effizienter, weil unbürokratischer, als die Seller Liability ist.
  • Sanktionen für den Handel mit "faulen" AAUs sollten anhand von klar definierten Kriterien nach einem automatischen Verfahren und in vorher exakt bestimmter Art und Höhe verhängt werden.

Der 'Clean Development Mechanism': 'Joint Implementation' für Entwicklungsländer?

Bei Joint Implementation (JI) und Clean Development Mechanism (CDM) werden nicht Emissionskontingente anderer Länder gekauft. Sondern Akteure von Land A führen in Land B Klimaschutzmaßnahmen durch, die sich Land A von seiner "Bringschuld" ganz oder teilweise abziehen lassen kann. Die auf diesem Wege durch einen unabhängigen Zertifizierer bescheinigten und dann gutgeschriebenen Emissionskontingente entsprechen der Differenz aus zwei Werten: dem Emissionsniveau nach Fertigstellung des Projekts und der sogenannten Baseline, d. h. dem Emissionsniveau, das ohne das Projekt entstanden wäre (also bei einem Business-as-usual-Szenario). Ein Hauptunterschied zwischen JI und CDM ist, daß JI nur zwischen Akteuren aus Industrieländern eingesetzt werden kann, während beim CDM Projekte in Entwicklungsländern durchgeführt werden. Es gibt jedoch noch weitere, wichtige Unterschiede:

  • Der CDM soll durch den damit geleisteten Technologietransfer zur nachhaltigen - d. h. vor allem auch der sozial nachhaltigen - Entwicklung der Entwicklungsländer beitragen.
  • Der CDM führt zu einer Steigerung der Summe der in Kyoto für die Industrieländer festgelegten Treibhausgas-Emissionen, d. h. zur sogenannten "Öffnung der Industrieländer-Bubble". Wenn hier "Mitnahmeeffekte" in größerem Stil ermöglicht würden, verlöre das Kyoto-Protokoll enorm an Wert. Beispiel: Wenn sich die USA und andere Länder die Treibhausgasreduktionen ihrer ohnehin etwa an China gelieferten Kernkraftwerke gutschreiben lassen dürfte. Deshalb kommt es beim CDM ganz zentral auf das zugrunde gelegte Referenzszenario (Baseline) an.
  • Der CDM soll, wenn bis dahin die Detailrichtlinien verabschiedet sind, bereits im Jahr 2000 beginnen, während JI-Projekte erst mit Beginn der Zielperiode (2008) angerechnet werden können.
  • Mit dem CDM ist ein Finanzierungsmechanismus für vom Klimawandel betroffene Entwicklungsländer verbunden, der durch Gebühren aus der Durchführung von Projekten gespeist wird. Dessen Details sind jedoch noch völlig ungeklärt.
  • Bei Joint Implementation können im Gegensatz zum CDM Senken (CO2-Speicher durch Wälder) angerechnet werden.

Sowohl beim CDM als auch bei JI könnten außerdem u. a. folgende Probleme entstehen:

  • Bei der Ermittlung der durch ein Projekt erzielten Emissionseinsparungen besteht die Gefahr, daß diese vorsätzlich zu hoch angesetzt werden, indem die Baseline zu hoch veranschlagt wird. Denn beide beteiligten Parteien haben ein Interesse daran: das Geldgeberland, weil es billig Zertifikate erhalten will; das Empfängerland, weil es somit für Investitionen attraktiver wird als seine Wettbewerber. Allerdings führt im Fall des JI eine zu hohe Baseline nicht zu einer Verschlechterung der Kyoto-Ziele, was beim CDM der Fall wäre.
  • Es wird allenfalls in wenigen Fällen "finanzielle Zusätzlichkeit" (Additionality) festgestellt werden können. Darunter versteht man den Nachweis, daß das Projekt allein aus ökonomischen Gründen nicht durchgeführt wird. Um so mehr kommt es darauf an, klare und transparente Kriterien für die ökologische Effektivität des Projektes zu entwickeln.
  • Es besteht die Gefahr, daß im Rahmen von Joint Implementation und Clean Development Mechanism Projekte gefördert werden, die sich als Bumerang erweisen werden. So würde z. B. der Transfer von Kernkraftwerkstechnologie ein nicht unerhebliches Sicherheits- und Proliferations-Risiko darstellen. Andere Technologien, wie etwa effizientere Kohlekraftwerke, könnten zwar unter Umständen zu kurzfristigen Emissionseinsparungen gegenüber dem Business-as-usual-Szenario führen, stellen jedoch nur die zweitbesten Technologien dar und würden auf lange Sicht im Vergleich zu Kraft-Wärme-Kopplung oder regenerativen Energiequellen weitaus klimaschädlicher wirken. Außerdem muß eine weitere Intensivierung der Kohlenutzung weltweit verhindert werden, um langfristig die Klimaschutzziele zu erreichen.
  • Bei Projekten zur Schaffung von CO2-Senken ergäbe sich ein anderes Problem: hier bestehen derzeit noch große methodische Unsicherheiten, wie ihre Wirksamkeit genau zu quantifizieren ist. Eventuell wird dadurch sogar ein Anreiz geschaffen, alte, naturnahe Wälder durch Plantagen schnell wachsender Hölzer zu ersetzen. Zur Zeit ist außerdem noch nicht klar geregelt, ob Holzeinschlag und Brandrodung als CO2-Emission gerechnet werden. Dies könnte zu der paradoxen Situation führen, daß großflächig Wälder abgeholzt und anschließend kleinflächige Aufforstungen als CDM-Projekte durchgeführt werden.

Vor dem Hintergrund all dieser Probleme fordert GERMANWATCH:

  • Die ökologische Seriosität des Clean Development Mechanism muß sichergestellt sein. Es muß gewährleistet sein, daß die angerechneten Emissionskontingente auch tatsächlich eingespart wurden. Dies fordert nicht zuletzt klare Kriterien für die Auswahl der Zertifizierer sowie ihre wirksame Kontrolle, bei der im Sinne des Klimaschutzes tätige Nichtregierungsorganisationen ein Mitspracherecht haben müssen. Angesichts des enormen Aufwands kann diese Mitwirkung von NRO nicht unentgeltlich erfolgen.
  • Im Rahmen von Joint Implementation und Clean Development Mechanism dürfen auf keinen Fall Projekte anerkannt werden, die den Transfer von Kohle- oder Kernkrafttechnologien beinhalten (auch die Regionalbanken, welche eine maßgebliche Rolle bei der Durchführung von CDM-Projekten haben sollten, dürfen keine Fördermittel für diese Technologien bereitstellen). Ein Beschluß über die Einbeziehung von Senken sollte erst fallen, sobald die methodischen Fragen hinreichend geklärt sind, d. h. auf keinen Fall vor Abschluß des IPCC Special Report (Mai 2000). Im ersten Schritt sollten nur Projekte zur Steigerung der Energie-Effizienz und zur Einführung von erneuerbaren Energieträgern durchgeführt werden.
  • Um Fehlentwicklungen zu korrigieren und die ökonomische Dynamik in Richtung Öko-Effizienz zu fördern, ist eine mit dem technischen Fortschritt sich verschärfende Floating Baseline für CDM-Projekte unabdingbar (d. h. es sollte in einem regelmäßigen Review-Prozess überprüft werden, inwieweit neue technische Entwicklungen eine Anpassung der Referenzszenarien auch bestehender CDM-Projekte nahelegen). Damit kann die Möglichkeit einer ungerechtfertigten Mitnahme von Emissionszertifikaten verringert werden.
  • Um zu vermeiden, daß durch eine (schwache) Praxis Fakten geschaffen werden, fordert GERMANWATCH von der COP5 eine Entscheidung: Wer CDM-Projekte (oder AIJ-Projekte) startet, wird aufgefordert, sich Sicherheiten zu schaffen für den Fall, daß diese Projekte den auf COP6 festzulegenden Kriterien nicht entsprechen.
  • Entgegen der Forderung der Bundesregierung hält GERMANWATCH es nicht für sinnvoll, die AIJ-Pilotphase zu verlängern. Eine Fortsetzung der Pilotphase würde nur zu mehr Komplikationen, Konfusion und politischen Problemen führen, da die Teilnehmer argumentieren, daß sie für ihre in gutem Glauben getätigten Projekte rückwirkend Kredite bekommen. Wer jetzt Projekte starten will, sollte dies ab 2000 im Rahmen des CDM tun.


Demonstrable Progress (nachweisbarer Fortschritt) Welchen Nachweis über Fortschritte soll es schon vor der ersten Verpflichtungsperiode geben?

Eine Unsicherheit im Klimaprozeß beruht auf dem Sachverhalt, daß für Industrieländer zwar rechtlich verbindliche und genaue Emissions-Reduktionsziele für die 1. Verpflichtungsperiode (2008 - 2012) festgelegt sind, es jedoch für die Art und Weise der Durchführung bzw. für die zeitlichen Fortschritte noch keine genauen Regeln gibt. Zwar haben die Industrieländer in der Konvention das Ziel festgelegt, bis zum Jahr 2000 auf die menschgemachten Treibhausgas-Emissionsniveaus von 1990 zurückzukommen, aber diese Forderung ist nicht rechtsverbindlich. Viele Industrieländer der OECD werden dieses Ziel verfehlen.

Artikel 3.2 des Protokolls fordert jedoch, daß jedes Industrieland bis zum Jahr 2005 einen nachweisbaren Fortschritt ("Demonstrable Progress") auf dem Weg zur Erfüllung der Vertragspflichten gemacht haben soll.

GERMANWATCH fordert:

  • Die Nationalberichte der Industrieländer sollten verpflichtend Projektionen enthalten, wie die jeweiligen "Kyoto-Ziele" erreicht werden sollen. Diese Projektionen sollten jeweils im Rahmen der "In-Depth-Reviews" auf ihre Plausibilität überprüft werden.
  • Diese Verpflichtung soll im Rahmen der Revision der Richtlinien für Nationalberichte in diese Richtlinien aufgenommen und von COP5 endgültig verabschiedet werden. Damit ist auch eine erste Abschätzung möglich, ob die nachgefragten und zur Verfügung gestellten AAUs in Deckung zu bringen sind.
  • In zwei "Stützjahren" 2005 und 2008 soll - anhand der eigenen Szenarien - der "Demonstrable Progress" überprüft werden.
  • Bei fehlendem Nachweis des "Demonstrable Progress" einzelner Länder tritt für diese ein Verbot des Verkaufs von AAUs im Rahmen des Emissions Trading in Kraft.
  • Bei fehlendem Nachweis der Industrieländer insgesamt treten eventuelle Verpflichtungen der Schwellenländer in der zweiten Verpflichtungsperiode nicht in Kraft.


Non-Compliance-Mechanismus
(Mechanismus zur Erfüllungskontrolle)
Wie kann die Einhaltung der Verpflichtungen gewährleistet werden?

Ein zentraler Punkt des Protokolls sollte ein Mechanismus sein, der Hilfen und Sanktionen bei Nichterfüllung der Verpflichtungen vorsieht (Non-Compliance-Mechanismus). In Artikel 18 des Protokolls kommt ein solcher zwar bereits zur Sprache, genauere Bestimmungen sind dort jedoch noch nicht enthalten.

Neben solchen direkten Sanktionsmaßnahmen gibt es auch einen indirekten, moralischen Druck. Dieser entsteht z. B. durch die schon in der Konvention festgelegte Verpflichtung zum Veröffentlichen der Nationalberichte. Zudem würde der Druck auf die Industrieländer steigen, wenn sie wissen, daß erst nach Erfüllung ihrer Reduktionspflichten die Schwellenländer weitere Pflichten auferlegt bekommen (siehe Abschnitt "Einbeziehung der Entwicklungsländer"). Der indirekte, moralische Druck wird jedoch um so geringer sein, je mehr Länder an ihren Zielen zu scheitern drohen.

Ein wirkungsvoller Non-Compliance-Mechanismus ist unbedingt notwendig, damit InvestorInnen, UnternehmerInnen und VerbraucherInnen nicht ihr Vertrauen in die Klimaverhandlungen verlieren und um einen wirksamen Klimaschutz zu gewährleisten. Er ist zudem eine essentielle Voraussetzung für das Funktionieren der Kyoto-Mechanismen und ist in diesem Zusammenhang eng mit der Liability-Frage verknüpft. Denn der Wert gekaufter bzw. verkaufter Emissionskontingente sinkt, wenn andere Akteure ihre Verpflichtungen nicht einhalten und damit sozusagen eine Inflation der handelbaren Emissionsmenge bewirken (siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen").

GERMANWATCH fordert daher,

  • Ländern eine Unterstützung zu gewähren, sobald sich abzeichnet, daß sie Probleme beim Erreichen ihrer Verpflichtungen haben werden,
  • zu gewährleisten, daß in jedem Jahr der Verpflichtungsperiode diejenigen Staaten mit einer gelben Flagge geahndet werden, die ihre Verpflichtungen vermutlich nicht erreichen. Die betreffenden Staaten verlieren damit auch das Recht, AAUs im Rahmen des Emissions Trading zu verkaufen.
  • das Nichterreichen der Verpflichtungen nach einem noch festzulegenden Verfahren mit spürbaren Sanktionen zu ahnden, die deutlich über den Kosten der CO2-Minderungsmaßnahmen liegen.
  • einen Compliance Fund einzurichten. Das Konzept eines Compliance Funds komplementiert die existierenden Kyoto-Mechanismen, indem Vertragsstaaten und privaten Handelsteilnehmern erlaubt wird, im vorhinein bestätigte Reduktionen von diesem Fonds zu kaufen. Auf diese Weise kann innerhalb eines angemessenen Nachbesserungszeitraums (True-up Period) im Anschluß an die Verpflichtungsperiode die Erfüllung der Reduktionsverpflichtung gemäß Kyoto-Protokoll nachträglich erreicht werden. In dem Fall, daß ein gut funktionierender Markt für Joint Implementation, CDM und Emissionshandel entsteht, wird dieser Fonds kaum genutzt werden. Falls dies aber nicht geschieht, kommt ihm außerordentliche Bedeutung zu. Größere Nachteile sind mit ihm nicht verbunden.

COP4 setzte zur weiteren Behandlung der Compliance-Frage eine gemeinsame Arbeitsgruppe unter SBI und SBSTA ein, um Prozeduren und Mechanismen auszuhandeln. Diese Arbeitsgruppe muß der COP5 ihre Fortschritte berichten, welche dann bei Bedarf eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe, also ein temporäres Nebenorgan, dazu einsetzen kann.

Einbeziehung der Entwicklungsländer Inwieweit und wann wird es zusätzliche Verpflichtungen für Entwicklungsländer geben?


Entwicklungsländer - Hauptbetroffene einer Klimaänderung

Als Entwicklungsländer gelten im Klimaverhandlungsjargon diejenigen Länder, die nicht im Anhang I der Klimarahmenkonvention enthalten sind. Im fast deckungsgleichen Anhang B des Kyoto-Protokolls sind die Türkei und Weißrußland nicht enthalten.

Wenn man über eine Einbeziehung von Entwicklungsländern in das Klimaregime diskutiert, sollte man dies vor dem Hintergrund tun, daß Entwicklungsländer die Hauptbetroffenen einer globalen Klimaänderung sind, die Industrieländer dagegen die Hauptverursacher derselben: Da Entwicklungsländer stärker landwirtschaftlich strukturiert sind, sind sie von Wetterextremen sehr stark betroffen. Auch sind ihre Böden extrem anfällig für wetterbedingte Erosion. Darüber hinaus verfügen die meisten Entwicklungsländer nicht über genügend finanzielle Mittel, um Gegenmaßnahmen (Deichbau u. ä.) zu treffen. Studien des IPCC weisen darauf hin, daß die absolute Betroffenheit der Entwicklungsländer durch den Treibhauseffekt in Zukunft übermäßig groß sein wird. Die Vorfälle in den Jahren 1997, 1998 und 1999 in Afrika, Asien und Lateinamerika zeigen, welche Auswirkungen Wetterkatastrophen auf stark landwirtschaftlich strukturierte Länder haben können. In Ländern Lateinamerikas und Afrikas gab es extreme Trockenperioden (z. B. Chile, Brasilien, Sudan, weite Teile Ost-Afrikas). Der Hurrikan Mitch zog eine Spur der Zerstörung durch Mittelamerika. Große Flutkatastrophen fanden sowohl in Lateinamerika als auch in Asien statt (z. B. Mexiko, China, Indonesien, Indien, Bangladesch). In Bangladesch standen dabei 80 % des Landes unter Wasser. Auch China hat hohe Schäden aufgrund von Überschwemmungen hinnehmen müssen - wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, daß sich die chinesische Delegation schon bei der IPCC-Vollversammlung in Wien im Oktober 1998 deutlich stärker engagiert und für eine intensive wissenschaftliche Untersuchung der durch Klimaänderung gehäuft auftretenden Klimaextreme ausgesprochen hat.

Freiwillige Selbstverpflichtungen von Entwicklungsländern

Die Klimarahmenkonvention richtet sich prinzipiell sowohl an Industrieländer als auch an Entwicklungsländer in ihrer Forderung, bezüglich des Klimaschutzes aktiv zu werden. So ist z. B. das Erstellen von Nationalberichten über menschgemachte Treibhausgas-Emissionen sowie die wahrgenommenen Möglichkeiten, Treibhausgase zu binden für alle Staaten gleichermaßen vorgesehen. Rechtlich verbindliche Emissions-Reduktionsmaßnahmen sind im Kyoto-Protokoll jedoch, entsprechend der Forderung des Berliner Mandats von 1995 und des in der Konvention festgelegten Prinzips der "gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung", nur für die Industrieländer verankert.

Zwar hatten einige Entwicklungsländer aus Lateinamerika in Kyoto (auf Drängen der USA) grundsätzlich signalisiert, eine freiwillige Selbstverpflichtung eingehen zu wollen und sich für einen entsprechenden Artikel ausgesprochen. Die Aufnahme eines solchen Artikels über die Möglichkeit freiwilliger, aber dann rechtlich verbindlicher Selbstverpflichtung für Entwicklungsländer in das Kyoto-Protokoll scheiterte jedoch am Einspruch der meisten anderen Länder des Südens. Das Protokoll behandelt konkrete klimaschützende Maßnahmen in Entwicklungsländern nur im Rahmen des Clean Development Mechanism, also in Form von Einzelprojekten, die Akteure aus Industrieländern tätigen (siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen").

Als der Gastgeber Argentinien das Thema der freiwilligen Verpflichtung von Entwicklungsländern in Buenos Aires 1998 wieder auf die Tagesordnung brachte, wurde es erneut durch heftigen Einspruch vieler Entwicklungsländer (vor allem Indien und China) abgeschmettert und von der Tagesordnung gestrichen.

Erwägt man Verpflichtungen für Entwicklungsländer, ist es wichtig, entsprechend den Unterschieden in den ökonomischen und sozialen Bedingungen zwischen den einzelnen Entwicklungsländer-Gruppen zu differenzieren. Schwellenländer lassen sich nicht in einen Topf werfen mit den am wenigsten entwickelten Ländern ("Least Developed Countries"). Zwischen diesen beiden Extremen gibt es mindestens eine weitere große Kategorie. Auch die USA schlagen inzwischen eine Differenzierung innerhalb der Entwicklungsländer vor. So sprach sich Stuart Eizenstat (Delegationsleiter der USA in Kyoto) in einer Rede während des informellen Ministertreffens in Tokyo im September 1998 für eine Einteilung der Entwicklungsländer in 4 Kategorien aus, die jeweils unterschiedliche Verpflichtungen eingehen sollten.

Ein Anreiz zu freiwilligen Selbstverpflichtungen von Schwellenländern wäre z. B. durch eine Verknüpfung mit verstärkten Bemühungen seitens der Industrieländer um Technologietransfer gegeben (EU-Position). Um glaubwürdig zu sein, müßte dies heißen, konkrete Schritte, etwa den Aufkauf wichtiger relevanter Patente für Entwicklungsländer, zügig umzusetzen. 1998 hat Süd-Korea als erstes Schwellenland eine freiwillige Selbstverpflichtung für die Verringerung des CO2-Anstiegs in Aussicht gestellt. Die Verpflichtung soll ab dem Jahr 2018 in Kraft treten. Süd-Korea beugt sich damit dem Druck der OECD. Die OECD befürwortet, alle Schwellenländer, welche bereits OECD-Mitglieder sind, in das Klimaregime einzubeziehen. Während COP4 hat Argentinien angekündigt, auf COP5 eine Selbstverpflichtung im Rahmen der Konvention eingehen zu wollen, um damit bei allen Kyoto-Mechanismen mitmachen zu können.

Auch von Transformationsländern, die bisher nicht im Annex I der Konvention stehen, gibt es Bestrebungen, dort aufgeführt zu werden. So hat Kasachstan auf COP4 den Wunsch ausgedrückt, Verpflichtungen zu übernehmen und dafür in Annex I aufgenommen zu werden.

Freiwillige Selbstverpflichtungen sind natürlich von Befürwortern des Klimaschutzes erwünscht. Auch freiwillige Maßnahmen vieler Entwicklungsländer, die schon vor offiziellen Verpflichtungen ergriffen werden, sind unter Klimaschutz-Aspekten äußerst positiv zu bewerten. Tatsächlich werden schon jetzt in vielen Entwicklungländern bedeutende Schritte im Klimaschutz unternommen, wie z. B. der Trend zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energieträgern durch Subventionsabbau für fossile Energieträger zeigt. So wurde in Kyoto dargelegt, daß China durch Subventionsabbau weltweit gesehen vermutlich die wirkungsvollste Klimaschutzmaßnahme überhaupt getroffen hat. Ein Problem bezüglich der Verpflichtung für Entwicklungsländer besteht jedoch darin, daß eine Aufnahme von Entwicklungsländern in den Annex B zu Emissionshandel führen würde, der eine große Menge "Tropical Air" beinhaltet, da die Emissionsziele in einem ersten Verpflichtungsschritt sehr moderat ausfallen würden (genauere Erklärung siehe Abschnitt "Kyoto-Mechanismen"). Eine solche freiwillige Selbstverpflichtung eines Entwicklungslands könnte somit paradoxerweise dazu führen, daß weltweit mehr Treibhausgase ausgestoßen werden. Der Vorteil des Einbezugs von Entwicklungsländern ins Klimaregime würde somit teuer erkauft.

No-regret-Maßnahmen als Win-Win-Win-Option

Vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet ist es nötig, daß Entwicklungsländer sich zu einem angemessenen Zeitpunkt am Klimaregime beteiligen, um das in Artikel 2 festgelegte Ziel der Konvention zu erfüllen. Da jedoch aufgrund der Wirtschaftskrise in Ost-Asien und der sehr angespannten wirtschaftlichen Lage in weiten Teilen Lateinamerikas die Emissionen dieser Länder sanken und zukünftig geringer ansteigen werden als bisher angenommen, stellt sich die Frage, ob eine Einbeziehung der Entwicklungsländer zur Zeit immer noch so drängend ist wie es noch vor einem Jahr erschien. In China z. B. sanken 1998 die energiebedingten CO2-Emissionen um 4 % - hier sogar trotz eines (angegebenen) Wirtschaftswachstums von mehr als 7 %. Außerdem kann es bei einer zukünftigen Verpflichtung für Entwicklungsländer nicht um absolute Emissionsreduktionen gehen, sondern nur um eine Begrenzung des Emissionsanstiegs.

Die Mehrzahl der Entwicklungsländer selbst spricht sich gegen eine weitergehende Beteiligung aus, da sie ihr Recht auf Entwicklung durch den Klimaschutz gefährdet sehen oder Angst vor einem "neuen imperialistischen Trick" der Industrieländer zeigen. Für alle Beteiligten am Klimaregime sollte selbstverständlich sein, daß für Entwicklungsländer die Priorität auf ihrer sozio-ökonomischen Entwicklung liegt. Deshalb sind alle Forderungen nach Klimaschutz, die diese Entwicklung nicht unterstützen, oder ihr gar im Wege stehen, weder sinnvoll noch erfolgversprechend. Es gilt, in einer großangelegten Strategie sogenannte Win-Win-Win-Optionen zu identifizieren und umzusetzen: die drei "Wins" stehen dafür, daß hierbei 1. die sozio-ökonomische Entwicklung, 2. die Umwelt und 3. der Klimaschutz profitiert. Viele Investitionen in Energieeffizienz fördern die ökonomische Effizienz, reduzieren die Rohstoffabhängigkeit, verringern den Ausstoß klassischer Umweltschadstoffe und nutzen dem Klima. Nach einer Studie der Cornell-Universität (USA) zählen inzwischen durch Umweltprobleme verursachte Krankheiten zu den häufigsten Todesursachen in Entwicklungsländern. Zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen würden zugleich Luftverschmutzung sowie andere Krankheits- bzw. Todesursachen vermindern. Gleichzeitig verbessern derartige Maßnahmen oft die sozio-ökonomische Entwicklung. Solche Win-Win-Win-Optionen können häufig als No-Regret-Maßnahmen durchgeführt werden, d. h. ohne zusätzliche ökonomische Belastung.

Aufgrund dieses Sachverhalts ist es wichtig, daß auch die Finanzinstitutionen, welche die Entwicklungsländer maßgeblich beeinflussen, diese Aspekte in ihren Förder- bzw. Kreditvergaberichtlinien stärker berücksichtigen.

Die Welt ist sich einig, daß Reduktionen im globalen Treibhausgasausstoß nach einem Equity-Prinzip (Gleichheits-/Fairneßprinzip) erfolgen sollen. Keine Einigkeit herrscht allerdings darüber, was man dabei unter fair versteht. Es können z. B. gleiche Pro-Kopf-Emissionen (Ausgangspunkt der GERMANWATCH-Position) gemeint sein, oder auch gleiche Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmer (USA-Position), oder aber das gleiche Recht auf Dienstleistungen und Produkte. Ferner kann man sich auf die historischen, also akkumulierten, Emissionen eines Landes beziehen oder andererseits auf die aktuellen. Die gegenwärtige Situation ist von der Zielsetzung einer Gleichverteilung von Pro-Kopf-Emissionen noch meilenweit entfernt, was die jährlichen Pro-Kopf-Emissionswerte z. B. von 1990 zeigen: für die USA 20 t CO2 im Vergleich zu 0,7 t für Indien. Sinnvoll könnte deshalb auch eine Unterscheidung zwischen Luxusemissionen und Überlebensemissionen sein. Gleiche Pro-Kopf-Emissionen müssen nicht zwangsläufig einen Anreiz für Bevölkerungswachstum darstellen, wie oft eingewandt wird. Ganz im Gegenteil können gleiche Pro-Kopf-Emissionen zu einem Anreiz gegen Bevölkerungswachstum werden, wenn ein bestimmtes, relativ frühes, Basisjahr für die Referenzbevölkerungszahl zugrundegelegt wird, z. B. 2005 oder 2015.

GERMANWATCH fordert:

  • Es kann nur um eine Begrenzung des Emissionsanstiegs für die Schwellenländer gehen, und nicht um absolute Emissionsreduktionen. Die Least Developed Countries sollten ganz ohne quantitative Begrenzungen bleiben.
  • In Entwicklungsländern sollten im Rahmen einer ersten formalen Verpflichtung ausschließlich No-Regret-Potentiale, also Win-Win-Win-Möglichkeiten, ausgeschöpft werden. So können Klimaschutzmaßnahmen verbunden werden mit Entwicklungsinteressen, wie z. B. durch Elektrifizierung ländlicher Gegenden auf Basis erneuerbarer Energien oder durch den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs in Ballungsräumen, oder mit anderen heute drängenden Umweltproblemen.
  • Die Weltbank, der IWF und die regionalen Entwicklungsbanken sollten die Klimaverträglichkeit der Maßnahmen überprüfen, an die sie ihre Kredite knüpfen bzw. die sie unterstützen.
  • Eine Einbeziehung von Entwicklungsländern sollte unter dem Equity-Prinzip als langfristigem Ziel erfolgen, das bedeutet für uns: gleiche Pro-Kopf-Emissionen für Industrie- und Entwicklungsländer, ggf. mit einzubauenden Abwandlungen z. B. nach geographischer Lage (Kühl- und Heizbedarf). Dieses Equity-Prinzip sollte jedoch sowohl mit dem Effizienz-Kriterium ("wie lassen sich CO2-Reduzierungen am kostengünstigsten erreichen?") als auch mit dem Möglichkeits-Kriterium ("welches Land hat die meisten Möglichkeiten, Geld oder Technologie, um Reduktionen durchzuführen"?) verknüpft werden.

Position der USA in der Entwicklungsländerfrage

Die USA gehen (gedrängt durch die fossile Lobby) so weit, daß sie den Einbezug von Entwicklungsländern forcieren wollen, indem sie ihre Ratifizierung des Kyoto-Protokolls abhängig machen von aussagekräftigen Verpflichtungen ("Meaningful Commitments") zentraler Entwicklungsländer wie China, Indien, Mexiko und Brasilien.

Würden die USA nicht ratifizieren, würde dies vermutlich Beispiel für andere Länder sein, was ein Kippen des gesamten Protokolls bewirken würde (siehe Abschnitt "Zwischenstand").

GERMANWATCH fordert daher

  • Zusätzliche Verpflichtungen für Schwellenländer sollte es erst für die 2. Verpflichtungsperiode (2013) geben. Als Bedingung für das Inkrafttreten muß jedoch gelten, daß die Industrieländer bis zum Jahr 2005 tatsächlich Fortschritte nachweisen können (siehe Abschnitt "Demonstrable Progress").

Eine solche Strategie würde die fossile Lobby doppelt treffen, da zum einen die Schwellenländer nicht im gleichen Maße wie die Industriestaaten von Öl und Kohle abhängig würden und zum anderen die USA ihren wichtigsten Grund verlören, nicht zu ratifizieren, womit das Inkrafttreten des Protokolls wahrscheinlicher würde. Das Knüpfen der zusätzlichen Verpflichtung für die Schwellenländer an das Erfüllen der Verpflichtungen der Industrieländer wäre außerdem ein guter indirekter Non-Compliance-Mechanismus für die Industrieländer.

Flugverkehr Wie beurteilt die Wissenschaft den Einfluß des Flugverkehrs auf das Klima? Was bedeutet dies für die Verhandlungen?

Der Flugverkehr hat durch seine Abgase sowohl Auswirkungen auf das globale als auch auf das regionale Klima. Zudem ist er die am schnellsten wachsende Quelle von Treibhausgasemissionen und stellt damit ein großes Schlupfloch im Kyoto-Prozeß dar: Die insgesamt durch das Protokoll zu erwartenden Treibhausgasreduktionen werden durch die Zunahme der Emissionen des Luftverkehrs zur Hälfte aufgefressen. Aus diesen Gründen wurde der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) angefragt, einen Sonderbericht "Aviation and the Global Atmosphere" zu erstellen, der Mitte April 1999 nach zweijähriger Vorbereitungszeit verabschiedet wurde. Dieser stellt den ersten Bericht des IPCC dar, der einen einzigen Industriezweig und deren globale Auswirkungen untersucht. Die berücksichtigte Literatur und die hinzugezogene Expertise sind derart umfangreich, daß dieser Bericht wahrscheinlich auf Jahre hinaus die Referenz darstellt, wenn über das Thema Luftverkehr und Klima diskutiert und entschieden wird (siehe Kasten "Einige Aussagen des IPCC-Sonderberichts zu Luftverkehr und Klima").

Das Thema Flugverkehr wird in Artikel 2.2 des Kyoto-Protokolls behandelt. Demnach soll die UN-Sonderorganisation für den internationalen Flugverkehr, die International Civil Aviation Organisation (ICAO), die z. B. für das Erstellen von Emissionsstandards für Flugzeuge zuständig ist, Maßnahmen zu Begrenzung und Verminderung der Flugverkehrs-Emissionen verfolgen. Auf der 32. ICAO-Vollversammlung im Oktober 1998 in Montreal waren allerdings - vollkommen unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit - teilweise sogar Rückschritte in Punkto Klimaschutz zu verzeichnen. So appelliert die ICAO an die Staaten, Klimaschutz-Vorreitermaßnahmen im Flugverkehr möglichst zu unterlassen. Konkrete Maßnahmen wurden zu diesem Punkt nicht beschlossen. Die nächste ICAO-Vollversammlung findet zudem erst 2001 statt.
 


Einige Aussagen des IPCC-Sonderberichts zu Luftverkehr und Klima

Die einzigartige Eigenschaft von Flugzeugen besteht darin, daß sie sich einige Kilometer über der Erdoberfläche bewegen. Dies hat zur Folge, daß die Emissionen des Flugverkehrs eine deutlich andere Wirkung aufweisen, als wären die gleichen Stoffe auf dem Niveau der Erdoberfläche freigesetzt worden. So haben an sich harmlose Emissionen, wie etwa die durch gefrierende Wassertröpfchen entstehenden Kondensstreifen, hier unerwünschte Auswirkungen. Auch die Stickoxid-Emissionen der Flugzeuge sind stärker zu gewichten, als würden sie in Bodennähe ausgestoßen.

Die Menge der Emissionen des Flugverkehrs ist so hoch, daß sie die dominierenden menschgemachten Einflüsse in der oberen Troposphäre und der unteren Stratosphäre (d. h. in Höhen von acht bis zwanzig Kilometer über der Erdoberfläche) darstellen.

1992 stammten bereits 13 % der Kohlendioxidemissionen des gesamten Verkehrs von Flugzeugen. Derzeit ist der Luftverkehr für etwa 2 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Sein Anteil an der menschenverursachten Klimaerwärmung ist jedoch mit 3,5 % fast doppelt so groß, da beim Flugverkehr außer dem CO2 auch die anderen Emissionen stark klimawirksam sind. Wegen dieser zusätzlich zum CO2 auftretenden Verbrennungsprodukte der Flugzeugtriebwerke ist der gesamte durch den Flugverkehr verursachte Strahlungsantrieb (das ist die Größe, die das Ausmaß der zusätzlichen Erwärmung durch die Flugverkehrsemissionen angibt) zwei- bis viermal so hoch wie derjenige, der alleine durch die Kohlendioxidemissionen des Luftverkehrs verursacht wird. Diese hohe Klimawirksamkeit des Flugverkehrs zeigt, daß insbesondere in diesem Sektor Handlungsbedarf besteht.

Eine besonders hohe spezifische Klimabelastung geht von Überschallflugzeugen aus. Pro Reisenden-Kilometer wäre eine hypothetische Flotte dieser Flugzeuge noch fünfmal klimaschädlicher als vergleichbare Unterschallflugzeuge. Weiterhin trüge sie zum Abbau der stratosphärischen Ozonschicht bei.

Die Klimaauswirkungen des Flugverkehrs werden sich trotz der Ausschöpfung der (hohen) Energieeffizienzpotentiale und Verbesserung beim Flugverkehrsmanagement selbst nach moderaten Szenarien bis zum Jahr 2015 gegenüber 1995 verdoppeln und sich Mitte des nächsten Jahrhunderts mindestens vervierfacht haben. Der IPCC untersuchte auch Szenarien, bei denen sie sich bis zum Jahr 2050 verzehnfachen. In diesem Szenario wäre der Flugverkehr Ursache von 16 % der weltweiten Kohlendioxidemissionen. Bei einer Trendfortschreibung werden alleine die Klimaemissionen des Flugverkehrs in der Mitte des nächsten Jahrhunderts beinahe die Größenordnung dessen erreichen, was die Menschen langfristig insgesamt in die Atmosphäre ausstoßen können, um das Klimasystem nicht zu verändern.

Fazit: Trotz großer technischer Fortschritte bei der Steigerung der Energieeffizienz und beim Flugverkehrsmanagement werden die Treibhausgasemissionen des Luftverkehrs weiter zunehmen. Um dies zu verhindern, müssen zusätzliche politische Maßnahmen ergriffen werden. Dazu zählt der IPCC

  • schärfere Emissionsstandards
  • den Abbau umweltschädlicher Subventionen
  • marktwirtschaftliche Instrumente wie Umweltabgaben(1)oder Emissionshandel(2)und
  • Verkehrsverlagerung auf klimafreundlichere Verkehrsträger(3).

Ein offener Aspekt ist die Frage der Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr (wie die des internationalen Seeverkehrs). Diese tragen das Problem in sich, daß sie sich nicht in natürlicher Weise einem Staat zuordnen lassen. Über diese Zuordnung (Allokation) der Flugverkehrsemissionen verhandelte zuletzt das wichtige Nebenorgan SBSTA während der Klimaverhandlungen 1996 in Genf - ergebnislos. Solange jedoch die Allokations-Frage nicht geklärt ist, trägt formal niemand die Verantwortung für die Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr. Dies bedeutet, daß kaum Anstrengungen stattfinden, diese Emissionen zu verringern.

Es gibt verschiedene Vorschläge zur Allokation. So könnten die Emissionen z. B. wahlweise dem Staat zugeordnet werden,

  • in dem der Flugtreibstoff verkauft wird,
  • in dem sich der Sitz der Fluggesellschaft befindet, wobei der Sitz als das Land zu definieren wäre, in dem die meisten Starts bzw. Landungen der Fluggesellschaft stattfinden,
  • in dem sich der Start- oder Ziel-Flughafen des Flugzeugs befindet oder
  • in dem sich der Start- oder Ziel-Flughafen der Passagiere bzw. der Fracht befindet.
  • Die Allokation könnte auch nach der Nationalität der Passagiere erfolgen.

Dabei können v.a. das Verursacherprinzip (Gerechtigkeit) und die Operationalisierbarkeit als Kriterien der Entscheidungsfindung dienen.

Die Diskussion zur Allokation auf den Klimaverhandlungen schreitet nur langsam voran, da einflußreiche Kräfte (wie die USA) behaupten, der Auftrag des Klimagipfels in Kyoto zur Allokation beträfe lediglich die Zuordnung der Emissionen in den Nationalberichten und nicht die Übernahme der Verantwortung für die Emissionen durch die Vertragsstaaten. GERMANWATCH begrüßt und unterstützt in der Frage der Allokation die Forderungen der EU und der Schweiz.

GERMANWATCH fordert:

  • Die klimapolitischen Vorgaben sollen von der Klimakonvention kommen. Darauf aufbauend soll die ICAO die Rahmenbedingungen für das Ergreifen der notwendigen Maßnahmen zur Zielerfüllung schaffen.
  • Vorrangiges Ziel der nächsten Runde der Klimaverhandlungen im Juni 1999 den Flugverkehr betreffend sollten Fortschritte bei der Allokation der Emissionen des internationalen Flugverkehrs ("emissions from international bunker fuels") sein. Da hierfür bereits Vorschläge ausgearbeitet wurden und den Vertragsstaaten vorliegen, geht es darum, einen Zeitplan zu verabschieden, wann die Entscheidung zur Allokation gefaßt werden soll. Anzustreben wäre eine Beschlußfassung auf COP5.
  • Für die erste Verpflichtungsperiode schlagen wir vor, die Emissionen demjenigen Staat zuzuordnen, in dem der Flugtreibstoff verkauft wird. Dies stellt zwar keine nach allen Kriterien zufriedenstellende Lösung dar, ist aber der im Moment beste Kompromiß zwischen den Aspekten des Verursacherprinzips und der Operationalisierbarkeit und gewährleistet eine schnelle Umsetzung. Als Ziel sollte gelten, mit zunehmendem wissenschaftlichen Kenntnisstand baldmöglichst ein Allokationsverfahren zu erreichen, das noch stärker am Verursacherprinzip orientiert ist.
  • Nachdem jetzt der IPCC-Sonderbericht zu Flugverkehr und Klima vorliegt und die Klimawirksamkeit der Stickoxidemissionen und der Kondensstreifen deutlich aufzeigt, drängt es sich förmlich auf, diese Stoffe auch in das Klimaregime einzubeziehen. Konkret heißt das, daß der bisher sechs Gase umfassende Kyoto-Korb (vgl. Abschnitt "Zwischenstand", Kasten "Die Beschlüsse von Kyoto") für die 2. Verpflichtungsperiode um diese Stoffe zu erweitern ist.
  • Die internationalen Flugverkehrsemssionen sollten jetzt noch nicht in ein Emissionshandelsregime einbezogen werden, da die Klimawirksamkeit der Emissionen des Flugverkehrs abseits des CO2 noch nicht exakt genug quantifizierbar ist, so daß ihr Handels-"Wert" nicht festgelegt werden kann.

Fußnoten:

(1) Eine Erhöhung des Kerosinpreises durch eine Abgabe hat Studien zufolge keinen nennenswerten langfristigen Einfluß auf das Nachfragewachstum. Ihre größte Wirkung hat sie, vor allem falls weltweit eingeführt, auf die Energieeffizienz der Flugzeuge (die Treibstoffkosten liegen bei 20 Prozent der Betriebskosten): So würde eine jährliche Steigerung des Treibstoffpreises um fünf Prozent zu einer Abnahme des Treibstoffverbrauchs des Flugverkehrs um mindestens 30 Prozent bis 2020 gegenüber dem Referenz-Szenario führen.

(2) Gegen die Einführung der Flugverkehrsemissionen in ein Emissionshandelsregime spricht, daß dabei der Wert des Gutes, das gehandelt werden soll, gar nicht bekannt ist: Man weiß gar nicht, was man handeln soll.

Damit ist gemeint, daß zwar die von Flugzeugen ausgestoßene Kohlendioxidmenge quantifizierbar ist - jedoch ist dies lediglich ein Teil der von Flugzeugen ausgehenden klimaerwärmenden Substanzen. Führte man Handel ein (a priori nur von CO2, denn Stickoxide und Kondensstreifen sind nicht einmal Kyoto-Gase), könnte man sich für Aufwendungen, die nur das CO2 (als ein Gas in einem "Sack" mit anderen Gasen) entgelten, buchhalterisch der Last des gesamten Müllsacks (mit einem unbestimmten Inhalt an Sondermüll) entledigen. Man kaufte sich mit nur einem kleinen Teil der an sich notwendigen Kompensation frei, wobei das Klima wegen der nicht kompensierten übriggebliebenen Teile entgegen der Idee dieses Ausgleichs durch den Emissionshandel wärmer würde.

(3) In Europa könnten höchstens 10 Prozent der Flugpassagiere auf Hochgeschwindigkeitszüge verlagert werden.
 
 


Autoren: Christoph Bals, Dörte Bernhardt, Gerold Kier, Dr. Manfred Treber

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