Meldung | 30.12.1997

Das Protokoll von Kyoto - eine Katze im Sack

Hintergrundpapier zur COP 3 im Jahr 1997

Im Folgenden faßt GERMANWATCH im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse die zentralen Inhalte des Klimaschutz-Protokolls zusammen, das auf der dritten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Kyoto am 10. Dezember 1997 verabschiedet wurde.
 

Kyoto: Der nächtliche Kampf um den Klimaschutz

In einer dramatischen 23-stündigen Nachtsitzung hat Verhandlungsführer Estrada die wichtigsten Teile eines Klimaschutzprotokolls durchgehämmert. Durch den Widerstand eines Teiles der Länder der Gruppe 77 und China wurden zwei entscheidende Teile des Protokollentwurfs nicht akzeptiert.

Beinahe hatte es so ausgesehen, als wäre damit die Strategie der fossilen Lobby, ein Klimaprotokoll zu Fall zu bringen, doch noch aufgegangen. Durch eine großangelegte Werbekampagne hatte in den vergangenen Monaten vor allem die Öl-, Kohle- und Autolobby der US-Bevölkerung dem Kongreß und dem Senat eingeimpft, kein Klimaabkommen ohne China und andere Schlüssel-Entwicklungsländer zu akzeptieren. Gleichzeitig war der Exxon-Chef, einer der Hauptfinanziers dieser Kampagne, nach China gefahren, und hatte die Regierung beschworen, kein Klimaprotokoll zu unterschreiben. Dies hatte zu einer einstimmigen Resolution des US-Senats geführt, kein Klimaprotokoll ohne aussagekräftige Verpflichtungen der Entwicklungsländer zu akzeptieren. US-Präsident Clinton hatte sich diese Forderung zu eigen gemacht.

Mit ihrer "China-Strategie" versuchte die fossile Lobby, das Kyoto-Protokoll "zu killen". Im sog. Berliner Mandat war 1995 festgehalten worden, daß keine neuen Verpflichtungen auf die Entwicklungsländer zukommen sollten. Daß die USA jetzt plötzlich doch aussagekräftige Verpflichtungen verlangte, mußte die Entwicklungsländer vor den Kopf stoßen. Daß sich weder Europa noch die USA bei den Verhandlungen in Kyoto besonders aktiv um die Entwicklungsländer kümmerten, hat sich als großer Nachteil erwiesen. In der letzten Nachtsitzung kippten einige Entwicklungsländer zwei zentrale Passagen - für die USA Essentials - aus dem Protokoll. China, Indien, Saudi Arabien, Togo, Iran, Uganda und Nigeria verhinderten durch ihre strikte Ablehnung eines Konsenses alle näheren Ausführungen zum Emissions Trading im Protokoll. Sie sollen bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Buenos Aires im Jahr 1998 - mit offenem Ausgang - nachverhandelt werden. Brasilien, Iran, Saudi Arabien, Indien, China, Kuwait, Marokko, Mexiko, Venezuela, Philippinen, Ägypten, Uganda, Vereinigte Arabische Emirate, Syrien und Gambia ließen auch den Artikel 9 scheitern, der die Möglichkeit der freiwilligen Selbstverpflichtung von Entwicklungsländern vorsah. Auch hierüber wird in Argentinien weiterverhandelt werden.

Angesichts der vielen Ungewißheiten und Schlupflöcher läßt sich das Klimaabkommen noch nicht eindeutig einschätzen.

  1. Alle näheren Bestimmungen zum im Protokoll enthaltenen Handel mit Treibhausgas-Zertifikaten (Emissions Trading) werden erst 1998 beschlossen.
  2. Auch die näheren Ausführungsbestimmungen zum Umgang mit den im Protokoll akzeptierten "Senken" werden erst auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz, die dem Inkrafttreten des Protokolls folgt - in Englisch: "Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties" - (CoPsmoP 1), festgelegt.
  3. Ob die USA das Protokoll ratifizieren, ist - wenn es nicht doch noch Verpflichtungen zentraler Entwicklungsländer gibt - sehr zweifelhaft.
  4. Inwieweit damit Entwicklungs- bzw. Schwellenländer in den weiteren Prozeß aktiv eingebunden werden, ist also noch völlig offen.
  5. Die Errichtung eines Non-compliance-Mechanismus, der darüber entscheidet, wie hart die Vereinbarung tatsächlich "gesetzlich verbindlich" ist, wird sich wohl auch erst zur CoPsmoP 1 entscheiden.

Zentrale Punkte des Protokolls

Gibt es ein Protokoll? Ist es in Kyoto überhaupt zum Abschluß eines Klimaschutzprotokolls gekommen?

Ja. Aber die Verhandlungen waren nahe am Scheitern. 

 

Reduktionszahlen, 
Welche Gase?
Welche Reduktionszahlen werden in Kyoto beschlossen?

Die Industrieländer (Annex-I-Staaten) sollen gemeinsam bis zur ersten Verpflichtungsperiode 2008-2012 den Ausstoß der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, HFC, PFC und SF6 um fünf Prozent gegenüber 1990 verringern. Dabei wird für den ersten Korb (Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid) das Basisjahr 1990 (Ausnahmen für Länder im Übergang zur Marktwirtschaft) zugrundegelegt, für den zweiten Korb HFC, PFC und SF6 gilt hingegen das Basisjahr 1995. Die Gase der beiden Körbe sind auf der Grundlage des Treibhausgaspotentials (GWP) miteinander verrechenbar. 

Für die EU bedeutet das 8 Prozent, für die USA 7 Prozent, für Japan 6 Prozent, für Rußland 0 Prozent an Reduktion. Eine Steigerung der Emissionen ist Island (10 Prozent), Australien (8 Prozent) und Norwegen (1 Prozent) wegen besonderer Gründe zugestanden worden. 

Diese Ziele reichen nicht, um auf einen Pfad zu gelangen, der - wie in der Konvention vorgegeben - geeignet ist, Schaden von Mensch und Natur abzuwenden. Wegen der vielen Ungewißheiten über die Größe der Schlupflöcher ist noch nicht absehbar, in welchem Ausmaß sie der Industrie und den Investoren ein deutliches Signal geben, daß das fossile Zeitalter sich dem Ende zuneigt und das der Energieeffizienz und Solaren Energieträger begonnen hat. 

Immerhin soll, wie der Vorsitzende der Klimaverhandlungen, Raúl Estrada Oyuela, nach Verabschiedung des Protokolls - allerdings ohne die Berücksichtigung der Schlupflöcher - vorrechnete, durch dieses bis zum Jahr 2010 eine Verminderung der Treibhausgasemissionen der Industrieländer um 30 Prozent gegenüber der Fortsetzung des Status Quo ohne Protokoll erreicht werden. 

 

Ziel- und Basisjahr Für welches Zieljahr sollten erste Verpflichtungen gelten? Welches Basisjahr wird zugrundeliegen?

Basisjahr ist 1990. Die Länder im Übergang zur Marktwirtschaft erhalten ein flexibles Basisjahr, das zu Beginn festgelegt werden muß bzw. bereits festgelegt ist. 

Die erste Verpflichtungsperiode (commitment period) ist leider erst auf 2008-2012 festgelegt worden, wie die USA ursprünglich vorgeschlagen hatten. Damit konnte das gewünschte frühe Ziel im für Politik und Wirtschaft relevanten Rahmen (2003-2007) von der EU und G77 plus China nicht erreicht werden. Es wurde lediglich eine Sollbestimmung aufgenommen, daß bis zum Jahr 2005 ein vorzeigbarer Fortschritt auf dem Weg zum Klimaziel erreicht sein soll.

 

Policies and Measures Werden neben Reduktionszielen auch Politiken und Maßnahmen zur Treibhausgasreduzierung vorgeschrieben?

Hier ist in Artikel 2 des Protokolls vor der Aufzählung der Bereiche, in denen Politiken und Maßnahmen ergriffen werden sollen, die schwache und unverbindliche Formulierung "such as" gewählt worden: Maßnahmen haben also nur Vorschlagscharakter. 

Eine erfreuliche Ausnahme betrifft die Emissionen vom internationalen Luft- und Seeverkehr. Es wurde ein (relativ schwach formulierter) Auftrag an die Annex-I-Länder erteilt, in Zusammenarbeit mit der Internationalen Luftverkehrs- (ICAO) und der Internationalen Seeverkehrsorganisation (IMO) auf die Begrenzung und Verringerung der entsprechenden Treibhausgasemissionen hinzuwirken. 

 

Welche Staaten? Wie, wann und welche Entwicklungsländer?

Diese Frage rückte wie erwartet zum Abschluß der Verhandlungen ins Zentrum. Durch die Einrichtung eines Clean Development Mechanism, der bei technischen (quasi) Joint Implementation-Projekten Einzahlungen erhält, ist ein Artikel in das Protokoll eingeführt, der den Entwicklungsländern eine Gegenleistung für eine gewisse Bereitschaft zu aussagekräftigen Verpflichtungen ("meaningful commitments") anbietet. Der Versuch, zumindest die Möglichkeit freiwilliger, aber dann verbindlicher Verpflichtungen für Entwicklungsländer im Protokoll festzuschreiben, scheiterte aber am Widerstand eines Teils der Entwicklungsländer. 

Das Kyotoer Protokoll enthält also ausschließlich Emissionsbegrenzungs-Verpflichtungen für Industrieländer. 

 

Emissions Trading Dürfen Annex-I-Länder Emissionsreduktionen von anderen Ländern aufkaufen? 

Emissions Trading ist im Protokoll verankert. Alle näheren Ausführungsbestimmungen wurden von einer Gruppe von Entwicklungsländern aus dem Protokoll gekippt. 

Positiv ist, daß das sog. "Borrowing", das Nutzen von Emissionen künftiger Verpflichtungsperioden, ausgeschlossen sein wird. 

Das "Banking" ist erlaubt: Ein Land, das in einer Verpflichtungsperiode mehr erreicht als vorgeschrieben, bekommt auf Wunsch dieses Plus in der nächsten Verpflichtungsperiode gutgeschrieben. 

Positiv ist, daß die "superheated air" nach gegenwärtigem Stand ausgeschlossen ist. Als superheated air werden Emissionsreduktionen der osteuropäischen Länder bezeichnet, die, da schon vor der ersten Verpflichtungsperiode verringert und "angespart", in den Handel gebracht werden sollten. 

Sehr negativ ist allerdings, daß die sog. "hot air" - das etwas kleinere Schlupfloch - nicht ausgeschlossen ist. Unter hot air versteht man Emissionsreduktionen, die - vor allem in osteuropäischen Ländern - ohne zusätzliche Maßnahmen erreicht werden und an andere Länder im Rahmen des emissions trading verkauft werden können. Der Einbezug könnte bedeuten, daß mindestens etwa 2 Prozent der beschlossenen Emissionsreduktionen für Annex-I-Länder keine realen Verringerungen des Treibhausgas-Ausstoßes bringen, sondern nur auf dem Papier existieren. 

 

Net Approach vs. Gross Approach Werden CO2-Senken in die Berechnungen einbezogen?

Leider werden trotz ungeklärter Methodologie CO2-Senken mit in das Protokoll miteinbezogen. Immerhin werden sie auf drei Möglichkeiten begrenzt: Wiederaufforstung (Reforestation), Erweiterung von Wäldern (Afforestation) und Abholzung (Deforestation). Dies begrenzt den Schaden. Wie groß das Schlupfloch ist, wird sich erst ab 1998 entscheiden, wenn weitere Details geregelt sind und vor allem der Begriff Deforestation eindeutig definiert ist. 

 

Differenzierung Sollten für alle Industriestaaten dieselben Reduktionsverpflichtungen gelten?

Es hat sich abgezeichnet, daß ohne eine Differenzierung (siehe oben, Reduktionsziele) kein Abschluß mit Reduktionszahlen erreichbar wäre. Vorteil der jetzigen Regelung ist das in den Augen von vielen Industrieländern relativ hohe Gesamtziel für Annex-I-Länder (5 Prozent Reduktion). Nachteil ist, daß die Differenzierung nicht nach nachvollziehbaren Kriterien erfolgt, sondern sozusagen nach der Gutwilligkeit der jeweiligen Partei in den Verhandlungen. Deshalb sollte diese Art der Differenzierung auf die erste Verpflichtungsperiode begrenzt bleiben. 

 

Joint Implementation Dürfen Reduktionsverpflichtungen auch von zwei Ländern gemeinsam implementiert werden?

Joint Implementation Projekte mit Entwicklungsländern sind nicht vorgesehen. Allerdings sind Quasi-Joint-Implementation-Projekte - im Rahmen des Clean Development Mechanismus - vorgesehen. Uns scheint die gewählte Formulierung (certified emission reductions) in Artikel 13.3(a) die Anrechnung von Senken nicht zuzulassen. Dies wäre sehr vorteilhaft, da damit die methodologisch unklaren Senken zumindest in diesem Bereich ausgeschlossen und wirklich Technologietransfer ins Zentrum rücken würde. (Dies bedarf aber noch weiterer Abklärung, da die Formulierung interpretationsbedürftig ist). 

 

Non-Compliance-Mechanismus Wie wird die Einhaltung der Verpflichtungen gewährleistet?

Die Errichtung eines Non-compliance-Mechanismus, der dem Protokoll Zähne gibt, wird auf die erste Vertragsstaatenkonferenz nach Ratifizierung des Protokolls durch genügend viele Parteien und damit Inkrafttreten des Protokolls verschoben. 

 

Review-Prozeß Wie schnell kann nachgebessert werden?

Spätestens im Jahr 2005 sollen Reduktionsziele für weitere Verpflichtungsperioden beschlossen werden. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls könnte auch dieses nachgebessert werden. 

 

Inkrafttreten des Protokolls  Unter welchen Bedingungen tritt das Protokoll in Kraft?

Mindestens 55 Länder - etwa ein Drittel der Vertragsparteien - müssen dazu das Protokoll unterzeichnen. Und 55 Prozent der CO2-Emissionen der Annex-I-Länder von 1990 müssen repräsentiert sein. Damit ist dem US-Senat zwar kein Vetorecht eingeräumt (die USA hat einen Anteil von 34 Prozent an diesen Industrieländer-Emissionen), aber doch eine recht hohe Meßlatte angelegt. 

 

Autoren: Christoph Bals, Dörte Bernhardt, Dr. Manfred Treber

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