Gemeinsame Stellungnahme von WWF, FÖS, DNR und Germanwatch zum Ergebnisbericht der „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“
Die Deutsche Energieagentur (dena) veröffentlicht heute den Ergebnisbericht des Projekts „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“. In diesem von mehr als 70 Unternehmen, Institutionen und Verbänden finanzierten Projekt hat die dena zusammen mit sechs wissenschaftlichen Instituten und weiteren Fachgutachtern die Frage analysiert: Welche Weichen müssen in den nächsten Jahren gestellt werden, damit Deutschland bis zum Jahr 2045 weitestgehend klimaneutral ist?
Begleitet wurde das Vorhaben über seine gesamte Laufzeit von einem 45-köpfigen Beirat. Darin vertreten waren hochrangige Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der Beirat sollte wichtige Impulse für den Projektverlauf und allen Beteiligten kritische Hinweise zur fortwährenden Überprüfung der Erkenntnisse geben. Wir, das sind Christoph Bals (Germanwatch), Prof. Dr. Kai Niebert (Deutscher Naturschutzring, DNR), Viviane Raddatz (WWF Deutschland) und Carolin Schenuit (Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, FÖS), waren im Beirat der Studie vertreten.
Mit dieser gemeinsamen Stellungnahme möchten wir Aspekte im Ergebnisbericht benennen, die wir kritisch sehen. Das haben wir auch im Rahmen der Beiratssitzungen getan.
Wenngleich wir natürlich Verständnis dafür haben, dass in einer breit angelegten Bottom-up-Studie mit einer Vielzahl von Projektbeteiligten nicht alle unsere Punkte aufgegriffen werden können, so möchten wir mit dieser Stellungnahme diese Punkte klar benennen. Wir halten sie für sehr wichtig und grundlegend für die weiteren politischen Richtungsentscheidungen. Sie betreffen vor allem Entwicklungen für den Zeitraum nach 2030.
Zunächst möchten wir jedoch unseren Dank aussprechen: Die Koordination und Umsetzung dieser Multi-Stakeholder-Studie war ein Kraftakt, vor allem für das Team der dena, und hat viele produktive und wertschätzende Diskussionen ermöglicht. Wir bedanken uns für die Einbindung und freuen uns darauf, zukünftig an diese Diskussionen anzuknüpfen.
Zu starker Fokus auf Importe von grünem Wasserstoff und Powerfuels
Die Szenarien der dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität setzen, insbesondere ab dem Jahr 2030, außerordentlich stark auf importierten Wasserstoff und Powerfuels zur Erreichung der Klimaziele. Gleichzeitig wird in der Studie auch herausgearbeitet, dass dieser Molekülpfad sowohl wesentlich teurer als auch deutlich primärenergieaufwändiger ist als die direktelektrischen Nutzungsformen.
Wenn der modellierte Entwicklungspfad in der gebotenen Schnelligkeit umgesetzt werden sollte, birgt er zudem das deutliche Risiko, neo-koloniale Strukturen zu befördern. Denn hohe Importe von grünem Wasserstoff bedeuten, dass der Transformationsdruck zur Erreichung der Klimaziele auf das Ausland verlagert wird, insbesondere auch auf Länder des globalen Südens. Mit Blick auf die dort meist deutlich schwächer ausgeprägten staatlichen Institutionen, Governance-Strukturen und Infrastrukturen sehen wir keinen realistischen, wirklich klimaschutzwirksamen Realisierungspfad, der zur notwendigen starken globalen Netto-Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen bis hin zur Treibhausgasneutralität führen kann. Es besteht das Risiko, dass dieser Pfad die Transformation in diesen Ländern eher untergräbt als befördert und dass sich neue Formen des „Ressourcenfluchs“ etablieren. Sowohl aus umsetzungspragmatischer als auch aus entwicklungspolitischer Sicht sehen wir die Ergebnisse der Leitstudie in diesem Bereich daher kritisch.
Politikempfehlungen zu Natur- und Artenschutz und zur Senkung der EEG-Umlage kritisch
Die im Energie-Kapitel enthaltenen Politikempfehlungen sind im Beirat nicht diskutiert worden. Wir teilen insbesondere Aspekte der auf Natur -und Artenschutzrecht abzielenden Empfehlungen nicht. Hier hätte noch mehr auf die Vorarbeit der Umweltverbände hinsichtlich der Planungsbeschleunigung und des naturverträglichen Ausbaus der erneuerbaren Energien zurückgegriffen werden können.
Auch die Forderung nach einer vollständigen Zahlung der EEG-Umlage aus Haushaltsmitteln bzw. CO2-Preis-Einnahmen teilen wir so nicht, andere Kompensationsmaßnahmen (z.B. Pro-Kopf-Pauschale oder gezielte Hilfen für Geringverdienende) könnten sehr viel progressiver und ggf. auch gezielter wirken. Zumindest die Forderung nach einer ergebnisoffenen Prüfung verschiedener Wege der EE-Finanzierung und Kompensation hätte hier eher den unterschiedlichen Meinungen eher entsprochen. Die Reform der verschiedenen staatlich veranlassten Strompreisbestandteile (nicht nur der EEG-Umlage) mit ihrer Lenkungs- und Verteilungswirkung sollte dabei geprüft werden.
Wärmesektor: Überdimensionierter Einsatz von Wasserstoff
Uns erscheint die angenommene Rolle von erneuerbarer Fernwärme und die Option (kalter) Nahwärme-Netze als wichtiges Element einer erneuerbaren Wärmeversorgung in der Studie deutlich unterschätzt. Daraus resultiert ein Einsatz von Wasserstoff und Powerfuels im Gebäudesektor in beachtlicher, aus unserer Perspektive deutlich überdimensionierter Menge. Langfristige Lock-in Effekte, die problematisch für den Klimaschutz sein können, welche durch die Umrüstung von Gasinfrastruktur und Heizsystemen einhergehen, wurden nach unserer Beobachtung nicht ausreichend reflektiert.
Verkehr: Überhöhung von erneuerbaren Kraftstoffen und Festhalten am Verbrenner
Auch im Verkehr wird die Rolle von erneuerbaren Kraftstoffen und Wasserstoff zur Zielerreichung zu stark in den Fokus gerückt, obwohl – wie oben schon erwähnt – dieser Pfad laut den Sensitivitätsrechnungen der Studie weniger effizient und kostenaufwändiger ist. Wie die Bereitstellung der vorgesehenen Mengen an nachhaltig erzeugten, erneuerbaren Kraftstoffen gelingen soll, ist nicht ersichtlich – abgesehen davon, dass wir den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen im PKW-Bereich ebenso entschieden ablehnen wie die Politikempfehlung, synthetische Kraftstoffe auf EU-Flottengrenzwerte anzurechnen. Dies stellt eine problematische Subventionierung dar und keineswegs ein freiwilliges Instrument.
Insgesamt hält die Studie aus unserer Sicht zu stark am Verbrennungsmotor fest, auch langfristig. Gleichzeitig werden – zumindest kommunikativ – vor allem die Verbraucher:innen stark zur Verantwortung gezogen. Dabei wird insbesondere mit Blick auf den Bedarf an Subventionen und Förderung für den Markthochlauf überbetont, dass neue Technologien, insbesondere die Elektromobilität, ohne Förderung in den Markt kommen sollen, wohingegen Förderungen wie die Anrechnung auf EU-Flottengrenzwerte nicht transparent als solche benannt werden. Hier wird in der Studie mit zweierlei Maß argumentiert.