Meldung | 18.08.2021

Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung: Verbände fordern Klarstellung von der EU-Kommission

Antibiotikamissbrauch - Tiere Menschen Rechte

Bestimmte Antibiotika nur für Menschen oder auch für Tiere? Diese Fragestellung wird aktuell rund um einen europäischen Rechtsakt diskutiert, gegen dessen bisherige Ausgestaltung im Juli parlamentarischer Einspruch erhoben wurde. Dieser Einspruch sieht vor, für Menschen wichtigste Antibiotika (von der Weltgesundheitsorganisation WHO definiert als „critically important antimicrobials highest priority“, kurz: CIA HP) zunächst grundsätzlich dem Menschen vorzubehalten. Zugleich soll über eine Änderung der EU-Tierarzneimittelverordnung, die durch den Rechtsakt ausgestaltet werden soll, jedoch auch eine Einzeltierbehandlung ermöglicht werden. Dies würde dazu führen, dass die CIA HP nicht mehr massenhaft in der Gruppenbehandlung von Tieren eingesetzt werden dürften, wie es vor allem in der industriellen Tierhaltung betrieben wird – damit könnte die Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen entschieden eingedämmt werden. Gleichzeitig wäre sichergestellt, dass insbesondere Haustiere noch mit diesen Antibiotika behandelt werden können.

Kontrovers diskutiert wird aktuell, ob ein erfolgreicher Einspruch tatsächlich dazu führen würde, dass im Endeffekt nur Lebensmittel liefernde Tiere von den Änderungen im Rechtsakt und der zugrundeliegenden Verordnung betroffen wären (und das auch nur bezüglich der Gruppenbehandlung). Mehrere Verbände, darunter auch Germanwatch, sehen dahingehend zwar keinen grundsätzlichen Anlass zur Sorge, bitten nun aber die EU-Kommission in einem gemeinsamen Brief um eine schnellstmögliche Klarstellung der Faktenlage – noch im Vorfeld einer weiteren parlamentarischen Abstimmung zum Einspruch Anfang September.

 


Offener Brief

Einsatz von CIA HP in der Tierhaltung: Bitte um Klarstellung der Faktenlage

Sehr geehrte Frau Kommissarin Kyriakides,
Sehr geehrte Frau Direktorin Jülicher,
Sehr geehrte Frau Zamora Escribano,

die aktuellen Entwicklungen rund um den delegierten Rechtsakt „Drug resistance – criteria for identifying antimicrobial medicines reserved for treating humans“ stoßen in unseren Verbänden, aber auch in der allgemeinen Öffentlichkeit an entscheidenden Stellen auf grundlegendes Unverständnis. Mit diesem Schreiben möchten wir Sie als Verantwortliche in der EU-Kommission darum bitten, zur Klarstellung der aktuell diskutierten Faktenlage beizutragen.

In ihren Leitlinien für den Gebrauch von Antibiotika bei Lebensmittel liefernden Tieren empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), keine „critically important antimicrobials highest priority“ (CIA HP) mehr einzusetzen. In der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel ist gleichfalls ein Vorbehalt vorgesehen, bestimmte Antibiotika nur noch in der Humanmedizin einzusetzen. [1] Und im „European One Health Action Plan against Antimicrobial Resistance (AMR)“ (2017) verpflichtet sich die EU-Kommission zudem, sich weiterhin aktiv an der normativen Arbeit der WHO, des OIE, der FAO und des Codex Alimentarius zu beteiligen und zur Entwicklung ehrgeiziger internationaler Rahmenwerke, Standards, Normen, Leitlinien und Methoden im Zusammenhang mit AMR beizutragen. [2] Die WHO hat im November 2017 schließlich die oben erwähnten Leitlinien vorgelegt. In dieser von der WHO angeregten Diskussion geht es ausdrücklich um Lebensmittel liefernde Tiere, nicht aber um Heim- und Hobbytiere.

Ist es richtig, dass Sie sich weiterhin zum WHO-Ansatz bekennen? Ist es richtig, dass Sie den Vorbehalt für CIA HP für die Behandlung von Menschen gemäß der VO 2019/6 und ausstehende delegierte Rechtakte ausschließlich auf Tiere beziehen, die der Lebensmittelgewinnung dienen?

In diesem Fall wäre eine öffentliche Klarstellung sehr hilfreich und würde zur Versachlichung der Debatte beitragen. Sollte sich die EU-Kommission hingegen vom Ansatz der WHO distanzieren und – anders als von der WHO intendiert – im Rahmen der Verordnung (EU) 2019/6 absichtlich eine Formulierung gewählt haben, die auch nicht zur Lebensmittelgewinnung dienende Tiere inkludiert, so bitten wir um unverzügliche Nachricht und eine fachlich wissenschaftliche Begründung für diese Entscheidung und die Abweichung von der WHO-Linie.

Die EU-Kommission und die zuständigen EU-Behörden tragen regelmäßig zu Monitorings und Untersuchungen zu AMR in Lebensmittelketten tierischen Ursprungs bei. Die ESVAC database [3] weist aus, dass auf Haustiere nur ein äußerst geringer Anteil an den Antibiotikaverkäufen insgesamt entfällt. EU-Monitoringsysteme für AMR bei Tieren, die keine Lebensmittel liefern, hat die EUKommission indes unseres Wissens nach bisher nicht beauftragt. Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie nachdrücklich, kurzfristig zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen und klarzustellen, welche Tiere auf welcher wissenschaftlichen Grundlage in der Verordnung (EU) 2019/6 und somit vom delegierten Rechtsakt betroffen sein sollten. Des Weiteren wäre es hilfreich, wenn Sie öffentlich darlegen würden, wie die EU-Kommission – ggf. gemeinsam mit Rat und Parlament – es erreichen kann, in der VO 2019/6 den Vorbehalt für Menschen bei der Antibiotikazulassung auf Lebensmittel liefernde Tiere bzw. die Behandlung von Tiergruppen zu fokussieren und dabei zugleich eine Ausnahme für Einzeltierbehandlungen einzuräumen.

Aus Sicht der unterzeichnenden Verbände liegen insbesondere mit den WHO guidelines on use of medically important antimicrobials in food-producing animals überzeugende Empfehlungen vor, die namentlich auf Lebensmittel liefernde Tiere verweisen und bei der Rechtssetzung in der EU stärker berücksichtigt werden sollten. Mit diesem Schreiben möchten wir Sie sehr ermutigen, die Bekämpfung von lebensmittelbedingten Antibiotikaresistenzen in Europa einen wichtigen Schritt voran zu bringen, indem CIA HP bei Lebensmittel liefernden Tieren verboten werden, wie dies bereits in anderen Staaten teils der Fall ist. Europa würde damit zum Vorreiter bei der Bekämpfung von AMR aus der Lebensmittelkette. Mindestens aber sehen wir strenge Reglementierungen für den Einsatz von CIA HP bei Lebensmittel liefernden Tieren als notwendig an. Dass und wie die Tiergesundheit auf anderen Wegen als mit Antibiotika und im Besonderen als mit CIA HP stabilisiert werden kann, zeigen bereits diejenigen Mitgliedsstaaten, die nachweislich pro Kilogramm Nutztier die geringste Dosis an Antibiotika und an CIA HP bei Lebensmittel liefernden Tieren verbrauchen. An einem persönlichen Gespräch mit Ihnen in möglichst naher Zeit liegt uns sehr viel. Es würde uns sehr freuen, wenn Sie kurzfristig einen Termin für einen digitalen oder persönlichen Austausch vorschlagen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Ärzte gegen Massentierhaltung n.e.V. (Doctors against Factory Farming)
Deutsche Umwelthilfe e.V. (Environmental Action Germany)
Germanwatch e.V.
Greenpeace e.V.
Mukoviszidose e.V. - Bundesverband Cystische Fibrose
Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany)
Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.


 


[1] WHO guidelines on use of medically important antimicrobials in food-producing animals. Geneva: World Health Organization; 2017.
[2] eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015XC0911(01)&from=EN
[3] https://www.ema.europa.eu/en/documents/report/sales-veterinary-antimicrobial-agents-31-european-countries-2018-trends-2010- 2018-tenth-esvac-report_en.pdf