Meldung | 26.03.2021

„Das Gericht entzieht sich seiner Verantwortung als Hüter der Grundrechte“

Eine Zusammenfassung des Urteils vom Europäischen Gerichtshof in der EU Klimaklage People's Climate Case.
Unterstützer*innen des People's Climate Case vor dem Europäischen Gerichtshof am Tag der Gerichtsentscheidung.

Mit Entscheidung vom 25. März 2021 hat der europäische Gerichtshof die Klimaklage der zehn Familien aus fünf EU-Staaten, Kenia und Fidschi sowie des samischen Jugendverbands als unzulässig abgewiesen (Az. 565-19-P). Das Gericht bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil vom Mai 2019 und weist die Rechtsmittel der Kläger:innen zurück mit der Begründung, die klagenden Familien seien nicht „individuell betroffen“, wie es rechtlich gefordert sei. Damit steigt es nicht in die inhaltliche Prüfung ein, ob die EU den verfassungs- und völkerrechtlich gebotenen Klimaschutz verfehlt. Die Voraussetzung der "individuellen Betroffenheit" legt es eng so aus, dass die Kläger:innen anders als alle anderen betroffen sein müssen (sog. Plaumann-Formel). Die Kläger:innen hatten einerseits genau dies in ihrer Klage vorgetragen und belegt, dass sie alle unterschiedlich betroffen sind. Dies erkennt das Gericht an und hält es dennoch nicht für relevant – ein logischer Widerspruch.

Kern des Urteils ist die Angst vor der Popularklage: Da durch den Klimawandel viele geschädigt werden, könnten viele zu Gericht gehen. Die Kläger:innen hatten verschiedene Wege aufgezeigt, wie das Gericht mit eventuellen Massenklagen umgehen könnte, wie Fristen, Musterklagen, Berücksichtigung nur, wenn der Wesensgehalt von Grundrechten verletzt ist. Das Gericht ist darauf mit keinem Wort eingegangen.

Stattdessen meint es, wenn es von dem Kriterium der unterschiedlichen Betroffenheit abweiche, bedeute dies, dass es den entsprechenden Artikel des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verändere. Tatsächlich ist es aber das Gericht selbst, das mit seiner Plaumann-Formel den Text verändert, denn individuelle Betroffenheit bedeutet in allen Rechtsordnungen, die dieses Kriterium verwenden, persönliche, also nicht exklusive Betroffenheit. Das Gericht verweist dabei auf die jüngste Änderung der Vorschrift, nach der das Kriterium für Klagen gegen Gesetzgebungsakte aufrechterhalten worden sei. Dies ist jedoch nicht deshalb geschehen, um den Plaumann Test auf Gesetzgebungsakte festzuschreiben, sondern in der Absicht, dass die Klagebefugnis bzgl. Gesetzgebungsakten von der Gerichtsbarkeit weiterentwickelt werden sollte.

Mit der Ablehnung der Klagebefugnis entzieht sich das Gericht seiner Verantwortung als Hüter der Grundrechte, das EU-Klimaschutzrecht grundrechtlich und völkerrechtlich zu überprüfen. Es nimmt damit das Paradox in Kauf, dass es umso weniger individuellen Rechtsschutz gibt, je stärker die Schädigung und dementsprechend je mehr Menschen in ihren Grundrechten verletzt werden.

Es bleibt nun noch der Weg über eine Klage der Kläger:innen auf Ersatz ihrer Schäden, den das Gericht in der Tat offen gelassen hat. Oder es könnte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erhoben werden, die nach der vorläufigen Reaktion des Gerichts auf die Klage der 6 portugiesischen Jugendlichen aussichtsreicher sein könnte.

Weitere Informationen zum rechtlichen Hintergrund der EU-Klimaklage finden Sie hier
 

Eine Analyse von Prof. Gerd Winter und Dr. Roda Verheyen, Rechtsvertreter:innen im People's Climate Case

Foto: Unterstützer:innen des People's Climate Case vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg am Tag der Gerichtsentscheidung.