Blogpost | 09.11.2020

Klimaneutralität endet nicht an EU-Grenze

Ein Blogbeitrag von Martin Schön-Chanishvili, November 2020
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Der Europäische Green Deal und die deutsche Energiepartnerschaft mit der Ukraine brauchen mehr transformative Kraft, schreibt Martin Schön-Chanishvili. Er sieht am Beispiel Ukraine illustriert, woran bilaterale Klimapartnerschaften noch haken.


Ursula von der Leyen hat der Welt den ersten klimaneutralen Kontinent versprochen. Die EU und Deutschland sind gut beraten, dieses transformative Projekt mit ihren südöstlichen Nachbarstaaten gemeinsam anzugehen. Die gerade unterzeichnete deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft ist ein ermutigendes Beispiel. Sie zeigt aber auch die Schwächen dieses Formats auf – und was noch zu verbessern wäre.

Warum Partnerschaften?

Aus drei guten Gründen sollten die EU und gerade Deutschland mit ihren südöstlichen Nachbarn energiepolitisch effektiver zusammenarbeiten:

  • Erstens ist in Ost- und Südosteuropa der CO2-Ausstoß des Energiesektors viel zu hoch. Die Ukraine deckt über 30 Prozent ihres Strombedarfs aus der Verfeuerung von Steinkohle, gefördert unter schlechten Arbeitsbedingungen und praktisch unkontrollierter Schadstoffemission. Sie zieht damit die Klimabilanz des Kontinents nach unten.
  • Zweitens wollen die EU und Deutschland längerfristig Frieden auf dem Kontinent. Dafür brauchen die Ukraine und der Westbalkan Perspektiven in der Dekarbonisierung. Ein fossiler Lock-in wird Südosteuropa wirtschaftlich und politisch schwächen.
  • Drittens werden derzeit weder die EU noch Deutschland ihren Klimaambitionen gerecht, sie brauchen Partner. Klimapartnerschaften mit anderen Ländern sind somit ein Win-Win für beide Seiten und ein wichtiger Baustein für Europas Klimaneutralität.

Klimapartnerschaften empfehlen sich deshalb weltweit, funktionieren jedoch häufig noch nicht gut genug. Am aktuellen Beispiel Ukraine lassen sich die Herausforderungen gut illustrieren und daraus Empfehlungen für Deutschland und die EU ableiten.

Guter Rahmen: bilaterale Zusammenarbeit

Die Rahmenbedingungen sind gut. Im September haben das BMWi und das ukrainische Energieministerium die Rahmenvereinbarung für eine millionenschwere Energiepartnerschaft unterzeichnet, mit Fokus auf Energiewende und Strukturwandel. Die EU arbeitet an einem „Green Deal“ mit der Ukraine. Damit hat Deutschland ein starkes Signal für eine langfristige Zusammenarbeit zur Energiewende gesetzt. Bereits vorher hatten sich BMWi, BMU und BMZ erfolgreich für Teilbereiche der Energiewende in der Ukraine engagiert, von Gebäudeeffizienz bis zur Ertüchtigung des Übertragungsnetzes. Germanwatch konnte mit BMZ-Finanzierung eine einzigartige Plattform von Kohlestädten und NGOs im ostukrainischen Donbass unterstützen, die für einen transparenten Kohle-Ausstiegspfad eintreten.

Nun winkt der Ukraine ein mehrstelliger Millionenbetrag an Unterstützung und Krediten. Geld, dass die Ukraine bitter nötig hat. Erst vor kurzem ist das Land knapp einem Staatsbankrott entkommen, immer noch sind 85.000 Menschen im Kohlesektor beschäftigt, etwa die Hälfte in Privatunternehmen. Vor allem in der vom Krieg gebeutelten Donetsk-Region ist die Kohle ein entscheidender Arbeitgeber.

Dämpfer für eine ambitionierte Klimapolitik

Mitte Oktober legte die ukrainische Regierung ihre Pläne zur Reform des Kohlesektors vor – und bestätigte die Befürchtungen von Klima-Experten_innen: Im Kern will der Staat die Kohleindustrie mittelfristig stabilisieren. Denn 25 Prozent weniger Kohleförderung bis 2027 sind – ohne klaren Ausstiegspfad – in erster Linie eine Effizienzmaßnahme. Der Staat plant, die Kohle weiterhin mit umfassenden Subventionen zu alimentieren, die auch profitablen Privatfirmen zugutekommen werden.

Positiv fallen die Pläne auf, den Strukturwandel aktiv anzugehen – von Umschulungsprogrammen für Kohlekumpel bis zur Schaffung 40.000 neuer Jobs in anderen Sektoren. Dies sind politisch mutige Schritte, denn bisher hatte die Ukraine den Umbau des Kohlesektors verschleppt. Sie sind jedoch in keiner Weise in eine energiepolitische Strategie im Sinne des European Green Deal eingebettet.

Die ukrainische Regierung erwägt nun offenbar, als nächstes eine Ankündigung zur Klimaneutralität bis 2070 zu machen, mit Kohleausstieg bis 2050. Ein solcher Pfad wäre ein wichtiger erster Schritt. Er würde allerdings den Zielsetzungen des Pariser Klimaabkommens, dem European Green Deal und dem Geiste der Energiepartnerschaft noch nicht gerecht. Zudem sind entsprechende Ankündigungen im volatilen Umfeld ukrainischer Politik mit Vorsicht zu genießen. Das deutsche und das europäische Angebot entfalten also bisher keine transformative Kraft. Sie könnten sogar als Backup für eine Stabilisierung fossiler Energieversorgung verpuffen.

Was fehlt?

In der EU-Nachbarschaft zwischen Russland, der Ukraine und dem Balkan wird aufmerksam beobachtet, ob es Deutschland und die EU mit der Klimaneutralität ernst meinen. Aus Sicht von Germanwatch und ukrainischen Partnern aus NGO, Politik und Kohleregionen sollte eine transformative Klimapartnerschaft für die Ukraine deshalb an drei Stellen ansetzen:

1) Deutschland und die EU sollten ein transformatives Angebot machen, das mit klaren Regeln für beide Seiten verbunden ist.
Solche Regeln funktionieren bereits im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens (beispielsweise sind Finanzhilfen abhängig von Fortschritten bei der Rechtstaatlichkeit). Die Ukraine könnte zum Beispiel einen rechtlich verbindlichen Kohle-Ausstiegspfad definieren und keine Staatsgarantien für die Modernisierung von Kohlekraftwerken mehr vergeben. Deutschland und die EU könnten sich im Gegenzug verpflichten, die Ukraine technisch, finanziell und durch den Aufbau von Forschungsinstituten zu unterstützen.

2) Deutschland und die EU sollten Kooperation stärker auf regionaler und kommunaler Ebene fördern – dies ist bedarfsorientiert und besonders effektiv.
Deutsche und ukrainische Kohlestädte stehen bereits im partnerschaftlichen Austausch, sie sollten auch Förderung für konkrete Projekte zum Strukturwandel bekommen. Die Themenpalette wäre breit: von regionaler Wirtschaftsförderung über Umschulung bis zur energetischen Nutzung von Grubenwasser. Die gut funktionierenden Angebote des Covenant of Mayors und der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt wären eine ausgezeichnete Grundlage.

3) Die ukrainische Zivilgesellschaft und die betroffenen Gemeinden müssen eine starke Rolle in der Partnerschaft haben.
Ihre Repräsentanten sollten in den entsprechenden Gremien als stimmberechtigte Mitglieder sitzen. Die ukrainische Regierung hat hier bereits einen Schritt unternommen, indem sie drei Bürgermeister der Plattform von Kohlestädten des Donbass in die nationale Kohlekommission aufgenommen hat. Dennoch gehen zentrale Entscheidungen der energiepolitischen Zusammenarbeit – insbesondere bilateral – meist an den betroffenen Regionen vorbei.


Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.11.2020 im Tagespiegel Background Energie & Klima