Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Europa braucht den großen Wurf und keine Trippelschritte
Berlin (30. Juni 2020). Anlässlich der morgen beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft fordern zahlreiche Natur- und Umweltschutzverbände die Bundesregierung auf, mutige Impulse für eine nachhaltige und krisenfeste europäische Staatengemeinschaft zu setzen. Als Teil der Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise bedeutet das vor allem, den Green Deal der EU-Kommission weiter zu stärken und ambitioniert umzusetzen, die Forcierung eines deutlich höheren EU-Klimaziels für 2030, sich der Biodiversitätskrise mit einer grundlegenden Neuausrichtung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) zu stellen sowie sich für eine klare Ausrichtung der Vergabe von EU-Geldern entlang einer sozial-ökologischen Transformation Europas im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen und den nachhaltigen Entwicklungszielen einzusetzen.
Hierzu die Verbände:
Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR):
„In den nächsten Wochen und Monaten muss sich Angela Merkel als Klima-Kanzlerin neu erfinden und mit dem Green Deal Europa gemeinsam wieder stark machen! Die deutsche Bundesregierung trägt die Verantwortung, mit ihrer Pandemie-Präsidentschaft die Weichen für ein gerechteres und klimaneutrales Europa zu stellen. Im Dezember müssen ein völkerrechtskonformes Klimaziel vom -65 Prozent CO2 und ein EU-Haushalt stehen, mit dem die Landwirtschaft Lebensmittel produziert, die gesund für Mensch und Natur sind.“
Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD):
„Die Bundesregierung muss ihre EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die Verkehrswende in ganz Europa voranzutreiben. Klimaschutz im Verkehr gehört weit oben auf die Agenda. Nur so können wir den Klimawandel bekämpfen, die Luft sauberer machen, für mehr Sicherheit im Verkehr sorgen und nachhaltigere Arbeitsplätze im Mobilitätssektor schaffen. Diese Ziele müssen wir mit derselben Entschlossenheit angehen, mit der wir auch der Corona-Krise begegnen.“
Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU):
„Der deutsche Vorsitz im Rat der Europäischen Union wird durch die Corona-Krise geprägt. Gleichzeitig stehen wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene an, beispielsweise über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und Wiederaufbaufonds, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) oder das Klimaschutzziel der EU. Der NABU fordert die Bundesregierung auf, die richtigen Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen: Die Ratspräsidentschaft muss daran ausgerichtet werden, Wirtschaft und Gesellschaft in Europa zukunftsfähig zu machen. Dies kann nur gelingen, wenn die Bundesregierung ressortübergreifend Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele adressiert. Ansonsten drohen der Wirtschaft und Gesellschaft Folgen, die weit über das Ausmaß der aktuellen Krisen- Situation hinausgehen. Der NABU vermisst eine solche Schwerpunktsetzung im heute von der Bundesregierung beschlossenen Programm. Dieses gleicht eher einem Potpourri als einer visionären Agenda.“
Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND):
„Die Bundesregierung muss die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um den Wiederaufbau der Wirtschaft ökologisch und sozial zu gestalten. Jetzt ist die Zeit umzusteuern und nicht-zukunftsfähige Wirtschaftsbereiche zu transformieren. Auf keinen Fall dürfen durch die Ratspräsidentschaft die falschen wirtschaftspolitischen Impulse gesetzt werden, durch die Mensch und Umwelt geschädigt werden. So darf weder das EU-Mercosur-Abkommen vorangebracht werden, das ein Freifahrtschein für die Abholzung des Regenwaldes ist, noch darf unter dem Deckmantel der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Fusionskontrolle großer Unternehmen aufgeweicht werden.“
Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland:
„Während der deutschen Ratspräsidentschaft hat Angela Merkel den Kompass in der Hand, um mit den milliardenschweren Konjunkturpaketen die Weichen für die Zukunft der nächsten Generationen zu stellen. Schützen wir das Klima und die Natur, schützen wir auch gleichzeitig unsere Gesundheit. Ein starkes und zukunftsfähiges Europa wird nur mit einem gesunden Leben für alle, einer intakten Natur und der Begrenzung der Erderhitzung gelingen. Konkret heißt das: Die Bundesregierung muss sich für ein erhöhtes Klimaschutzziel von mindestens 55 Prozent Treibhausgas-Minderung in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einer wissenschaftlich eigentlich gebotenen Minderung von 65 Prozent einsetzen – wie auch für die Verabschiedung eines EU-Klimaschutzgesetzes, die Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie und für nachhaltige Investitionen der EU-Konjunkturprogramme.“
Barbara Metz, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH):
„Seit 2010 ist die Menge an Verpackungsmüll in Europa bis heute um mehr als 12 Prozent auf 173 kg pro Kopf und Jahr angestiegen. Auch die Elektroschrottberge wachsen immer weiter an, weil immer mehr Elektrogeräte über kürzere Zeiträume genutzt und dann weggeworfen werden. Auf europäischer Ebene sind keine ernsten Bemühungen erkennbar, diese Themen anzugehen. Wir brauchen jetzt konkrete Zielvorgaben zur Abfallvermeidung, Wiederverwendung und zur absoluten Reduktion des Ressourcenverbrauchs auf europäischer Ebene. Konkrete Maßnahmen in der Kreislaufwirtschaft, wie z.B. Mehrwegverpackungen, kommen auch dem Klimaschutz zugute. Umweltministerin Schulze muss deshalb Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz zusammendenken und sich während der EU-Ratspräsidentschaft für Vermeidung, Mehrweg und Wiederverwendung einsetzen.“
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch:
"Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft steht die Verschärfung der Klimaziele für 2030 auf mindestens minus 55 Prozent an – und selbst das reicht noch nicht für das Erreichen der Pariser Klimaziele. Zugleich will die EU so viel Geld in die Hand nehmen wie nie zuvor, um aus der Corona-Krise zu kommen. Es gilt dieses Geld so einzusetzen, dass damit auch die Klimakrise sozial gerecht eingedämmt wird. Zugleich muss die EU sicherstellen, dass auf den Konjunkturpakten der EU nicht nur ‚grün‘ steht, sondern auch ‚grün‘ drin ist. Dazu bedarf es starker Kontrollrechte des Europäischen Parlaments und wirkungsvoller Prüfinstrumente sowohl für die Pläne der Länder als auch für öffentlich unterstützte Investitionen von Unternehmen.“