Blogpost | 13.05.2020

Antibiotikaresistenzen schwächen Schlachthofbeschäftigte und Krankenhäuser

Germanwatch fordert Ende der Ausbeutung von Schlachthof-Beschäftigten und faire Lieferketten für alle Unternehmen
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aus Faire Arbeit in der Fleischindustrie“. Abschlussbericht.

Spätestens seit verschiedenen Medienberichten im Jahr 2013 sind die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in der Fleischindustrie öffentlich bekannt. Anfang des Jahres haben wir gemeinsam mit Misereor die Menschenrechtsverletzungen in diesem Industriezweig dokumentiert – mit dem traurigen Ergebnis, dass sich die Situation der Beschäftigten bis heute nicht verbessert hat. Besonders betroffen sind Beschäftigte, die nicht beim Schlachtunternehmen direkt angestellt sind, sondern über Werkverträge bei Subunternehmen. Viele Branchen kennen Werkverträge für Arbeiten, die beispielsweise nicht dauerhaft anfallen. In der Schlachtbranche werden allerdings Arbeiten, die täglich und ganzjährig anfallen – wie etwa das Schlachten, Zerlegen und Reinigen – durch Werkvertrag-Beschäftigte erledigt. Ihre teils sklavenähnliche Arbeitsbedingungen sind vielfach dokumentiert.

Vor diesem Hintergrund überrascht der Abschlussbericht der Überwachungsaktion „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ von NRWs Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nicht: Die beengten und unwürdigen Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der Beschäftigten in der Fleischindustrie haben laut Bericht dazu beigetragen, dass bundesweit Hunderte von ihnen mit Corona-Infektionen in Krankhäusern behandelt werden müssen.

Erhöhtes Gesundheitsrisiko durch Arbeitsüberlastung und multiresistente Keime

Die erschütternd hohen Covid-19-Zahlen unter Werkvertrags-Arbeitenden könnten dazu führen, dass die Erkrankten unbeabsichtigt auch Antibiotikaresistenzen in die Krankenhäuser einschleppen, so der Bericht. Dabei sind sie vor allem selbst an Leib und Leben bedroht.

Durch die unwürdigen Arbeitsbedingungen sind die Schlachthofbeschäftigten oft gesundheitlich angeschlagen und daher besonders anfällig für Viruserkrankungen wie Corona. Hinzu kommt, was Wissenschaftler*innen bereits 2016 und 2017 feststellten: dass an großen Schlachthöfen 9 (RKI) bis hin zu 21 Prozent der Beschäftigten mit Antibiotikaresistenzen belastet waren, nachdem sie beispielsweise in engem Kontakt mit den Schlachttieren arbeiten mussten. Mit der hohen Zahl der Corona-Infektionen unter Schlachthofangestellten kommen die Folgen der Billig-Fleischerzeugung nun wie ein Bumerang in unser Gesundheitssystem zurück: die unwürdigen Arbeitsbedingungen in Mega-Schlachthöfen tragen dazu bei, dass Menschen vermehrt mit Antibiotikaresistenzen belastet werden. Diese Menschen kommen nun mit Covid-19 in Krankenhäuser, die oft ohnehin schon stark mit multiresistenten Krankenhauskeimen zu kämpfen haben. Dabei wäre die an Körperverletzung grenzende Kontamination der Schlachthofbeschäftigten sowohl mit dem Coronavirus als auch mit multiresistenten Keimen weitgehend vermeidbar, indem das System Billigfleischproduktion beendet wird.

Die Corona-Krise führt uns einen lang bestehenden Notstand in der Antibiotikaversorgung vor Augen: Humanmediziner*innen benötigen auch bei Covid-19 wirksame Antibiotika – gerade bei schweren Krankheitsverläufen, etwa wenn geschwächte Patient*innen zusätzlich an bakteriellen Infekten leiden. Aber die industrielle Fleischbranche trägt dazu bei, dass bald auch gegen Bakterien-Infektionen bei Mensch und Tier immer weniger Mittel wirken.

Staat und Unternehmen müssen jetzt Verantwortung übernehmen

Die flächendeckenden Schlachthofkontrollen in NRW sind ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Wichtig ist nun, dass alle anderen Bundesländer nachziehen und ebensolche Untersuchungen bei allen Schlachthofmitarbeitenden und deren Unterbringungen durchführen. Diese Kontrollen sind gut, reichen aber noch nicht aus. Es darf nicht länger sein, dass die Kerntätigkeit von Schlachthöfen – das Schlachten und Zerlegen – mit Werkverträgen an Subunternehmen vergeben wird – anstatt von Angestellten der Unternehmen selbst erledigt zu werden. Für die Arbeit und damit auch für die Arbeitnehmenden hat jeder Schlachthofkonzern eine unteilbare Verantwortung. Das müssen Bund und Länder nun rasch gesetzlich klarstellen. Dazu müssen speziell Werkverträge für Angestellte in der Fleischindustrie, die die Kerntätigkeit – also das Schlachten und Zerteilen – ausüben, verboten werden.[1] Ergänzend brauchen wir umgehend ein Lieferkettengesetz, mit dem Unternehmen verpflichtet werden, die Menschenrechte in ihren Lieferketten zu sichern.

Zudem ist es Aufgabe des Staates, alle Antibiotika, die für Menschen oft als „letzte Mittel“ gebraucht werden, aus Tierfabriken zu verbannen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil muss seinen Worten Taten folgen lassen und gemeinsam mit Amtskolleg*innen wie Karl-Josef Laumann die seit Jahren scharf kritisierten Menschenrechtsverstöße in Großschlachthöfen in ganz Deutschland beenden und umgehend die ausbeuterischen und krankmachenden Bedingungen in der Fleischproduktion stoppen.

Großschlachthöfe wie Tönnies erzielen mehr als 40 Prozent des Umsatzes über Exporte. In diesem Umfang wurden demnach nicht systemrelevante Lebensmittel für die Bevölkerung hergestellt – auf Kosten der Mitarbeiter*innen und jetzt auch der Coesfelder Wirtschaftstreibenden, die nun eine Woche länger die Ladentüren geschlossen halten müssen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass es einen Wandel der Agrarpolitik braucht, damit die Bevölkerung nicht mehr aufkommen muss für die Risiken und ausgelagerten Folgekosten einer Billig-Fleischindustrie mit systematischer Überproduktion für den Fleischexport.

Neben der Politik stehen auch die Unternehmen selbst in der Verantwortung. Die aktuellen Entwicklungen werfen erneut ein Licht auf seit Jahren bestehende Missstände: Eine Studie von Germanwatch und Misereor hatte Anfang des Jahres neben menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben Missstände und Fehlentwicklungen in der gesamten Wertschöpfungskette kritisiert: Sojaanbau für Futtermittel führt vielfach zu Landvertreibungen, der großflächige Einsatz von Pestiziden zu erheblichen Gesundheitsschäden in Südamerika. Der massive Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung führt zu gefährlichen Resistenzen auch gegen die für Menschen wichtigsten Antibiotika. Zudem erhöht die verstärkte Nachfrage in den Antibiotika-Produktionsländern Indien und China das Risiko von Resistenzen dort. Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohen in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährden ihre Lebensgrundlage. Angesichts der beobachteten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Geflügelfleisch ist es erschreckend, dass sich diese Branche von allen untersuchten Wirtschaftsbereichen am wenigsten mit den menschenrechtlichen Risiken beschäftigt. Von den fünf untersuchten Geflügelfleischunternehmen haben sich drei Firmen – Rothkötter, Sprehe und Heidemark – noch überhaupt nicht öffentlich dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu achten.

Wenn die Fleischbranche ihr schlechtes Image verbessern will, dann darf sie sich nicht länger dem Lieferkettengesetz entgegen stellen, sondern muss zum Vorreiter werden und andere Branchen davon überzeugen, dass nur die Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte in allen Lieferketten auch Wettbewerbsgerechtigkeit für die Unternehmen schafft.

 

[1] Werkverträge in anderen Arbeitsbereichen, etwa für kurzfristige Anstellungen in der Wartung, für punktuelle Dienstleistungen usw. können hingegen durchaus sinnvoll und angemessen sein.

 


Germanwatch engagiert sich für einen grundlegenden Wandel in der Tierhaltung: Wir wollen eine Landwirtschaft mit Respekt vor Tieren, Gesundheit, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit weltweit voranbringen und den missbräuchlichen Einsatz von Antibiotika bekämpfen. Weitere Informationen dazu finden sie hier.