Blogpost | 31.03.2020

Corona-Krise: Wirksame Medikamente gesucht – wie im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen

Antibiotika wirken nicht gegen Viren wie Corona, gebraucht werden sie trotzdem wegen der vielen Sekundärinfekte bei Corona-Patient*innen
Antibiotikamissbrauch - Tiere Menschen Rechte

Das Coronavirus (SARS-CoV-2) ist – wie der Name schon sagt – ein Virus, dagegen helfen Antibiotika nicht. Doch die allermeisten Corona-Patient*innen in Krankenhäusern erkranken zusätzlich auch noch an Infektionen durch Bakterien und erhalten aus diesem Grund Antibiotika. Wenn es schon kein wirksames Medikament gegen das Coronavirus gibt, so ist es umso wichtiger, dass wenigstens Antibiotika ihre Wirksamkeit gegen Krankheitserreger behalten. In Deutschland werden unterdessen mehr als die Hälfte aller Antibiotika nicht bei kranken Menschen, sondern in der industrialisierten Tierhaltung eingesetzt. Je größer die Massentierhaltung, desto mehr Antibiotika bekommen Hühner und Schweine. Das trägt dazu bei, dass Krankheitserreger resistent werden gegen Antibiotika und dass sich die Resistenzgene ausbreiten können. Germanwatch fordert von der Bundesregierung, jetzt strenge Regeln gegen Antibiotikamissbrauch im Stall zu erlassen und damit die Ausbreitung antibiotikaresistenter Erreger entschieden und beherzt zu bekämpfen.

In der Corona-Krise ist es für Patient*innen mit Sekundärinfektionen wie z. B. Lungenentzündungen existenziell, dass wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen. Erfahrungswerte zeigen laut Studien (Lai 2020), dass 90 % der Corona-Patient*innen im Krankenhaus mit Antibiotika behandelt werden müssen. Die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Erreger stellt vor diesem Hintergrund ein noch massiveres Risiko für die menschliche Gesundheit dar, als bis vor kurzem schon bekannt war. Für die vom Coronavirus 2019-n-COV betroffenen kranken Menschen ist es bereits ein dramatisches Gesundheitsrisiko, dass es gegen das Virus keine Medikamente gibt. Mit Blick auf Antibiotika warnt die WHO davor, dass wir als Menschheit auf ein Post-Antibiotika Zeitalter zusteuern, in dem diese Medikamente nicht mehr wirken und Menschen sowie auch Tiere an häufig vorkommenden Infektionen oder kleinen Wunden wieder sterben können.

Jeder Antibiotikaeinsatz trägt zur Bildung resistenter Erreger bei. Werden Antibiotika weiterhin massenhaft in industriellen Tierhaltungen eingesetzt, geht dies mit der Bildung und Ausbreitung von weiteren antibiotikaresistenten Erregern einher, die mehr und mehr Antibiotika unwirksam machen können. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise muss aus Sicht von Germanwatch das Gesundheitsrisiko durch multiresistente Erreger noch beherzter und entschlossener bekämpft werden als je zuvor.

WHO Myth Buster Corona

Die WHO illustriert den Zusammenhang zwischen Corona und Antibiotikaresistenzen

Reserveantibiotika werden besonders häufig in der industriellen Hühnermast eingesetzt

Schon vor der ersten Corona-Infektionswelle in Europa mussten immer häufiger sogenannte Reserveantibiotika bei Menschen eingesetzt werden, die im Notfall wirken sollen, wenn andere Antibiotika schon versagen. So verdoppelte sich der Bedarf an dem Reserveantibiotikum Colistin in der Humanmedizin in Europa in nur vier Jahren (Emmerich 2016). Aus der Evaluation des geltenden Arzneimittelgesetzes (AMG 2014) durch das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) geht hervor, dass Colistin vor allem bei Masthühnern eingesetzt wird (BMEL 2019, Wallmann 2019). Bei Masthühnern und -puten stammen sogar 40 % aller verbrauchten Antibiotika aus den Gruppen der Reserveantibiotika.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und das Landwirtschaftsministerium sprechen zwar von „dringendem Handlungsbedarf“ wegen des zu hohen Einsatzes von Reserveantibiotika in der Geflügelmast. Doch bisher erlassen die zuständigen Ministerien keine Restriktionen für Antibiotika oder Reserveantibiotika in der industriellen Tierhaltung, sondern sie forderten die Geflügelwirtschaft auf, selbst Senkungskonzepte vorzulegen. Die Geflügelindustrie forderte daraufhin Lockerungen für bestimmte Antibiotika und den Einsatz nicht zugelassener Stoffe, wenn sie auf Colistin perspektivisch verzichten würde. Dies wurde in deutschen Medien als nicht seröser „Deal“ gewertet.

Aus Sicht von Germanwatch darf kein Wirtschaftssektor die eigenen Profite über das Gemeinwohl stellen und Antibiotika als Massenware beanspruchen, zumal die Tiere in anderen Systemen wie im Ökolandbau deutlich gesünder bleiben und weniger Antibiotika benötigen. Das System der Massentierhaltung macht Tiere krank, zieht einen hohen Antibiotikaverbrauch nach sich und beeinträchtigt somit die menschliche Gesundheit.

Aktuell hat eine Kommission aus Expert*innen (sog. Borchert-Kommission) in einem Gutachten den Ausweg aus der Massentierhaltung beschrieben (Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung 2020). Besonders wichtig dabei: 1) mehr Platz je Tier, 2) eine Abkehr von der Hochleistungszucht, 3) eine artgerechte Fütterung für alle Tiere mit mehr heimischen Futtermitteln und 4) kostendeckende Erlöse für die bäuerlichen Betriebe. Mit einer anderen Verteilung der Agrarsubventionen könnte die Tierhaltung klar verbessert werden. Und mit einer Abgabe je Kilogramm Fleisch sollen Verbraucher*innen in den Wandel der Tierhaltung eingebunden sein, denn das Geld soll gezielt in den Umbau der Ställe für mehr Tierschutz fließen. Obwohl Landwirtschaftsministerin Klöckner das Gutachten selbst auf den Weg gebracht hat, greift sie nun keine der Vorschläge der Borchert-Kommission auf. Vor dem Hintergrund der aktuell noch drängenderen Aufgabe, die Wirksamkeit von Antibiotika für Corona-Patient*innen sicher zu stellen, fordert Germanwatch von der Bundesregierung Sofortmaßnahmen gegen den Antibiotikamissbrauch in industriellen Tierhaltungen:

  1. Die Ministerien für Gesundheit und Landwirtschaft müssen den aktuellen Entwurf für die Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) deutlich nachbessern: Reserveantibiotika, die für Menschen extrem wichtig sind, müssen in der industriellen Tierhaltung verboten und für die Behandlung kranker Menschen vorbehalten werden.Wer andere Antibiotika bei Tieren nutzen will, muss einen Test durchführen, ob bei dem vorliegenden Erreger ein Antibiotikum überhaupt (noch) hilft (Antibiogrammpflicht). Jeder Einsatz bei Tieren muss vom Tierarzt digital gemeldet und von Behörden kontrolliert werden. Tierarztpraxen mit hohem Antibiotikaverkauf müssen künftig sanktioniert werden können.
     
  2. Verbesserung des Tierschutzes in allen Verordnungen für die Haltung und Zucht von Tieren in der Landwirtschaft. Verbot der Qualzucht und der Zucht auf Höchstleistung.
     
  3. Wirksame Bekämpfung der Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen aus industriellen Tierhaltungen über Lebensmittel (wie z. B. Geflügelfleisch), über die Umwelt oder über Beschäftigte in Ställen und Schlachthöfen. Dazu gehört ein staatliches Senkungsziel: Reduktion des Antibiotikaverbrauchs in Tierhaltung um 50 % bis 2025 sowie eine gesetzliche Pflicht zur Reinigung von Abwässern aus industriellen Schlachthöfen mit der besten Technik gegen multiresistente Erreger – gemäß des Verursacherprinzips auf Kosten der Schlachthöfe versteht sich.
     
  4. Die Verschleppung und Ausbreitung von multiresistenten Erregern auf jedem zweiten Hähnchen und auf auf dem Weg des Exportes von deutschem Hähnchenfleisch in Länder des Südens muss gestoppt werden. In vielen Zielländern sind die Gesundheitssysteme sehr schwach und bereits mit den Corona-Erkrankten überfordert. Es ist unverantwortlich, in diese Länder Fleisch zu senden, das nach staatlichen Untersuchungen in Deutschland seit Jahren anhaltend hohe Kontaminationsraten mit Antibiotikaresistenzen aufweist.

Nach dieser Veröffentlichung schrieb Germanwatch am 8. April 2020 an die beiden Bundesminister*innen Julia Klöckner (BMEL) und Jens Spahn (BMG), um eine Anfrage zu den konkreten Maßnahmen zum Erhalt der Wirksamkeit von (Reserve-)Antibiotika im Lichte der Evaluation des AMG zu stellen.

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