Im Porträt: Audrey Mathieu
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„Ich muss jetzt erstmal auf dem Boden landen“, sagt Audrey Mathieu, als sie an ihr Telefon geht. Am Vortag war sie bis um 1.30 Uhr nachts wach, um die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zum gerade beschlossenen Green Deal abzuwarten. Mathieus Job ist es, sich mit den Entwicklungen in der deutschen und europäischen Klimapolitik auseinanderzusetzen. Die gebürtige Französin arbeitet als kommissarische Leiterin des entsprechenden Teams bei Germanwatch, wo sie Entscheidungen und Vorgänge in der Politik beobachtet und analysiert.
„Wenn man ein Jahr zurückblickt, haben wir große Schritte gemacht“, sagt Mathieu. „Der Green Deal und die Entscheidung für eine Klimaneutralität bis 2050 sind wichtige Zeichen für das Klima und für eine starke, einige EU.“ Gerade der Green Deal müsse noch mit Leben gefüllt werden, sagt die Deutsch-Französin, aber der Ansatz sei der richtige. „Das bewerten wir bei Germanwatch als Elan. Natürlich kommt es zu spät, aber es kommt.“ Für das Ziel der Klimaneutralität sei es nun vor allem wichtig, Polen mit an Bord zu holen. Deutschland, das in letzter Zeit aus der Vorreiterrolle eher ins Mittelfeld abgerutscht sei, sieht die 40-Jährige jetzt in der Verantwortung. „Die Bundesregierung muss den Kollegen in Europa deutlich klarer den Rücken stärken.“
Hoffnung auf Emmanuel Macron
Eigentlich sei Deutsch immer ihr schlechtestes Schulfach gewesen, bemerkt Mathieu lachend. Jetzt lebt sie seit mittlerweile 16 Jahren in Berlin und hat sich, so sagt sie, in die Stadt verliebt. Es war der Unistress, der sie damals für eine Auszeit nach Deutschland getrieben hatte. Studiert hat sie französisch-deutsche Politik und Geschichte und BWL an der Sorbonne Université in Paris und später an der Berliner Humboldt-Universität.
Bei der Arbeit und privat fallen Mathieu immer wieder kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich auf. Diese Unterschiede sind für sie auch einer der Gründe, warum die beiden Länder in puncto Klimaschutz nicht so recht zueinander finden. „In Frankreich legt man immer gerne viele Ideen auf den Tisch und möchte sie am liebsten sofort umsetzen. In Deutschland dagegen wird erst einmal hinterfragt. Würde Frankreich sofort mehr ins Detail gehen, würden die Dinge schneller ins Rollen kommen“, glaubt sie.
Mehr Abstimmung im Energiemix, ein gemeinsames Regelwerk für nachhaltige Finanzen, eine gemeinsame Verkehrswendestrategie, vielleicht eine direkte Zuglinie Berlin-Paris und eine europäische Bahncard – das sind Ziele, die Mathieu sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit wünscht. „Im 20. Jahrhundert war der Frieden der Antreiber der deutsch-französischen Freundschaft. Jetzt ist es das Klima“, sagt sie. Im französischen Präsidenten Emmanuel Macron sieht sie eine politische Figur, die das Thema international vorantreiben könnte – auch wenn das Klima nicht immer sein Steckenpferd war.
Differenzierter Blick auf Gelbwesten-Bewegung
Aber lässt sich Klimapolitik – mit Blick auf die Gelbwesten – in Frankreich überhaupt gut umsetzen? Mathieu glaubt, dass diese Protestbewegung oft falsch beurteilt wird, auch von den Medien. „Man muss genau betrachten, woher die Krise kam. Natürlich war der Auslöser die beschleunigte Erhöhung der Taxe Carbone“ – aber diese Steuer habe nicht mal ein Drittel zur Spritpreiserhöhung beigetragen. „Der Rest kam von der Erhöhung des Ölpreises“, sagt sie. Das alles sei außerdem während einer umfassenden Steuerreform passiert, die schlecht kommuniziert worden sei. „Es gab einen Mangel an Kohärenz, Balance und Transparenz. Als die CO2-Steuer in Frankreich geboren wurde, war sie eine Black Box.“
Mathieu hatte zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland zunächst bei Kommunikations- und Eventagenturen gearbeitet. Bis sie 2007 Seminare, Events und Besichtigungen für umweltbewusste Veranstalter im Niedrigenergiestandardhaus „Energieforum“ in Berlin mitorganisierte. Dort lag auch ihr damaliges Büro. Das Thema begeisterte sie, sie ging für zwei Jahre zum Bundesverband Solarwirtschaft. Danach war sie lange im deutsch-französischen Büro für Energiewende tätig, zuletzt sogar als stellvertretende Geschäftsführerin – bis sie schließlich zu Germanwatch kam. „Dieser Weg erschien mir sinnvoller, als über Stehtische und Catering zu reden“, sagt Mathieu.
Wer rettet das Klima? Die Politik oder der Einzelne?
Auf Französisch sagt man: Damit die Mayonnaise hochkommt – das heißt, damit die Mischung stimmt –, braucht es gegenseitiges Verständnis und Mut zur Umsetzung. Es besteht Gefahr, dass das Vertrauen zwischen der Politik und dem Einzelnen erodiert, weil auf der einen Seite das Verständnis und auf der anderen der Mut fehlt. Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – und Chance. Jeder Einzelne tut, was er kann. Aber ohne Regelwerke wie ein sukzessives Plastikverbot oder die Erhöhung der CO2-Standards, kann das Individuum nicht vorankommen.
Auf welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Auf den, der mich zu meinen Kindern nach Hause bringt – sollte es keine Alternative geben. Grundsätzlich bin ich mit dem Zug unterwegs. Ich nenne diese Tage Zug-Office (lacht). Das heißt für meine Kollegen: Ich bin teilweise erreichbar und kann teilweise E-Mails beantworten. Trotzdem fluche ich ständig über die Bahn, die einfach mehr politische Unterstützung dafür braucht, dass sie sich – insbesondere auf europäischer Ebene – noch verbrauchfreundlicher und besser abgestimmt entwickeln kann.
Wer in der Energie- und Klimawelt hat Sie beeindruckt?
Greta Thunberg ist respekteinflößend. Sie hat mit so viel Mut so viel für die Wahrnehmung der Notlage zum einen und für die Dynamik im Klimaschutz zum anderen getan. Wut wird auf Dauer wahrscheinlich nicht reichen, um alle mitzunehmen. Damit meine ich, dass manche dieses Apokalyptische ermüdet, statt sie zu motivieren. Dafür bewundere ich Christoph Bals, wegen dem ich unter anderem zu Germanwatch gewechselt bin. Er hat diese Motivation und diese motivierende Art, und hat sie über 25 Jahre hinweg nicht verloren. Das finde ich sehr inspirierend.
Welche Idee gibt der Energiewende neuen Schwung?
Bei den Erneuerbaren und für die Netze hat uns die Leistungselektronik richtig weit gebracht. Das kann, glaube ich, noch weiterentwickelt werden. Für unsere sektorübergreifende Energieversorgung würde ich sagen: Ein intelligenter Lösungsmix und eine kluge Kopplung von lösungsfähiger Infrastruktur. Damit meine ich: Strom hier, Grünwasserstoff da. Was wir nicht brauchen, ist eine teure, uneffektive örtliche Überlappung von Technologien und Infrastrukturen. Wir müssen uns schnell entscheiden, welche Lösung wo am besten passt.
Dieses Porträt erschien am 23.12.2019 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.