Meldung | 12.02.2020

Tagungsbericht: "Hunger auf nachhaltiges Essen weltweit"

Germanwatch Agrarkongress

Vertreterinnen und Vertreter aus Nichtregierungsorganisationen, Ernährungsräten, Wissenschaft und Landwirtschaft sowie Verbraucherinnen und Verbraucher diskutierten auf dem Agrarkongress von Germanwatch und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) am 04. Dezember 2019 intensiv, wie gesellschaftliche Herausforderungen und wirtschaftlich tragfähige Bauernhöfe zusammen gedacht werden können und müssen.

Höheres Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte

Die Landnutzung sei weltweit noch klimasenkend, stehe aber an einem Kipppunkt, da gebe es dringenden Handlungsbedarf. Gleichzeitig reiche derzeit das Einkommen auf den Höfen in Deutschland nicht aus, um mögliche Kosten für Mehrleistungen zu decken, eröffnete Reinhild Benning, Agrarexpertin von Germanwatch, den Agrarkongress „Hunger auf nachhaltiges Essen weltweit | Konzepte für eine nachhaltige Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik“, der von 100 Teilnehmenden besucht wurde. „In den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) ist außerdem festgelegt, dass sich das Einkommen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern verdoppeln und Hunger bekämpft werden soll.“ Wie die gesellschaftlichen Anforderungen mit einer wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Bauernhöfe zusammengebracht werden kann, zog sich als Spannungsfeld durch die Tagung.

Folgen der Exportorientierung der EU für örtliche Betriebe

Die Exportorientierung der europäischen Agrarpolitik führt nicht zu mehr Wertschöpfung auf den Höfen, sondern übt seit vielen Jahren durch niedrige Erzeugerpreise Druck vornehmlich auf tierhaltende Betriebe aus, sagte Berit Thomsen, Handelsreferentin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

Landwirtschaft als Lebenseinstellung

Warum wirtschaften die Betriebe überhaupt noch? So lautete eine Frage aus dem Publikum. Christoph Lutze vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), Schleswig-Holstein, antwortete: „Meine beiden Söhne sind in den konventionellen Michviehbetrieb eingestiegen. Wir halten, ob Sie es hören wollen oder nicht, 340 Kühe. Aber die Erzeugerpreise sind selbst für uns mittelfristig zu gering. Landwirtschaft zu betreiben ist eine Lebenseinstellung. Da geht es nicht nur um Geld.“ Seit 500 Jahren würde sein Betrieb von Generation zu Generation weitergegeben.

Auswirkungen der Exportorientierung für den globalen Süden

Lutze, der in Burkina Faso Milchproduzentinnen und -produzenten besucht hat, sagte weiter: „Das EU-Milchpulver wird dort für 35-40 Cent umgerechnet auf einen Liter Milch verkauft. In der Produktion kostet die Milch dort 90 Cent den Liter. EU-Milchpulver kann massive Marktstörungen auslösen.“

Kaufverhalten, Höfesterben und soziale Aspekte der Landwirtschaft

Professor Achim Spiller von der Universität Göttingen skizzierte Untersuchungen des Kaufverhaltens von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Neben Umwelt- und Tierwohlaspekten sind laut einer Umfrage 70,3 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten auch soziale Aspekte wichtig. Trotzdem hält Spiller bei der Neugestaltung der Flächenzahlungen in der EU-Agrarpolitik soziale Kriterien für nicht zielführend. Dem widersprach Phillip Brändle, Mitglied im Bundesvorstand der AbL: Kleinere Betriebsstrukturen hätten klare Vorteile für die Artenvielfalt, selbst wenn sie konventionell seien, gegenüber größer strukturierten Ökobetrieben. Außerdem seien lebendige ländliche Räume auch eine Kulturfrage. Gerade in Ostdeutschland habe das Höfesterben massive Nachteile für Arbeitsplätze auch im vor- und nachgelagerten Bereich und hinterlasse einen Nährboden für rechte Strömungen.

Metropolregion Berlin und Land Brandenburg reichen einander die Hände

Der Berliner Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt, stellte fest, dass eine Agrarwende nur mit einer einhergehenden Ernährungswende erreichbar sei. Dabei hob er hervor, dass in Berlin bereits eine sehr hohe Sensibilität für das Thema Ernährung vorhanden sei und fügte hinzu, dass die Bundeshauptstadt bereits den größten Bio-Lebensmittelmarkt Europas habe. Zusätzlich beschrieb er Berliner Bestrebungen und Aktivitäten, die Verpflegung in den Gemeinschaftsküchen mehr auf regionale, saisonale und ökologische Produkte umzustellen. So ziele die Ernährungsstrategie hauptsächlich auf eine Erhöhung des Anteils von Bio-Lebensmitteln in Schulen ab. Es werde gefordert, dass ab Sommer 2020 30 Prozent des Essens in Grundschulen ökologisch sei, ab Sommer 2021 sogar 50 Prozent. Jetzt, so der Senator, fehlten nur noch Betriebe in Brandenburg, die ausreichend Lebensmittel dieser Qualität liefern könnten.

Mit Spannung verfolgten die Teilnehmenden im Anschluss an Dr. Behrendts Ansprache sein erstes Zusammentreffen mit Silvia Bender, der neuen Staatssekretärin im Brandenburger Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz. Silvia Bender erläuterte die Pläne der neuen Landesregierung, um das Angebot ökologisch erzeugter Lebensmittel in der Region Berlin-Brandenburg zu steigern. Hier problematisierte sie auch vor allem den Mangel an Betrieben für die Verarbeitung von Bio-Lebensmitteln. Ziel in Brandenburg sei es also, bisher fehlende Verarbeitungskapazitäten aufzubauen, um so mehr Landwirtinnen und Landwirte für die Produktion ökologischer Lebensmittel zu gewinnen. Zusätzlich sollen Umstellungsprämien und Prämien für Sonderkulturen erhöht werden. Ein Regionalsiegel für Produkte aus Brandenburg soll den Maßnahmenplan für die Stärkung der lokalen Ernährungs- und Landwirtschaft ergänzen.

Rahel Volz vom Netzwerk Ernährungsräte in Brandenburg ergänzte kritisch, der Berliner Senat müsse auch über faire Erzeugerpreise diskutieren, denn oft hätten die Gemeinschaftsküchen nur ein knappes Budget zur Verfügung und könnten kaum die Mehrkosten auf den Betrieben ausreichend bezahlen.

Berit Thomsen
AbL-Handelsreferentin

 

 


Der Agrarkongress „Hunger auf nachhaltiges Essen weltweit“ wurde gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Unterstützung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung.