Pressemitteilung | 15.01.2020

Studie: Große Unternehmen der Agrarwirtschaft tun kaum etwas gegen Verletzung von Menschenrechten

Untersuchung von Germanwatch und MISEREOR: Kein einziges von 15 untersuchten deutschen Unternehmen aus Geflügel-, Milch-, Futtermittel- und Agrarchemiebranche nimmt menschenrechtliche Verantwortung ausreichend wahr / Organisationen fordern Lieferkettengesetz
Pressemitteilung

Berlin/Aachen (15. Jan. 2020). Obwohl es in der Agrar- und Ernährungsindustrie weltweit häufig zu Menschenrechtsverletzungen kommt, handelt bisher kein einziges von 15 untersuchten großen Unternehmen aus Deutschland ausreichend, um die Wahrung dieser Rechte in seinen Geschäften sicherzustellen. Und obgleich im Ausland viele Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung deutscher Unternehmen dokumentiert sind, konnten im Agrarbereich Betroffene bisher noch nie eine Entschädigungsklage vor deutschen Gerichten einreichen. Dies sind zwei zentrale Aussagen einer heute veröffentlichten Studie von Germanwatch und MISEREOR, die zudem auch Versäumnisse in der Handelspolitik der Bundesregierung aufzeigt.

Die Organisationen haben darin die größten deutschen Unternehmen aus Geflügelfleisch-, Milch-, Futtermittel- und Agrarchemiebranche unter die Lupe genommen - mit bedrückendem Ergebnis: "Kein einziges der insgesamt 15 Unternehmen erfüllt ausreichend die Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte", sagt Cornelia Heydenreich von Germanwatch, Autorin der Studie. "Die Achtung der Menschenrechte ist bei den Geschäften dieser Unternehmen oft nicht sichergestellt." Armin Paasch von MISEREOR, ebenfalls Autor der Studie, ergänzt: "Die Studie zeigt, wie wichtig ein Lieferkettengesetz ist, das deutsche Unternehmen verbindlich zur menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichtet." Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller hatten jüngst ein Lieferkettengesetz angekündigt.

Laut Studie bestehen vor allem für die untersuchten fünf Geflügelfleischproduzenten erhebliche menschenrechtliche Risiken: Sojaanbau für Futtermittel führe vielfach zu Landvertreibungen und zu giftigem Pestizideinsatz in Südamerika. Der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärke die Nachfrage in den Antibiotika-Produktionsländern Indien und China. Dies erhöhe das Risiko von Resistenzen dort. Die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben seien zum Teil menschenverachtend. Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohten in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährdeten ihre Lebensgrundlage.

„Angesichts der bisher beobachteten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Geflügelfleisch ist es erschreckend, dass sich diese Branche laut unserer Untersuchung am wenigsten mit den menschenrechtlichen Risiken beschäftigt“, kritisiert Cornelia Heydenreich. Von den fünf untersuchten Unternehmen haben sich drei Unternehmen - Rothkötter, Sprehe und Heidemark - noch überhaupt nicht öffentlich dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu achten. Auch die beiden anderen Unternehmen - PHW-Gruppe und Plukon - sehen allenfalls ihre Lieferanten in der Pflicht, aber auch das nur mit Einschränkungen.

Bei den anderen zehn untersuchten Unternehmen sehen die Organisationen ebenfalls großen Verbesserungsbedarf. Nur ein einziges davon, Arla, hat laut Studie bislang eine menschenrechtliche Folgenabschätzung durchgeführt.

Kritisch bewertet die Untersuchung auch die Rolle der Bundesregierung. In der Handelspolitik habe sie es bislang versäumt, Menschenrechtsstandards wirkungsvoll zu verankern. „Handelsabkommen der EU gefährden in Ländern des globalen Südens mitunter den Zugang von Kleinproduzenten zu Märkten, Saatgut und Land“, kritisiert Armin Paasch (MISEREOR). „Die Bundesregierung hatte zugesagt, sich in der EU für wirkungsvollere Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen und verbindliche Menschenrechtsstandards in Handelsabkommen einzusetzen, ist bislang aber untätig geblieben.“

Germanwatch und MISEREOR warnen angesichts der massiven Probleme in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte und des Regenwaldes in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten vor einer Ratifizierung des EU-Abkommens mit den Mercosur-Staaten, zumal in diesem Abkommen keine wirkungsvollen Schutzmechanismen verankert sind. Wie Fallbeispiele zeigen, tragen vermehrte Exporte etwa von Soja oder Zucker dazu bei, Landkonflikte im Amazonas weiter anzuheizen. Zugleich müsse die Bundesregierung nun zügig ein Lieferkettengesetz ausarbeiten und beschließen. Damit würde die Bundesregierung ihrer Zusage aus dem Koalitionsvertrag nachkommen, die dies für den Fall angekündigt hatte, dass die Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht freiwillig wahrnehmen. Ein Monitoring im Auftrag der Bundesregierung war im Dezember zu dem Ergebnis gekommen, dass nur ein Fünftel der Unternehmen die Sorgfaltspflichten erfüllt.