„Was wir in den nächsten Jahren tun, ist entscheidend“
Foto: Luther
Das Globus-Zelt auf dem Hamburger Rathausmarkt war bis auf den letzten Platz belegt. Besonders viele junge Menschen wollten sich am 25. September die Veröffentlichung des IPCC-Sonderberichts über den Ozean und die Kryosphäre ansehen und sich über die neuesten Abschätzungen bezüglich Meeresspiegelanstieg und seinen Folgen informieren.
Nach der IPCC-Pressekonferenz in Monaco, die die BesucherInnen im Globus-Zelt per Live-Schaltung mitverfolgen konnten, wurde am Abend mit Gästen aus der Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft über die Erkenntnisse des Sonderberichts, die politischen Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten diskutiert.
IPCC liefert erstmals Meeresspiegelprojektionen für 2300
„Der Bericht des Weltklimarates zeigt, dass sich die Ozeane und Eisflächen der Welt gerade extrem schnell verändern, was für die Ökosysteme starke Folgen hat. Erstmals werden Meeresspiegelprojektionen für 2300 gemacht, die zeigen, wenn wir es schaffen, im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bleiben, können wir bis zu 4 Meter Meeresspiegelanstieg global einsparen.“ kommentiert Dr. Alexander Nauels von Climate Analytics den IPCC-Bericht. Er berät besonders vom Klimawandel betroffene Inselstaaten und war bei den IPCC-Berichtsverhandlungen in Monaco dabei.
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Klimaforscher und Gründungsmitglieder des IPCC, Prof. Dr. Hartmut Graßl, unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf. Das Besondere an dem Bericht sei der nun wissenschaftlich mögliche Blick bis 2300 und die Prognose, dass der Meeresspiegel bis dahin mehrere Meter ansteigen werde, wobei die Höhe des Anstiegs davon abhängig sei, was wir in den nächsten Jahrzehnten machen.
„Auch die Entwicklung von Extremereignissen, wie wir sie in Deutschland schon jetzt in Form von Hitze und Dürrewellen beobachten, wird zunehmen“, so Nauels. Der IPCC signalisiere, dass Ereignisse, die historisch selten waren, bis 2050 jährlich auftreten werden. Dies stelle Menschen in Insel- und Küstenregionen, wie die Familie Recktenwald auf Langeoog, vor große Herausforderungen.
Familie auf Langeoog klagt für Klima- und Grundrechtsschutz
Maike und Michal Recktenwald betreiben ein Bio-Hotel und Restaurant auf der Nordseeinsel Langeoog und beobachten schon jetzt mit großer Sorge die Zunahme von Sturmfluten. Sie haben sich der EU-Klimaklage angeschlossen und nehmen mit weiteren Familien aus der EU, Kenia und Fidschi das Europäische Parlament und den Rat für eine Klimazielverschärfung und den Schutz ihrer Grundrechte in die Pflicht.
„Wir leben in der Natur, am Rand eines Nationalparks, wir sammeln hier die Zutaten für unsere Küche. Von unserem Restaurant sind es 50 Meter bis zum Strand. Die Süßwasserlinse befindet sich 800 Meter Luftlinie von unserem Haus entfernt. Grundrechte wie das Recht auf Gesundheit, auf freie Wohnraum- und Berufswahl, auf freie Entfaltung der Kinder, sind durch die Klimakrise gefährdet. Unsere Kinder werden Probleme haben, unser Geschäft eines Tages zu übernehmen. Es gibt diese Grundrechte und die fordern wir ein.“
Die Familie hofft, dass ihre Klage nach der Abweisung durch das Europäische Gericht in zweiter Instanz für zulässig erklärt wird und es zu einer Verhandlung kommt.
Nicht nur auf europäischer, sondern auch auf deutscher Ebene muss die Klimapolitik ambitionierter werden. Bernd Voß, Sprecher für Wirtschaft, Energie, Agrarpolitik und ländliche Räume aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag bezeichnet das jüngst verabschiedete Klimapaket als mutlos. Voß ist Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die dem People’s Climate Case als Streithelfer beigetreten ist.
„Wir haben immer wieder Gerichtsverfahren durch Fachwissen und Kampagnen unterstützt und haben die Erfahrung gemacht, dass parallel zu politischen Prozessen auch Gerichtsverfahren wichtig sind, um gewisse Dinge anzuschieben.“
Länder des globalen Südens besonders betroffen
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Auch Länder des globalen Süden sind von den Emissionen der EU betroffen. Daher haben sich der Klage auch Familien aus Fidschi und Kenia angeschlossen. „In diesen Ländern sehen wir schon ganz besonders die Auswirkungen des Klimawandels“, sagt Sven Harmeling von CARE und Vorstandsmitglied von Germanwatch. Meistens haben diese Länder gar nicht zum Klimawandel beigetragen, leiden aber unter den Folgen. „Natürlich brauchen wir viel mehr Klimaschutz, aber wir müssen in den nächsten Jahrzehnten auch schauen, wo es schon jetzt Klimawirkungen geben wird.“ Klimafinanzierung, die Unterstützung der Entwicklungsländer und Kompensationen seien in diesem Zusammenhang zentrale Themen der internationalen Politik und auch Deutschland müsse hier seinen Verpflichtungen nachkommen.
Die BesucherInnen der Hamburger Klimawoche gingen an diesem Tag mit gemischten Gefühlen nach Hause. Die Prognosen des IPCC haben gezeigt, wie stark sich die Klimakrise auf die Klimasysteme Ozeane und Kryosphäre auswirkt und wie Menschen wie Familie Recktenwald auf Langeoog, aber besonders auch im globalen Süden von den Folgen betroffen sind. Die Podiumsgäste haben deutlich gemacht: was wir in den nächsten Jahren tun, ist entscheidend für die Zukunft.
Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion können Sie sich hier ansehen:
Foto: Luther
Gäste:
- Prof. Dr. Hartmut Graßl, Klimaforscher, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.
- Dr. Alexander Nauels, Climate Analytics
- Maike und Michael Recktenwald, Kläger des People’s Climate Case
- Bernd Voß, Bündnis 90 / Die Grünen, Sprecher für Wirtschaft, Energie, Agrarpolitik und ländliche Räume Schleswig-Holsteinischen Landtag sowie Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und des Agrarbündnisses e.V.
- Sven Harmeling, Vorstandsmitglied von Germanwatch und Global Policy Lead Climate Change and Resilience, CARE International
Moderation: Heike Janßen, Vorsitzende Netzwerk Weitblick, Verband Journalismus & Nachhaltigkeit
Die Veranstaltung wurde organisiert von der Hamburger Klimawoche in Kooperation mit der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch e.V.
Weitere Informationen zum People’s Climate Case finden Sie hier.
Weitere Informationen zum IPCC-Sonderbericht finden Sie hier.
Außerdem wurden von Germanwatch veröffentlichte Kurzfilme zu "Klimarisikoversicherungen" und "Multi-Akteurs-Partnerschaften" das erste Mal der Öffentlichkeit auf der Hamburger Klimawoche präsentiert und sind nun auf YouTube zu finden: