People’s Climate Case: Rechtsschutz für Klimawandel-Betroffene?
Maike und Michael Recktenwald aus Langeoog sind die deutsche Klägerfamilie der EU-Klimaklage.
Die Klägerfamilien ziehen nach Klageabweisung in die nächste Instanz (den Europäischen Gerichtshof), um das Urteil überprüfen zu lassen. Sie fordern die Gerichte auf, sich für den Schutz ihrer Grund- und Menschenrechte vor den Auswirkungen der Klimakrise einzusetzen.
Im Mai 2018 reichten zehn Familien aus Italien, Rumänien, Frankreich, Portugal, Fidschi und Kenia sowie ein schwedischer Jugendverband eine Klage vor dem Europäischen Gericht (EuG) ein, um das EU-Parlament und den Rat der EU auf ambitionierteren Klimaschutz zu verpflichten. Denn sie alle leiden schon jetzt unter den Auswirkungen der Klimakrise.
„Wir gehören nicht zu den großen Emittenten, die den Klimawandel maßgeblich verursachen, sondern wir leiden unter den Folgen", sagt Maike Recktenwald, die mit ihrem Mann Michael und ihrem Sohn klagt. Die Familie lebt und arbeitet auf Langeoog „Der Meeresspiegelanstieg und die durch den Klimawandel stärker werdenden Sturmfluten sind auf Langeoog schon jetzt zu spüren. Unsere Lebensgrundlage und die unserer Kinder ist in Gefahr. Die Politik handelt angesichts dieser dramatischen Situation nicht entschieden genug. Wir hoffen, dass das Gericht dies wahrnimmt und sich für Klimaschutz und unsere Grundrechte einsetzt.”
Die Kläger_innen verweisen in ihrer Klage auf das bestehende Klimaziel der EU, die innereuropäischen Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 40 % zu senken. Das Ziel sei zu niedrig, um die Klimakrise zu verhindern und ihre Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Beruf und Eigentum und das Rechte ihrer Kinder auf freie Entfaltung zu schützen.
Familien sind nicht einzig und allein vom Klimawandel betroffen und daher nicht klagebefugt
Das EU- Parlament und der Rat der EU reagierten im November 2018 auf die Klage und beantragten Klageabweisung wegen Unzulässigkeit. Dem gab das EuG am 8. Mai 2019 statt und stufte die Klage als unzulässig ein mit der Begründung: Da der Klimawandel alle Menschen betreffe, seien die Kläger_innen nicht individuell (d.h. einzig und allein) betroffen und deshalb rechtlich nicht befugt, die Klimapolitik der EU vor Gericht anzufechten.
Professor Gerd Winter, einer der Rechtsvertreter_innen der klagenden Familien, kommentierte die Gerichtsentscheidung: „Das Europäische Gericht erkennt an, dass jeder Einzelne auf die eine oder andere Weise vom Klimawandel betroffen ist und durch die angegriffenen EU-Rechtsakte in seinen Grundrechten verletzt sein kann – was den Vortrag der Kläger bestätigt. Die logische Folge, dann auch den Zugang zur gerichtlichen Überprüfung zu ermöglichen, zieht das Gericht aber nicht, sondern weist die Klage aufgrund einer engen Auslegung der Klagebefugnis, insbesondere des Kriteriums „unmittelbare und individuelle Betroffenheit“, ab.
Die „individuelle Betroffenheit“ setzt das Gericht in seiner Auslegung mit "exklusiver Betroffenheit" gleich. Das heißt, der/die Betroffene muss aus der breiten Masse herausragen und anhand bestimmter Merkmale klar identifizierbar sein. Dies ist angesichts der globalen Auswirkungen der Klimakrise jedoch kaum möglich.
„Diese Entscheidung ist nicht überraschend, denn sie bewegt sich auf eingefahrenen Gleisen, aber sie ist doch enttäuschend, weil sie sich nicht auf die ausführlichen Argumente der Kläger für eine Öffnung der Klagebefugnis einlässt.“, so Professor Gerd Winter.
Rechtsprechung muss an globale Auswirkungen der Klimakrise angepasst werden
Die Familien und der Jugendverband sind nach wie vor zuversichtlich. Gemeinsam mit ihren Rechtsvertreter_innen haben sie am 11. Juli 2019 Rechtsmittel eingelegt, um das Urteil in zweiter Instanz durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen.
„Das Europäische Gericht hat es abgelehnt, den Familien und Jugendlichen, die von den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen sind, Zugang zu Gerichten zu gewähren, weil es viele andere Menschen gibt, die von der Klimakrise betroffen sind. Das steht im Widerspruch zum Grundprinzip der Grund- und Menschenrechte, die jedem Einzelnen Schutz gewähren”, sagt Dr. Roda Verheyen, Rechtsvertreterin der Familien. „Wir hoffen, dass der Europäische Gerichtshof seine Auslegung der EU-Verträge anpasst, um hier im Kontext der globalen Auswirkungen des Klimawandels die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.“
In der Rechtsmittelschrift argumentieren die Rechtsvertreter_innen, dass die Familien und der Jugendverband schon jetzt auf besondere Art und Weise vom Klimawandel bedroht sind. Die Betroffenheit variiert je nach Alter, Beruf, Wohnort und gesundheitlicher Verfassung. Wenn das Gericht Menschenrechte ernst nimmt, muss ihnen Rechtsschutz gewährt werden.
Christoph Bals von Germanwatch fordert: „Die europäischen Gerichte müssen ihre Rechtsprechung angesichts klimawandelbedingter Menschenrechtsverletzungen dringend überdenken. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Rechtsschutz angesichts einer sich massiv verschärfenden globalen Klimakrise auf EU-Ebene nicht gewährleistet werden soll. Es ist höchste Zeit, dass sich die europäische Rechtsprechung auf die Herausforderungen der Klimakrise einstellt – um die Menschenrechte konsequent zu schützen und die Klimakrise entschieden einzudämmen.“
Europäischer Gerichtshof entscheidet über Zulässigkeit der Klage
Das beklagte EU-Parlament und der Rat der EU haben zunächst zwei Monate Zeit, um auf die Rechtsmitteleinlegung zu reagieren. Danach erfolgt eine Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) über die Zulässigkeit der Klage. Wird der Fall auch in zweiter Instanz abgewiesen, findet das Verfahren hier sein Ende – mit dem Ergebnis, dass die europäischen Gerichte Klimawandel-Betroffenen keinen Rechtsschutz gewähren.
Sollte der EuGH dem Urteil des EuG hingegen widersprechen und die Zulässigkeit bejahen, wird das Verfahren zur Weiterverhandlung an das EuG zurückverwiesen und das Hauptverfahren fortgesetzt, in dem es endlich auch um die Notwendigkeit und Machbarkeit einer ambitionierteren Klimapolitik geht. Der Europäische Gerichtshof könnte damit einen Präzedenzfall schaffen und den Zugang für besonders vom Klimawandel-Betroffene zu Gerichten ermöglichen.
Der People’s Climate Case wird von einem großen Bündnis von Umweltverbänden, wie CAN Europe, Germanwatch und Protect the Planet sowie Wissenschaftler_innen unterstützt. Über 210.000 Menschen aus Europa haben sich über eine Petition von we.move mit den Klägerfamilien solidarisiert.
„Unabhängig davon, wie der rechtliche Prozess weitergeht, sind wir überzeugt, dass diese Klage schon jetzt viel bewirkt hat. Wir konnten zeigen, dass die EU dringend handeln muss, um unsere Grundrechte vor den Folgen der fortschreitenden Klimakrise zu schützen“, sagt Michael Recktenwald.
Weitere Informationen zum rechtlichen Hintergrund der Klage finden Sie hier.
Allgemeine Informationen finden Sie auf der Homepage des People’s Climate Case