Pressemitteilung | 29.05.2019

Behördenbericht zeigt Versagen der bisherigen Politik: Anhaltend hoher Antibiotikaverbrauch in Massentierhaltung

Auswertung der staatlichen Antibiotika-Datenbank zeigt, dass sich die Tiergesundheit in Mastanlagen nicht bedeutend verbessert hat. Germanwatch fordert Verbot der Reserveantibiotika im Stall und finanzielle Anreize, so dass Tierschutz kostengünstiger wird als Antibiotikaeinsatz.
Pressemitteilung

Berlin (29. Mai 2019). Die heute bekannt gewordene Auswertung der staatlichen Antibiotikadatenbank bestätigt, dass in deutschen Tierhaltungen weiterhin massenhaft Antibiotika eingesetzt werden. Dadurch steigt das Risiko der Ausbreitung von Resistenzen. Besonders bedenklich: Für den Menschen besonders wichtige Reserveantibiotika werden wieder häufiger in der Tierhaltung genutzt. Ärzte benötigen Reserveantibiotika beim Menschen, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken. Die Bundesregierung werde ihrer Verantwortung nicht gerecht, sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin von Germanwatch: „Seit fünf Jahren erfassen Behörden in Deutschland, wie häufig Antibiotika in Mastanlagen eingesetzt werden. Doch ernsthaft Handeln können sie nicht. Sie dürfen vor allem Bescheinigungen zum Antibiotikaeinsatz sichten – notwendige, über die Gesetze hinausgehende Auflagen zum Tierschutz in Ställen dürfen sie nicht machen.“ Damit seien sie machtlos dagegen, dass Tiere, die gesetzeskonform gehalten werden, massenhaft erkranken. „Angesichts der schwachen Gesetze verwundert es nicht, dass bei Hähnchen und Puten seit 2015 bereits wieder häufiger Antibiotika eingesetzt werden", so Benning weiter.

Germanwatch fordert Bundeslandwirtschaftministerin Klöckner auf, der Auswertung der Datenbank nun endlich wirksame Maßnahmen folgen zu lassen. Reinhild Benning: "Die Bundesregierung droht bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen aus Tierhaltungen zu versagen. Sie muss den Einsatz von Reserveantibiotika im Stall verbieten. Eine Abgabe auf alle übrigen Antibiotika sollte dafür sorgen, dass der Tierschutz sich besser rechnet als der Einsatz von Medikamenten. Es darf nicht länger billiger sein, massenhaft Antibiotika einzusetzen, statt Zucht, Haltung und Futter zu verbessern und Tiere gesund zu halten." Zudem gelte es, gewaltige Lücken bei der Erfassung des Antibiotikaverbrauchs etwa in Brütereien und in der Futtermittelindustrie zu schließen. Ergänzend fordert Benning: "Wir brauchen eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung. Nur so können Verbraucher Fleisch aus alternativen Haltungen zuverlässig erkennen. Auch viele Bauern fordern die staatliche Kennzeichnungspflicht für ihre Planungssicherheit."

Schweden, Niederlande und Dänemark sind beim Gesundheitsschutz viel weiter

Andere EU-Staaten seien beim Gesundheitsschutz viel weiter als Deutschland. "In Schweden gelten höhere Tierschutzanforderungen in der Landwirtschaft. Landwirte dort benötigen gerade einmal ein Siebtel der Antibiotikamenge je Kilogramm Fleisch im Vergleich zu ihren Kollegen in Deutschland", sagt Benning. "Die Niederlande setzen klare Reduktionsziele für Antibiotika und Dänemark arbeitet mit Verboten für Reserveantibiotika im Stall. Dort gibt es auch eine klare Obergrenze, wie viel Antibiotika Schweinehalter je Kilogramm Fleisch verbrauchen dürfen. In Deutschland hat Bundesministerin Klöckner bisher keine konkreten Ziele für die Senkung des Antibiotikaverbrauchs gesetzt. So nutzen einige Mäster seit 2015 wieder häufiger Antibiotika, und Behörden haben keine Handhabe einzugreifen.“

Steigende Antibiotikaeinsätze verstoßen nicht etwa gegen die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART2020, sondern sie erfolgen vielmehr im Rahmen der dort vorgegebenen wenig konkreten Maßnahmen zur Resistenzbekämpfung. In Deutschland werden zwar Daten von Tierärzten und Tierhaltenden in sogenannten Stallbüchern aufgezeichnet, aber nur ein Teil von ihnen muss sie digital an Behörden melden. Kontrollbehörden dürfen bisher nicht einmal diese wenigen Daten über Dosis und Wirkstoffe auswerten. Benning: „Die geltenden Gesetze für Tierhalter, Tierärzte und Behörden verhindern die wirkungsvolle Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen in Tierfabriken.“

Eine Laboruntersuchung von Stichproben im Auftrag von Germanwatch hatte im April gezeigt, dass Billighähnchen vom Discounter zu 56 Prozent mit Keimen kontaminiert waren, die resistent gegen Antibiotika sind. Jedes dritte Hähnchen war sogar mit Erregern belastet, die resistent  gegen Reserveantibiotika sind. Laut dem staatlichen Zoonosenmonitoring tragen bis zu 66 Prozent der Supermarkthähnchen resistente Keime, die bis in die Küchen von Verbrauchern verschleppt werden können. Bei Hähnchen steigen die Resistenzraten gegen das wichtige Reserveantibiotikum Colistin.