Kanada kann viel gewinnen
Ken Lund - flickr (CC BY 2.0)
Das Jahr 2019 ist entscheidend für die zukünftige Klimapolitik in Deutschland und Europa. Das Finanzwesen und seine Hebelwirkung über alle Sektoren hinweg spielt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel und für nachhaltiges Wirtschaften. Deutschland kann dabei im Bereich Green Finance von Vorreiterländern lernen. Sieben internationale AutorInnen erklären in den folgenden Wochen daher den Ansatz ihres Landes, den Finanzmarkt grüner zu gestalten und gehen dabei auf Chancen, Hürden und unbeantwortete Fragen ein.
Für Kanada ist das Konzept eines nachhaltigen Finanzsystems noch relativ neu. Doch seine Bedeutung steigt stetig und kann für das Land zu einem Erfolgsmodell werden.
Der Begriff "nachhaltiges Finanzwesen" wird heute vor allem mit öffentlichen und privaten Fonds in Verbindung gebracht, die den Wandel hin zu einer CO2-armen und zukunftsfähigen Wirtschaft unterstützen sollen. Dazu zählt auch das Finanzieren von kurz- und langfristigen Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung.
Für den kanadischen Markt ist die Idee des nachhaltigen Finanzwesens relativ neu. Momentan führt Kanada eine Bestandsaufnahme durch, wie stark das Bewusstsein für nachhaltige Aktivitäten im Finanzwesen ist, und prüft, welche nächsten Schritte folgen könnten.
Im vergangenen Jahr haben einige Akteure des kanadischen Finanzwesens untersucht, wie der Klimawandel in Finanzentscheidungen und -berichterstattung einbezogen werden sollte. Im Frühjahr 2018 stellten die Ministerin für Umwelt und Klimawandel und der Finanzminister Kanadas ein Expertenteam für ein nachhaltiges Finanzwesen auf.
Die Arbeitsgruppe ist beauftragt, den Finanzsektor in nachhaltige Aktivitäten einzubinden, das Bewusstsein dafür zu erhöhen und den Dialog zu fördern. Im Herbst 2018 veröffentlichte das Team einen Zwischenbericht zum Stand des nachhaltigen Finanzwesens in Kanada.
Durch einen landesweiten Konsultationsprozess werden laufend wesentliche Herausforderungen erfasst. Noch in diesem Jahr will das Team seinen Abschlussbericht vorlegen.
Die Bedeutung klimabezogener Risiken und ihrer möglichen finanziellen Auswirkungen auf die kanadische Wirtschaft wird immer deutlicher. Im Frühjahr 2017 erkannte die kanadische Zentralbank erstmals das systemische Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels an – ebenso die Dringlichkeit, den Klimafolgen entgegenzuwirken.
Definition als Kernelement
Zwei Jahre später, im Frühjahr 2019, gab die Zentralbank daher bekannt, dem Network for Greening the Financial System (NGFS) beizutreten. Dieses Netzwerk hat sich das Ziel gesetzt, "die Folgen des Klimawandels für die Wirtschaft und das Finanzsystem besser zu verstehen".
Einerseits geht es um eine politische Strategie für ein nachhaltigeres Finanzwesen, die ehrgeiziger, besser abgestimmt und verlässlicher ist.
Andererseits können auch die Märkte selbst den Wandel vorantreiben. Klimabezogene Risiken offenzulegen (siehe auch den Beitrag aus Frankreich) wird dabei immer entscheidender.
Seit die Arbeitsgruppe zu klimabezogener Offenlegung (TCFD) des Finanzstabilitätsrates ihre Empfehlungen veröffentlicht hat, haben 33 kanadische Institutionen – die meisten davon Finanzinstitutionen – offiziell ihre Unterstützung dafür erklärt.
Einige Institutionen wenden das TCFD-Rahmenwerk für klimabezogene Offenlegung bereits in ihrer Berichterstattung an und engagieren sich für dessen Weiterentwicklung. Die kanadische Kapitalmarkt-Regulierungsbehörde CSA hat zudem klargestellt, dass sie eine Erweiterung der generellen nicht-finanziellen Offenlegungen für notwendig hält.
Auch Kanadas größte Börse, die Toronto Stock Exchange, ist kürzlich der UN-Initiative für nachhaltigen Wertpapierhandel (SSE) beigetreten, deren derzeit knapp 90 beteiligte Börsen nicht-finanzielle Offenlegungen fördern und unterstützen.
Mindestens ebenso wichtig ist eine konsistente, transparente und praktikable Definition für nachhaltige oder klimafreundliche Aktivitäten. Dies ist eigentlich das Kernelement, um den Wandel zu einer CO2-armen und resilienten Wirtschaft umzusetzen und mit den Zielen des Paris-Abkommens in Einklang zu bringen.
Jedes Land hat jedoch eine spezifische Wirtschaft mit unterschiedlichen Perspektiven auf mögliche Transformationspfade. Für Kanada ist es besonders wichtig zu verstehen, wie es die CO2-intensiven Sektoren umwandeln kann.
Schlüsselelemente eines nachhaltigen Finanzsystems. (Eigene Übersetzung nach dem Zwischenbericht des kanadischen Expertenteams zum nachhaltigen Finanzwesen)
Für Kanadas Expertenteam für ein nachhaltiges Finanzwesen besteht in vielen Ländern eine Lücke zwischen existierenden und entstehenden Klassifizierungssystemen für nachhaltige Entwicklung. Häufig werden Transitionsaktivitäten emissionsintensiver Industrien nicht berücksichtigt.
Dem Expertenteam zufolge könnte dies in Kanada die Akzeptanz eines nachhaltigen Finanzsystems beeinträchtigen. Deshalb sei es für Kanada besonders wichtig, an der Entwicklung von Definitionen und Standards zu nachhaltigen Finanzen mitzuwirken.
Neue Finanzprodukte
Schätzungen zufolge wird der kanadische Finanzsektor bis zum Jahr 2025 jährlich zwischen 27 und 110 Milliarden US-Dollar zusätzlich durch nachhaltige Finanzaktivitäten umsetzen können. Das Expertenteam für ein nachhaltiges Finanzwesen veröffentlichte eine Liste mit Maßnahmen, die das Potenzial haben, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und gleichzeitig Kanadas Klimaambitionen zu erhöhen.
Sie beinhalten beispielsweise Bestands-Nachrüstungen im Gebäudesektor, dringend notwendige Investitionen in Kanadas Infrastruktur, eine Transformation des Energiesystems sowie die Ergänzung des finanziellen Anlagemanagements um Klima- und Nachhaltigkeitsaspekte.
Zusätzlich könnten neue Finanzprodukte eingeführt werden, die den Übergang zu einer CO2-armen und robusten Wirtschaft unterstützen. Es gibt also viel zu gewinnen für Kanada.
Foto: Mantle314 |
Die Umweltwissenschaftlerin und Verwaltungsexpertin Olena Kholodova ist leitende Analystin für Klimawandel und Nachhaltigkeit beim kanadischen Beratungsunternehmen Mantle314. |
Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator. Für den Inhalt tragen die AutorInnen und Germanwatch die Verantwortung.
Der Blogbeitrag ist zuerst erschienen bei www.klimareporter.de.
Autor:innenOlena Kholodova |