Pressemitteilung | 17.01.2019

Agrarwende statt Agrar-Reförmchen

AgrarBündnis für starke Gemeinsame Agrarpolitik in Europa
Pressemitteilung

Berlin (17. Jan. 2019). Zum Auftakt der Internationalen Grünen Woche in Berlin hat das AgrarBündnis den Kritischen Agrarbericht 2019 vorgestellt. Im AgrarBündnis haben sich Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz sowie Entwicklungspolitik zusammengeschlossen. Der Bericht versteht sich als „Buch zur Bewegung“ mit fundierter Kritik am derzeitigen Agrarsystem, aber auch guten Konzepten und Ideen wie es anders gehen könnte.

Im Jahr der Europawahl und anlässlich der anstehenden EU-Agrarreform präsentieren die Verbände im Kritischen Agrarbericht ihre Vision von einer „Landwirtschaft für Europa“, die auch den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen entspricht. Sie machen Vorschläge, wie die anstehende EU-Agrarreform dazu beitragen kann, diese zu verwirklichen.

Das Jahrbuch widmet sich aber auch zahlreichen anderen aktuellen Themen: beispielsweise der Digitalisierung der Landwirtschaft und der dahinter stehenden Macht der Konzerne, dem Ökologischen Landbau, der Bodenmarktpolitik oder den Auswirkungen der neuen Düngeverordnung.

EU-Agrarreform: Gemeinsame Ziele gezielt ansteuern. Konkrete Leistungen der Bauern honorieren. Marktkrisen verhindern

Bernd Voß von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Vorstandssprecher des Bündnisses sprach sich für eine starke Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) aus: „Stark wird diese Politik, wenn sie die bäuerlichen Betriebe und ländlichen Gemeinden in einem vielfältigen und gemeinsamen Europa gezielt darin unterstützt, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Sowohl in der Tierhaltung als auch im Ackerbau stehen die Bauern und Bäuerinnen vor großen und teuren Veränderungen, um die gesellschaftlichen Erwartungen an Tierwohl, Umwelt-, Klimaschutz und Artenvielfalt auf ihren Höfen umzusetzen. Die meisten Berufskollegen sind zu Veränderungen bereit, aber sie können nicht auf den höheren Kosten sitzen bleiben. Deshalb müssen die bisher pauschal je Hektar Fläche gezahlten Gelder überführt werden in eine zielgerichtete Honorierung konkreter Leistungen der Betriebe für Umwelt, Tierschutz und lebendige Dörfer. Gleichzeitig müssen substanzvernichtende Preiskrisen durch faire Marktregeln verhindert werden. Nicht weniger Gemeinsamkeit in Europas Agrarpolitik hilft, sondern mehr Zusammenhalt und ambitionierte Ermutigung.“ Voß rief die Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene hierfür aktiv einzusetzen.

Insektensterben und Pflanzenschutz: Ein Umbau im Ackerbau ist notwendig

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ging auf das dramatische Insektensterben und den Artenschwund ein: „In den letzten 27 Jahren hat die Biomasse der Insekten in Deutschland um 76 Prozent abgenommen. In landwirtschaftlich genutzten Gebieten könnte es noch drastischer sein, da besonders dort Pestizide eingesetzt werden und Lebensräume fehlen. Von den etwa 560 Wildbienenarten, die in Deutschland heimisch waren, sind 50 Prozent ausgestorben oder bestandsgefährdet.“ Ohne eine Kurswende in der Agrarpolitik seien die Insekten nicht zu schützen. Die bisherige Politik mit ihren pauschalen Flächenzahlungen habe versagt. Der Anteil zur Förderung von Umweltmaßnahmen sei viel zu klein und ein Kurswechsel daher unumgänglich. Mit der GAP habe die Europäische Union jedoch konkrete Instrumente in der Hand, um den Schutz der Insekten zu verbessern und die Biodiversität auf den Agrarflächen wieder zu erhöhen. „Die EU-Agrarminister müssen die Mittel der GAP so einsetzen, dass natürliche Lebensräume geschützt und naturnahe Räume in der Umgebung von Agrarlandschaften geschaffen werden können“, forderte Weiger.

Tierschutz: Tierwohlkennzeichen und Ordnungsrecht

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, äußerte sich kritisch zu den Ideen des Landwirtschaftsministeriums für eine Fleischkennzeichnung: „Ein freiwilliges, staatliches Tierwohlkennzeichen muss ein wirkliches Mehr an Tierschutz bieten. Ein zu geringer Abstand zu den gesetzlichen Vorgaben würde das gesamte System belasten und Vertrauen beim Verbraucher zerstören. Zudem darf es nicht als Abwehr ordnungsrechtlicher Maßnahmen missbraucht werden. Zuallererst liegt die Verantwortung des Staates in der Durchsetzung von Ordnungsrecht.“ Schröder hält ein staatliches Tierwohlkennzeichen als alleinige Insellösung für ungeeignet, um die Herausforderungen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu lösen: „Es braucht eine nationale Nutztierstrategie, in die ein Tierwohlkennzeichen als ein zentrales Element eingebettet sein muss. Der Tierhalter, der weit vor einer im Ordnungsrecht gesetzten Frist investiert und umstellt, hat dann die Chance, einen Mehrwert auf dem Markt zu erreichen, weil der mit seinen Vorleistungen ‚werben’ kann. Da ist auch die EU gefordert, Wege zu öffnen, u.a. durch die stärkere Ausrichtung der Förderung auf Tierschutz als bisher.“

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen: Kaum beachtete Leitlinien für die Agrarpolitik

Die Vereinten Nationen haben 2015 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung weltweit beschlossen. Diese Sustainable Development Goals (SDG) erfordern grundlegende Änderungen - gerade in der Landwirtschaft. Für Tobias Reichert, Teamleiter Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch, sind das Ende von Armut und Hunger, bessere Gesundheit, der Erhalt der biologischen Vielfalt, der Wälder und der Bodenfruchtbarkeit sowie Klimaschutz mit dem derzeitigen Modell einer industrialisierten und auf billige Exporte ausgerichteten Landwirtschaft nicht zu erreichen: „Die EU Kommission behauptet, dass sie sich mit ihrem Reformvorschlag für die Agrarpolitik an den Zielen der Vereinten Nationen orientiert. Sie sieht aber keine geeigneten Instrumente vor. Mit pauschalen Flächenprämien lassen sich nötige Änderungen wie die Abkehr von der industriellen Tierhaltung oder geschlossene Nährstoffkreisläufe nicht erreichen. Und die Politik darf auch nicht auf weiter steigenden Exporte setzen, denn diese gefährden eine nachhaltige Entwicklung in Entwicklungsländern, da sie die Einkommen der Kleinbauern dort unter Druck setzen."

Bodenmarkt: Spekulantentum verhindern

Frieder Thomas, Geschäftsführer des AgrarBündnisses, ging auf die Bodenspekulation ein. Die Ressource Boden sei weltweit begrenzt und in den vergangenen Jahren von kapitalkräftigen Investoren zunehmend als Anlagemöglichkeit entdeckt worden. Vielfach könnten die Bauern die Kosten für den unverzichtbaren „Pro-duktionsfaktor Boden“ durch eine ordentliche Landbewirtschaftung gar nicht mehr finanzieren. Die EU-Kommission habe inzwischen festgestellt, dass es gute Gründe gebe, Märkte für Agrarland stärker zu regulieren. Umsetzen müssten das aber die Mitgliedstaaten und in Deutschland insbesondere die dafür zuständigen Bundesländer. Das AgrarBündnis rufe daher die Bundesländer dazu auf, gemeinsam wirksame Instrumente einzusetzen: Beispielsweise könne man eine Preisbremse einführen und den Genehmigungsvorbehalt für Landkauf ausweiten – gegenüber Nicht-Landwirten, aber auch gegenüber zu großer Konzentration innerhalb der Landwirtschaft selbst.

Engagement für eine bäuerliche Landwirtschaft

Um der Vision des AgrarBündnisses für eine „Landwirtschaft für Europa“ zum Durchbruch zu verhelfen, sei es gut, die besseren Argumente zu haben. „Die kann man im Kritischen Agrarbericht finden“, so Thomas weiter. Man müsse jedoch nicht nur gut argumentieren, sondern auch öffentlich zeigen, wie stark der Wunsch nach einer Veränderung in der Gesellschaft verbreitet ist. Deshalb ruft das AgrarBündnis auf, sich am 19. Januar 2019 in Berlin an der von über 50 Organisationen der Zivilgesellschaft getragenen Demonstration „Wir haben es satt“ zu beteiligen und gegenüber den Kandidaten im Europawahlkampf den Einsatz für eine bessere Gemeinsame europäische Agrarpolitik einzufordern.