Der Weg zum Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zu 1,5°C
Wissenschaftliche Aussagen und politische Bedeutung des Sonderberichts zu 1,5°C
Mit der Verabschiedung des Paris Abkommens (2015) gab sich die Weltgemeinschaft erstmals das Ziel, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5°C zu beschränken. Das Erwärmungsziel der UN-Klimarahmenkonvention lag lediglich bei "unter 2°C" im Vergleich zu den vorindustriellen globalen Durchschnittstemperaturen (Beschluss von 2010). Somit gab es bis 2015 auch noch keinen klaren Auftrag für die Wissenschaft zu untersuchen, wie die Folgen einer globalen Erwärmung von 1,5°C ausfallen und sich von einer Erwärmung um 2°C unterscheiden würden. Das Paris Abkommen enthielt deshalb auch die Bitte an das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auch Weltklimarat genannt, bis 2018 einen Sonderbericht zu den Auswirkungen von 1,5°C globaler Erwärmung zu erstellen und zu untersuchen, auf welche Weise dieses Ziel erreicht werden kann.
Der Anfang Oktober veröffentlichte IPCC-Sonderbericht zu 1,5°C bildet den weltweit aktuellen Stand der Wissenschaft über die Auswirkungen einer globalen Erwärmung um 1,5°C ab (Genauer ausgedrückt wird dies im englischen Titel : „Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre industrial level and related global greenhouse gas emission pathways in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty”). Er stellt vor allem die neuen Erkenntnisse dar, die seit der Verabschiedung des vorherigen Fünften Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC (2013 / 2014) gewonnen werden konnten. Es geht im Sonderbericht prinzipiell um zwei Grundfragen:
- um den Unterschied zwischen 2 und 1,5°C Erwärmung hinsichtlich der Auswirkungen und damit verbundenen Risiken und
- um die Aussichten und Wege, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Dynamik der IPCC-Sitzung in Incheon
Der Sonderbericht wurde am 6. Oktober 2018 im südkoreanischen Incheon verabschiedet. Zuvor war die 33-seitige Zusammenfassung (SPM, Summary for Policy-Makers) von den Staaten während der 48. Plenarsitzung des IPCC vom 1.-5. Oktober auf einer gemeinsamen Sitzung der drei IPCC-Arbeitsgruppen auf Grundlage des ausführlichen Berichts verhandelt worden. Der eigentliche Sonderbericht ist fast 800 Seiten lang und stellt den aktuellen Forschungsstand zu 1,5°C umfassend zusammen.
Erstmalig wurde ein Sonderbericht des Weltklimarats von allen drei IPCC-Arbeitsgruppen I (Wissenschaft), II (Auswirkungen des Klimawandels und Anpassung) und III (Emissionsminderung) bearbeitet. Folglich waren bei den Verhandlungen in Incheon alle Ko-Vorsitzende der drei IPCC-Arbeitsgruppen (also zweimal drei Personen) anwesend und wechselten sich im Vorsitz der Verhandlungen ab. Die Regierungsdelegierten konnten also nicht einfach nach ihrem Gusto verhandeln. Alle Inhalte mussten mit den Aussagen der WissenschaftlerInnen übereinstimmen.
Beispiel für eine Aktivität eines Beobachters in der IPCC-Plenarsitzung
Nicht nur Regierungsdelegierte, sondern auch Beobachter, also etwa Nichtregierungsorganisationen, konnten sich einbringen. Der Germanwatch-Vertreter vermisste eine Erwähnung des Problemsektors Flugverkehr im SPM und hatte einen entsprechenden Satz aus dem langen Sonderbericht zu Flugverkehr identifiziert. In einer Intervention brachte er ein, dies in das SPM aufzunehmen, und wurde dabei folgend von der Europäischen Union (und diese von Deutschland) unterstützt. Die IPCC-Autoren gaben grünes Licht, es wäre eine mit dem langen Bericht vereinbare Aussage. Bedauerlicherweise führten folgende Verhandlungen dazu, dass die Einfügung doch nicht umgesetzt wurde.
Das Ergebnis
Auch wenn die IPCC-Sitzung bereits am 5. Oktober 2018 beendet sein sollte, dauerten die Verhandlungen bis zum nächsten Nachmittag an. Ohne längere Pause wurde am noch offenen Text des SPM verhandelt, bis die Zusammenfassung schließlich im IPCC-Plenum formal angenommen wurde. Geschichte war gemacht.
Wissenschaftliche Aussagen und Kernbotschaften des 1,5°C-Berichtes
Die zentrale Aussage des Sonderberichtes ist eindeutig: Es ist noch möglich, das anspruchsvolle Paris-Ziel zu 1,5°C Erwärmung zu erreichen! Allerdings ist es unwahrscheinlich, dies ohne ein zeitweises Überschießen der 1,5°C-Erwärmungsschwelle umsetzen zu können. Das heißt: Die 1,5°C-Marke wird in den meisten der vom IPCC herangezogenen Szenarien zunächst überschritten, um den Temperaturanstieg danach möglichst schnell wieder zu senken – am besten über den Entzug von CO2 aus der Atmosphäre durch natürliche Vegetation. Außerdem wurde gezeigt, dass die Unterschiede der Auswirkungen bei 1,5°C Erwärmung im Vergleich zu 2°C gewaltig sind.
1. Zwischen 1,5 und 2 °C Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von irreversiblen Kipppunkten des Klimasystems. Das Abschmelzen des Grönlandeises beispielsweise bedeutet einen langfristigen Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern Höhe. Bei 2°C Erwärmung würden 1,5 - 2,5 Mio. Quadratkilometer mehr Permafrost auftauen als bei 1,5°C Erwärmung – das entspricht in der Differenz in etwa einer Fläche in der Größe von Mexiko – und den Klimawandel weiter verstärken.
2. Bei 2°C Erwärmung treten viel mehr und stärkere Niederschlagsereignisse, mehr Dürren und mehr Hitzeextreme auf als bei 1,5°C Erwärmung. Auch würde bei 2°C Erwärmung die Starkniederschlagsmenge von Tropenstürmen gegenüber 1,5°C Erwärmung steigen.
3. Bei 2°C Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit auf einen eisfreien arktischen Ozean im Sommer pro Jahrzehnt. Bei 1,5°C Erwärmung hingegen läge sie nur bei einmal im Jahrhundert. Die Biodiversität nimmt unter 2°C Erwärmung global stärker ab als bei 1,5°C. Seegebundene Biodiversität, die Fischerei sowie Ökosysteme mit ihren Funktionen und Dienstleistungen für die Menschen würden bei 1,5°C Erwärmung weniger beeinträchtigt als bei 2 °C Erwärmung.
4. Jedwede Erwärmung kann die menschliche Gesundheit negativ beeinflussen. Bei 1,5°C Erwärmung werden weniger hitzebezogene Krankheiten und weniger Hitzetote erwartet als bei 2°C Erwärmung.
5. Der Anteil der Weltbevölkerung, der klimabedingter Wasserknappheit ausgesetzt wäre, wäre bei 1,5°C um bis zu 50% geringer als bei 2°C. Auch die Verringerung der Nettoernten von Mais, Reis, Weizen und möglicherweise auch anderen Getreideernten würde bei 1,5°C schwächer ausfallen als bei 2°C, insbesondere in Subsahara-Afrika, Südostasien sowie Zentral- und Südamerika.
6. Eine ambitionierte Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5°C gegenüber 2°C kann die Zahl der Menschen, die Klimarisiken ausgesetzt und als Folge dessen armutsgefährdet wären, um mehrere hundert Millionen bis 2050 senken. Zugleich steigen die volkswirtschaftlichen Kosten der Folgen des Klimawandels bei einer Erwärmung über 1,5°C rapide und jede weitere Erwärmung würde eine nachhaltige Entwicklung zunehmend unterminieren.
Aus dem IPCC–Sonderbericht kann die Welt die Botschaft aufnehmen, dass die Wissenschaft viel besser als vor wenigen Jahren versteht, wie groß die Folgen von 1,5°C und 2°C Erwärmung ausfallen und dass diese in einigen Bereichen immens und möglicherweise sogar systemgefährdend sind. Weiterhin ist viel besser verstanden, wie das Paris-Ziel noch erreicht werden kann und was dafür getan werden kann und muss. Bereits unsere Kinder und Enkel werden erleben, inwiefern wir ihnen eine Welt hinterlassen, in der für die meisten ein Leben in Menschenwürde möglich ist.
Die Bedeutung des Sonderberichts zu 1,5°C für die Politik
Der IPCC Sonderbericht zu 1,5°C Erwärmung erscheint zwei Monate vor dem UN-Klimagipfel in Katowice (COP 24) im Dezember 2018. Dies war eine bewusste Entscheidung der Mütter und Väter des Paris-Abkommens, denn so kann er konstruktiv die Vorbereitung des sogenannten Talanoa Dialog inspirieren. Er wird über mehrere Zugänge – angefangen von der Präsentation des IPCC-Vorsitzenden über Auswertungen des Sekretariats der Klimakonvention und Weiteres – prominent auf COP24 platziert werden. Beim Talanoa Dialog, der die notwendige Nachbesserung der nationalen Klimapläne (NDCs) bewirken soll, kann der Report eine wichtige Schlagrichtung setzen. Die Delegierten und Politiker*innen werden sich an den Aussagen des Sonderberichts messen lassen müssen und zeigen, ob und wie sie diese auf dem Klimagipfel im Dezember verhandeln und in ihren Ländern dementsprechend umsetzen. Entsprechend fallen die Kommentare von Nichtregierungsorganisationen weltweit aus (vgl. http://www.climatenetwork.org/press-release/ipcc-watershed-report-shines-light-radical-actions-needed-keep-global-warming-15c).
Die Aussagen des IPCC-Sonderberichtsmüssen in die nationale Öffentlichkeit eines jeden Landes transportiert, dort intensiv diskutiert und verarbeitet werden. So können vor Ort die passenden Schlussfolgerungen gezogen werden, wie die anstehende Große Transformation in den jeweiligen Gesellschaften gestaltet werden kann. Dieser Austausch muss auch mit den nationalen Politiken auf föderaler, regionaler und kommunaler Ebene geschehen.
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