Stellungnahme zum Endbericht der EU Expertengruppe zum nachhaltigen Finanzwesen (HLEG)
In dieser gemeinsamen Stellungnahme begrüßen WWF, Germanwatch, Klima Allianz Deutschland, Fair Finance Institute, Südwind und Fossil Free Berlin die Empfehlungen der von der EU Kommission eingesetzten Expertengruppe zum nachhaltigen Finanzwesen (High Level Expert Group on Sustainable Finance, kurz HLEG). Diese stellen den bisher umfassendsten Plan zur systematischen Integration von Nachhaltigkeitsaspekten im Finanzwesen in der Europäischen Union dar.
Damit können die Empfehlungen einen substantiellen Beitrag zur Auflösung der sogenannten Tragödie des kurzen Horizontes leisten, und den Finanzmarkt dazu befähigen, seine Hebelwirkung zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu nutzen.
Gleichzeitig muss bei der Umsetzung der Empfehlungen noch an einigen Stellen nachgebessert werden. Wir erwarten, dass neben den sogenannten zentralen Empfehlungen auch die im Bericht als weiterführende Empfehlungen aufgeführten Handlungsfelder – zum Beispiel die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Indizes und Benchmarks – von der EU Kommission und den EU Mitgliedstaaten weiter ausgearbeitet und zur Umsetzung gebracht werden.
Es ist zentral, über alle Handlungsfelder hinweg eine zukunftsgerichtete Perspektive zu implementieren, sowie die eindeutige Rückkopplung zur tatsächlichen Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele sicherzustellen.
Die Empfehlungen greifen zwei wichtige Dimensionen des nachhaltigen Finanzwesens auf: Zum einen, endlich die Sicherung der Stabilität des Finanzsystems durch die systemische Integration von Nachhaltigkeitsrisiken in der Finanzmarktregulierung sicherzustellen. Außerdem sollen zusätzliche finanzielle Mittel zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele mobilisiert werden.
Es ist richtig, dass sich die Empfehlungen an diesen beiden Leitplanken orientieren. In diesem Sinne gibt der Bericht wertvolle Anknüpfungspunkte für die Umsetzung in Europa und Deutschland:
- Verortung von Nachhaltigkeitsrisiken in den Aufsichtspflichten der europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs). Hier sind erste Maßnahmen seitens der EU Kommission schon angestoßen, was sehr zu begrüßen ist. Die entsprechenden Empfehlungen müssen jetzt in allen Mitgliedstaaten konsistent in den nationalen Aufsichtsbehörden (für Deutschland insbesondere durch Bundesbank und Bafin) umgesetzt werden.
- Offenlegung (langfristiger) Nachhaltigkeitsrisiken in der gesamten Investitions- und Finanzierungskette. Eine logische Schlussfolgerung der HLEG ist hier, auf die Ergebnisse bestehender Initiativen zur verbesserten Transparenz von Klimarisiken aufzubauen. Die Empfehlungen der durch das FSB (Finanzstabilitätsrat der G20) eingesetzten Arbeitsgruppe zur Offenlegung finanzieller Klimarisiken (TCFD) sind hierzu ebenso zu nutzen wie die Erfahrungen mit Artikel 173 des französischen Energiewendegesetzes. Die EU Kommission und die Bunderegierung sollten, wie empfohlen, im Rahmen der anstehenden Überprüfung der CSR Richtlinie die dringend erforderliche Verbesserung der bisher unzureichenden Offenlegungspraxis angehen.
- Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten als zentraler Bestandteil von Investorenpflichten. Die Bundesregierung sollte diese Empfehlung schnellstmöglich aufgreifen und umsetzen. Dies sollte in engem Austausch mit der EU Kommission passieren und die Ergebnisse der jüngsten Konsultation der Kommission zu diesem Thema einbeziehen. Finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken sind in den Anlageentscheidungen ebenso zu berücksichtigen wie die individuellen Präferenzen der Anleger hinsichtlich der Nachhaltigkeitswirkung von Investment- und Finanzierungsentscheidungen.
- Erarbeitung einer Nachhaltigkeits-Taxonomie und Einführung eines europäischen „Sustainable Finance Standards“. Eine Nachhaltigkeits-Taxonomie für alle Vermögensklassen so wie ein Green Bonds Standard (EU GBS), welcher über die Zeit zu einem Nachhaltigkeitsstandard werden soll, sind schon lange notwendig und prinzipiell sehr zu begrüßen. Zentrales Ziel muss an dieser Stelle allerdings sein, den Finanz- und Anleihenmarkt im Ganzen zu einer verträglichen Nachhaltigkeitswirkung zu bringen. Zusätzlich zu der Frage, inwieweit grüne Anleihen tatsächlich zusätzliche Investitionen mobilisieren oder anderweitig nachhaltig unterstützend wirken, wird hier die Nischenproblematik deutlich: Ein Standard oder Label für grüne Anleihen muss mit dem klaren Ziel aufgebaut werden, den „Mainstream-Anleihemarkt“ zu erreichen und zu durchdringen.
Einige verbleibende Lücken im vorgelegten Bericht müssen nun im Rahmen der nächsten Schritte durch Kommission und Regierungen der Mitgliedsstaaten, insbesondere in Deutschland im Koalitionsvertrag als Leitlinie der kommenden Legislaturperiode, aufgenommen und geschlossen werden:
- Offenlegung von Nachhaltigkeitsrisiken zeitnah verpflichtend machen. Indem zunächst auf freiwillige Offenlegung gesetzt wird, bleiben die Empfehlungen hinter der notwendigen verpflichtenden Offenlegung für alle Finanzmarktakteure zurück. Freiwillige Ansätze haben in der Vergangenheit äußerst selten zu einer Anpassung in weiten Teilen von Märkten geführt. Insofern ist es nicht plausibel, dass umfassende Offenlegung, sowohl bezüglich der Risiken und deren Wirkung, als auch bezüglich des Abdeckungsgrades der Marktakteure, freiwillig erreicht wird. Nur wenn alle Akteure ihre Risiken und Chancen der nachhaltigen, klimagerechten Transformation offenlegen, kann das durch imperfekte Information bestehende Marktversagen behoben werden und ein Level playing field entstehen.
- Nachhaltigkeitsrisiken bei Eigenkapitalvorschriften berücksichtigen. Ein „Brown-penalising-Factor“ für Kapitalnachfrage in risikoreiche Verwendungszwecke wurde nicht in die zentralen Empfehlungen aufgenommen, sondern wird lediglich weiter hinten im Bericht diskutiert. Gerade emissionsintensive Projekte oder Technologien bergen seit Inkrafttreten des Pariser Abkommens erhöhte Risiken, wie beispielsweise das Risiko vorfristiger Entwertung von Vermögenswerten bei konsequenter Klimapolitik (stranded assets). Ein Risikoaufschlag für die Finanzierung CO2-intensiver und damit potentiell risikoreicherer Projekte oder Geschäftsmodelle ist eine konsequente Weiterentwicklung des bestehenden Regulierungsansatzes. Dies sollte bei der Umsetzung der Maßnahmen berücksichtigt werden.
- „Passive Marktaktivitäten“ adressieren. Ein substantieller Anteil an Investitionen wird durch Indizes gelenkt. Die Haupt-Indizes wie der MSCI World, DAX30, FTSE 350, S&P 500, DJIA und andere sind allerhöchstens teilweise und zufällig bezüglich ihrer Nachhaltigkeitswirkung angemessen konstruiert. Unter den zentralen Empfehlungen sind keine Maßnahmen aufgeführt, die passive Marktaktivitäten adressieren - diese werden lediglich unter den weiterführenden Maßnahmen diskutiert. Die Mainstream-Indizes als zentraler Hebel im System müssen jedoch dringlichst von der Politik adressiert werden, da der Markt aus sich selbst heraus hier nicht die notwendige Dynamik zeigt.
- Zukunftsgerichtete Perspektive systematisch abbilden. Um die nachhaltige Transformation der Wirtschaft anzustoßen und damit verbundene Chancen und Risiken abzubilden, ist ein Paradigmenwechsel von Betrachtungen der Vergangenheit in Richtung zukunftsgerichteter Einschätzungen notwendig. Dies gilt beispielsweise im Bereich Risikoeinschätzung, wo eine zukunftsgerichtete Perspektive klarer und operationalisierbar hätte aufgenommen werden können. Auch die vorgeschlagene Nachhaltigkeits-Taxonomie scheint bisher keine dynamische Transformationsperspektive abzubilden. So ist die auf die Vergangenheit gerichtete Kennzahl der reduzierten Treibhausgas-Emissionen keine sinnvolle Größe zur Einschätzung zukünftiger Beiträge, um die Dekarbonisierung der Realwirtschaft bis 2050 zu erreichen. Im Rahmen von Offenlegungspflichten sollten alle Marktakteure mit Hilfe von Szenarienanalysen darlegen, wie sie auf einen steigenden CO2-Preis sowie das Erreichen der mittel-und langfristen Klimaziele eingestellt sind. Solche Informationen sollten, wo angemessen, auch in die Nachhaltigkeits-Taxonomien bestimmter Anlageklassen eingehen.
- Den Beitrag von Kapitalallokationen zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele systematisch erfassen. Bisher gibt es diesbezüglich keine systematische Auswertung. Das führt in der aktuellen Praxis zu Investitionen in Bereiche gesellschaftlicher Zielsetzung, die teilweise beliebig oder gar belanglos sind. Dadurch werden die Ziele unzureichend umgesetzt. Besonders im Rahmen von Berichtspflichten sollte die Umsetzung gesellschaftlicher Ziele einbezogen werden. Artikel 2.1.c des Pariser Klimaabkommens verlangt, Finanz- und Kapitalmärkte in Einklang mit dem Klimaabkommen zu bringen. Lösungen hierzu müssen entwickelt werden.
Insgesamt sendet der Bericht ein wichtiges Signal an die Koalitionsverhandlungen. Ungeachtet diverser Initiativen zur nachhaltigen Ausgestaltung des deutschen Finanzwesens, auch von Seiten des deutschen Finanzsektors, haben die Sondierungsergebnisse zwischen CDU/CSU und SPD die systematische Integration von Nachhaltigkeitsaspekten im Finanzwesen komplett verpasst und ausgeblendet. Die Empfehlungen zeigen eindrücklich, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Die deutsche Politik hat davor bisher die Augen verschlossen, während Länder wie Frankreich längst weiter sind. Im Kontext des geplanten neuen Elysée-Vertrags können die beiden Länder hier für Europa vorangehen.
CDU, CSU und SPD müssen, basierend auf den Empfehlungen der Expertengruppe und darüber hinaus, im Koalitionsvertrag umfassende Maßnahmen zur systemischen Integration von Klima- und Nachhaltigkeitsaspekten im Finanzwesen auf deutscher und europäischer Ebene festschreiben. Entsprechende Handlungsfelder kommen direkt und zeitnah auf die neue Bundesregierung zu. Zum einen durch umzusetzende EU-Direktiven wie der EbaV/IOPR II Richtlinie und die Überprüfung der CSR-Richtlinie, zum anderen wenn es darum geht, die Empfehlungen der HLEG durch Kommission und Bundesregierung konsequent zu implementieren und weiter voranzutreiben.
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Seitenanzahl | 4 |
Publikationstyp | Hintergrundpapier
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