Blogpost | 13.10.2017

Regionale Märkte als Schlüssel für die Welternährung

Blog-Beitrag von Tobias Reichert, Oktober 2017
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KleinbäuerInnen sorgen für Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern und müssen dazu unterstützt und geschützt werden

Zum diesjährigen Welternährungstag wartet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) mit einer schlechten Nachricht und einer hoffnungsvollen Perspektive auf. Nachdem die Zahl der Hungernden weltweit in den letzten Jahren zwar (viel zu) langsam aber immerhin stetig zurück gegangen war, wird für 2016 mit einem Anstieg um 38 Millionen auf 815 Millionen Menschen gerechnet.


Wichtigste Gründe dafür sind zunehmende bewaffnete Konflikte im Südsudan, im Osten Nigerias und im Jemen sowie Naturkatastrophen wie Dürren im Norden Kenias, die durch den Klimawandel verschärft werden. Aber auch in Ländern, die nicht von diesen Problemen betroffen sind, gehen Armut und Hunger kaum noch zurück. Um die 2015 vereinbarten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) zu erreichen, zu denen zählt, Hunger und Unterernährung bis 2030 zu beenden (Ziel 2), ist deshalb in vielen Politikfeldern ein neuer Ansatz nötig.

Wie dieser aussehen könnte, skizziert die FAO in ihrem aktuellen Bericht zur Lage von Ernährung und Landwirtschaft. Im Bericht wird betont, dass das weltweite Wachstum der Städte eine große Herausforderung für Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung darstellt. Werden die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt, bietet die höhere Nachfrage der städtischen Bevölkerung nach höherwertigen und verarbeiteten Lebensmitteln, gute Möglichkeiten, Einkommen und Beschäftigung zu erhöhen. Profitieren könnten KleinbäuerInnen, handwerkliche und kleinindustrielle Unternehmen in der Weiterverarbeitung und im regionalen Handel. Dabei betont der Bericht die Bedeutung regionaler Wertschöpfungsketten, die ländliche Räume und vor allem kleine und mittlere Städte verbinden, in denen ein großer Teil der städtischen Bevölkerung weltweit lebt. Regionale Märkte für Getreide, Gemüse, Fleisch und Milch sind für die meisten KleinbäuerInnen viel wichtiger als internationale Märkte wie die für Kaffee oder Kakao. Die regionalen Beziehungen müssten durch gezielte Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung und Qualitätssicherung gestärkt werden.

Gleichzeitig besteht nach Ansicht der FAO das Risiko, dass die wachsende städtische Nachfrage in Entwicklungsländern vor allem durch importierte Lebensmittel – von Nudeln bis Milchpulver – gedeckt wird. Gerade die nötigen besseren Transportwege könnten dazu führen, dass Importe nicht nur in den meist gut zugänglichen Metropolen und Küstenregionen sondern auch in regionalen Zentren billiger verfügbar seien, und damit die Konkurrenz zur regionalen Wertschöpfung verstärken. In diesem Zusammenhang empfiehlt sie die Strategie zur ländlichen Entwicklung durch eine "intelligente Handelspolitik" zu begleiten, und stellt gleichzeitig fest, dass der Spielraum dafür aufgrund neuer Handelsabkommen deutlich geringer ist, als in den 70er und 80er Jahren. Damals konnte eine Reihe asiatischer Staaten durch die gezielte Förderung von KleinbäuerInnen auf relativ stark geschützten Märkten die ländliche Armut deutlich verringern. Für viele afrikanische Staaten ist das heute deutlich schwieriger.

Aus der Analyse der FAO lassen sich Anforderungen an die Landwirtschafts-, Handels- und Entwicklungspolitik Deutschlands und der EU ableiten. In Ansätzen wie der "Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger" oder den "Eckpunkten für einen Marshallplan mit Afrika" finden sich bereits Übereinstimmungen. Auch sie stellen die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und die Notwendigkeit, die Ernährungssicherheit durch regionale Wertschöpfungsketten zu verbessern in den Vordergrund. Während diese Schwerpunkte in der Praxis und mit ausreichenden Mitteln weiterverfolgt umgesetzt werden sollten, ist in der deutschen und europäischen Landwirtschafts- und Handelspolitik ein Kurswechsel notwendig, damit sie einen positiven Beitrag zum SDG 2 leisten können. Das agrarpolitische Ziel, neue Märkte für Fleisch- und Milchprodukte sowie verarbeitete Lebensmittel aus der EU zu erschließen, kann mit dem Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten direkt in Konflikt stehen. Das gilt nicht nur für die ärmsten Länder, sondern für viele Schwellenländer wie Indien, Indonesien oder Südafrika in denen ländliche Armut noch immer weit verbreitet ist. Eine "Exportstrategie" der deutschen und europäischen Landwirtschaft – so sie denn überhaupt sinnvoll ist – sollte sich daher auf Spezialitäten mit hoher Wertschöpfung und nicht wie derzeit auf Massenprodukte wie Milchpulver beziehen.

In der Handelspolitik schränken die mit verschiedenen afrikanischen Regionen verhandelten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) den von der FAO geforderten Spielraum weiter ein. Die Förderung regionaler Wertschöpfungsketten könnte nicht mehr durch den Schutz der Märkte zu begleitet werden, da zum Beispiel bislang die vollständige Öffnung des westafrikanischen Markts für EU Milchpulver vorgesehen ist. In den Eckpunkten für den Marshallplan mit Afrika wird das Problem zumindest angedeutet, und Kanzlerin Angela Merkel hat öffentlich zugesagt, die Handelsbeziehungen beim nächsten EU Afrika Gipfel Ende November neu zu diskutieren. Die Empfehlungen der FAO sollten dabei eine zentrale Rolle spielen. 

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Referent für Agrarpolitik und Welthandel | Projektleiter Klimafreundliche Landwirtschaft