Franziskus-Upcycling
Die Enzyklika „Laudato Si“, von Papst Franziskus am 18. Juni 2015 veröffentlicht, war viel zu kurz in der öffentlichen Debatte, konnte aber vor der Klimakonferenz in Paris wichtige Impulse geben. In der Adventszeit wollen wir die Enzyklika als Lektüre für ruhige Tage empfehlen. Der Text bietet für Gläubige und Atheisten Sprengkraft oder zumindest unbequeme Wahrheiten. Die Enzyklika benennt als Ursache des globalen menschengemachten Klimawandels die westlichen Konsum- und Produktionsmuster, die zunehmend global kopiert werden. Sie sagt deutlich, dass wir aus Kohle, Öl und Gas aussteigen müssen (Absatz 165). Die Ärmsten sind die Hauptleidenden unter den Folgen des Klimawandels (48). Sie stützt sich auf den wissenschaftlichen Konsens und stellt die Machtfrage zwischen Markt und Politik.
Auf Grundlage des Standes der Wissenschaft richtet Papst Franziskus einen Aufruf zu Dialog und Handeln an Politik und alle Menschen, welcher der Dramatik der sozialen und ökologischen Herausforderungen gerecht wird. Vor allem die Rolle des ungezügelten Marktes ist nicht zukunftsfähig: „[…] bleibt heute ‚alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden‘“ (56). Er widersetzt sich einem zu weit gehenden Eigentumsbegriff (wie Privatisierung der Wasserversorgung). Er widersetzt sich einem Markt, in dem die Schwachen und die Natur die Konsequenzen tragen, nicht die Verursacher. Insbesondere zu den Allgemeingütern (Atmosphäre, Ozeane, Wälder, ...) stellt er fest, dass diese Gemeingut sind und nicht aufgrund gewinnorientierter Privatinteressen aus- oder übernutzt werden dürfen (23, 174). Gemeingüter können nicht ungeregelt der Marktdynamik unterworfen werden. Die Enzyklika betont das Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Privateigentums (93ff, 156ff). Sie stellt hier ganz deutlich die Eigentumsfragen neu und geht dabei über den Stand der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinaus, die ja im Grundgesetz – auf Grundlage der katholischen Soziallehre – verankert ist! Raubbau ist nicht konsensfähig. Vor allem Unternehmen, die Treibhausgase emittieren übernutzen das Allgemeingut Atmosphäre und gehen so seit Jahren angesichts des sich verschärfenden Klimawandels kalkuliert unternehmerische Risiken ein. Sie können nicht auf Entschädigungen hoffen, müssen vielmehr sogar Klagen fürchten.
Verantwortungsübernahme ist ein wesentliches Merkmal der Enzyklika: Sie fordert Verantwortungsübernahme von Politik, Wirtschaft und jedem Einzelnen sowie eine ehrliche und transparente Debatte, damit (unternehmerische) Privatinteressen oder Ideologien nicht das Gemeinwohl schädigen. Die Politik, vor allem internationale Verhandlungen, haben laut Franziskus bisher zu wenig gebracht (54), als eine Ursache macht er die Macht- und Wirtschaftsinteressen derer deutlich, die vom fossilen Wirtschaftsmodell profitieren.
Zivilgesellschaft als Quelle der Veränderung
Handlungsoptionen sieht er zwar auch beim Einzelnen, doch betont er die entscheidende, gestaltende Rolle kollektiver Akteure wie Genossenschaften und Nichtregierungsorganisationen sowie der Zivilgesellschaft (179). Auch in der von den Medien weitgehend unbeachtet gebliebenen revolutionären Rede beim 2. Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien, die man als radikale Fortsetzung der Enzykliken Evangelii Gaudium und Laudato Si verstehen kann, solidarisiert sich der Papst in deutlichen Worten mit den sozialen Bewegungen weltweit, verknüpft die Klimafrage mit den wirtschaftlichen Strukturen, die er als zerstörerischen Götzendienst verurteilt.
Franziskus konstatiert hier, dass die Träger für Veränderungen vor allem die sozialen Bewegungen sind. „Die Zukunft der Menschheit liegt nicht allein in den Händen der großen Verantwortungsträger, der bedeutenden Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker; in ihrer Organisationsfähigkeit und auch in ihren Händen, die in Demut und mit Überzeugung diesen Wandlungsprozess ‚begießen‘.“
Kritische Stimme zum Wachstumsglauben
Zwanzigmal widmet er sich dem Thema des wirtschaftlichen oder technologischen Wachstums, immer im Tenor der Kritik an der „Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums“. Und er fährt fort: „Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus ‚auszupressen‘“ (106). Seine Kritik gilt auch dem grünen Wachstum: „Es genügt nicht, die Pflege der Natur mit dem finanziellen Ertrag oder die Bewahrung der Umwelt mit dem Fortschritt in einem Mittelweg zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang sind die Mittelwege nur eine kleine Verzögerung des Zusammenbruchs. Es geht schlicht darum, den Fortschritt neu zu definieren.“ Er schließt mit dem Gedanken: „In diesem Rahmen pflegt sich die Rede vom nachhaltigen Wachstum in eine ablenkende und rechtfertigende Gegenrede zu verwandeln, die Werte der ökologischen Überlegung in Anspruch nimmt und in die Logik des Finanzwesens und der Technokratie eingliedert, und die soziale wie umweltbezogene Verantwortlichkeit der Unternehmen wird dann gewöhnlich auf eine Reihe von Aktionen zur Verbraucherforschung und Image-Pflege reduziert.“ (194)
Auswirkungen auf die UN-Klimaverhandlungen in Paris 2015 und die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG)
Die Enzyklika ist zeitloser und fundamentaler, als dass sie direkte Wirkungen in den einzelnen Verhandlungssträngen der UN-Klimaverhandlungen hätte. Sie ist aber ein wichtiger Baustein in einer positiven Grundstimmung hin zu mehr Klimaschutz und Verantwortungsübernahme. Er mahnt den Prozess zu einer wirkungsvollen Klimafinanzierung weiterzugehen: „Die direkte Nutzung der reichlich vorhandenen Sonnenenergie setzt voraus, dass Mechanismen und Beihilfen eingeführt werden, so dass die Entwicklungsländer Zugang erhalten zur Übertragung von Technologien, zu technischer Assistenz und zu Finanzhilfen [...]. Die Kosten wären gering, wenn man sie mit den Risiken des Klimawandels vergleicht.“ (172)
Gerade die SDG als längerfristig angelegter Prozess bieten die Chance, die Kurzfristigkeit der Politik zu überwinden: „Die Kurzsichtigkeit beim Aufbau der Macht bremst die Aufnahme eines Umweltprogramms mit weiter Perspektive in die öffentliche Tagesordnung der Regierungen. So vergisst man, dass ‚die Zeit mehr wert ist als der Raum‘ [Evangelii gaudium]; dass wir immer dann fruchtbarer sind, wenn wir uns mehr darum kümmern, Prozesse auszulösen, als Räume der Macht zu beherrschen. Die politische Größe zeigt sich, wenn man in schwierigen Momenten nach bedeutenden Grundsätzen handelt und dabei an das langfristige Gemeinwohl denkt.“ (178)
Auswirkungen auf Bildungsarbeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung
So notwendig es auch ist, in der Bildung über die Situation, in der sich Menschheit und die Umwelt befinden, Informationen und Wissen zu vermitteln, so reicht das alleine jedoch nicht aus; es muss zu einer alltäglich gelebten Umweltverantwortung motiviert werden (211). Dazu ist es auch notwendig, eine Grundhaltung der Achtsamkeit und des Sich-selbst-Überschreitens einzuüben. „Wenn wir fähig sind, den Individualismus zu überwinden, kann sich wirklich ein alternativer Lebensstil entwickeln und eine bedeutende Veränderung in der Gesellschaft wird möglich.“ (208)
Dabei muss Bildungsarbeit aber auch politischer werden und die Menschen zu einer politischen Partizipation befähigen und ermutigen, um der Schwäche der internationalen Politik und ihrer Orientierung an wirtschaftlichen Interessen entgegen zu wirken (54). Die Menschen vor Ort müssten ihre Belange selbst in die Hand nehmen (183).
Franziskus sieht die ökologische Umkehr, die gefordert ist, nicht nur als Sache von Einzelnen, sondern auch als eine gemeinschaftliche Angelegenheit (219). Der Papst hofft dabei auf eine „weltweite Ökologiebewegung“ (166). Für ihn ist klar: Ohne den Druck der Bevölkerung wird es keinen Fortschritt in diesen Fragen geben (181). Dabei gilt es auch, die Macht der VerbraucherInnen zu nutzen, diesen Druck auf diejenigen auszuüben, die politische, wirtschaftliche und soziale Macht haben, um den Kurs, auf dem sich die Gesellschaft bewegt, umzusteuern (206). Ziel ist eine durch Verantwortungsübernahme gestaltete Welt, die es allen Menschen einfach und alltäglich ermöglicht zukunftsfähig zu leben.
Sein Fazit:
„Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Besonderen Dank verdienen die, welche mit Nachdruck darum ringen, die dramatischen Folgen der Umweltzerstörung im Leben der Ärmsten der Welt zu lösen“ (13). Papst Franziskus zitiert die Erd-Charta von 2000: „Lasst uns unsere Zeit so gestalten, dass man sich an sie erinnern wird als an eine Zeit, in der eine neue Ehrfurcht vor dem Leben erwachte, als eine Zeit, in der nachhaltige Entwicklung entschlossen auf den Weg gebracht wurde, als eine Zeit, in der das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden neuen Auftrieb bekam, und als eine Zeit der freudigen Feier des Lebens.“ (207). Er drängt Menschen dieser Generation zur Verantwortung. Zu Recht. Es ist die erste Generation, der es gelingen kann, Hunger und extreme Armut abzuschaffen, und die letzte Generation, die einen in hohem Maße gefährlichen Klimawandel abwenden kann.
Stefan Rostock
Mit Anregungen von Melanie Gehenzig und Christoph Bals. In Kürze erscheint ein längerer Beitrag zur Enzyklika von Germanwatch.
Lesen Sie auch das KlimaKompakt Nr. 85: Die Enzyklika „Laudato si'“ von Papst Franziskus und das KlimaKompakt Nr. 82: Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Zuletzt aktualisiert am 27.11.2015
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Autor:innenStefan Rostock |