Behauptungen statt Zahlen: Berliner Senat legt zweifelhafte Bewertung des Vergabegesetzes vor
Berlin (17. April 2015). Neun Monate nach der gesetzlich vorgesehenen Frist hat der Berliner Senat nun seinen ersten Vergabebericht vorgelegt. Der Bericht soll laut Gesetz die Wirkung des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes sowie die Arbeit der Vergabestellen untersuchen. Auf 33 Seiten beschreibt der Senat vor allem die Schwierigkeiten der Vergabepraxis - ohne allerdings in nennenswertem Umfang aktuelle Zahlen preiszugeben. „Dass der Senat und die zuständige Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung nicht in der Lage sind, Zahlen über die eigenen und mittelbar verantworteten Beschaffungsvorgänge zusammen zu tragen, ist als Grundlage für politische Entscheidungen unverantwortlich“, sagt Alexander Schudy vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag.
Der Vergabebericht soll als Basis für eine fortschreitende Evaluation des Gesetzes dienen. Er nennt jedoch nirgendwo Zahlen für die Vergabeausgaben - weder insgesamt noch nach Bereichen aufgeschlüsselt. Zudem zeigt er nicht, wie viele kleine, mittelständische und große, regionale und ausländische Firmen an Vergabeverfahren teilnehmen und berücksichtigt werden. Offen bleibt auch in welchen Produktgruppen Schwierigkeiten mit den gesetzlichen Vorgaben bestehen. Selbst die Angabe zu Vergabestellen insgesamt basiert laut Senatsbericht auf „groben Schätzungen“ von 2011, was Zweifel an der Aussagekraft der ausgewerteten Fragebögen aufkommen lässt. „Der Senat verwehrt der Öffentlichkeit und dem Abgeordnetenhaus einen tatsächlichen Einblick und damit die Kontrolle und Bewertung seiner Vergabepolitik“, so Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Landesverbandes Berlin. „Stattdessen präsentiert er Tendenzaussagen basierend auf Vermutungen und Verbandsmeinungen.“
Zudem fällt eine Vielzahl von Widersprüchen im Bericht auf: Phrasenhaft spricht insbesondere die Industrie- und Handelskammer von enormen Bürokratiekosten, etwa in Bezug auf die Leistungsblätter zu Umweltschutzanforderungen. Im Gegensatz dazu sind laut Vergabestellen mit deren Anwendung jedoch „keine besonderen Kosten verbunden“. Einerseits berichtet der Senat über ausreichende beziehungsweise nicht erforderliche Schulung der Vergabestellen - andererseits wird im Bericht deutlich, dass eine solche Schulung dringend notwendig ist.
Die vom Senat auf dieser Grundlage formulierten Prüfpunkte zur verbesserten Anwendung des Gesetzes bleiben entsprechend unscharf. Die Auswirkungen der vorgeschlagenen Härtefallklausel wären fraglich, da beispielsweise Produkte, für die die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen nachgewiesen werden müssen, „eher selten beschafft“ werden und auch Umweltkriterien „eher selten Anwendung finde[n]“. Eine Basis für die fortschreitende Evaluation des Gesetzes bietet der Bericht in dieser Form nicht.
Das FAIRgabe-Bündnis setzt sich dafür ein, dass Aufträge der öffentlichen Hand in Berlin unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Kriterien vergeben werden. Das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz verpflichtet die öffentliche Hand zur Einhaltung dieser Kriterien. Zuletzt hatte auch die Reform der Vorgaben zur öffentlichen Beschaffung auf europäischer Ebene ein klares Signal in diese Richtung gesetzt: Die im Januar 2014 angenommenen EU-Richtlinien stärken die Anreize und vereinfachen die Vorgaben für einen sozial und ökologisch verantwortlichen Einkauf der öffentlichen Hand.