Das Dienstwagenprivileg
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60 % der CO2-Emissionen im Verkehrsbereich in Deutschland kommen aus dem Auspuff von Pkws. Die Art der Autos, die in Deutschland neu zugelassen und damit auch produziert und gefahren werden, ist daher ein entscheidender Hebel, um die Emissionen des Straßenverkehrs schnell herunterzufahren. Insbesondere die Ausgestaltung des Dienstwagenprivilegs hat einen großen Einfluss darauf, ob Deutschland Elektro- oder Verbrennerautos, sparsame Wagen oder Spritschlucker fährt. Doch was ist das Dienstwagenprivileg eigentlich? Und wie kann es klimakompatibel ausgerichtet werden? Wir geben Antworten.
- Was sind Dienstwagen überhaupt?
- Warum sind Dienstwagen aus Klimaperspektive wichtig?
- Wie funktioniert die Dienstwagenbesteuerung aktuell und warum sprechen wir vom Privileg?
- Warum ist die aktuelle Dienstwagenregelung problematisch?
- Welche Reformmöglichkeiten und -forderungen gibt es?
- Wir brauchen eine Reform - und zwar jetzt!
Was sind Dienstwagen überhaupt?
Firmenwagen sind Fahrzeuge, die Arbeitnehmer:innen für dienstliche Fahrten von ihren Arbeitgeber:innen zur Verfügung gestellt bekommen. Dienstwagen sind die Firmenwagen, die nicht nur für dienstliche, sondern auch für private Zwecke genutzt werden. Und das sind viele.
Auch Betriebswagen, die von Selbstständigen ebenfalls privat genutzt werden, müssen als Dienstwagen versteuert werden. In diesem Beitrag gehen wir darauf jedoch nicht weiter ein.
Warum sind Dienstwagen aus Klimaperspektive wichtig?
In Deutschland werden jedes Jahr ca. 2,6 Mio. Neuwagen zugelassen, davon 60 % gewerblich. Für Dienstwagen werden die Daten nicht gesondert erhoben; schätzungsweise liegt ihr Anteil aber bei 20 % aller Pkw-Neuzulassungen. Gerade sie werden meist nur kurz als „Jahreswagen“ genutzt und danach als Gebrauchtwagen auf dem Privatmarkt verkauft. Somit hat die Auswahl von Dienstwagen einen großen Einfluss darauf, welche Autos produziert, gekauft und gefahren werden. Damit geht ein bislang nur wenig genutztes Potenzial zur Elektrifizierung und Emissionsminderung der deutschen Automasse einher, denn die Dienstwagenbesteuerung setzt bislang Anreize für die Anschaffung großer und klimaschädlicher Fahrzeuge (mehr dazu weiter unten im Text). Deshalb hat sich auch der Sachverständigenrat Wirtschaft für einen Abbau dieser „Steuervergünstigungen“ ausgesprochen (Jahresgutachten 2019-20, Anhang I, Ziffer 105).
Wie funktioniert die Dienstwagenbesteuerung aktuell und warum sprechen wir vom Privileg?
Im Rahmen einer Gehaltsverhandlung kann vereinbart werden, dass Beschäftigte einen Dienstwagen bekommen und ihn für private Fahrten nutzen dürfen. Sie verzichten auf einen Teil ihres Lohns und erhalten im Gegenzug eine zusätzliche Vergütung, die nicht aus Geld, sondern aus einem Auto besteht. Das wird auch Sachleistung oder geldwerter Vorteil genannt. Häufig übernimmt das Unternehmen neben den Anschaffungs-, Reparatur- und Wartungskosten auch die Tankkosten. All diese Ausgaben kann die Firma von der Steuer absetzen. Ebenso wie auf den Lohn müssen Arbeitnehmer:innen hingegen auch auf die Sachleistung Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Um zu ermitteln, wie hoch der zu versteuernde geldwerte Vorteil ist, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Bei der Fahrtenbuchmethode werden für jede Fahrt unter anderem Zweck und gefahrene Kilometer erfasst. So kann errechnet werden, welcher Anteil der Gesamtkosten des Autos auf private Fahrten entfällt. Die Methode bildet den realen geldwerten Vorteil zwar nicht lückenlos, aber deutlich präziser als die andere Variante ab, hat aber einen höheren bürokratischen Aufwand und ist anfällig für Betrug.
- Demgegenüber wird bei der Ein-Prozent-Regelung (auch Listenpreismethode) pauschal pro Monat ein Prozent des Bruttolistenpreises für den Wert der Privatnutzung veranschlagt. Bei E-Autos sind es 0,25 %, bei Plug-In-Hybriden 0,5 %. Der geldwerte Vorteil aus der Privatnutzung des Dienstwagens für den Arbeitsweg wird separat angesetzt und hinzugerechnet.
Der Begriff Privileg ist deshalb zutreffend, weil mit der bisherigen Regelung alle Steuerzahler:innen mit ihren Steuern einen individuellen Vorteil finanzieren, den fast nur Besserverdienende bekommen.
Warum ist die aktuelle Dienstwagenregelung problematisch?
Wird die Ein-Prozent-Regelung genutzt und die Firma zahlt zusätzlich die Tankkosten, so steht de facto ein Auto zum „Flatrate“-Tarif zur Verfügung: Egal wie viele Kilometer monatlich privat gefahren werden, der Preis bleibt aus Sicht des Dienstwagennutzenden gleich. Das schafft starke Anreize sich klimaschädlich zu verhalten und privilegiert Dienstwagennutzer:innen gegenüber Menschen ohne Dienstwagen. Wie hoch der individuelle Vorteil tatsächlich ist hängt von vielen Faktoren ab. Das Forschungsinstitut Agora Verkehrswende zeigt in diversen Beispielkonstellationen aber, dass der reale Wert der Privatnutzung durch die Listenpreismethode regelmäßig unterschätzt wird.
Aus ökologischer Sicht...
… sind vor allem die Effekte auf Verkehrsmittel- und Fahrzeugwahl sowie auf die Fahrweise kontraproduktiv.
Erstens sind die Anreize der Wahl des Dienstwagens nicht auf kleine, sparsame Pkws ausgerichtet. Arbeitgeber:innen können aktuell jeden Firmenwagen von der Steuer absetzen. Je teurer das Auto, desto mehr Geld kann abgesetzt werden. Und desto schwerer, größer und umweltschädlicher sind die sogenannten Dienstwagen auch – und damit viele besonders klimaunverträgliche Pkws im Straßenverkehr.
Elektrische Fahrzeuge werden inzwischen immerhin durch die niedrigeren zu versteuernden Prozentsätze gefördert. Trotzdem läuft die Elektrifizierung der Dienstwagenflotte nur schleppend an – lediglich einer von acht Dienstwagen war 2021 ein Elektroauto. Hinzu kommt, dass ein großer Anteil der elektrischen Dienstwagen keine vollelektrischen Autos, sondern Plug-In-Hybride, sind. Viele Dienstwagenhalter:innen laden die Batterien ihrer Hybridwagen erst gar nicht, weil sie eine für sie kostenlose Tankkarte vom Unternehmen bekommen, für den Strom aber selbst aufkommen müssten. Bei geringer elektrischer Nutzung sind Plug-In-Hybride aufgrund der schweren Batterien für das Klima sogar noch schlechter als reine Verbrenner – trotzdem profitieren die Halter:innen von einem halb so hohen Anteil am Listenpreis (0,5 statt 1 %). Um diesem umweltschädlichen Verhalten vorzubeugen, sollte sich deshalb eine Förderung von Hybridwagen künftig nicht am Normverbrauch, sondern am Realverbrauch orientieren, fordert Prof. Dr. Stefan Bratzel, Center of Automotive Management. Damit würde er bei den meisten Nutzer:innen etwa so wie Verbrennungsmotoren abschneiden, da der Realverbrauch von Plug-In-Hybriden oft nicht unter, sondern sogar über dem von Verbrennern liegt.
Steht der Dienstwagen zur Flatrate unbegrenzt zur Verfügung, gibt es zweitens keinen Anreiz, klimafreundlichere Verkehrsmittel zu nutzen. Das Auto ist in dem Moment nicht nur die manchmal bequemere, sondern immer die günstigere Alternative – zumindest fürs Individuum, denn die Kosten muss die Allgemeinheit tragen.
Drittens lohnt es sich im Rahmen der Ein-Prozent-Regelung, in Kombination mit einer Tankkarte, möglichst viel zu fahren. Es besteht keinerlei Anreiz, auf eine verbrauchsarme Fahrweise zu achten.
Auch aus fiskalischen Gründen...
… ist eine Reform dringend nötig. Mit Ausnahme der Förderung von vollelektrischen Autos und Plug-In-Hybriden wird die Dienstwagenbesteuerung vom Bundesfinanzministerium nicht als Subvention gewertet, dabei ist sie dem Umweltbundesamt zufolge genau das. Schätzungsweise werden lediglich 40 % des realen geldwerten Vorteils durch die Besteuerung erfasst. Allein dadurch entgehen dem Staat jedes Jahr 3,1 Mrd. Euro – 2019 entsprach das immerhin einem Prozent des Bundeshaushalts. Der Think-Tank Transport & Environment hat berechnet, dass allein die Steuerausnahmen für besonders umweltschädliche Dienstwagen, die über 180g CO2 pro Kilometer ausstoßen, den Staat etwa die Hälfte davon, nämlich jährlich 1,6 Mrd. Euro, kosten. Die verpassten Steuereinnahmen fehlen an anderer Stelle. Sie könnten zum Beispiel für dringend benötigte Investitionen in Bahnnetz und für den ÖPNV genutzt werden.
Aus gesellschaftspolitischer Sicht...
… kommt hinzu, dass die Dienstwagenregelung sozial ungerecht ist. Dies wird zum einen deutlich bei der Frage, wem ein Dienstwagen (zur privaten Nutzung) zur Verfügung steht und zum anderen bei der Verteilung der finanziellen Vorteile.
Insgesamt haben nur 5 % der Beschäftigten in Deutschland einen Dienstwagen den sie privat nutzen können. Diese Gruppe ist überdurchschnittlich wohlhabend und meist männlich. So fahren Männer viermal so häufig einen Dienstwagen wie Frauen und die bestverdienenden 3 % der Erwerbstätigen halten 38 % der Dienstwagen. Menschen, die gesellschaftlich ohnehin schon privilegiert sind, werden durch die Dienstwagenregelung also weiter bevorteilt. So wirkt das Dienstwagenprivileg regressiv. Von der Hälfte dieser Subvention profitieren die reichsten 20 % der Bevölkerung.
Der Status Quo der Dienstwagenbesteuerung schafft folglich mindestens doppelt Kosten: Zum einen für Klima, Umwelt und Gesellschaft, zum anderen für die Steuerzahler:innen, die die subventionsartige Regelung finanzieren.
Welche Reformmöglichkeiten und -forderungen gibt es?
Grundsätzlich sollten andere Mobilitätsangebote, wie beispielsweise ein Mobilitätsbudget, das auch für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verwendet werden kann, der Dienstwagennutzung steuerlich mindestens gleichgestellt werden. Je klimaverträglicher die Mobilitätswahl, desto stärker sollte der steuerliche Anreiz sein – denn es werden weniger Schäden produziert. Das würde die Freiheit, das Verkehrsmittel selbst zu wählen, erhöhen und wäre sozial gerechter, da auch Menschen, die keinen Dienstwagen erhalten, ein Mobilitätsbudget erhalten könnten.
Verbrenner sollten gar nicht mehr durch das Dienstwagenprivileg gefördert werden. Es passt nicht ins Bild, eine Antriebsform, die ab 2035 in der EU nicht mehr als Neuwagen verkauft werden darf, jetzt noch zu fördern. Es kann die Antriebswende beschleunigen, möglichst leichte und effiziente vollelektrische E-Autos zeitlich begrenzt zu fördern. Jedoch sollten diese und ähnliche Vergünstigungen von E-Autos zeitlich begrenzt und durch ein Mobilitätsbudget abgelöst werden, um Menschen ohne Dienstwagen nicht zu benachteiligen.
Bei der Reform der Dienstwagenbesteuerung müssen die Regeln für die Arbeitgeber:innen einerseits und für die Arbeitnehmer:innen andererseits berücksichtigt werden. Dabei gibt es drei Hebel, die sich teilweise ergänzen und am besten wirken, wenn sie in ein Gesamtkonzept zur Emissionsreduktion im Verkehr eingebunden sind:
1. Hebel: Besteuerung tatsächlich gefahrener Kilometer statt Pauschale
Zunächst sollte die pauschale Besteuerung abgeschafft und stattdessen die tatsächlich gefahrene Zahl von Kilometern erfasst und besteuert werden. Die Fahrer:innen würden mit einem elektronischen Fahrtenbuch für den Wert aller tatsächlich unternommenen privaten Fahrten Steuern zahlen, in Höhe ihres Lohnsteuersatzes. Bisher werden monatlich pauschal – wie oben beschrieben je nach Antriebsart – 0,25–1,0 % des Fahrzeuglistenpreises und eine Komponente, die durch die Länge des Arbeitsweges bestimmt wird, versteuert. Durch eine Besteuerung tatsächlich gefahrener Kilometer bekäme jeder Kilometer einen finanziellen Wert und der Anreiz viel zu fahren fiele weg. Die Fahrer:innen wären vom Dilemma befreit, zwischen finanziellen Anreizen und ökologischen Zielen entscheiden zu müssen. Es wäre leichter für sie, klimafreundlich mobil zu sein. Das schlägt auch das Umweltbundesamt vor..
2. Hebel: Besteuerung der tatsächlichen Emissionen
Was Hebel 1 noch fehlt ist ein Anreiz mit niedrigem Verbrauch zu fahren. Das lässt sich durch eine Ausrichtung der Besteuerung an den Emissionen lösen, wie es zum Beispiel im Vereinigten Königreich gemacht wird. Auch in Belgien wird ein privat genutzter Dienstwagen im Rahmen der Pauschalbesteuerung für Beschäftigte umso günstiger, je grüner die Antriebsart und je geringer der Emissionsfaktor ist.
Die aktuell günstigeren Steuersätze für die meist schweren Plug-In-Hybride als Dienstwagen müssten laut Umweltbundesamt abgeschafft werden. Mindestens sollten sie entsprechend eines Vorschlags von Agora Verkehrswende und dem Öko-Institut oder dem Center of Automotive Management an den Anteil der elektrischen Fahrleistung geknüpft werden.
Auf der Seite der Arbeitgeber:innen sollte die Absetzbarkeit von Anschaffungs- und Betriebskosten der Dienstwagen an die spezifischen Emissionen des Fahrzeugs geknüpft werden. Die Klimaallianz hat beispielsweise schon 2012 einen festen CO2-Grenzwert gefordert. Das hätte zur Folge, dass Unternehmen nur die Dienstwagen voll absetzen könnten, die diesen Wert einhalten. Dienstwagenkosten, die den Grenzwert reißen, könnten nur anteilig geltend gemacht werden – je nachdem, wie viel höher die Emissionen sind. Zudem könnte die Abschreibung von Verbrennern und Plug-In-Hybriden wie im Vereinigten Königreich nach CO2-Emissionen gestaffelt oder wie in Belgien ganz abgeschafft werden. Letzteres forderte Germanwatch im Herbst 2022 in einem großes Bündnis von Umwelt- und Sozialverbänden in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz.
3. Hebel: Besteuerung des tatsächlichen Anschaffungspreises statt des theoretischen Listenpreises
Schließlich sollte die Besteuerung nicht mehr am Listen-, sondern am tatsächlichen Anschaffungspreis festgemacht werden, um Anreize für günstige, kleine und sparsame Fahrzeuge zu setzen. Auch Gebrauchtwägen würden attraktiver.
Wir brauchen eine Reform - und zwar jetzt!
Die aktuelle Dienstwagenregelung ist schlecht fürs Klima, sozial ungerecht und für den Staat viel zu teuer. Je länger wir die Produktion von großen, umweltschädlichen Autos künstlich verstärken, desto höher werden die Kosten für die Allgemeinheit. Eine Reform ist längst überfällig. Dieser Schritt ist einer der wichtigsten Hebel um den Verkehrssektor auf Zielerreichungspfad für das Klimaschutzgesetz zu bringen. Das Potenzial von Dienstwagen für die Transformation des fossilen in einen klimakompatiblen Pkw-Bestand muss jetzt genutzt werden. Es bestehen viele sinnvolle Reformansätze, die jetzt umgesetzt werden können.
Insbesondere sollte die Bundesregierung folgende Reformvorschläge priorisieren:
- Das Dienstwagenprivileg für Verbrenner und Hybridautos muss möglichst schnell abgeschafft, für reine Elektroautos nur zeitlich begrenzt gewährt werden.
- Stattdessen muss ein Mobilitätsbudget eingeführt werden, damit endlich auch die ökologischsten Formen der Mobilität unterstützt werden.
- Solange es das Dienstwagenprivileg für vollelektrische Fahrzeuge noch gibt, muss es so gestaltet werden, dass es kleine, energieeffiziente Fahrzeuge und sparsames Fahren belohnt.
Mit diesen Maßnahmen können wir die klimafreundliche, sozial gerechte und ökonomisch vorausschauende Verkehrswende ein gutes Stück voranbringen.
Autor:innenJanna Leipold, Jacob Rohm |