Neuauflage der Nationalen Wasserstoffstrategie: Licht und Schatten
Wie grün der mit der Nationalen Wasserstoffstrategie anvisierte Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft tatsächlich wird, hängt u.a. von strengen Kriterien für den Einsatz von fossilem blauen Wasserstoff ab. (Foto: Shutterstock/Corona Borealis Studio)
Nach monatelangem Ringen hat sich die Bundesregierung Mitte Juli auf die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie geeinigt. Als Reaktion auf die veränderte energiepolitische Gesamtlage nach Beginn des russischen Angriffskriegs war die Neuauflage der erstmals im Jahr 2020 vorgelegten Strategie ursprünglich auf Ende 2022 vorgezogen worden. Im Lichte kontroverser Debatten um beispielsweise eFuels oder die Rolle von Wasserstoff für die Gebäudewärme musste sie dann jedoch mehrfach verschoben werden.
Die erzielte Einigung enthält viele positive Ansätze: So etwa die Beschränkung der finanziellen Förderung auf die Produktion von grünem Wasserstoff oder die prinzipiell angelegte Priorisierung bestimmter Sektoren für den Einsatz von Wasserstoff. Demgegenüber stehen weiche Formulierungen und Schlupflöcher, die eine Nutzung von Wasserstoff in weiteren Sektoren sowie die indirekte Förderung von fossilem Wasserstoff zulassen.
Positiv: Perspektive für grünen und sektorfokussierten Hochlauf erkennbar
Die Neuauflage der Wasserstoffstrategie schafft wichtige Grundlagen für eine klimaschutzdienliche Wasserstoffwirtschaft: Das Ausbauziel für grüne Elektrolyse wurde ambitioniert auf 10 GW bis 2030 erhöht und die Sektoren Industrie, Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr sowie Strom für die Nutzung von Wasserstoff hervorgehoben. Diese Rahmenbedingungen können Sicherheit für Investitionen schaffen und eine effiziente Nutzung von knapp verfügbarem grünem Wasserstoff sicherstellen. Gleichzeitig lassen aber teils schwammige Formulierungen in der Strategie zu viel Interpretationsspielraum zu, etwa in Bezug auf die priorisierten Sektoren. So hob die FDP bei der Vorstellung der Strategie prompt die Bedeutung von Wasserstoff für den Individualverkehr hervor, obwohl dieser an keiner Stelle der Strategie genannt ist – die offenen Formulierungen schließen diese Art der Wasserstoff-Nutzung jedoch auch nicht explizit aus. Dies zeigt deutlich, dass die Einhaltung der Anwendungspriorisierung gerade entgegen wirtschaftlicher Interessen nicht selbstverständlich ist. In den kommenden Monaten muss sie deshalb ein Schwerpunkt der klima- und umweltpolitischen Arbeit sein.
Problematisch: Indirekte Förderung für fossiles Gas
Die Strategie spricht sich für sogenannten grünen Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit Hilfe von erneuerbarem Strom hergestellt wird, als einzige „auf Dauer nachhaltige“ Form von Wasserstoff aus. Finanzielle Unterstützung soll auf der Produktionsseite ausschließlich für diese Art Wasserstoff gewährt werden. Gleichzeitig lässt die Strategie jedoch „kohlenstoffarmen Wasserstoff“ für eine nicht absehbare Übergangszeit zu und erlaubt sogar dessen indirekte finanzielle Förderung auf der Abnahmeseite. Der Begriff „kohlenstoffarm produzierter Wasserstoff“ bezieht sich vor allem auf blauen Wasserstoff, der aus fossilem Erdgas hergestellt wird und sehr unterschiedliche CO2-Emissionsmengen aufweisen kann. Die Verwendung von öffentlichen Mitteln für diese Technologie ist hochproblematisch, weil damit große Gefahren für fossile Lock-in-Effekte, die Ausweitung der Förderung von fossilem Erdgas und schlussendlich steigende Gesamtemissionen verbunden sind. Schon jetzt ist die indirekte Förderung im Rahmen der sogenannten Klimaschutzverträge möglich: Industrie-Unternehmen können sich damit die Mehrkosten für eine CO2-arme Produktion erstatten lassen, welche die Verwendung von blauem Wasserstoff miteinschließt. Zwar ist in der Förderrichtlinie eine finanzielle Priorisierung von grünem Wasserstoff angelegt. Das alleine reicht aber nicht aus, um der Gefahr fossiler Lock-Ins zu begegnen. Vielmehr sollte die Bundesregierung den Einsatz von blauem Wasserstoff an strenge Kriterien und Regeln knüpfen: Dazu gehören aufseiten der Produktion möglichst ambitionierte Umwelt- und Klima-Standards, die zudem ausschließen, dass das aufgefangene CO2 für die Ölförderung genutzt wird (durch die sogenannte „Enhanced Oil Recovery“). Aufseiten der Anwendung muss fortlaufend geprüft werden, ob der Einsatz von blauem Wasserstoff wirklich nötig ist. Dieser sollte an individuelle Genehmigungen gekoppelt sein, die einen festen Fahrplan für den Übergang zu grünem Wasserstoff beinhalten und in regelmäßigen Abständen erneuert werden müssen.
Bekenntnis zu integrierter Netzplanung und Systemdienlichkeit muss umgesetzt werden
Mit größerer Deutlichkeit bekennt sich die Nationale Wasserstoffstrategie zu einer direkt verzahnten Energie- und Infrastrukturplanung, die insbesondere die Erdgas- und Wasserstoffnetzplanung direkt verbindet. Wenn diese konsequent umgesetzt wird, können Erdgasleitungen stillgelegt oder für Wasserstoff umgenutzt werden. Hierdurch kann der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft den Ausstieg aus fossilem Erdgas erheblich antreiben. Eine enge Verknüpfung mit dem Strom- und Wärmesystem im Rahmen der Systementwicklungsstrategie und der kommunalen Wärmeplanung ist dabei entscheidend, um das Gesamtenergiesystem emissionsfrei und möglichst effizient zu gestalten. Elektrolyseure, die zur Wasserstoffproduktion genutzt werden, sind prinzipiell zwar perfekte flexible Stromverbraucher. Sie können das Stromnetz jedoch nur gezielt entlasten, wenn ihre geographische Lage im Rahmen einer gemeinsamen Wasserstoff- und Stromnetzplanung optimiert wird. Das übergeordnete Ziel der Systementwicklungsstrategie besteht darin, ein möglichst energieeffizientes und klimafreundliches Gesamtsystem zu schaffen. Dieses Ziel muss auch auf regionaler und lokaler Ebene berücksichtigt werden. Ein wichtiger Aspekt davon ist die kommunale Wärmeplanung, bei der die Elektrifizierung der Wärmeversorgung von Haushalten als effizienteste und mittelfristig kostengünstigste Lösung verfolgt werden sollte. Eine integrierte Planung von Strom-, Wärme- und Wasserstoffnetzen auf lokaler Ebene muss sich an diesem Zielbild orientieren. So kann insgesamt der Bedarf an Wasserstoff reduziert und seine Verfügbarkeit in Bereichen erhöht werden, in denen eine Elektrifizierung nicht möglich ist.
Importe mit Fokus auf Nachhaltigkeit
Selbst mit starker Anwendungspriorisierung wird Deutschland auch mittel- und langfristig seinen Bedarf an Wasserstoff und dessen Derivaten in erheblichem Umfang durch Importe decken müssen. In der Nationalen Wasserstoffstrategie wurde erstmals eine Importstrategie skizziert, die für Ende 2023 angekündigt wurde und sich in ihren Eckpunkten deutlich an Nachhaltigkeitskriterien orientiert. Diese Eckpunkte gilt es nun in der genauen Ausformulierung stringent umzusetzen. Dazu gehören auch intelligent designte Mechanismen, etwa im Sinne eins internationalen Lieferkettengesetzes oder Standards, die die importierenden Ländern dazu verpflichten, den Aufbau einer zusätzlichen Wertschöpfung in den exportierenden Ländern über die Wasserstoffproduktion hinaus zu fördern. Damit könnte sichergestellt werden, dass im Idealfall international gültige Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden. Mindestens aber muss Deutschland im Rahmen seiner bilateralen Partnerschaften als Vorbild wirken, indem es ökologische sowie sozioökonomische Nachhaltigkeit und positive Wertschöpfung in den Partnerländern zum integralen Bestandteil seiner Partnerschaften macht. Im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Forschungsprojektes arbeitet Germanwatch an der Frage, wie die entsprechenden Nachhaltigkeitskriterien sowie Instrumente und Mechanismen zur deren Einhaltung konkret aussehen können.
Autor:innenDr. Simon Schreck, Dr. Simon Wolf |