Der Countdown läuft
Jetzt gilt's: In den nächsten Wochen stehen in Brüssel wichtige Entscheidungen zum EU-Lieferkettengesetz an.
Foto: Shutterstock
In Brüssel wird seit einiger Zeit über ein EU-Lieferkettengesetz verhandelt. Nun stehen wichtige Entscheidungen an: Am 1. Dezember will der zuständige EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit einen Beschluss vorlegen. Doch die Ratsposition ist unter den EU-Mitgliedsländern heftig umstritten. Wie es scheint, tritt Deutschland aktuell auf die Bremse – das sollte sich ändern.
Im Februar dieses Jahres hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz vorgelegt (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD). Dieser wurde anschließend an das EU-Parlament und den EU-Ministerrat übermittelt – nun stehen entscheidende Weichenstellungen an.
Die Bundesregierung war zunächst in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe über Monate nicht sprechfähig, weil sie innerhalb der Ampelkoalition noch um einen Konsens rang. Schließlich einigte man sich Anfang September auf Eckpunkte für eine deutsche Position. Großes Novum war dabei, dass Deutschland den Vorschlag der Kommission für eine zivilrechtliche Haftung im Grundsatz mittrug – diese würde es Betroffenen ermöglichen, Schadensersatz vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten einzuklagen. Beim deutschen Lieferkettengesetz war die zivilrechtliche Haftung hoch umstritten und konnte gegen den Widerstand von CDU und CSU nicht in den Gesetzestext aufgenommen werden.
Kritik an der deutschen Position
Die Details des deutschen Kompromisses sickerten allerdings erst nach und nach durch, komplett transparent sind die Positionen bislang nicht. Besondere Kritik erfuhr die geplante Einschränkung der Haftung, die sogenannte Safe-Harbour-Regelung. Sie sieht Haftungserleichterungen vor, wenn Unternehmen bestimmte Zertifizierungen verwenden oder sich an Branchenstandards beteiligen. Nicht nur die Initiative Lieferkettengesetz, auch der Rechtsprofessor und EU-Parlamentarier René Repasi kritisierte dieses Vorhaben deutlich.
Nach vorliegenden Informationen zum aktuellen Verhandlungsstand vom 22. November 2022 stieß die Bundesregierung mit ihren Forderungen zur Haftungserleichterung jedoch in Brüssel bislang auf wenig Begeisterung. Ähnliches gilt für die deutsche Forderung, dass Unternehmen nur für Schäden haften sollen, die sie in ihrer eigenen Risikoanalyse priorisiert hatten.
Ausnahmen für Waffenexporte, Klimapläne und Finanzsektor geplant
Andere einschränkende Punkte, die auch auf Druck der FDP in die deutsche Position eingeflossen sein sollen, finden sich dagegen in kursierenden Ratspapieren. So sind im EU-Rat eigenständige Verpflichtungen für das Unternehmensmanagement vom Tisch, auch aufgrund des Widerstands der Bundesregierung. Ebenso scheint sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach einer erheblichen Einschränkung der von Unternehmen zu achtenden Menschenrechte durchgesetzt zu haben: Von der Liste der anfangs 14 internationalen Menschenrechtsinstrumente sind nur zwei übrig geblieben, Kinder- und Indigenenrechte etwa fallen gänzlich unter den Tisch. Zudem werden sich EU-Mitgliedsstaaten voraussichtlich nicht dafür aussprechen, die Klima- und Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens bei der Vergütung von Vorständen zu berücksichtigen. Besonders gravierend: Die Bundesregierung hat erwirkt, dass die Umsetzung von Klimaplänen nicht von den zuständigen Behörden kontrolliert werden soll.
Zudem will die Bundesregierung die Reichweite in der nachgelagerten Lieferkette einschränken und beispielsweise genehmigte Waffenexporte ausschließen. Außerdem wollen die EU-Mitgliedsstaaten Finanzinvestitionen von der CSDDD-Richtlinie ausnehmen, wofür sich auch die Bundesregierung starkgemacht hat. Allerdings sprachen sich erst am 24. November 2022 über 140 Investoren mit einem Anlagevolumen von 1,5 Billionen US-Dollar für ein EU-Lieferkettengesetz aus, das auch die Finanzwirtschaft umfassen soll.
Aber auch andere Länder vertreten bedenkliche Positionen. So will Frankreich den Finanzsektor vollständig ausnehmen. Zudem hielt die französische Regierung lange an der Forderung fest, die Sorgfaltspflichten von Unternehmen auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“ zu beschränken. Damit würden viele problematische Bereiche der Wertschöpfungskette, zum Beispiel in schnelllebigen Branchen wie dem Textilsektor, nicht erfasst. Auch Unternehmen finden eine solche Begrenzung nicht zielführend, wie sie im Rahmen einer Konsultation gegenüber der EU-Kommission verdeutlichten. Der Widerstand ist inzwischen so groß, dass diese Einschränkung wohl weichen wird. Frankreich vertritt jedoch weitere problematische Forderungen und will z. B. die nachgelagerte Lieferkette komplett ausnehmen. Damit wären die Verantwortung für Pestizidexporte oder der Verkauf von Überwachungssoftware nicht erfasst. Im aktuellen Verhandlungsentwurf ist nur noch die Entsorgung von Produkten übrig geblieben.
Showdown in Brüssel
Es bleibt spannend, ob die EU-Staaten bis zum 1. Dezember 2022 die Konfliktlinien beilegen können, wenn der zuständige EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit tagt und die Ratsposition verabschieden soll. Am 25. November fand dazu die entscheidende Sitzung im Comité des représentants permanents (COREPER) statt – in dem sozusagen die Botschafter:innen der 27 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel zusammenkommen. Neben Frankreich kommt es maßgeblich auf die Bundesregierung an und insbesondere auf den Justizminister Buschmann, der weiterhin auf Haftungserleichterungen pocht. Die Vertreter:innen der Bundesregierung sollten jede Möglichkeit nutzen, um sich in Brüssel für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen, wie sie es im Koalitionsvertrag versprochen haben.
Aber auch das EU-Parlament muss noch eine Position entwickeln. Das wird kein leichtes Unterfangen: Neben dem federführenden Rechtsausschuss sind acht weitere Ausschüsse beteiligt.
Äußerst besorgniserregend sind die Forderungen einiger deutscher CDU/CSU-Abgeordneter im Europäischen Parlament: Sie sprechen sich mit Verweis auf die aktuelle Krisensituation und Belastungen der Wirtschaft dafür aus, das EU-Lieferkettengesetz ganz aufzuschieben. Nach jüngsten Berichten konnten sie sich damit jedoch innerhalb ihrer Fraktion erfreulicherweise nicht durchsetzen.
Liegen sowohl die Vorschläge des EU-Rats als auch des EU-Parlaments vor, geht es in den sogenannten Trilog-Prozess, in dem beide Instanzen gemeinsam mit der EU-Kommission eine Einigung aushandeln. Bis dahin wird es auf allen Ebenen noch zähe Verhandlungen geben. Währenddessen sind deutsche Unternehmen gut darin beraten, sich engagiert an die Umsetzung des deutschen Gesetzes zu machen, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Damit haben sie zumindest schon erste Schritte gemacht, wenn in einigen Jahren auch das EU-Lieferkettengesetz in Deutschland gelten wird. Inwiefern es Unternehmen in ganz Europa auf einem höheren Niveau verpflichten wird als das deutsche Gesetz, entscheidet sich in den nächsten Monaten in Brüssel.
Mit unserer Petition fordern wir die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. Setze jetzt ein Zeichen und unterstütze unseren Aufruf: