Weltklimakonferenz in Krisenzeiten: Klimapolitik wurde nicht vom Tisch gefegt
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Am Sonntag, den 20. November 2022, endete die 27. Weltklimakonferenz in Scharm El-Scheich. Unsere erste Analyse blickt auf den Klimagipfel zurück, bewertet die Ergebnisse zu den wichtigsten Verhandlungsthemen – von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten über Minderung oder Anpassung bis zur Klimafinanzierung – und benennt die nun notwendigen Schritte in der internationalen Klimapolitik.
Einordnung und Überblick der COP27
Der Kampf um die Ressourcenrente von Öl und Gas in einer neuen Phase
Bereits 2021, in Glasgow noch unbeachtet, hatte sich eine deutliche Wende im Ölpreis abgespielt. Seit dem 24. Februar 2022, dem Start des neuen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, stiegen die Öl- und Gaspreise noch viel massiver an. Und gerade als die Öl- und Gaspreise im Herbst 2022 wieder etwas sanken, beschloss die OPEC+ im Oktober 2022 die gemeinsame Produktionsmenge deutlich zu senken. Die hohen Gas- und Ölpreise veränderten massiv den Rahmen für Investitionen im Energiesektor. Erstens waren damit Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz so wettbewerbsfähig wie nie zuvor. Zweitens ließ sich mit Öl und Gas nun so viel Geld verdienen, dass sich viele Länder mit entsprechenden Reserven fragten, ob sie nicht auch an diesem Goldrausch (in Bezug auf das schwarze Gold Öl oder Gas) teilhaben sollten. Drittens wurden so viele Einnahmen wie nie zuvor in die Taschen von Öl- und Gasunternehmen sowie -ländern weltweit gespült. Einiges davon wird wohl in eine Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells investiert. Viertens hat sich die Wettbewerbsfähigkeit von Kohle gegenüber Gas verbessert, sodass nun insbesondere in Asien viele Akteure in neue Kohlekraftwerke investieren wollen.
Angesichts dieser widersprüchlichen Ausgangslage stellt sich als Kernfrage der internationalen Klimapolitik: Kann die Bekämpfung dieser Energiekrise so angegangen werden, dass die Nachfrage nach Öl und Gas und damit die Energiepreise durch massive Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien weltweit sehr schnell sinken wird? Oder wird massiv in neue Lagerstätten investiert werden, um das Angebot zu erhöhen und so die Preise zu senken? In diesem Zusammenhang drängte die bange Frage in den Vordergrund: Wird diese COP zur Gas-COP?
Zugleich spitzte sich die Polarisierung zwischen China und den USA weiter zu. Mitte des Jahres kündigte China die bilaterale, hochrangige Klimakooperation auf.
Diese energie- und geopolitischen Turbulenzen ließen es ausgesprochen fraglich erscheinen, ob der Klimagipfel die Erwartungen der Weltgemeinschaft in die richtige Richtung koordinieren könnte. Das heißt, dass jetzt schon von Klimarisiken betroffene Menschen wirkungsvoll geschützt sowie eine massive Investitionswelle für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz losgetreten werden könnten. Ob es gelingen kann, das notwendige „Shifting the Trillions“ in die richtige Richtung zu lenken und damit die ohnehin dramatisch explodierte Verschuldung der meisten armen Länder nicht zu verschlimmern, sondern zu lindern?
Start des Gipfels: Zwei sehr unterschiedliche Signale
Die COP27 begann mit einem doppelten Paukenschlag. Zum einen erklärten sich die Industrieländer nach 15 Jahren der Blockade dazu bereit, ernsthaft über die Finanzierung von Schäden und Verlusten zu reden. Angesichts der langjährigen Blockade gab es jedoch auch bei vielen der besonders verletzlichen Staaten ein enormes Misstrauen, ob es sich hier um eine ernsthafte Bereitschaft oder um eine neue Finte handele.
Der zweite Paukenschlag: Insbesondere die Ölländer und großen Schwellenländer verhinderten, dass es einen Agendapunkt zum Thema „Shifting the Trillions“ (Pariser Klimaabkommen, Art. 2.1.c) gab. Dies steht im Widerspruch zu den Ergebnissen einer in Scharm El-Scheich vorgestellten Studie: Schon ab 2025 müssen jährlich US$ 2,4 Billionen investiert werden, um sowohl auf einen 1,5°C-Pfad zu kommen, Anpassung, Schäden und Verluste zu bewältigen als auch Naturkapital aufzubauen. Es muss also alles getan werden, um die Finanzflüsse in die richtige Richtung zu verschieben.
Relevante Entwicklungen während des Gipfels
- Schon im High Level Segment zu Beginn des Gipfels war das klare Signal fast aller Staats- und Regierungschefs: die Klimakrise ist so ernst, dass die Fragen der Energie- und Klimasicherheit nicht dagegen ausgespielt werden dürfen, sondern zumindest mittel- und langfristig synergetisch gelöst werden müssen. Die ärmeren Länder müssen trotz der massiven Verschuldung dahingehend unterstützt werden, in Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und die Verbesserung der Böden investieren zu können. Einige sprachen auch Gas bzw. Öl an, etwa der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Ausrichter der nächsten COP.
- Die Regierungschefs der USA und Chinas vereinbarten beim G20-Gipfel auf Bali ihren High-Level-Dialog zu Klima wiederaufzunehmen. Wenige Minuten später begannen hochrangige bilaterale Gespräche zwischen China und den USA auf dem UN-Klimagipfel.
- Im Gipfelcommuniqué der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten, die für 80% der globalen Emissionen verantwortlich sind, gab es mehrere Paragraphen zum Klima. Dort waren sowohl das 1,5°C-Limit als auch Türöffner für die „Diversifizierung“ des Energiesektors (und damit ein Codewort für Gas) enthalten sowie das Bekenntnis, ein Ergebnis für „Loss & Damage“ in Ägypten zu erzielen. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch das Bekenntnis zu Reformen des Finanzmarkts.
- Die verletzlichen Staaten bekamen während des Gipfels die klar vereinbarte Unterstützung der gesamten G77 (Zusammenschluss von Entwicklungsländern innerhalb der Vereinten Nationen) und China für ihre Top-Forderung eines „Loss & Damage“-Fonds. Erst als dies tatsächlich als Option im Text verankert war, wagten sie sich in den letzten 24 Stunden der COP27, auch Druck für einen 1,5°C-Pfad und ein sogenanntes „Phase-Down“ von Öl und Gas zu machen. Dieser Druck, verbunden mit Kooperationsangeboten, ist vor allem gegenüber den Öl- und Gasstaaten, China und anderen großen Schwellenländern, dringend notwendig.
„Shifting the Trillion“ in die falsche Richtung – aber nicht als Agendapunkt?
Was wir derzeit global erleben, ist tatsächlich ein „Shifting the Trillions“, aber hin zu den Öl- und Gasstaaten bzw. -unternehmen. Obwohl sich eine gewisse Diversifizierung der Investitionen dieser Akteure abzeichnet, ist der dominierende Trend jedoch eine Verlängerungsstrategie für die fossile Welt. Dies würde eine 1,5°C-Strategie schlichtweg torpedieren. Zugleich war klar, dass die EU und andere Industrieländer ohne Fortschritte beim Thema Klimaschutz und „Shifting the Trillions“ (2.1.c) nicht bereit sein würden, jetzt schon einem Fonds oder einer Finanzarchitektur für Schäden und Verluste zuzustimmen. Die Ausgangslage zu Beginn des Klimagipfels deutete also auf sehr schwierige Verhandlungen hin.
Viele Beobachter:innen fragten sich, warum die verletzlichsten Staaten in dieser Verhandlungsrunde nicht von Anfang an auch einen starken Fokus auf den Klimaschutz und das Verschieben der notwendigen Finanzströme setzten. Dies war eine taktische Entscheidung. Vermittelt durch Antigua und Barbuda hatten sie eine Abmachung innerhalb von G77 und China getroffen, dass alle Mitglieder der Gruppe auf diesem Klimagipfel als Top-Priorität einen Fonds für „Loss & Damage“ fordern würden. Dies wurde konsequent durchgehalten – und war die Grundlage dafür, dass die EU schließlich nicht nur einen Mosaikansatz mit einer Vielzahl verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten vorschlug, sondern dieses Mosaik auch die Einrichtung eines solchen Fonds vorsah. Um die einheitliche Unterstützung der G77 und China-Gruppe nicht zu gefährden, konnten etwa die kleinen Inselstaaten – bevor ihr Ziel im Text verankert war -, nicht parallel Forderungen unterstützen, die China und die Ölländer massiv unter Druck setzen würden.
Hochproblematische Rolle der ägyptischen Präsidentschaft bei der Verwässerung des Ergebnisses
Durch das Zusammenspiel der progressiven Industrie- und Entwicklungsländer gelang es, das Ambitionsniveau von Glasgow aus der letztjährigen COP in der Abschlussentscheidung wieder einigermaßen herzustellen. Die Zustimmung der Industrieländer zu einem Fonds zu „Loss & Damage“ im Verhandlungstext entfesselte schließlich auch die notwendige Unterstützung vieler verletzlicher Staaten, um die Tür zu einem 1,5°C-Pfad nicht zuzuschlagen. In den letzten Stunden wäre es sogar beinahe noch gelungen, nach dem langen Verteidigungskampf auch noch in die Offensive zu gehen. Doch dies wurde durch die ägyptische Präsidentschaft ausgebremst, die sich insgesamt durch Intransparenz und Einseitigkeit auszeichnete: Gut 80 Entwicklungs- und Industrieländer hatten am Ende einen Passus im Abschlussdokument gefordert, der auf ein sogenanntes „Phase-Down“ von Kohle, Öl und Gas drängte. Diesen Passus nahm die ägyptische Präsidentschaft jedoch nicht auf. Dagegen wurde im Energieteil neben den Erneuerbaren Energien auch der Einsatz von „Low Emission Technologies“ gefordert – obwohl nur Saudi-Arabien gemeinsam mit maximal einer Handvoll anderer Staaten dies gefordert hatte. Dieses Vorgehen erscheint als sehr wenig balanciert. Hinzu kam: Die Erklärung wurde schließlich als „Friss oder Stirb“-Dokument veröffentlicht; die Staaten hätten nur die gesamte Entscheidung ablehnen können, nicht aber einzelne Passagen.
Zentrale Ergebnisse des Gipfels
„Loss & Damage“-Fonds und -Architektur: 27 Jahre nach der ersten Forderung und 15 Jahren konsequenten Drucks zufolge gibt es nun die Bereitschaft, einen „Loss & Damage“-Fonds und eine weit darüber hinausreichende Unterstützungsarchitektur einzurichten. Ein gewaltiger diplomatischer Durchbruch. Damit wird endlich der Gerechtigkeitsskandal angepackt, dass die, die am existenziellsten unter der Klimakrise leiden, in aller Regel zu der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gehören, die insgesamt nur 10 % zum Problem beigetragen hat.
Die Klärung, welche Länder als „particularly vulnerable“ dazu berechtigt sind, von dieser neuen finanziellen Unterstützung zu profitieren, muss nach dieser Vorfestlegung noch weiter definiert werden. Das Geld soll also nicht mit der Gießkanne verteilt werden, sondern den besonders Verletzlichen zu Gute kommen. Diese Priorisierung ist sinnvoll, soweit sie nicht die ebenso Verletzlichen in anderen Ländern ungerecht ausgrenzt. Wichtig ist zur Bewältigung der Schäden und Verluste, dass es um neues, zusätzliches und vorhersehbares Geld gehen sollte.
Dabei wurde im Text kunstvoll der Weg zu Verhandlungen dafür gebahnt, dass nicht nur die Industrieländer, sondern auch andere dazu beitragen müssen – was natürlich vor allem auf China und die Ölländer abzielt. Es wird einerseits klargestellt, dass es um „expanding sources“ gehen soll; also nicht nur um diejenigen Quellen, die bisher zur Klimafinanzierung beigetragen haben. Andererseits handelt es sich um eine Doppelentscheidung: Zum einen in der Klimarahmenkonvention (COP) und zum anderen im Pariser Klimaabkommen (CMA). Bei solchen Doppelbeschlüssen ist das neuere Abkommen das rechtlich relevante – in diesem Fall also das Pariser Klimaabkommen. Das heißt, es gibt für den „Loss & Damage“-Fonds keinen Annex, der zwischen Entwicklungs- und Industrieländern unterscheidet. Zudem ist rechtlich durch den Verweis auf einen entsprechenden Paragraphen klargestellt, dass dieser Fonds nicht zu Kompensationsforderungen oder Haftungsansprüchen führen kann.
Wenn nun die neue Finanzstruktur schnell und substanziell handlungsfähig wird, kann dies zu einem erheblichen Vertrauensaufbau zwischen besonders verletzlichen Staaten und den ernsthaft finanziell beitragenden Staaten führen. Im nächsten Jahr wird die Frage eine zentrale Rolle spielen, ob und wie auch reiche Schwellenländer wie China oder die Ölländer verpflichtet werden sollen, hierbei einen Beitrag zu leisten, und welche innovativen Finanzierungsinstrumente genutzt werden sollen. Beispiele hierfür wären etwa eine Abgabe auf den internationalen Flugverkehr oder ein Abschöpfen massiver Gewinne der fossilen Industrie oder die zusätzliche Vergabe von Sonderziehungsrechte. Dieselben Fragen drängen sich nun auch für das neue gemeinsame quantifizierte Finanzierungsziel (New Collective Quantified Goal - NCQG) in den Vordergrund, welches bis Ende 2024 für die Zeit ab 2026 verhandelt wird.
1,5°C und Beschleunigung: Die klare Aufforderung, dass die gegenwärtige Krisenkaskade „should not be used as a pretext for backtracking, backsliding or de-prioritizing climate action” (Abschlussentscheidung, Art. 3), ist ein wichtiges Signal. Es wird darauf hingewiesen, dass die Folgen des Klimawandels bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5°C viel geringer sind als bei 2°C, und beschlossen, weitere Anstrengungen fortzuführen, um den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen (vgl. Abschlussentscheidung, I.7).
Damit das 1,5°C-Ziel in Reichweite bleibt, wird auf eine massive Beschleunigung gedrängt. „This requires accelerated action in this critical decade, on the basis of equity and the best available scientific knowledge“ (Abschlussentscheidung, IV.15). Diese Aussagen müssen auch als Interpretation dafür genutzt werden, wie die Niedrigemissionstechnologien zu verstehen sind, die ohne breite Unterstützung der Parteien im Text gelandet sind. Nach dem Wortlaut im entsprechenden Satz, müssen sie geeignet sein für „sofortige, tiefe, schnelle und nachhaltige Reduktionen der globalen Treibhausgasemissionen“ (Abschlussentscheidung, III.11). Der Aufschluss neuer Gasfelder kann nach diesen Kriterien jedenfalls nicht damit gemeint sein.
Erneuerbare Energien: Neue wichtige Impulse, die über das Ergebnis des letzten Klimagipfels hinausgehen, gibt es für die schnelle Transformation und den schnellen Ausbau Erneuerbarer Energien „in dieser kritischen Dekade“ (Abschlussentscheidung, III.12), also bis 2030. Deren massiver Ausbau wurde bislang noch nie in einer Abschlussentscheidung eines Klimagipfels gefordert – jetzt spielt er eine wichtige Rolle.
Reform des Finanzmarktes: Mindestens genauso relevant sind die sehr deutlichen Forderungen für einen grundlegenden Wandel des Finanzsystems, damit die notwendige Größenordnung der Finanzflüsse für Klimaschutz, Anpassung und „Loss & Damage“ freigesetzt werden können. Die Reform der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und anderer Entwicklungsbanken ist damit international mit viel Rückenwind aufs Gleis gesetzt – auch außerhalb des UNFCCC. Der Abbau von Verschuldung armer Länder und eine bessere Nutzung von Risikoinstrumenten kann den Schub für notwendige Investitionen bringen.
Gesamtbewertung
In einem geo- und energiepolitisch außergewöhnlich turbulenten und schwierigen Umfeld hat der Klimagipfel die Erwartungen wichtiger Stakeholder ein Stück weit dahingehend stabilisiert, dass die Klimapolitik auch in der gegenwärtigen Krisenkaskade nicht vom Tisch gewischt wird. Der Verteidigungskampf gegen die mancherorts vorherrschende Tendenz, aus Gründen der Energiesicherheit vermehrt in fossile Energien zu investieren, konnte einigermaßen erfolgreich geführt werden. Wie tragfähig diese Abstimmung von Erwartungen ist, misst sich daran, ob Klimaschutz, Anpassung und Eindämmung von Schäden und Verlusten dynamisch vorankommen. Sehr relevant dafür kann auch sein, ob das Instrument der „Just Energy Transition Partnerschaften“ (bislang mit Südafrika und Indonesien) oder der „Partnerschaften für 100% Erneuerbare Energien“ (unlängst mit Kenia) tatsächlich transformative Tendenzen unterstützen kann. Eine wichtige Rolle könnte zudem die in der Abschlussentscheidung angestoßene Reform des Finanzsystems spielen – sofern diese tatsächlich kommt.
Der Durchbruch für einen Fonds und eine Unterstützungsarchitektur zur Bewältigung von Schäden und Verlusten kann – jenseits von Kompensation und Haftung – eine wichtige Rolle für die Unterstützung der von der Klimakrise jetzt schon massiv Betroffenen spielen. Wenn deren Umsetzung gelingt, ist dieser Vorstoß ebenso wichtig für den Vertrauensaufbau zwischen konstruktiven Industriestaaten und verletzlichen Staaten: So können sie gemeinsam die Umsetzung von Klimaschutz, Anpassung und die Bewältigung von Schäden und Verlusten vor Ort und in den Verhandlungen voranbringen.
Seitdem das Pariser Klimaabkommen und sein Regelbuch beschlossen wurden, ist die Kernaufgabe der internationalen Klimaverhandlungen, die Erwartungen der Nationalstaaten für die Umsetzung der drei zentralen Klimaziele (1,5°C und Resilienz sowie die Umschichtung der globalen Finanzströme, um die ersten beiden Ziele zu erreichen) zu koordinieren.
So war es dem Klimagipfel in Glasgow (COP26) im November 2021 gelungen, die Erwartungen in Richtung einer beschleunigten Umsetzung der Klimaziele zu lenken. Eine wichtige Rolle hat dabei der „Glasgow Climate Pact“ gespielt. Außerdem kündigten viele Staaten an, freiwillig ambitionierter zu handeln, um das 1.5°C-Limit in Reichweite zu halten. Es blieb jedoch weitgehend offen, an welchen Stellen diese Ankündigungen ernsthaft umgesetzt werden sollen und welche davon nur heiße Luft sind.
Vor diesem Hintergrund schien der gemeinsam mit der Afrikanischen Union von Ägypten organisierte Klimagipfel in Scharm El-Scheich (COP27) eine Riesenchance zu sein, nun auch die Dynamik für die unterstützte Umsetzung bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels und der Bewältigung von Schäden und Verlusten zu erhöhen. Liegt es doch geradezu im Überlebensinteresse der afrikanischen Staaten, einerseits erhebliche Unterstützung für die Anpassung und die Bewältigung der nicht mehr vermeidbaren Schäden und Verluste der Klimakrise („Loss & Damage“) zu organisieren und andererseits eine am 1.5°C-Limit orientierte globale Klimaschutzstrategie durchzusetzen.
Auch auf Seiten der Industrieländer zeichnete sich für die COP27 eine recht konstruktive Gesamtkonstellation ab: Auf der einen Seite eine EU, die im Jahr 2022 die Umsetzungspakete „Fit for 55“ für ihr Transformationsprojekt des European Green Deals verabschieden will. Auf der anderen Seite eine endlich wieder klimapolitisch konstruktive US-Regierung, der es gelungen ist, das große Umsetzungspaket („Inflation Reduction Act“) der Klimapolitik im Kongress und Senat durchzusetzen. Australien vor einer möglichen konstruktiven Wende. Rückenwind aus Neuseeland. Mit dem Instrument der „Just Energy Transition Partnerschaften“ (JET-P) gibt es zudem endlich auch die Option, die Umsetzung der Transformation gemeinsam mit wichtigen Schwellenländern partnerschaftlich und transformativ zu organisieren.
Lesen Sie hier alle Details über die einzelnen Verhandlungsthemen sowie unsere Einschätzungen dazu nach.
2.1 Minderung ▼2.1 Minderung ▲
Die Verhandlungen sorgten dafür, dass von der COP die klare Botschaft ausging, dass die Energiepreiskrise kein Vorwand für einen langsameren Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz ist. Vielmehr müsste er beschleunigt werden. Zumindest die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5°C, die wissenschaftsbasierte Forderung nach einem Rückgang der Emissionen um 43% bis 2030 sowie der Abbau von Kohle und fossilen Subventionen wurden gegen den Vormarsch der fossilen Lobby verteidigt. Darüber hinaus hat die COP27 wichtige Impulse für den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien und einen Umbau des Finanzsystems gegeben.
Das intransparente und inkonsequente Verhalten der ägyptischen Präsidentschaft verhinderte jedoch, dass nicht nur ein Zeichen für das Runterfahren von Kohle, sondern auch von Gas und Öl gesetzt werden konnte. Leider versandete der letzte Versuch von den 80 Industrie- und Entwicklungsländern der „High Ambition Coalition“ (HAC), einen Abbau aller fossiler Energieträger in die Abschlusserklärung zu verhandeln. Die HAC hatte den von Indien bereits bei der COP26 in Glasgow eingebrachten Vorschlag aufgenommen und unterstützt. Erst in den letzten Stunden der Verhandlungen hatte es die HAC geschafft, gemeinsam aufzutreten. Zuvor hatte der noch nicht erreichte Durchbruch bei den Verhandlungen zu einem „Loss & Damage“-Fonds ein gemeinsames Auftreten verhindert.
Statt dieser Forderung nachzukommen, nahm die Präsidentschaft die Nutzung von Niedrigemissionsenergien im finalen Text auf – ein Vorschlag, der von Saudi-Arabien und nur wenigen anderen Ländern vorgebracht wurde. Die Gaslobby weltweit wird jetzt behaupten, dass sich diese auch auf Gas beziehen würde. Da es im entsprechenden Absatz um Technologien für eine tiefe, schnelle und langanhaltende Emissionsreduktion geht, ist zumindest der Aufschluss neuer Gasfelder in diesem Punkt systematisch ausgeschlossen. Weitere Einfallstore für nukleare Energien und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) konnten weitgehend, aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Das klare Signal, dass es auf der Seite des Energieangebots vor allem um den massiven Ausbau von Erneuerbaren Energien geht, wurde so deutlich wie noch nie bei einer COP gegeben. Erstmals wurde die Notwendigkeit eines beschleunigten Ausbaus von Erneuerbaren Energien anerkannt, um den Übergang zu sicheren, zuverlässigen und resilienten Energiesystemen und die rasche Verringerung von Treibhausgasemissionen gewährleisten zu können. In den letzten Jahren hatten dies Bremserstaaten immer mit Verweis auf ihre nationale Souveränität blockiert.
In Anbetracht der aktuellen Energiekrise und des massiven Einsatzes der Öl- und Gaslobby ist die Bedeutung dieser Wegmarken nicht zu unterschätzen. Nur ein Tag vor der Entscheidung drohte eine erhebliche Verwässerung der Ergebnisse im Namen der Energiesicherheit. Die Diversifizierung der Energiematrix und Variationen einer „Just Transition“ dienten als Codewort für fossiles Gas. Die ägyptische Präsidentschaft legte im Klimaschutz Arbeitsprogramm (Mitigation Work Programme – MWP) sogar einen Text vor, nach dem die Klimaverhandlungen in Zukunft keinen Druck mehr in Richtung Nachbesserung der nationalen Ziele (NDC) hätten ausüben dürfen – das wäre einer Aufgabe der Klimaziele von Paris gleichgekommen.
Das letztlich beschlossene MWP kann helfen, die existierende Lücke im Ambitionsmechanismus zu schließen. Damit wurde die formale Grundlage geschaffen, um die Umsetzung in der laufenden Dekade zu beschleunigen. Bereits in Glasgow hatten die Verhandlungsparteien erkannt, dass der existierende 5-Jahres-Zyklus aus Ambitionssteigerung in den nationalen Klimaschutzbeiträgen (NDC) und dem „Global Stocktake“ zu langsam für die fortschreitende Klimakrise ist. Vorerst wird das Programm nur bis 2026 laufen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, das MWP im Jahr 2026 zu verlängern.
Positiv ist, dass die Entscheidung zum MWP einen sektoralen Ansatz vorsieht, der unter anderem auf den vergleichsweise ausführlichen Sektoren der Arbeitsgruppe III des sechsten IPCC-Sachstandsberichts (AR6) basiert. Die inhaltliche Ausgestaltung des MWP wird jährlich neu festgelegt. Strukturell ist damit gewährleistet, dass das MWP Wirkung entfalten kann. Zunächst bis 2026 wird das MWP auf jeder Klimakonferenz eigene Entscheidungen erwirken. Zwar hat das MWP kein Mandat für Empfehlungen erhalten. Es kann durch Berichte, Dialogformate und Minister:innentreffen über Möglichkeiten, Lücken und Barrieren jedoch trotzdem eine wichtige Signalwirkung für klimapolitische Ambition schicken.
Die Öl- und Gaslobby, die derzeit so viel Geld verdient wie noch nie, hat sich keineswegs geschlagen gegeben. Dies haben die Verhandlungen bei der COP27 gezeigt. Nicht nur Golfstaaten stehen für diese Agenda ein, auch die Regierungen Afrikas sind tiefgespalten über den richtigen Pfad. In Scharm El-Scheich hatte die Lobby zwar aufgrund des Bündnisses progressiver Länder keinen durchschlagenden Erfolg, konnte jedoch die notwendige Beschleunigung für den Klimaschutz behindern. Alle Technologiekurven zeigen deutlich, dass sich das Fenster des goldenen Zeitalters von Öl und Gas zügig schließt. Dies muss durch entsprechende COP Entscheidungen unterstützt werden, wenn die Klimaziele von Paris in Reichweite bleiben sollen.
Das Signal an die kommende COP Präsidentschaft – die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – ist klar: Die große Mehrheit der Weltgemeinschaft setzt sich für den Entwicklungspfad auf Basis des massiven Ausbaus von Erneuerbaren Energien ein. Dies ist umso wichtiger, da die VAE in ihrer Eröffnungsrede bei der COP27 ihre herausragende Rolle in der Versorgung der Welt mit Öl und Gas herausgestellt haben.
2.2 Klimawandelbedingte Schäden und Verluste ▼2.2 Klimawandelbedingte Schäden und Verluste ▲
Die COP27 brachte einen historischen Durchbruch bei der Finanzierung zur Bewältigung von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten. Nach einer jahrzehntelangen Blockade durch die Industrieländer einigten sich die Verhandlungsparteien auf die Einrichtung eines neuen Fonds. Dieser Erfolg war noch wenige Monate vor dem Weltklimagipfel undenkbar gewesen. Ermöglicht wurde er durch eine Vielzahl verschiedener Faktoren: Die G77+China hielten ihre Forderungen nach einer „Loss & Damage“ Finanzierungsfazilität bis zuletzt aufrecht und agierten dabei als stabiler und einheitlicher Block. Insbesondere die Inselstaaten (AOSIS) hatten sich unnachgiebig trotz aller Widerstände immer weiter für eine Lösung eingesetzt. Die deutschen Verhandlungsleiterinnen, Außenministerin Annalena Baerbock und Staatssekretärin Jennifer Morgan, bereiteten hierbei den Weg, indem sie eine Einigung auf einen Agendapunkt bei der COP27 erst ermöglichten und später die EU überzeugten, dass eine Kooperation zum Wohl der Ärmsten und Verletzlichen unausweichlich sowie im geopolitischen Interesse der EU ist. EU-Chef Timmermans öffnete schließlich den Raum für einen Dialog zwischen den G77+China und den Industrieländern: Mit einem Vorschlag am Donnerstag der zweiten Verhandlungswoche setzte er auch die USA und China unter Zugzwang. Die Konstellation nach den Zwischenwahlen in den USA sowie die alarmierend zunehmenden Schäden und Verluste aufgrund von klimawandelbedingten Extremwetterereignissen (u.a. in Pakistan und Nigeria im Jahr 2022) eröffneten ein kurzes, historisches Zeitfenster, welches eine Einigung beim Fonds ermöglichte.
Das Ziel, den Fonds bis Ende 2023 zu operationalisieren, wird sehr herausfordernd. Eine Vielzahl schwieriger Detailfragen wurden einem Übergangskomitee aufgetragen. Dies schließt die Frage ein, wer den neuen Fonds befüllt. Der Versuch, China und die reichen öl- und gasfördernden Staaten, besonders der Golfregion, zu Einzahlungen zu verpflichten, ist zwar noch nicht gelungen. Die Verhandlungen dazu wurden jedoch im Kompromiss kunstvoll vorbereitet.
Da der Kompromiss in der Klimarahmenkonvention und dem Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde, hat das Pariser Klimaabkommen als das zeitlich neuere Abkommen rechtlich Vorrang. Darin gibt es allerdings keinen Annex, der säuberlich zwischen Industrie und Entwicklungsländern trennt. Ein solcher Annex wurde in der Konvention von 1992 eingerichtet; heute wird die dortige Aufteilung in Industrie- und Entwicklungsländer allerdings angesichts der seitdem massiv veränderten Weltsituation von vielen Industrieländern infrage gestellt. Es ist nach wie vor plausibel, dass, wie in der Konvention verankert, Reichtum („capability“) und historische Verantwortung die Grundlagen dafür sind, dass zur internationalen Klimafinanzierung beigetragen wird. Angesichts einer Situation, in der einige der Ölländer zu den reichsten Staaten der Welt gehören und China in wenigen Jahren die EU in Bezug auf die historische Verantwortung überholen wird, muss der Gerechtigkeitsansatz auf der Grundlage von 1992 jedoch weiterentwickelt werden. Und zwar nicht durch die Nichtberücksichtigung dieses zentralen Kriteriums, sondern durch eine dynamische Interpretation von Gerechtigkeit. Bei allen Finanzierungsverhandlungen war vor diesem Hintergrund die Ausweitung der Geberbasis ein zentraler von den Industrieländern eingebrachter Punkt. Dies ist eine legitime Forderung. Die EU hat bei der COP27 erfolglos zu diesem Thema eine Entscheidung forciert. Immerhin hat sie damit den Weg zu entsprechenden Verhandlungen gebahnt. Sie muss sich nun Partner suchen, um diese Debatte gewinnen zu können.
Durch die Sprache des Textes („other sources“) ist außerdem sichergestellt, dass es nicht bei den bisher zur Klimafinanzierung Verpflichteten bleiben soll. Bemerkenswert hierbei ist, dass der Premierminister von Antigua und Barbuda öffentlich äußerte, dass auch China und Indien einzahlen sollten – er jedoch nur zwei Tage später von dieser Aussage absah und sie nur auf fossile Unternehmen aus diesen Ländern bezog. Dies war jedoch in einer Phase der Verhandlungen, in der das Ja der Industrieländer zum Fonds noch nicht gesichert war.
Es wird sich zeigen, ob der Druck der verletzlichen Länder auch auf die großen Emittenten im Globalen Süden jetzt nicht aufbrechen wird. Denn nun wird die Frage, von welchen weiteren Ländern und Finanzierungsquellen Mittel in den Fonds fließen sollen, eine zentrale Rolle in den Verhandlungen spielen: Werden alle historisch großen Emittenten einzahlen müssen? Werden innovative Finanzierungsinstrumente wie eine Flugsteuer oder eine Abschöpfungssteuer, wie vom UN Generalsekretär vorgeschlagen, dazu beitragen? Können Instrumente der multilateralen Entwicklungsbanken und des Internationalen Währungsfonds helfen? Davon unabhängig ist klar, dass erheblicher Einsatz bei der Eindämmung der Klimaerhitzung auf 1,5°C Grundlage ist, damit Schäden und Verluste überhaupt noch bewältigt werden können.
Eine Voraussetzung für die Verhandlungen war, dass es die Diskussion zu Finanzierungsvereinbarungen auf die Tagesordnung geschafft hatte. Eine Verbalnote hielt schon beim Durchbruch für den entsprechenden Tagesordnungspunkt am ersten Tag der COP27 fest, dass dessen Ergebnisse auf Zusammenarbeit und Erleichterung beruhen und keine Haftung oder Entschädigung bedeuten. Dieser Punkt ist nun auch durch den Verweis auf den entsprechenden Annex des Klimaabkommens im Abschlusstext verankert.
Durchgehend wurde während der COP die Dringlichkeit deutlich, die Finanzierungslücke bei Schäden und Verlusten anzuerkennen und dazu eine Lösung in Scharm El-Scheich zu finden. Zunächst hatten die Industrieländer jedoch darauf beharrt, Lücken zunächst verstehen und quantifizieren und erst 2024 über ein konkretes Finanzierungsergebnis entscheiden zu wollen. Diese Haltung gaben sie schrittweise in den zwei Wochen auf.
Neben der Frage der Beitragszahler strebten die Industrieländer auch eine Fokussierung auf die besonders verletzlichen Länder an. So soll nur den Ländern Unterstützung zukommen, die sie auch tatsächlich benötigen. Diese Forderung traf auf deutlichen Widerstand, unter anderem, weil lange unklar war, ob damit wichtige betroffene Gruppen ausgeschlossen bleiben sollten. So hätten zum Beispiel einige eingebrachte Lösungsvorschläge das wiederholt stark betroffene Pakistan oder Honduras ausgeschlossen. Schließlich wurde die Fokussierung auf „particularly vulnerable countries“ beschlossen – auch hier besteht weiterer Konkretisierungsbedarf.
Die weiteren Verhandlungen zu Schäden und Verlusten betrafen das „Santiago Network on Loss and Damage“ (SNLD) und den „Warsaw International Mechanism“ (WIM). Bei den Verhandlungen zur Governance des WIM konnte keine Einigung erzielt werden. Die Länder des Globalen Nordens vertreten die Haltung, dass der WIM der Autorität des CMA (Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties to the Paris Agreement) unterliegt, während die Länder des Globalen Südens betonen, dass er sowohl der COP als auch dem CMA unterliegen sollte.
Beim SNLD konnten sich die Verhandlungsparteien auf die Struktur des Netzwerks einigen. Diese umfasst ein Sekretariat und ein beratendes Gremium, was von Ländern des Globalen Südens gefordert wurde. Das SNLD könnte nun bis 2023 voll einsatzfähig sein, allerdings decken die bisherigen Finanzzusagen bei Weitem nicht den Bedarf. Zivilgesellschaftliche Organisationen mussten hart erkämpfen, dass es beim SNLD zumindest einen impliziten Verweis auf Menschenrechte gibt. Leider ist es angesichts der wachsenden Zahl autoritärer Staaten ein fortwährender Kampf in den Verhandlungen, dass Menschenrechte ordentlich reflektiert sind.
Neben den Verhandlungen wurden mehrere Zusagen zur Bewältigung von Schäden und Verlusten von Ländern des Globalen Nordens gemacht (Belgien, Wallonien, Schottland, Österreich, Neuseeland, Kanada, Irland, Spanien, Frankreich und die USA). Deutschland sagte 170 Millionen Euro im Rahmen des Globalen Schutzschirms („Global Shield against Climate Risks“) zu. Der Schirm zielt darauf ab, die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen bei der Bewältigung der Klimaauswirkungen zu unterstützen. Er stellt einen wichtigen Schritt zur Koordinierung der globalen Finanz- und Versicherungsarchitektur für Klima- und Katastrophenrisiken dar. Die Initiative traf auf geteiltes Echo aus der Zivilgesellschaft und dem Globalen Süden. Einerseits wurde sie gemeinsam mit der V20 (Vulnerable Twenty) und dem Climate Vulnerable Forum (CVF) erarbeitet. Andererseits gab es, die starke Sorge bei vielen Entwicklungsländern, dass die Initiative nur Instrument sei, um von den Anliegen des Globalen Südens innerhalb der Verhandlungen abzulenken. Diesem Vorwurf widersprachen CVF und die deutsche Regierung mit Verweis auf die Komplementarität zu den Verhandlungsergebnissen. Nachdem der Fonds beschlossen wurde, wurde schließlich auch von allen Parteien das „Global Shield against Climate Risks“ im Abschlusstext begrüßt.
2.3 Anpassung ▼2.3 Anpassung ▲
Anpassung war im Vorfeld der COP27 als eines der wichtigsten Themen identifiziert worden. Als afrikanische COP sollte sie besonders helfen, die Widerstandsfähigkeit der verletzlichsten Länder dieses Kontinents gegen heutige und zukünftige Auswirkungen des Klimawandels zu stärken. Im Zentrum der Verhandlungen standen das zweijährige Arbeitsprogramm zum Globalen Anpassungsziel sowie die Anpassungsfinanzierung (siehe Kapitel Klimafinanzierung). Das
Glasgow-Scharm El-Scheich Arbeitsprogramm zum Globalen Anpassungsziel hat die Erwartungen an ehrgeizige Anpassungsergebnisse noch verstärkt.
Die Ergebnisse zum Thema Anpassung sind gemischt. Sie spiegeln jedoch in keiner Weise die Dringlichkeit wider, die zur Unterstützung der Anpassungsbemühungen in den am stärksten gefährdeten Regionen erforderlich ist. Bei der Anpassungsfinanzierung wurde ein separater Tagesordnungspunkt zum Verdopplungsversprechen von Glasgow abgelehnt. Auch die Beiträge für den Anpassungsfonds lagen mit US$230 Mio. deutlich unter denen des Vorjahres – allerdings nur, wenn man die einjährige Sonderzahlung der EU vom letzten Jahr miteinbezieht. Der Anpassungsfonds leidet zudem unter der fehlenden Vorhersehbarkeit der Finanzierung, da es an mehrjährigen Zusagen mangelt und einige frühere Zusagen bisher nicht eingehalten werden.
Beim Globalen Anpassungsziel wurden wichtige prozedurale Schritte gemacht, bevor das Arbeitsprogramm im kommenden Jahr seinen Abschluss findet. Kernstück des Ziels ist ein Rahmenwerk, das voraus- und rückblickende Elemente integriert. Das Rahmenwerk wird verschiedene Dimensionen haben, die sich an den unterschiedlichen Stufen des Anpassungspolitikzyklus (eng. „policy cycle“) orientieren: Wirkung, Verletzlichkeit und Risikoanalyse, Planung, Umsetzung, Finanzierung, Kapazitätsaufbau, Technologietransfer und „Monitoring and Evaluation“ (M&E). Die thematischen Bereiche umfassen Wasser, Nahrung und Landwirtschaft, Städte, Siedlungen und Schlüsselinfrastruktur, Gesundheit, Armut und Lebensgrundlage, Ökosysteme und Ozeane. Entscheidend ist, dass das Ziel auf wissenschaftsbasierten Indikatoren, Metriken und Zielen aufbauen wird.
2.4 Klimafinanzierung ▼2.4 Klimafinanzierung ▲
Die Verhandlungen zur öffentlichen Klimafinanzierung brachten keinen herausragenden Fortschritt. Vieles spricht im Moment dafür, dass die Industrieländer auch im nächsten Jahr nicht die versprochenen US$100 Mrd. dafür mobilisieren können. Finanzielle Neuzusagen fielen insgesamt geringer aus als in Glasgow.
Weitreichende Konsequenzen kann hingegen die zunehmende Verknüpfung der Klimaverhandlungen mit der internationalen Finanzarchitektur – insbesondere der multilateralen Entwicklungsbanken (MDB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), aber auch in Bezug auf die Zentralbanken – haben. In der Abschlusserklärung sowie verstreut über verschiedene Tagesordnungspunkte ist auch das dritte Langfristziel des Pariser Abkommens – Art. 2.1.c, also die Verschiebung der Globalen Finanzflüsse hin zu Niedrigemissionen und klimaresilienten Entwicklungspfaden – so prominent wie nie zuvor in Entscheidungen enthalten. Die Ergebnisse der Klimafinanzierungsverhandlungen waren größtenteils prozeduraler Natur. Entwicklungsländer forderten erfolglos mehr substantielle Fortschritte, insbesondere in den Verhandlungen zum neuen Klimafinanzierungsziel für die Zeit nach 2025 (New Collective Quantified Goal on Climate Finance, NCQG). Die Nicht-Erfüllung des Klimafinanzierungsversprechens – 100 Milliarden US-Dollar jährlich von 2020 bis 2025 bereitzustellen – erodiert dabei weiterhin das so wichtige Vertrauen zwischen den Verhandlungsparteien der Industrieländer und des Globalen Südens. Besonders die nicht angemessene Umsetzung vor allem in den USA, aber auch in Australien spielen dabei eine zentrale Rolle. Fehlende Klarheit darüber, wie das Versprechen über die Verdopplung der Anpassungsfinanzierung bis 2025 erfüllt werden soll, sorgt zunehmend für Unmut.
Die USA und andere Industrieländer hoben dabei immer wieder die Rolle des Privatsektors hervor. Zwar ist klar, dass die laut der „Independent High Level Expert Group“ benötigten Investitionen von US$2,4 Billionen für Klimaschutz, Anpassung, „Loss & Damage“ und Naturkapital im Jahr 2025 ganz überwiegend privat finanziert werden müssen. Dies kann jedoch nicht gelingen, ohne auch ausreichend öffentliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Insbesondere für Anpassung und „Loss & Damage“ kommen private Mittel nur sehr begrenzt infrage. Mit der aktuellen Konstellation im US-amerikanischen Kongress wird Präsident Joe Biden jedoch sein internationales Versprechen, im Jahr 2024 US$ 11,4 Milliarden für die Klimafinanzierung bereitzustellen, nicht einhalten können. Statt nur auf den Privatsektor abzuzielen und fragewürdige Kohlenstoffmarktinitiativen voranzutreiben, müssen die USA innovative Wege finden, um ihre Klimafinanzierung zu erhöhen. Die Reform der internationalen Finanzarchitektur könnte hier eine Lösung bieten.
Die Finanzierungsverhandlungen wurden in ihrem Fortschritt durch taktische Motive und juristische Fragen gehindert. Verhandler:innen aus Entwicklungsländern platzierten das Verdopplungsversprechen für Anpassungsfinanzierung im Tagesordnungspunkt des Anpassungsfonds wiederholt, während Industrieländer selbiges für den Art. 2.1.c in den Tagesordnungspunkten zum NCQG und zum Langfristziel (Long-term Finance, LTF) taten. Der Versuch, Art. 2.1.c in einen Tagesordnungspunkt im Verhandlungsprozess zu integrieren, war ebenso wie zum Verdopplungsversprechen der Anpassungsfinanzierung vorab gescheitert. Industrieländer platzierten ähnlich der Diskussion um die „Loss & Damage“-Finanzierung die Frage um die Ausweitung der Geberbasis in den Klimafinanzierungsverhandlungen um das NCQG. Zwar hat hier die ägyptische Präsidentschaft in der letzten Nacht im Friss und Stirb-Paket ohne Konsultation eine zweite Brücke zur breiteren Geberbasis gelöscht. Aber die Klarstellung, dass es nicht bei den bisherigen Gebern bleiben wird, ist auch dort verankert. Hinsichtlich der Verdopplung der Anpassungsfinanzierung wurde nun der Ständige Finanzausschuss beauftragt, einen Bericht hierzu zu erarbeiten.
Art. 2.1.c – in dem es um das Umschichten der Finanzströme geht, um Klimaschutz und Resilienz global erreichen zu können – erhält zukünftig deutlich mehr Raum in den Klimaverhandlungen. Zwar gibt es vorerst keinen eigenen Tagesordnungspunkt. Dem Artikel ist nun jedoch ein Dialogformat gewidmet, er wird im Zentrum eines Arbeitsprogramms zu „Just Transition“ (sozialgerechte Transformation) stehen und der Ständige Finanzausschuss führt seine Arbeit in diesem Bereich fort. Zudem wurden in der Abschlusserklärung erstmals der Finanzsektor, Zentralbanken sowie die internationale Finanzarchitektur explizit mit der Forderung nach Transformation adressiert. Bei vielen Entwicklungsländern begründet sich der Vorbehalt darüber, Art. 2.1.c als Tagesordnungspunkt aufzunehmen, mit verschiedenen Faktoren. Einige sehen in der Diskussion zu Art. 2.1.c eine Ablenkung der Industrieländer von ihrer Verpflichtung, gemäß Art. 9 des Pariser Abkommens Klimafinanzierung bereitzustellen. Andere, insbesondere Öl- und Gasförderländer, aber auch solche mit noch nicht gehobenen Vorkommen, sehen in der Umsetzung von Art. 2.1.c eine Gefahr für die Umlenkung von Geldern aus den fossilen Sektoren hin zu Klimaschutz. Die Verletzlichsten wiederum sehen schon jetzt, dass die Finanzströme der Welt sie nicht erreichen und dass eine Erhöhung ihrer Kapitalkosten durch die Einpreisung von physischen Klimarisiken dies verschärfen könnte. Um dieses Thema gemeinsam mit vielen Partner:innen anzugehen, müssen die berechtigten Sorgen der Entwicklungsländer in einem Lösungspaket wirkungsvoll adressiert werden.
Eine große Chance, um in eine neue Dimension bei der Klimafinanzierung vorzudringen, ist die Reform der internationalen Finanzarchitektur. Erstmals gehen aus der Abschlusserklärung eines Weltklimagipfels klare Aufforderungen an Multilaterale Entwicklungsbanken und den Internationalen Währungsfonds hervor, ihre Vision, ihr Geschäftsmodell und ihre Instrumente darauf auszurichten, den Klimanotstand angemessen zu bekämpfen. Dies bedeutet u.a. eine höhere Kapitalisierung, eine Anpassung der Risikobereitschaft bei der Klimafinanzierung, ein verstärkter Fokus auf Effektivität und Wirksamkeit, sowie die Anpassung operativer Modelle, Kanäle und Finanz- und Risikoinstrumente. Da die allermeisten Parteien im UNFCCC-Prozess auch Anteilseigner dieser Institutionen sind, sind sie in der Pflicht, diese Aufforderungen von den Institutionen nun auch aktiv einzufordern. Der Vorschlag, die Klimafinanzierung der MDBs bis 2025 um das Dreifache zu erhöhen, wurde in der finalen Version allerdings zu einer „substantiellen Erhöhung“ abgeschwächt.
2.5 Globale Bestandsaufnahme/Global Stocktake ▼2.5 Globale Bestandsaufnahme/Global Stocktake ▲
Im Jahr 2023 wird der Global Stocktake (GST, dt.: Globale Bestandsaufnahme) das zentrale Ergebnis des Weltklimagipfels in Dubai werden. Als Kernelement des Ambitionsmechanismus des Pariser Abkommens ist er elementar, um die nächste Generation der nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) im Jahr 2025 zu informieren. Bei der COP27 legten die Länder die nächsten Schritte für die entscheidende – da politische – letzte Phase des GST fest.
Eine starke Lobby der fossilen Industrie versuchte in zum Teil kontrovers geführten „Roundtable“-Diskussionen, Gas als Brückentechnologie sowie Negativemissionstechnologien und CCS als Themenelemente des GST zu verankern. Insgesamt gab es 20 „Roundtables“ zum breiten Themenspektrum des GST: Klimaschutz, Anpassung, Schäden und Verluste sowie zu internationaler Kooperation und „Just Transition“. Darüber hinaus wurden technische Dialoge geführt, die nicht die politische, sondern die technische Analyse des GST weiterführten.
Im Jahr 2023 wird ein Bericht der technischen Dialoge und der „Roundtables“ vorgelegt. In zwei Workshops, die für April und Oktober 2023 geplant sind, sollen die politischen Schlüsse für die neuen NDCs gezogen werden. Weitestgehend offen geblieben ist die Rolle der Zivilgesellschaft in der kommenden, wichtigsten Phase des GST.
2.6 Landwirtschaft ▼2.6 Landwirtschaft ▲
Die „Koronivia Joint Work on Agriculture“ (KJWA, kurz: Koronivia) war bei der COP27 der einzige Tagesordnungspunkt, der sich mit dem Klimawandel in Bezug auf Landwirtschaft befasste. Obwohl die ägyptische Präsidentschaft Anpassung und Landwirtschaft ins Zentrum stellen wollte, blieben bedeutende Fortschritte bei Koronivia aus. Diese Prioritätensetzung spiegelte sich auch in der Wahl des Thementages „Landwirtschaft, Anpassung und Ernährungssysteme“. Allerdings standen an diesem Tag industrielle Lösungen – viele davon sehr problematisch – im Zentrum der Debatte.
Mit Hinblick auf die aktuellen Klima-, Ernährungs- und Energiekrisen und den voranschreitenden Verlust der Biodiversität wäre die sofortige Ausdehnung des Mandats von Koronivia auf Agrar- und
Ernährungssysteme wünschenswert gewesen. Stattdessen ist das Mandat für die zukünftige Arbeit von Koronivia nach wie vor auf den Schwerpunkt landwirtschaftliche Produktion ausgerichtet. Verschiedene Gruppen limitierten dabei die Chance für einen innovativen Ansatz. Der auch von Germanwatch unterstützte Ansatz der Agrarökologie, der einem industriellen Ansatz gegenübersteht, schaffte es nicht in den Entscheidungstext. Afrikanische Länder blockierten Fortschritte in Bezug auf pflanzliche Ernährung. Indien wiederum verhinderte eine Betrachtung von landwirtschaftlichen Emissionen. Viele Länder betonten ihre Abhängigkeit von der Agrarwirtschaft, insbesondere in armen und ländlichen Gebieten, sowie ihre besondere Anfälligkeit für den Klimawandel und die notwendige Gewährleistung der Ernährungssicherheit.
Das neue vierjährige Programm wird sich auf die Umsetzung konzentrieren, allerdings nur im Rahmen von unverbindlichen Workshop-Formaten. Positiv anzumerken ist, dass erstmals Landwirtschaft und Ernährung in der politischen Abschlusserklärung genannt werden. Gerade als Reaktion auf die aktuelle Hungerkrise jedoch sollte die kurzfristige Krisenbekämpfung mit einer sozial-ökologischen Transformation des Sektors und einer Orientierung an kleinbäuerlichen Praktiken kombiniert und entschieden vorangebracht werden – innerhalb des UNFCCC und außerhalb.
Der Kampf um die Ressourcenrente der fossilen Energieträger und der finanziell massiv untermauerte Lobbyeinfluss ihrer Interessensvertreter:innen wird sich im Jahr 2023 fortsetzen. Mit von hohen Energiepreisen prall gefüllten Kontos treten sie den Versuch an, die ökonomisch, nachhaltig und sicherheitspolitisch attraktiveren Erneuerbaren Energien ein letztes Mal auszubremsen. Die nächste COP Präsidentschaft – die Vereinigten Arabischen Emirate – hat schon beim „Leaders Summit“ der diesjährigen COP27 angekündigt, Öl und Gas solange bereit zu stellen, wie es nachgefragt wird. Auf der anderen Seite war das Land in den letzten 15 Jahren das progressivste Ölland bei den UN-Verhandlungen.
Es wird immer deutlicher, dass der zügige Ausbau von Erneuerbaren Energien nicht nur das Klima, sondern auch Demokratie und Menschenrechte tendenziell unterstützt. In vielen Ländern unterstützen fossile Energieträger autoritäre Regime bei ihrem Macherhalt oder antidemokratische Strukturen bei der Spaltung der Gesellschaft. Nicht nur die Klimakrise, sondern auch der russische Angriffskrieg und die brutale Reaktion auf die Proteste im Iran werden durch die Einnahmen aus fossilen Energieträgern befeuert. Somit sollten alle demokratischen Regierungen nicht nur aus Klimaaspekten, sondern ebenso aus demokratie- und menschenrechtsfördernder Perspektive den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern beschleunigen.
Zweideutiges Verhalten untergräbt die Glaubwürdigkeit der internationalen Energiewende. Wenn einerseits der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz beschleunigt wird, anderseits aber fossile Ausbauprojekte gefördert werden, gibt dies der fossilen Lobby argumentatives Futter. Beispielhaft ist hierfür der Wunsch von Bundeskanzler Scholz, neue Gasfelder im Senegal zu fördern. Deutschland sollte in den nächsten Wochen einen Prüfbericht vorlegen, der zeigt, dass die Bemühungen, russisches Gas zu ersetzen, weder hier noch bei den Exportländern mit den notwendigen Klimazielen kollidiert. Anstelle von neuen Gasfeldern sollten Länder den zügigen Ausbau von Erneuerbaren Energien fördern. Wo vorübergehend Gas nötig ist, um russisches Gas ersetzen zu können, sollten andere Länder beim massiven Ausbau von Erneuerbaren Energien und Effizienz unterstützt werden. So kann das freiwerdende Gas genutzt werden und neue Felder, die die Klimaziele torpedieren, müssen nicht erschlossen werden.
Der afrikanische Kontinent ist dabei tief gespalten bei der Frage um fossiles Gas. Attraktive Angebote können helfen, den Wunsch vieler Länder im Globalen Süden nach einem Zugang zu Energie für alle auf einem auf Erneuerbare Energien basierten Pfad zu unterstützen. Grüner Wasserstoff kann helfen, dem Industrialisierungswunsch in diesen Ländern nachzukommen. Ein solches Angebot in Form von „Just Energy Transition Partnerschaften“ (JET-P) hat Südafrika und Indonesien bereits zu mehr Ambition beim Kohleausstieg bewogen. Viel wird davon abhängen, welche Strahlkraft die Umsetzung der JET-Ps entfalten wird. Entscheidend ist dabei auch, dass die Zivilgesellschaft die JET-P-Prozesse eng begleiten kann. Für weitere JET-P-Kandidaten ist es wichtig, dass die jeweilige Zivilgesellschaft von den Erfahrungen aus Südafrika und Indonesien lernen kann.
Ein Signal für den Ausstieg oder zumindest das sogenannte „Phase-Down“ von allen fossilen Energieträgern sollte im Jahr 2023 möglich sein. Indien hat sowohl bei der COP26 in Glasgow als auch in Scharm El-Scheich den Vorschlag gemacht, nicht nur den Kohleausstieg explizit anzugehen, sondern dies für alle fossile Energieträger zu tun. Solange dies nicht die Priorität des „Phase-Down“ von Kohle infrage stellt, ist das ein sehr sinnvoller Ansatz. In seiner anstehenden G20 Präsidentschaft könnte Indien versuchen, dies mit Unterstützung anderer Länder gegen den Widerstand von Saudi-Arabien und Russland voranzutreiben. Deutschland kommt dabei mit der Deutsch-Indischen Wasserstoffpartnerschaft, der Deutsch-Indischen Energie- und Klimapartnerschaft und der erwarteten JET-P der G7 mit Indien eine besondere Rolle zu.
Die Klimafinanzierung muss bis Ende 2024 in eine neue Dimension vorstoßen. Die nicht mal erfüllten jährlichen 100 Milliarden US-Dollar treten gegenüber den Bedürfnissen des Globalen Südens viel zu kurz. Die Reform der internationalen Finanzarchitektur bietet dafür kurz- und mittelfristige Lösungen. Innovative Finanzinstrumente, die Geld der Verursacher, sprich der fossilen Energiebranche, abschöpfen, könnten eine wichtige Rolle spielen.
Erste Meilensteine stehen noch dieses Jahr an. Die Weltbank ist von Anteilseignern aufgefordert, bis Ende des Jahres einen Reformplan vorzustellen. Nach Willen des französischen Premierministers Macron sollen die Institutionen schon bis zur Frühjahrstagung Reformvorschläge vorlegen, die auf der Bridgetown Agenda der Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, aufbauen. Im Juni wird Macron einen Gipfel für einen neuen Finanzpakt mit dem Globalen Süden veranstalten. Im Zentrum werden die Nutzung von Sonderziehungsrechten, die Reform internationaler Finanzinstitutionen und „Loss & Damage“ stehen.
„Loss & Damage“ wird auch 2023 die klimapolitischen Verhandlungen entscheidend mitprägen. Der neue geschaffene „Übergangsausschuss“ hat eine Fülle schwieriger Fragestellungen für die Operationalisierung des Fonds bis Ende 2023 zu beantworten. Produktive Zusammenarbeit kann Raum schaffen für neu gewonnenes Vertrauen. Bei der COP27 kam die High Ambition Coalition (HAC), die die Trennung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern überwindet, erst sehr spät zum Einsatz. Ziel sollte es im Jahr 2023 sein, dass eine Allianz progressiver Länder frühzeitig, sogar schon im Lauf des Jahres, aktiv wird. Neben der EU sind dies die neuen Regierungen in Lateinamerika – Brasilien, Chile und Kolumbien, wovon zwei in der Verhandlungsgruppe AILAC sind –, die Inselstaaten (AOSIS) sowie die am wenigsten entwickelten Länder (LDC).
Autor:innenChristoph Bals, David Ryfisch, Petter Lydén, Kerstin Opfer, Martin Voß, Lina Ahmed, Lisa Schultheiß, Bertha Argueta, David Eckstein |