Klimaschutz und Ausstieg aus der Atomenergie

POSITIONSPAPIER, April 1999

Die Bereitstellung des Energieangebots in Deutschland verursacht gegenwärtig zwei Risiken: Die weitere Nutzung fossiler Energieträger trägt zur Klimaänderung bei, und der Einsatz von Atomenergie birgt Unfallgefahren und erzeugt langlebigen radioaktiven Abfall. Es muß ein Weg gefunden werden, beide Risiken so schnell als möglich zu minimieren.

Doppeltes Risiko

Ein zentrales Ziel der Energiepolitik ist die risikoarme Bereitstellung des Energieangebots mit dem Ziel, die Nachfrage nach Energiedienstleistungen zu befriedigen.

Dieses Ziel wird mit den bisher in Deutschland zur Stromerzeugung weit überwiegend genutzten Energieträgern - den fossilen Brennstoffen wie auch der Atomenergie (1) - nicht erreicht.

  • Die Nutzung fossiler Energieträger im gegenwärtigen Ausmaß wird aller Voraussicht nach über die damit verbundene Emission von Treibhausgasen eine menschgemachte Klimaänderung bewirken, welche zu den größten Herausforderungen der Menschheit im nächsten Jahrhundert gezählt wird.
  • Auch bei der Nutzung der Atomenergie liegen Unfallrisiken in einem nach oben kaum zu begrenzenden Ausmaß vor; die Entsorgung der abgebrannten Brennelemente ist für Zeiträume, die in die Hunderttausende von Jahren reichen, sicherzustellen; es existieren beträchtliche Proliferationsrisiken (d.h. die Gefahr der Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material).
Im einen Fall werden durch die heutige CO2-intensive Energieumwandlung und Stromerzeugung in Zukunft real zu erwartende Katastrophen in Kauf genommen, welche durch eine Änderung der globalen klimatischen Situation entstehen und vorwiegend Dritte betreffen werden, die selbst in der Mehrzahl, da sie z.B. in Entwicklungsländern leben, wenig zur Klimaänderung beigetragen haben. Im anderen Fall bestehen potentielle (2) Risiken, welche im Eintrittsfall vornehmlich die nähere Umgebung des Nutzers betreffen und deshalb in dieser Hinsicht stärker das Verursacherprinzip verkörpern als die die negativen Effekte eher externalisierende Nutzung fossiler Energieträger.

Mit den von der Bundesregierung verfolgten programmatischen Punkten einer Verringerung des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 (gegenüber 1990) und dem geplanten Atomenergieausstieg wird versucht, dieser doppelten Risiko-Lage Rechnung zu tragen.

Wenn man von (sich überhaupt nicht abzeichnenden) Durchbrüchen bei der CO2-Entsorgung (3) sowie bei der Reaktorsicherheit und der Entsorgung abgebrannter Kernbrennstoffe absieht, stellen diese Energieträger global gesehen keine Option dar, mit der die Menschheit langfristig ihren Energiebedarf decken könnte. Von beiden Nutzungen muß daher langfristig abgesehen - d.h. ausgestiegen - werden, auch im Hinblick auf die Vorbildfunktion für Entwicklungsländer. Nur eine um ein Mehrfaches gesteigerte Energieeffizienz (auf der Nachfrage- und Angebotsseite) und die Deckung des Restbedarfs durch Erneuerbare Energien können langfristige globale Lösungen sein, die eine noch weitergehende Klimaänderung sowie nukleare Risiken vermeiden.

Wie kann ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland anfangen, den Weg zu diesem Ziel eines doppelten Ausstiegs zu beschreiten?

Zentral ist, daß eindeutig der Energieeffizienz der Vorrang gegeben wird. Nur wenn deutlich weniger Energie nachgefragt wird, kann - bei der derzeit noch begrenzten Rolle der Erneuerbaren Energieträger - eine Strategie gelingen, die nicht nur zu einem Verschiebebahnhof für Risiken wird. Insofern ist es ein gravierender Geburtsfehler der Liberalisierung der Energiemärkte, daß kein Rahmen geschaffen wurde, der es erlaubt, daß "Einsparkraftwerke" mit Kraftwerken konkurrieren.

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist seit Oktober 1998 Ziel der Bundesregierung. Dieser Ausstieg muß in erster Linie durch Verringerung der Energienachfrage sowie gesteigerte Energieeffizienz auf der Angebotsseite (v.a. Kraft-Wärme-Kopplung) kompensiert werden. Wo der Bedarf nicht verringert werden kann, sollten weitestmöglich Erneuerbare Energieträger zum Einsatz kommen.

Wenn aber Atomkraftwerke durch andere zentrale Kraftwerke auf fossiler Basis ersetzt werden sollen, ist eine genaue Risikoabwägung vorzunehmen. Denn dies ist dann in jedem Fall mit einer Steigerung des CO2-Ausstoßes verbunden (wenn nicht, dies ist aber in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, gleichzeitig beschleunigt Kohle-Kraftwerke durch Gaskraftwerke mit geringerem spezifischen CO2-Ausstoß ersetzt werden).

Das unakzeptabel hohe, aber unwahrscheinlich eintretende und vor allem uns als Verursacher selbst bedrohende Risiko im Fall der Atomenergienutzung würde dann durch ein ebenso so gravierendes, mit höchster Wahrscheinlichkeit eintretendes, vor allem die Nichtverursacher schädigendes Risiko ersetzt werden. Die Maßnahmen in Richtung massiver Steigerung der Energieeffizienz und des Einsatzes Erneuerbarer Energien müssen also im Gleichschritt mit dem Atomenergieausstieg ergriffen werden und von einer solchen Wirkung sein, daß sie eine verstärkte Nutzung fossiler Energieträger weitgehend vermeiden.

Daß dies möglich und daß das nationale Klimaschutzziel realisierbar ist, hat die Wissenschaft in verschiedensten Szenarien (z.B. im Rahmen der Arbeit der Klima-Enquetekommissionen (4)) aufgezeigt, was stets die Unterstützung der auf diesem Gebiet arbeitenden deutschen Nichtregierungsorganisationen fand. Bei der letzten Weltenergiekonferenz in Houston im Juni 1998 hat das Szenario, bei dem ein Ausstieg aus der Atomenergie mit einer entschiedenen Klimaschutzpolitik kombiniert wird, auch volkswirtschaftlich am besten abgeschnitten.

Eine neue zukunftsfähige Energiepolitik braucht Investitionen

Weder beim Klimaschutz noch beim Atomenergie-Ausstieg sollte der Schwerpunkt auf einer Politik des "Sofortismus" liegen. Es gilt in erster Linie, die Investitionsströme in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken und strategische Prioritäten zu setzen. Für den Ausstieg aus der Atomwirtschaft heißt das: der Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft sowie aus besonders risikoreichen Kraftwerken sollte zunächst im Zentrum der Bemühungen stehen.

Alle weiteren Schritte sollten im Einklang mit entsprechenden Erfolgen einer Politik der verringerten Energienachfrage und des gesteigerten Einsatzes von Erneuerbaren Energieträgern stehen. Dabei ist etwa unverständlich, daß die Photovoltaik verstärkt gefördert werden soll, während etwa die solarthermische Kraftwerke, wo mit einem Bruchteil des Geldes wesentlich mehr Elektrizität bereitzustellen wäre, weitgehend leer ausgehen.

Weiterhin schlüssig erscheint:

  • Die entsprechenden Begleitmaßnahmen sollten nicht lediglich im Energiesektor ergriffen werden, sondern auch andere Bereiche (z.B. den Verkehr) berühren
  • Die nationale CO2-Selbstverpflichtung für 2005 sollte bald, auch über die erste Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls hinaus, fortgeschrieben werden (so forderten Bündnis 90 / Die Grünen vor der Bundestagswahl 1998 eine Reduktion in Deutschland um 30 Prozent bis 2010 gegenüber 1990).
Vorrang muß die Energieeffizienz, vor allem auf der Nachfrageseite, haben. Nur eine solche Strategie ermöglicht es, daß Erneuerbare Energieträger relativ bald einen großen Anteil dieser Energie bereitstellen können. Der Markteinstieg der Erneuerbaren Energieträger muß forciert unterstützt werden. Eine solche Doppelstrategie schafft Arbeitsplätze, ist volkswirtschaftlich günstig. Nur wenn sie aufgeht, kann vermieden werden, daß eine Politik des Klimaschutzes oder der Atomenergieausstiegs zum Verschiebebahnhof für unakzeptable Risiken wird. Nur dann kann, wie Bundesumweltminister Trittin fordert, "der Atomenergieausstieg zur Vorbedingung für die Erreichung der Klimaschutzziele werden".

Schlußfolgerung für eine neue Strategie: Doppelter Ausstieg oder Ausstieg in den Einstieg

Weder darf der Atomenergieausstieg die deutschen Klimaschutzziele torpedieren, noch darf die Klimapolitik zu einem Förderprogramm der Atomenergie werden. Ein doppelter Ausstieg muß daher vorgesehen werden: Ausstieg aus der Atomenergie und der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter.

Darum müssen die Energiekonsensgespräche mit allen maßgeblichen Akteuren sowohl der Energieangebotsseite als auch der -nachfrageseite (inklusive des Energieeffizienz- und Erneuerbaren Bereichs) geführt werden. Denn der Ausstieg aus der Atomenergie muß ein Einstieg in das Energieeffizienz- und Erneuerbaren-Zeitalter werden.
 

Fußnoten

  1. Es handelt sich hierbei eigentlich um Atomkernenergie. Auch wird oft der Begriff Kernenergie zur Beschreibung dieses Sachverhalts benutzt. Der Einfachheit halber verwendet dieser Text den Begriff Atomenergie.
  2. d.h. Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit (10-4 pro Jahr und geringer)
  3. d.h. die (End) Lagerung von CO2 in Bereiche außerhalb der Atmosphäre (z.B. in ausgebeuteten Erdgaslagerstätten oder in der Tiefsee). Dann bliebe jedoch weiterhin die Problematik der Erschöpfbarkeit der fossilen Energieressourcen.
  4. Das Atomenergieausstiegsszenario der Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" kommt 1994 zum Ergebnis, daß die Unterschiede zwischen Weiterbetrieb- und Ausstiegsszenarien relativ klein sind und geringer ausfallen als die Unsicherheitsgrenzen, die sich aus den Berechnungen nach günstigen und ungünstigen Bedingungen der allgemeinen ökonomischen Entwicklung ergeben.


Autor:innen
Germanwatch
Publikationsdatum
Seitenanzahl
23
Bestellnummer
99-2-04
ISBN
3-9806280-8-6

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