UN Gipfel zu Ernährungssystemen: Wirtschaft statt Menschenrechte im Fokus
Am 23. September beginnt der virtuelle „World Food Systems Summit“ (WFSS), der von den Vereinten Nationen ausgerichtet wird. Dieser Gipfel soll Möglichkeiten aufzeigen, wie Ernährungssysteme auf allen Ebenen – von der Erzeugung von Nahrungsmitteln über deren Verarbeitung, Vertrieb bis hin zu Ernährungsgewohnheiten – verbessert werden können, um zu den Globalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) beizutragen. Das ist wichtig, denn ohne umfassende Veränderungen des globalen Ernährungssystems werden sich in der Tat die SDGs nicht verwirklichen lassen. Daher ist es begrüßenswert, dass die Vereinten Nationen das Thema stärker in den Blickpunkt der globalen Öffentlichkeit rücken und dabei nicht einzelne Aspekte, sondern das Gesamtsystem betrachten – so legt es zumindest der Titel der Veranstaltung nahe.
Struktur des Gipfels in der Kritik
Die Vorbereitung und institutionelle Ausgestaltung des WFSS sind jedoch in mehrfacher Hinsicht sehr problematisch. Das hat von Seiten der Zivilgesellschaft aber auch bei anderen UN Organisationen zu zum Teil scharfer Kritik geführt.
Schon die Organisation des Gipfels als Kooperation des UN-Generalsekretärs António Guterres bzw. seiner Stellvertreterin Amina Mohamad mit dem World Economic Forum (WEF) ist Anlass zu großer Skepsis. Immerhin ist das WEF vor allem bekannt durch sein jährliches Treffen hochrangiger Politiker*innen und Manager*innen in Davos. Zudem sind im WEF transnationale Lebensmittelkonzerne, Hersteller von Düngern, Pestiziden und Saatgut vertreten - nicht hingegen (Klein-)bäuer*innen und Interessenvertretungen indigener und zivilgesellschaftlicher Gruppen. Auch die Benennung von Agnes Kalibata als UN-Sonderbeauftragte des WFSS ist kritisch zu betrachten. Immerhin ist sie zugleich Präsidentin der „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“, in der neben der Gates- und der Rockefeller-Stiftung auch Yara prominent beteiligt ist – einer der größten Düngehersteller der Welt. Damit haben diejenigen Akteur*innen eine zentrale Rolle in der Vorbereitung des Gipfels erhalten, die mitverantwortlich sind für das derzeitige Ernährungssystem und seine fundamentalen Probleme: parallele Über-, Fehl-, und Unterernährung und Übernutzung natürlicher Ressourcen.
Dagegen wurden bereits bestehende UN-Organisationen und -Gremien, die sich mit Welternährung beschäftigen, erst sehr spät in den Vorbereitungsprozess einbezogen zu einem Zeitpunkt, als wichtige Weichen bereits gestellt waren. Dazu zählt neben der FAO (Food and Agriculture Organisiaton, die zuständige UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft) insbesondere das Komitee für Welternährungssicherheit (Committee on World Food Security, kurz CFS). Das CFS hat nicht nur jahrelange Expertise, sondern auch einen gut ausgearbeiteten Mechanismus zur Beteiligung unterschiedlicher Stakeholder-Gruppen. Dabei legt das CFS einen besonderen Fokus auf diejenigen, die besonders von Ernährungsunsicherheit und Hunger betroffen sind, wie zum Beispiel Kleinbäuer*innen, Indigene und Landarbeiter*innen. Auch mit seinen gerade erst verabschiedeten Leitlinien zu Ernährungssystemen hätte das CFS einen wertvollen Beitrag zur Vorbereitung des Gipfels leisten können und das CFS-Expert*innen-Panel hätte den wissenschaftlichen Beirat, der eigens für den WFSS gegründet wurde, sicherlich gut ergänzt – wenn nicht sogar ersetzt.
So überrascht es nicht, dass Michael Fakhri, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, der selbst erst spät in die Vorbereitung eingebunden wurde, sich sehr kritisch gegenüber dem WFSS äußerte.
Recht auf Nahrung als Nebenaspekt
Das CFS sieht es als eine seiner zentralen Aufgaben, zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung beizutragen. In der Vorbereitung des WFSS spielte dieses Menschenrecht zunächst jedoch keine Rolle und wurde erst später als eine mögliche Option für nachhaltigere Ernährungssysteme integriert – nicht als zentraler Maßstab für alle Ernährungssysteme.
Die unzureichende Menschenrechtsperspektive spiegelt sich in der Organisation des WFFS wider. Er arbeitet auf Basis von Multi-Stakeholder-Dialogen. Dabei haben Unternehmen, Regierungen und Wissenschaft sehr viel bessere Möglichkeiten, sich zu beteiligen und auf die Gestaltung des Gipfels Einfluss zu nehmen, als die Gruppen, die von Ernährungsunsicherheit direkt betroffen sind. Im CFS ist dies, wenn auch nicht perfekt, so doch deutlich besser gelöst.
Im wissenschaftlichen Beirat des WFSS finden sich fast ausschließlich (Agrar-)Ökonom*innen und Naturwissenschaftler*innen, während Expert*innen mit einer menschenrechtlichen oder soziologischen Perspektive fehlen – im Unterschied zum Expert*innen-Panel des CFS.
Fokus auf technische Lösungen
Der wenig ausgewogene Prozess zur Vorbereitung des WFSS droht auch dessen Ergebnisse zu beeinflussen. Sowohl Agrarindustrie als auch viele Agrarwissenschaftler*innen propagieren neue gentechnische Verfahren als wichtigen Beitrag zur Lösung der Ernährungsprobleme. Dagegen wurde die Agrarökologie, die vom CFS als zentrales Konzept für eine nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung betrachtet wird, im WFSS-Prozess stiefmütterlich behandelt.
Besonders deutlich wird die Gefahr des einseitigen Ansatzes im WFSS an der Diskussion um Fleischerzeugung. Die internationalen Verbände der Fleisch- und Geflügelindustrie waren in der WFSS-Vorbereitungsgruppe zunächst weitgehend allein, und entwarfen entsprechend ein Papier, in dem die industrielle Tierhaltung als besonders nachhaltige Methode empfohlen wird, den global steigenden Fleischbedarf zu befriedigen. Als Wissenschaftler*innen und Nichtregierungsorganisationen dem später widersprachen, wurde der Konflikt so gelöst, dass es nun drei separate Empfehlungen zu Fleisch gibt: zwei Empfehlungen für mehr industrielle Effizienz und eine Empfehlung mit einem stärkeren Fokus auf verringerten Fleischkonsum und –produktion.
Was ist vom Gipfel zu erwarten?
Der WFSS ist nicht darauf angelegt, ein von den Teilnehmer*innen verhandeltes Abschlussdokument zu beschließen. Vielmehr sollen sich unterschiedliche Akteur*innen darauf verpflichten, bestimmte Initiativen nach dem Gipfel weiterzuverfolgen. Wahrscheinlich wird das den beteiligten Unternehmen ermöglichen, Aktivitäten zu generieren, auf die sie in ihren Nachhaltigkeitsberichten verweisen können – verziert mit dem UN-Logo. Die aus Menschenrechts-, Gesundheits-, Klima- und Umweltgesichtspunkten dringend nötige Veränderung des Ernährungssystems ist davon nicht zu erwarten. Eine echte Gefahr könnte allerdings darin bestehen, dass technische Ansätze wie neue Gentechnikverfahren in der öffentlichen Kommunikation als nachhaltige Konzepte propagiert werden. Besonders wenn der wissenschaftliche Beirat des WFSS, wie von seinem Vorsitzenden vorgeschlagen, beibehalten und zu einem permanenten „IPCC für Ernährungssysteme“ ausgebaut werden sollte, entstünde eine schädliche Konkurrenz zum CFS, mit einer deutlich engeren und technologiefixierteren Ausrichtung. EU und Bundesregierung sollten während und nach dem Gipfel klarstellen, dass sie dies ablehnen und stattdessen das CFS weiter stärken wollen.