EU-Krise als Chance für den Umbau zu einer grünen Gesellschaft
EU-Krise als Chance für den Umbau zu einer grünen Gesellschaft
Auch in Deutschland spricht sich inzwischen herum, was in vielen anderen EU-Staaten seit Monaten die Spatzen von den Dächern pfeifen: Die gegenwärtige Finanz- und Verschuldungskrise stellt das Europäische Einigungsprojekt – Garant für Frieden und den Aufbau des existierenden Wohlstandmodells – ebenso wie die Handlungsfähigkeit der EU vor die größte Herausforderung seit ihrer Gründung. Dabei geht es nicht nur um die Lösung der EU- und Eurokrise, sondern gleichzeitig auch darum, den globalen Klima- und Ernährungs- sowie Energie- und Rohstoffkrisen entgegenzusteuern. Diese Verknüpfung bedeutet, das Friedensprojekt Europa angesichts der heutigen Herausforderungen zu erneuern.
Die EU sollte den notwendigen Sparkurs mit einer zumindest ebenso notwendigen zukunftsweisenden Perspektive für die EU und die betroffenen Staaten verknüpfen. Eine Investitionsstrategie in Richtung einer Niedrig-Emissions-Gesellschaft in Deutschland und anderen EU-Ländern könnte Kernstück einer solchen Strategie sein. Es geht darum, ungedämmte Häuser zu sanieren, die Stromnetze und -speicher für ein Energiemodell jenseits der Risikotechnologien Kohle und Kernkraft zu etablieren oder die Wälder in Südeuropa wieder aufzuforsten. Eine solche Strategie könnte nicht nur Arbeitslosigkeit abbauen und die Grundlage für das Erreichen ambitionierter klimapolitischer Ziele legen. Wichtig ist, mehr private Geldströme in Investitionen der Realwirtschaft statt in spekulative Anlagen zu lenken. Dies kann die Steuereinnahmen stabilisieren, die Gefahr weiterer Finanzkrisen wirksam reduzieren und diese, wenn sie trotzdem auftreten, erfolgreich abpuffern. Ein solcher Investitionsschub macht es für die Finanzmärkte glaubhaft, dass staatliche Budgetdefizite nur auf Rezessionsjahre beschränkt und in Boomjahren kompensiert werden.
Für Deutschland bietet die oben genannte grüne Investitionsstrategie die Chance, vom einseitig exportgetriebenen Wohlstandsmodell wegzukommen. Der deutsche Exportüberschuss ist einer der Ursachen für die Ungleichgewichte der EU und die starke Verschuldung in anderen EU-Staaten. Es ist an der Zeit, den Wohlstand weniger stark auf Exporten, sondern auch verstärkt auf die Säule jener Investitionen zu stellen, die wir für eine zukunftsfähige Gesellschaft gebrauchen.
So könnte auch ein ökologischer Marshallplan für Griechenland gemeinsam mit einer geregelten Entschuldung und dem notwendigen Sparkurs in dem Land die harten Einschnitte mit einer wirklichen Zukunftsperspektive verknüpfen. Ganz ähnlich, wie das „Wirtschaftswunder“ und die demokratische Entwicklung in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wesentliche Impulse durch eine europäische Perspektive, den Marshallplan und eine Streichung eines großen Teils der Auslandsschulden im Londoner Schuldenabkommen (1953) erhielt. Die bisherige alleinige Fokussierung nur auf einen Sparkurs lässt die Steuereinnahmen einbrechen und verschärft deshalb das Verschuldungsproblem. Zudem treibt der Kurs einen Keil der Frustration und der Empörung über andere Länder in die EU.
Es ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft, sich für eine Politik einzusetzen, bei der es um mehr geht als den nächsten Wahlerfolg: Es geht um die Zukunft der EU, ein neues Wohlstandsmodell sowie globale Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen. Und es geht um eine EU, die in der Lage und Willens ist, diese Themen zuhause und international voranzutreiben.
Christoph Bals
Ein ausführliches Diskussionspapier finden Sie unter: