Entwicklungsländer nur am Rande

 
Kommentar zur am 10.7.2002 vorgelegten "Halbzeitbewertung der gemeinsamen Agrarpolitik" von EU-Agrarkommissar Fischler aus entwicklungspolitischer Sicht

Dieser Kommentar wurde im September 2002 von der AG Landwirtschaft und Ernährung des Forums Umwelt und Entwicklung in Kooperation mit Germanwatch vorgelegt.

Die Vorschläge von Kommissar Fischler bedeuten eine konsequente Fortschreibung der bisherigen Reformen von 1992 und 2000. Gleichzeitig bedeuten sie auch eine weitergehende Bindung der Zahlungen an ökosoziale Kriterien. Dies ist aus unserer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung. Aus entwicklungspolit ischer Sicht bleibt zu analysieren, wie sich die Reformvorschläge auf die Entwicklungsländer auswirken. Es besteht weitergehender Handlungsbedarf in folgenden Bereichen:

  • Export subventionierter Produkte und Exportorientierung
  • Marktzugang für Entwicklungsländer
  • Konsequenzen höherer Standards für Entwicklungsländer
  • Ausgleich für Benachteiligungen der Entwicklungsländer (Konversion)


Subventionen/subventionierte Exporte

1. Hauptvorschlag für die direkten Einkommensübertragungen ist, die produktspe- zifischen Unterstützungen (v.a. Flächenprämien für Getreide und Ölsaaten und Tierprämien für Rinder) in eine einzige, produzentenbezogene Zahlung pro Betrieb zu überführen, wobei diese Zahlung auf ein Basisjahr bezogen festgelegt werden und unabhängig von der aktuellen Produktion gezahlt werden. Durch diese Entkoppelung von der Produktion werden die bisher in die Blue Box Maßnahmen des Agrarabkommens der WTO fallenden direkten Einkommensübertragungen in sogenannte Green Box Maßnahmen überführt. Für die WTO-Verhandlungen ist dies aus Sicht der EU ein unschätzbarer Fortschritt, da die EU die wichtigste Ländergruppe ist, welche Maßnahmen in der zwar produktionsbeschränkenden, aber von der Produktionsmenge abhängigen Blue Box notifiziert hat. Wegen der Marktbeeinflussung der Maßnahmen steht die Blue Box unter erheblichem Beschuss vonseiten vieler Länder. Es besteht die Möglichkeit, dass die Blue Box im Zuge der Doha-Runde abgeschafft wird. Mit der Überführung in die Green Box werden die Unterstützungsmaßnahmen der EU sehr viel sicherer vor weiterem Abbau. Dies ist allerdings nicht bei allen Unterstützungsmaßnahmen entwicklungspolitisch erwünscht.

2. Durch die sogenannte verpflichtende "Cross Compliance" würde die Einhaltung von Standards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz durchgesetzt. Durch die Anbindung an Non-Trade-Concerns sind die Standards besser abgesichert als durcheine Abkopplung.

3. Ein weiteres maßgebliches Instrument der Vorschläge ist die verbindliche Einführung der Modulation der Zahlungen mit einer erheblichen Umschichtung in die "zweite Säule". Die mit dieser Modulation verbindlich für alle eingeführte Stärkung der "zweiten Säule" der Agrarpolitik, die Stärkung der ländlichen Entwicklung, ist eine zusätzliche Umschichtung der Subventionen hin zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft und zur Stärkung der vielen Funktionen der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes, die de facto eine deutliche Kehrtwende weg von der Exportorientierung der EU bedeutet. Bei der "zweiten Säule" handelt es sich um eindeutige, Maßnahme der "nichthandelsbezogenen Anliegen" allerdings sind nicht alle, zum Teil neu eingeführten Maßnahmen bisher dort ausdrücklich erwähnt (z.B. Tierschutz), was zu weiteren Konflikten in der WTO führen wird.

4. Mit der diffusen Streuung der Subventionen auf die gesamte Fläche, unabhängig von ihrer Nutzung, besteht die Gefahr, dass indirekt auch Exporte von Produkten gefördert werden, die bisher noch keine Rolle für den Export gespielt haben, jetzt werden auch Betriebe gefördert, die sich abwenden von traditionellen Überschussprodukten hin zu lukrativen neuen Agrarprodukten, wobei sie diese Erzeugnisse unter den Gestehungskosten anbieten können, weil ihre Grundabsicherung aus staatlichen Quellen stammt. Der unfaire Exportwettbewerb verlagert sich auf neue Produktbereiche. Die Gefahr der Konkurrenz mit unsubventionierten Landwirtschaftsbetrieben aus Entwicklungsländern ist besonders bei Obst und Gemüse und bei weiterverarbeiteten Produkten gegeben. Diese Art der indirekten Subventionierung von Exporten lässt sich mit den bisherigen Instrumenten der WTO-Verhandlungsthemen nicht erfassen. Wir fordern daher ein EU-Monitoring durch statistische Erfassung der durchschnittlichen nationalen Herstellungskosten und ihrer Spannbreite für alle Agrarprodukte. Damit kann festgestellt werden, welche Produkte unterhalb den durchschnittlichen regionalen Deckungsbeitragssätzen exportiert werden.

5. Durch die weitere Reduktion von Exportsubventionen - eine indirekte Konsequenz der Überschuss-Reduktion und der Preissenkung für Marktordnungsprodukte - kommt den Entwicklungsländern entgegen. Die Überschuss-Reduktion wird entstehen durch die Senkung der Preise, die Entkoppelung der Einkommensübertragungen und die verschiedenen Hilfen zur Diversifizierung innerhalb und außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors im Rahmen der "zweiten Säule". Die Vorteile der Entwicklungsländer aus dem Rückgang der Exportsubventionen werden allerdings durch den Trend zu indirekten Export- Subventionen auch bei Nicht-Marktordnungsprodukten konterkariert. Durch die Subventionierung der europäischen Landwirtschaft können rationalisierte Betriebe, die die meisten Direktzahlungen erhalten (80 % der Zahlungen gehen an 20 % der Betriebe) Produkte unterhalb der Produktionskosten exportieren. Dies muss durch geeignete Maßnahmen wie Exportzölle verhindert werden.

6. Die EU muss für die Übergangszeit bis zur möglichst baldigen völligen Abschaffung der Exportsubventionen eine freiwillige Verpflichtung eingehen, dass sie keine Exportsubventionen für konkurrierende Produkte von Kleinbauernbetrieben in Entwicklungsländern genehmigt und dass sie das Prior Informed Consent-Prinzip für die Gewährung von Exportsubventionen einführt.

7. Das von der EU im Rahmen der WTOVerhandlungen versprochene "Sustainability Impact Assessment" muss auch im Hinblick auf die entwicklungspolit ischen Auswirkungen der Europäischen Agrarpolitik durchgeführt werden. Die EU muss alle bestehenden Konsultationsmechanismen z.B. im Rahmen des Cotonou- Vertrags pro-aktiv nutzen, um ihre Agrarreform mit den Partnerländern zu besprechen.

Marktzugang

8. Beim Marktzugang gibt es keine neuen Zugeständnisse. Einige Neuregelungen wie z.B. bei Nüssen scheinen den Marktzugang für Entwicklungsländer zu erschweren, wie auch die Umstellung der Importregelungen bei Getreide. Dort soll von einem Preisbandsystem auf Zollkontingente umgestellt werden, was die EU aufgrund von auftretenden Problemen bei einer Getreideimportflut verharmlosend als "ändern und vereinfachen" bezeichnet.

9. Der Vorschlag enthält keine wesentlichen Änderungen bei den umstrittenen Marktordnungen bei Zucker, Milch, Getreide und Rindfleisch, und verschiebt die Diskussion lediglich auf die angekündigten späteren Reformtermine. Bei einigen für Entwicklungsländer besonders wichtigen Produkten wie Zucker, Baumwolle, Schaffleisch, Tabak, Reis und Früchten und Gemüse. Hier ist ein Reformversprechen unter expliziter Einbeziehung der Marktzugangsinteressen der Entwicklungsländer überfällig. Hierbei sollen die Entwicklungsländer frühzeitig einbezogen werden.

10. Für Produkte aus dem Fairen Handel und Bioprodukte soll geprüft werden, inwieweit zoll- und quotenfreier Marktzugang gewährt werden kann und die Zulassungs- und Etikettierungsvorschriften weniger bürokratisch und kostengünstiger für die Produzenten aus Entwicklungsländer vorgenommen werden kann.

Standards

11. Es ist eine offene und für Entwicklungsländer gravierende Frage, wie die neuen Standards (mit ihren Zertifizierungsverfahren, Buchprüfung, Transparenz und Rückverfolgbarkeit mit dem Ziel der Lebensmittelsicherheit, Herkunftsbezeichnung, des Umweltschutzes, des Tierschutzes, der Arbeitsplatzsicherung etc.) bei den Importen angewendet werden kann bzw. sich auf den Marktzugang der Entwicklungsländer auswirken wird. Es besteht die Gefahr, dass die Entwicklungsländer wegen der technischen Nichterfüllung von den vielen neuen technischen Standards und der Unbezahlbarkeit der Kennzeichnungen von europäischen Märkten ausgeschlossen werden. Die Agrarpolitik darf nicht nur die eigenen Bauern bei der Einhaltung von Qualitäts- und Lebensmittel- Standards unterstützen, wie von Fischler vorgeschlagen, sondern muss auch gleichzeitig den Bauern und Verarbeitern in Entwicklungsländern analoge Unterstützung anbieten.

12. Die Standardsetzung sollte grundsätzlich in multilaterale Verhandlungen münden und dort unter starker Mitbestimmung der Verbraucherverbände aus Nord und Süd und der Entwicklungsländerregierungen stattfinden. Alle SPS- und TBRMaßnahmen müssen so eingerichtet werden, dass sie den Handel besonders mit den Entwicklungsländern nicht diskriminieren, verzerren, am wenigsten handelsbeschränkend sind und notwendig und effektiv definiert werden. Dazu ist es nötig, die Transparenz zu erhöhen, die Entwicklungsländer frühzeitig zu informieren und (besonders mit den AKPStaaten) sie in einen Konsultationsprozess über die möglichen direkten und indirekten Folgen einzubeziehen. Alle in den Verträgen vorliegenden Vorzugs- und Sonderbehandlungen müssen voll ausgeschöpft werden und die technische Hilfe zur Standardanpassung muss wesentlich ausgebaut werden.

13. Die EU muss für die Anerkennung von Nahrungsmittelsicherheitssystemen und Zertifizierungen im Ausland transparente, nachvollziehbare Regeln und Abläufe schaffen und die Inspektionen als Voraussetzung der Anerkennung von der Unbedenklichkeit der Importe unverzüglich nach der Antragstellung vornehmen, möglichst von unabhängigen Inspektionsteams.

14. Die EU muss eine Clearingstelle einrichten, an die sich alle Exporteure (aus Ent- wicklungsländern) wenden können, um über die technischen Importbedingungen präzise Auskunft zu bekommen und technische Hilfe zu beantragen. Die EU muss auch eine Anlaufstelle für Beschwerden gegen diskriminierende Praktiken bei der Handhabung von Standards im Agrarbereich einrichten, wobei Zugang und Verfahren wenig aufwendig sein müssen. Entwicklungsländer müssen das Recht erhalten, auf Anfragen einen konsultativen Prozess in Gang zu setzen, um Schwierigkeiten bei der Einhaltung und Durchführung von technischen Standards mit der EU zu besprechen und zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.

15. Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere die handelsbezogene technische Hilfe sowohl bei der EU als auch bei den Mitgliedsländern müssen erheblich aufgestockt werden, weil mit den höheren Standards auch neue Handelshemmnisse eingeführt werden. Diese Aufstockung muss umfangmässig in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt werden zu den nationalen Subventionen für die Strukturanpassung und Zertifizierung der nationalen Produzenten und soll aus den eingesparten Mitteln des Agrarhaushalts erfolgen.

Agrarkonversion

16. Die Mindereinnahmen für die Produzenten in AKP-Ländern durch die von Fischler geplanten weiteren Preissenkungen in der EU müssen kompensiert werden, ähnlich wie es für die europäischen Bauern vorgesehen ist. Dies betrifft insbesondere die Rindfleischexporteure im südlichen Afrika. Die Kompensation soll durch neue Handelspräferenzen erfolgen, z.B. durch Erweiterung der Rindfleischquote in eine allgemeine Fleischquote.

17. Wir schlagen vor, einen größeren Teil der Exportsubventionen, die im Zuge der WTO-Verhandlungen abgebaut werden müssen, für die TRTA und CB (handelsbezogene technische Hilfe und Kapazitätsaufbau) als verbindliche Verpflichtung in der WTO für alle OECD-Länder umzuwidmen. Darüber hinaus sollen WTO-bedingte, reduzierte Agrarmittel aus den Boxen (Gelb, Blau) in Fonds zur Unterstützung von nachhaltiger Landwirtschaft und ländlicher Entwicklung (SARD) und zur Verbesserung der Ernährungssicherung weltweit für alle verbindlich umzuwidmen (Agrarkonversion).
 

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(auch als englische Version erhältlich, siehe 02-1-08)Kommentar zur am 10.07.2002 vorgelegten "Halbzeitbewertung der gemeinsamen Agrarpolitik" von EU-Agrar­ kommissar Fischler aus entwicklungspolitischer Sicht

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