Entwicklungsländer gehen gestärkt aus der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung hervor. Erste Einschätzung der UNCTAD XI


 

Am 18. Juni 2004 ist die elfte Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung zu Ende gegangen. Die Position der Entwicklungsländer in Handelsfragen wurde gestärkt. Vor der Konferenz strebten insbesondere die USA eine Einschränkung des Mandats der UNCTAD an. Die EU wollte die UNCTAD-Konferenz vor allem dazu nutzen, die WTO-Verhandlungen voranzubringen. Diese Absichten der USA und der EU scheiterten. Dagegen konnte das breite Mandat und die Unabhängigkeit der UNCTAD aufrechterhalten werden. Die Entwicklungsländer gehen sogar gestärkt aus der Konferenz.

Eines der wichtigsten Ziele der Entwicklungsländer, des Generalsekretärs der UNCTAD, Rubens Ricupero, und der internationalen Zivilgesellschaft war die Verankerung von Politik-Spielräumen im Abschlussdokument der UNCTAD. Dies ist gelungen. Im Abschlussdokument, dem São Paulo Konsens, wird den Entwicklungsländern ausdrücklich mehr Handlungsspielraum in den Bereichen "Handel, Investitionen und industrielle Entwicklung" zugesichert. Auch die EU-Präsidentschaft, die die Verhandlungen für die EU-Mitgliedsstaaten geleitet hat, vertritt die Ansicht, dass sich dieser Politik-Spielraum auch auf die WTO beziehen soll.

Weiterhin sehr wichtig für die Entwicklungsländer ist die von ihnen auf der Konferenz beschlossene Wiederaufnahme der Verhandlungen im Rahmen des Allgemeinen Handelspräferenzsystems (GSTP). Dieses System gilt nur für Entwicklungsländer. Sie erhoffen sich von der angestrebten Reduzierung von Handelsbarrieren eine deutliche Ausweitung des Süd-Süd-Handels. Das GSTP steht allen in der Gruppe der G77 vertretenen Entwicklungsländern und China offen. Es wurde betont, dass die wirtschaftlich stärkeren unter ihnen Solidarität mit den wirtschaftlich schwächeren üben wollen.

Durchsetzen konnten sich die Entwicklungsländer unter der Verhandlungsleitung von Jamaica auch mit ihrer Forderung "good governance" (umfasst die politischen Rahmenbedingungen, Rechtstaatlichkeit und einen verantwortungsvollen Umgang mit politischer Macht und öffentlichen Ressourcen) nicht nur auf die nationale Ebene zu beziehen, sondern dies auch von internationalen Institutionen einzufordern. "Transparenz im internationalen Finanz- und Handelssystem und die vollständige und wirksame Beteiligung der Entwicklungsländer an der Entscheidungsfindung sind Grundvoraussetzungen für eine good governance" heißt es ausdrücklich im São Paulo Konsens.

Viel diskutiert wurde auf der UNCTAD XI über die Umsetzung der Millenium-Entwicklungsziele. Die Aufgabe, alternative Finanzierungsmöglichkeiten dazu zu eruieren, findet im Abschlussdokument ebenso Erwähnung wie die Notwendigkeit, das seit langem erklärte Ziel der Industrieländer, für öffentliche Entwicklungshilfe 0,7% des Bruttosozialproduktes zur Verfügung zu stellen, umzusetzen.

Das Problem des Rohstoffpreisverfalls wird im Dokument klar angesprochen und es soll eine "Task Force" eingesetzt werden, die sich darum kümmert. Ebenfalls eine "Task Force" soll für Gender-Fragen eingerichtet werden. Ansonsten finden sich im São Paulo Konsens und der politischen Abschlusserklärung "The Spirit of São Paulo" aber kaum Hinweise auf mehr Geschlechtergerechtigkeit. Beide Dokumente erwähnen die Bereitschaft der UNCTAD, stärker mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Während der Konferenz fand ein Parallelprogramm der Zivilgesellschaft statt und auch im offiziellen Programmteil der UNCTAD wurden Sprecher/innen der Zivilgesellschaft berücksichtigt. Sowohl der UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero als auch der UN-Generalsekretär Kofi Annan und der brasilianische Staatspräsident Ignacio Lula da Silva führten gesonderte Gespräche mit allen anwesenden Vertreter/innen der Zivilgesellschaft. Auf der Konferenz wurden parallel zu den Verhandlungen interaktive thematische Diskussionsrunden und Podiumsdiskussionen zu allen bei der Konferenz behandelten Fragen durchgeführt, dabei wurden zum Teil sehr anregende weiterführende Gedanken und Absichten zum Ausdruck gebracht.

Zu kritisieren ist die unklare Definition von Kohärenz im Abschlussdokument, die eher auf das Zusammenspiel von Handels- und Finanzsystem ausgerichtet ist als auf eine wirklich umfassende Kohärenz von Handels- und Entwicklungspolitik mit dem Ziel der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, wie sie von der Zivilgesellschaft gefordert wurde.

Die Rolle des privaten Sektors im Entwicklungsprozess wird im São Paulo Konsens hervorgehoben, es fehlt aber die auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg beschlossene Weiterentwicklung verpflichtender Regeln zur Unternehmenshaftung. Die im Abschlussdokument gewählte Formulierung der Unternehmensverantwortung bleibt hinter den Vereinbarungen von Johannesburg zurück. Es fehlen im Dokument auch Kritik an Freihandelszonen und an den laufenden Agrarverhandlungen. Eine solche Kritik wurde zwar auf vielen Veranstaltungen der UNCTAD vorgetragen, fehlt aber im Abschlussdokument. Besonders der UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero, aber auch viele andere Redner und Rednerinnen kritisierten das Verhalten der reichen Länder in den Agrarverhandlungen der WTO.

Insgesamt kann die elfte UNCTAD-Konferenz aus Entwicklungssicht als Erfolg bewertet werden.

Dr. Brigitta Herrmann
 

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