Ende oder Wende?

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Ende oder Wende?

Die Zukunft der Landwirtschaft entscheiden wir am 26. September | Ein Kommentar von Dr. Klemens van de Sand
Portraitfoto Klemens van de Sand

Dr. Klemens van de Sand ist seit 2009 Vorstandsmitglied von Germanwatch. Zuvor war er in leitenden Funktionen im Bundesentwicklungsministerium und beim International Fund for Agricultural Development tätig.

Jahrzehntelang folgte die Landwirtschaft in Deutschland dem Leitsatz „Wachsen oder Weichen“. Die Produktion möglichst billiger Massenprodukte sollte „fit für den Weltmarkt“ machen. Mit der wachsenden Tierproduktion wuchs auch die Nachfrage nach Soja – auf Kosten der Menschenrechte und der Wälder in Südamerika. Vorgegeben wurde diese Wachstumslogik von Agrarpolitik, Deutschem Bauernverband, Lebensmittelindustrie und -handel. Doch dieser Weg führte in die Sackgasse und zu verhärteten Fronten: auf der einen Seite Bäuer:innen und auf der anderen Tierschützer:innen, die ihnen Tierquälerei vorwerfen, Naturschützer:innen, die sie als Umweltsünder:innen anprangern, Lebensmittelkonzerne, die keine anständigen Preise zahlen und Politiker:innen, die sie mit Bürokratie drangsalieren – und die sie allesamt mit den Mehrkosten für höhere Auflagen alleinlassen. Ein krankes System, das immer mehr Betriebe zur Aufgabe zwingt.

Den Weg aus der Systemkrise zeigt die von einer genervten Kanzlerin berufene Zukunftskommission Landwirtschaft auf. Ende Juni schlug sie eine neue gesellschaftliche Verständigung über das Agrar und Ernährungssystem vor: weniger Fleisch essen, weniger Tiere halten, umwelt- statt flächenbezogene Subventionen, Preisaufschlag auf Fleisch, aber auch auf Ungesundes wie Fett, Zucker und Salz! Unterschrieben haben Vertreter:innen der Wissenschaft, Verbraucher:innen- und Umweltorganisationen – aber auch der Lebensmittelwirtschaft und des Bauernverbands. Auch sie haben erkannt: Nur eine fundamentale Wende kann die Zukunft der Landwirtschaft sichern! Eine Wende, ohne die im Übrigen auch die Entwaldung im Mercosur nicht zu stoppen ist.

Und die Agrarpolitik? Die ist bis heute von gestern: Ebenfalls im Juni bremste die EU eine konsequente Umstellung auf ein umweltbezogenes Subventionssystem aus. Zudem will Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Neubau von Ställen fördern, damit noch mehr Tiere gehalten werden können – zwar tierwohlgerechter mit mehr Platz, aber klimapolitisch kontraproduktiv.

Am 26. September können die Wahlberechtigten in Deutschland die Weichen für eine neue Bundesregierung stellen, die in der Agrar-, Klima- und Umweltpolitik den Schalter umlegt: statt kontraproduktiver Reförmchen ein langfristig angelegter Systemwechsel! Dazu braucht es verlässliche politische Rahmensetzungen für existenzsichernde Erzeuger:innenpreise, die Honorierung ökologischer Leistungen, einen sozialen Ausgleich für Einkommensschwache, eine Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln nach klaren Öko-, Tierschutz- und Gesundheitsstandards – und ja, auch Verbote, zum Beispiel von unfairen Handelspraktiken der Supermarktketten. Damit können und wollen die Bäuer:innen leben!